31
Aug 2015

FFF 2015 Gastreview: Der Bunker

Themen: Fantasy Filmf. 15, Film, TV & Presse, Neues |

Der Bunker

Der_Bunker_-_Poster Deutschland 2015. Regie: Nikias Chryssos. Darsteller: Pit Bukowski, Daniel Fripan, Oona von Maydell, David Scheller

Story: Tief im Wald versteckt lebt in einem Bunker eine typische Spießerfamilie… okay, vielleicht nicht *ganz* typisch. Der Papa legt sich abends gerne Clowns-Make-up auf, liest Fips-Asmussen-Witze vor und analysiert diese umgehend auf ihre intertextuellen Aussagen, Mama hat eine fiese offene Wunde am Bein, die sie „Heinrich“ nennt, für den Anführer einer außerirdischen Zivilisation hält und mit der sie angeregte Gespräche führt (letztlich trifft Heinrich die meisten Entscheidungen für die Familie) und Sohn Klaus ist acht, sieht aber aus wie 30, und soll später mal Präsident werden, weswegen Papa ihn mit Machiavelli und Abhandlungen zum globalen Bankensystem heim-unterrichtet – allerdings ist Klaus schon mit dem Auswendiglernen der Hauptstädte überfordert.

In dieses Idyll platzt ein Student auf Zimmersuche – das versprochene Zimmer mit Seeblick erweist sich zwar als fensterloser Kellerverschlag, aber man nimmt, was man kriegt – die Abgeschiedenheit verspricht genügend Ruhe für des Studenten Projekt, fachübergreifend am Higgs-Boson herumzuforschen. Weil Papas Unterrichtsmethoden nicht fruchten und der Familienrat den Studenten als Akademiker für ausgesprochen geeignet hält, Klausi auf die präsidialen Sprünge zu helfen und überdies der Ansicht nachhängt, der Student würde durch exzessives Futtern und Serviettenverbrauch bereits deutlich in den Miesen hängen, wird der Neuankömmling zum Unterricht genötigt. Klausi erweist sich aber ziemlich blöde – und auch couragiertes Schummeln führt weder für Lehrer noch für Schüler zum Erfolg.

Schießlich hat der Student eine Erleuchtung – wenn er Klaus was mit dem Rohrstück überbrät, *bevor* der antwortet, klappt’s auch mit den Hauptstädten. Die Eltern sind begeistert, und ganz besonders Frau Mama, die den Studenten zum Dank verführt und als Muse für seine Forschungsarbeit erstaunliche Resultate erzielt. Scheint also ein Arrangement zum Wohle aller Beteiligten zu sein, doch der Student merkt schnell, dass die Verschrobenheit seiner Vermieter nicht nur harmlose Exzentrität, sondern gefährlich ist – für ihn und für Klaus. Und auch dem Vater wird die Vertraulichkeit, die zwischen Student und Klaus einerseits und Student und Mama andererseits herrscht, zunehmend ein wenig *zu* vertraulich…

Kritik: Deutscher Beitrag auf dem FFF – das heißt, vorurteilsgeplagt, wie man durch Erfahrung halt leider geworden ist, Alarmbereitschaft. Zumal „Der Bunker“ als „wie wenn David Lynch ein Helge-Schneider-Drehbuch verfilmt“ angekündigt wurde. Setzt die Messlatte schon recht hoch, auch wenn der wahre Experte natürlich kritisch anmerkt, dass Helge keine Drehbücher hätte, von denen er wüsste.

Der erste Langfilm des bislang einiges an Kurzfilmen und Musikvideos verantwortenden Nikias Chryssos wurde von „Lindenstraße“-Guru Hans W. Geißendörfer produziert, und was auf den ersten Blick kurios erscheint, ist beim zweiten Hinkucken gar nicht mal so ungewöhnlich – Geißendörfer hat selbst mit „Jonathan“ einen schwer politischen Vampirfilm auf dem Kerbholz, steht also mit dem phantastischen Genre nicht per se auf Kriegsfuß, und als Alt-68er, dem man sicherlich hoch anrechnen muss, mit der „Lindenstraße“ Themen ins allgemeine gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken, die bis dahin als untauglich für Fernsehunterhaltung galten, ist er immer noch daran interessiert, Stoffe zu fördern, die in sein politisches Weltbild passen. Und, ja, auch wenn „Der Bunker“ oberflächlich nur auf „Schrägness“ aus zu sein scheint, ist der Streifen ziemlich politisch und, in der Tat, ziemlich links.

Letztlich ist es die alte Konfrontation des aufgeklärten studierten Jungerwachsenen, der gegen die verknöcherte Institution des Althergebrachten, Konservativen ankämpft – nicht umsonst ist das Bunker-Interieur ein Alptraum deutscher Gemütlichkeit, wie’s einst auch bei Ekel Alfred war. Nicht umsonst sind die Eltern Pseudo-„Intellektuelle“, die glauben, wenn man ein paar Bücher gelesen hat, wird man zum Experten (der Vater will dem Studenten fachmännische Unterstützung bei seinen Forschungen aufdrängen), haben aber in Wahrheit keine Ahnung, wie „die Welt“ funktioniert (Klaus soll Präsident der Vereinigten Staaten werden, die Plotte spielt aber ohne weiteres in Deutschland). Nicht umsonst hängt im Schulzimmer demonstrativ der Rohrstock und wird auch eingesetzt (auch vom Studenten, als der feststellt, dass Klaus auf Präventivprügel gut reagiert). Der Student wird im Filmverlauf vom System kompromittiert, versucht auszubrechen und – (SPOILER) -, weil die Linke in vielerlei Hinsicht mittlerweile resigniert bis kapituliert hat, scheitert, er wird am Ende (wortwörtlich) zum Sklaven des Systems, das er bekämpfen wollte, hat aber wenigstens eine revolutionäre Saat gelegt.

