Hast du ein Problem? Ruf Stefan an! Chronik eines recherchierten Todes
Themen: Neues |Leser der ersten Stunde – und nicht nur die – wissen es: Der Wortvogel hat eine Affinität zu Ibiza. Das hängt u.a. damit zusammen, dass ich dort zehn Jahre lang fast kostenlosen Zugriff auf eine nette Ferienwohnung samt Auto hatte. Ich habe auf Ibiza Silvester verbracht, Liebeskummer geschoben, Romane geschrieben, und vor allem die Seele baumeln lassen.
Stefan war immer Teil davon.
Schon bei meinem ersten Urlaub vor Ort riet mir der Besitzer der Ferienwohnung, für die Fahrt vom Flughafen nach Eulalia (ca. 20 Kilometer) auf den Bus oder ein Taxi zu verzichten. Es gab ja Stefan. Stefan war ein Hüne, unheimlich dick, und betrieb einen Fahrservice auf der Insel. Einmal eine SMS schicken, und er war pünktlich und preiswert vor Ort.
Es war sehr leicht, sich mit Stefan anzufreunden. Er war so unheimlich freundlich, immer gut gelaunt, und hilfsbereit weit über die Selbstverständlichkeit hinaus. Man wusste immer: Mir kann auf Ibiza nichts passieren. Im Notfall rufe ich einfach Stefan an. Einmal sprang mir ein Reifen von der Felge, als ich im Norden der Insel auf den Serpentinen kurvte. Stefan war gerade nicht vor Ort – er war in Thailand, wohin er gerne mal ein oder zwei Monate verschwand. Ans Handy ging er trotzdem und binnen zwei Minuten hatte er einen Kumpel organisiert, der meinen Wagen holte und wieder instand setzte. Kostenpunkt: 10 Euro.
Klar war Stefans Fahrservice Schwarzarbeit. Nicht, weil Stefan kriminell war. Stefan war… der klassische „free man“, jemand, der „leben und leben lassen“ praktizierte. Er zog sein eigenes Ding durch, auf eigenes Risiko. Prostituierte, Drogen, Waffen – er konnte alles besorgen, auch wenn er es selber ablehnte. Er war der „Fixer“ wie aus dem Bilderbuch, der Problemlöser. Man fühlte sich sicherer, wenn er nur einen Anruf weit entfernt war. Stefan war ein großer Bruder.
Im Laufe der Jahre erzählte er auf unseren Fahrten über die Insel auch immer mal wieder aus seinem Leben und von seinen Klienten. Wahrlich, es war eine Biografie, die eine Verfilmung lohnt: Als junger Mann zum Bund, dort in Spezialeinheiten zum Fallschirmspringer ausgebildet und schließlich bei der GSG-9 gelandet.
Anfang der 80er hatte er seine Liebe zu Ibiza entdeckt, war in Deutschland als Detektiv und Bodyguard unterwegs. Er hat für Otto Waalkes als Personenschützer gearbeitet und die Söhne von Gaddafi zu deutschen Waffenlieferanten begleitet.
Um den Jahrtausendwechsel war er wohl endgültig nach Ibiza ausgewandert und hatte sich der Prominenten-Betreuung verschrieben. Einen der bekanntesten DJ’s dieser Generation fuhr er die ganze Saison, Tag und Nacht, von Club zu Club. Er kümmerte sich um die Sprösslinge aus deutschen Industriellen-Clans ebenso wie um Schlagersänger und Schauspieler. Bei seinen Erzählungen blieb er immer diskret und freundlich. Nur einen Namen darf ich hoffentlich nennen, auch weil er überrascht: Auf die Frage, wer denn der netteste Prominente sei, mit dem er zu tun habe, antwortete Stefan wie aus der Pistole geschossen „Thomas Anders“. Never judge a book by it’s cover.
Stefan machte dann auf den Wunsch eines Industriellen noch den Bootsführerschein, um diverse Yachten schippern zu können.
2014 bekamen wir einen Anruf: Stefan geht’s nicht gut, der liegt im Krankenhaus auf Ibiza, war lange im künstlichen Koma. Wir besuchten ihn und erkannten ihn zuerst nicht – das Koma hatte ihn unfassbar abmagern lassen.
Was passiert war? Irgendeine beschissene Entzündung im Fuß, die falsch behandelt worden war, eine übersehene Infektion, ein Versagen innerer Organe, vier Monate im künstlichen Koma. Sicher auch seinem Gewicht geschuldet. Dutzende Operationen, um das Bein zu retten. Aber so frustriert Stefan war – er verlor nicht die gute Laune. Wir besorgten ihm eine Rolle Euros, damit er den münzbetriebenen Fernseher in seinem Krankenzimmer füttern konnte.