Der_Bunker_Still Jetzt hat der aufmerksame Leser sicher festgestellt – das ist eigentlich eine recht geradlinige politische Allegorie, wo kommt also der Lynch- und Helge-Aspekt her? Gute Frage, Leute, denn… der ist eigentlich völlig überflüssig. Alles an „Schrägheit“, was der Film auffährt (und das ist letztlich dann auch sooo viel nicht), ist keine sich organisch ergebende Schrägheit, sondern aufgesetzte, affektierte, kuck-mal-wie-radikal-surreal-ich-bin-Schrägheit. Wenig bis gar nichts tut was zur Sache – die Beinwunde Heinrich diskutiert mit der Mutter, aber das ist nichts, was nicht auch, äh, „gewönhliche“ Schizophrenie auch hätte bewerkstelligen können, der Vater mit seinem Witze-Tick ist nur ein auf Elf gedrehter Humorversteher, wie ihn jeder kennt, dass Klaus von einem Dreißigjährigen gespielt wird, thematisiert der Film mit einem Satz, ansonsten ist das aber ein reiner oberflächlicher Gag („kuck mal, ein Erwachsener spielt ein Kind, hihi“) ohne echte Aussage (okay, der obligatorische Haken bei breastfeeding muss gemacht werden. Das ist ja neuerdings ein echtes Thema.)

Im Endeffekt fühlt man sich tatsächlich wie in einer Art unausgegorenen Vorhöllenversion von „Ein Herz und eine Seele“, die man viel viel schärfer, böser und „weirder“ hätte machen können. Chryssos inszeniert die Nummer leider viel zu konventionell als fernsehartiges Kammerspiel (was man aus einem ähnlichen Setting herausholen kann, bewies „Shrew’s Nest“), dass im ersten Akt noch leidlich unterhält, dann aber über weite Strecken emotional unbeteiligend vor sich hin plätschert, und dessen finaler „Ausbruch“ (in jeder Hinsicht) nicht wirklich die logische Konsequenz der vorhergehenden 80 Minuten zu sein scheint.

Das ist alles ordentlich gespielt, ganz besonders von David Scheller („Extreme Ops“, „Diese Kaminskis“) und Oona von Maydell („Ein spätes Mädchen“) als Eltern, die ihre Parts geschickt „underplayen“; Pit Bukowski („Der Samurai“) macht sich auch manierlich und selbst Daniel Fripan („Alaska.de“, „Krabat“) als Klaus ist nicht so nervig, wie ich befürchtete, aber es ist auch alles unzugänglich, abweisend, gefühlskalt.

Fazit: Ein Experiment, wie man eine politische Metapher in ein pseudosurreales Kammerspiel packt, ging schief. „Der Bunker“ wäre als straighter Psychothriller ohne seine prätentiösen surrealen Elemente womöglich ganz patent und spannend geworden, in der Form ist der Streifen leider ein Muster ohne Wert, der auch und gerade für Lynch- und Schneider-Fans völlig uninteressant ist. Vertane Chance. 4/10

Toter Hund? Nein.

Doc Acula

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DMJ
DMJ
31. August, 2015 15:37

Das… klingt jetzt alles recht plausibel, ich will es aber nicht glauben, da ich mir vorgenommen habe, den Film zu mögen. Also tu ich so, als hätte ich es nicht gelesen.
Guter Plan!

AlphaOrange
31. August, 2015 18:54

Mir hat der Film eigentlich ganz gut gefallen. Visuell und akustisch eine Pracht, erzählerisch leider unausgegoren, aus imo mangelnder Ambition, es richtig machen zu wollen. Wenn Chryssos nach dem Film erzählt, er habe vor allem einen Film voller Schwachsinn drehen wollen und auf die Frage nach tieferer Bedeutung schlicht keinerlei Antwort hat und beginnt herumzueiern (und der Doc hat hier ja viel davon recht gut seziert) scheine ich damit auch nicht ganz falsch zu liegen.

Hätte man zumindest den Heinrich-Strang gestrichen, dann wäre ein Film immer noch eine grelle Groteske gewesen, hätte sich aber noch irgendwo in der Zwischenwelt zu finstren Mythen inzestuöser Hinterwäldler-Dörfer wiedergefunden und so das Spannungsfeld zwischen Realität und Wahn gehalten. Das war mit Einsprengseln von Besessenheit und Alien-Invasoren aber völlig dahin.

DocAcula
31. August, 2015 19:10

Bei uns war der Regisseur nicht da – aber dann sind wir wohl mal wieder im launigen Spannungsfeld zwischen “Intention” und “Resultat”. Durchaus möglich, dass der Film besser funktioniert, wenn man ihn als reinen Nonsens versteht, aber dafür ist mir etwas zu eindeutig politisch konnotiert (grad beim Rekapitulieren für’s Review fiel mir so richtig auf, wie perfekt der eigentlich ins Geißendörfer’sche Weltbild passt), ob Chryssos das nun will oder nicht, und zum anderen dann eben nicht dada genug. Die Heinrich-Geschichte ist auch die, mit der ich am meisten Probleme habe – wäre er konsequent SO abstrus, könnte man drüber reden, aber der Rest ist dagegen ja beinahe normal… 😛

Marcus
Marcus
30. Januar, 2016 10:31

So ist das – meine Tasse Tee war dieser bemüht schräge Hobel, der es schafft, sogar in 85 Minuten Laufzeit noch Längen zu haben, auch nicht. 4/10 passt scho.

Und wieso fehlt der eigentlich in der Masterliste?

Wortvogel
Wortvogel
30. Januar, 2016 10:43

@ Marcus: Schlamperei!