Ein paar Wochen später kam er zurück nach Deutschland. Es ging das Gerücht, er sei mit Freundeshilfe heimlich ausgeflogen worden, weil die Krankenkasse seine Kosten nicht übernehmen wollte und ihm sechsstellige Schulden drohten.
In Deutschland nahm sich das System seiner an, versorgte ihn medizinisch bestens und besorgte ihm eine kleine 2 Zimmer-Wohnung in der Nähe von Bremen. Irgendwann schrieb er mir, dass er die Schnauze voll habe von Operationen, die eine 20prozentige Chance hatten, das Bein wieder belastbar zu machen – er ließ es amputieren. Was bei anderen Menschen für eine Sackladung Weltschmerz gereicht hätte, wurde von Stefan immer mit einem „ist halt scheiße gelaufen, ansonsten geht’s mir ja gut“ abgetan worden.
Stefan vermisste Ibiza, das war sehr deutlich. Die Insel war ihm Heimat geworden. Aber mit einer Beinprothese konnte er weder Auto fahren noch als Personenschützer arbeiten. Er saß meistens daheim, spielte Online-Poker und schaute Sport, hauptsächlich Eishockey und Fußball. Er betonte aber immer wieder, wie dankbar er dem deutschen System sei, das ihn vorbildlich versorge und sich um alle seine Notwendigkeiten kümmere.
Ich besuchte ihn in der Nähe von Bremen das erste Mal 2018, als ich wegen einer Reportage die Gegend streifte. Es war ein herzlicher Nachmittag, ganz ohne Bitterkeit und Melancholie, auch wenn Stefan erwähnte, wie viele seiner ibizenkischen Kumpel nichts mehr von sich hören ließen.
Bei meiner Freundschaftstour 2023 besuchte ich ihn wieder. Stefan hatte bayerisches Bier und Leberkäse besorgt. Die im Koma verlorenen Kilos hatte er sich längst wieder angefuttert. Klar, viel Bewegung hatte er ja auch nicht mehr. Er erwähnte, dass er auf ein elektrische Trike von der Krankenversicherung wartete, um wieder selber einkaufen fahren zu können. Ansonsten war er guter Laune.
Nun wollten die LvA und ich Stefan wieder ein Foto aus unserem Urlaub schicken, wie wir das immer machen. Ich gehe in den Facebook-Messenger, der den Versuch allerdings blockiert: Eine Nachricht an Stefan ist erst wieder möglich, wenn der sich das nächste Mal eingelogged habe. Seltsam.
Ich schicke Stefan eine Nachricht per WhatsApp: Alles okay bei dir, Digger? Nach 24 Stunden hat er sie nicht abgerufen.
Check bei Facebook: Zuletzt hat er dort zur EM kommentiert. Das war im Juli.
Ich bekomme ein ganz schlechtes Gefühl. Stefan hat Facebook gerne genutzt, wir haben uns dort auch immer zum Geburtstag und anderen Feiertagen gratuliert. Der Status seines WhatsApp-Accounts verstärkt die Sorge noch.
Das war fünf Tage nach seinem letzten Facebook-Eintrag.
Ich gebe einfach mal seinen Namen bei Google ein, auch wenn der nicht sehr einmalig ist. Eines der Suchergebnisse ist ein Schlag in die Magengrube:
Könnte ein anderer Stefan sein, klar. Aber ein Abgleich des Geburtsdatums und die Überschneidung zu seinen letzten Postings schließen das im Grunde genommen aus.
Wie es aussieht, ist unser Fahrer, Vertrauter und Freund Ende Juli verstorben.
Stefan. Mensch, Stefan. Ist ein bisschen weniger hell draußen ohne dich. Und Ibiza wird nun mit noch mehr Melancholie verbunden sein. Keiner mehr, der auf uns aufpasst. Der "Sachen erledigt". Dem wir frische Weißwürste mitbringen können. Keiner, der Facebook-Kommentatoren mit einem persönlichen Besuch droht, wenn sie "den Torsten nicht in Ruhe lassen!".
Wo auch immer deine letzte Reise dich hintreibt – lass es dir gut gehen.
Geiler Typ, schöner Text.
Nachrufe ziehen mich ja immer irgendwie runter, auch wenn ich die Leute gar nicht kannte, aber deiner hinterlässt ein warmes Gefühl. Denn – Hand aufs Herz – genau sowas will man doch:
Solange jemand dein Lied singt, bist du nicht ganz weg.