10
Jul 2008

Kino-Kritik: Sonderedition

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

GONGIch gehe seit ca. 1991 auf Pressevorführungen. Damals hatte ich gerade beim GONG angefangen. Es war noch die “goldene Zeit” der TV-Zeitschriften, denn es gab weder die große Konkurrenz wie “TV Spielfilm” oder “TV Movie”, noch die kleine Konkurrenz der Piccolos wie “TVneu” und “TVpur”. Es gab auch keine Konkurrenz aus dem Internet. Die Magazine am Markt waren zumeist steinalt (der GONG reicht samt Vorläufer bis in die 40er zurück), hatten einen Haufen Kohle, riesige Redaktionen, und alle Zeit der Welt. Es war kein Problem, vier bis fünfmal die Woche während der Arbeitszeit ins Kino zu gehen, manchmal auch in zwei Filme nacheinander.

Für die Uneingeweihten: Als akkreditierter Journalist, der es auf den Verteiler eines Verleihers geschafft hat, bekommt man eine Einladung. Früher waren das meistens Postkarten oder gedruckte Einladungen im Geschenkkarten-Format (heute ist es oft nur eine Email). Diese verzeichnet den Vorführtermin, oft genug für alle relevanten Städte der Republik. Eigentlich soll man nur mit dieser Einladung bei den Presseterminen auftauchen, aber nach meiner Erfahrung sind die Verleiher extrem kulant – wer von dem Termin weiß, kann einfach hinstiefeln. In den 90ern wurde nur bei einer Handvoll Pressevorstellung überhaupt kontrolliert, woher man kam (ich erinnere mich an “Jurassic Park”). Es gibt auch sogenannte “Pinkies”, exklusivere Screenings, bei denen genauer hingeschaut wird, und bei denen man sich anmelden sollte, nachdem man die Einladung bekommen hat.

Für besonders wichtige Schreiber und in Ausnahmefällen machen Verleiher auch mal Extra-Screenings. “Todeszug nach Yuma” habe ich mit nur zwei Kollegen im hauseigenen Kino von Sony gesehen, weil man den Film extra für Journalisten der Männermagazine zeigen wollte.

Pressevorführungen finden meistens untertags statt, weil die Journalisten nicht in ihrer Freizeit “arbeiten” wollen, und weil die Kinos tagsüber sowieso leer stehen. In München war in den 90ern das “Arena” Stammkino für Pressen, seit einigen Jahren ist es das größere und schönere “Neue Gabriel”. 11.00 Uhr und 13.00 Uhr (manchmal 13.30 Uhr) decken 80 Prozent der Termine ab. Je nach Interesse der Journaille ist der Saal halbvoll, oder es verlaufen sich nur fünf Kollegen in den Sitzreihen. Wirklich voll werden die Säle nur in Ausnahmefällen, z.B. beim lang erwarteten “Spiderman”.

Neues Gabriel

Bei den Pressen geht es angenehm entspannt zu: Getränke und Snacks sind normalerweise frei, man klönt ein wenig mit den Kollegen, und trägt sich (wenn man will) in die Anwesenheitsliste ein. Hat man dort eigentlich nicht wirklich was zu suchen, schreibt man unter Redaktion einfach “frei”. Wie gesagt, in meiner Zeit beim GONG ging ich teilweise vier oder fünfmal die Woche ins Kino. Es war total lässig, und ich musste nur über wenige der Filme tatsächlich schreiben. Ein weiterer Vorteil: In der Regel sind Pressescreenings auf englisch.

Ich war in den Jahren 1998-2003 beruflich “raus” aus dem Pressescreenings-Business. Erst durch meinen Nebenjob als Kinoredakteur für ein paar TV-Zeitschriften habe ich vor ein paar Jahren wieder Zeit und Gelegenheit gefunden, Vorführungen zu besuchen. Nicht mehr vier bis fünf pro Woche, aber die Highlights.

In den letzten Jahren haben sich allerdings ein paar Dinge geändert, und mein Kollege Julian hat sich zu dem Thema neulich mal den Frust vom Leib geschrieben. Der Konflikt mit den Verleihern über zu kurzfristig oder gar nicht angesetzte Pressetermine, über schlechte Versorgung mit Informationen, und über eine stärkere Aussiebung der Einladungen schwelt schon länger, nicht nur in München.

Kommen wir erstmal zu den Kleinigkeiten, die sich geändert haben: Es gibt praktisch kein physisches Pressematerial mehr. Einladungen, Fotos, Pressehefte, Interviews – alles digital. Man ist beim Server des Verleihers angemeldet, und kann sich ziehen, was man braucht. Ich persönlich finde das schade, denn viele der alten Pressehefte waren echte Hingucker, z.B. die buchdicke “Terminator 2”-Mappe, oder die mit Zeichentrick-Folien durchsetzten Prospekte von “Ferngully”. Selbst wenn ein Verleiher heute ein Presseheft parat hat, dann ist es meistens nur ein lieblos zusammen getackerter Ausdruck einer PDF-Datei in schwarzweiß. Aber faktisch ist das Online-Material natürlich perfekt für die direkte Übernahme in Texte und Layouts.

Es herrscht mittlerweile auch eine gewisse Paranoia bei den Pressen – Handy abgeben ist Pflicht, Taschen werden durchsucht, Sicherheitsleute checken, ob jemand mitfilmt. Die Damen von der Presseabteilung schauen sich genauer an, wer denn nun kommt, und ich habe Fälle erlebt, in denen Kollegen abgewiesen wurden. Beide Seiten stehen unter einem Rechtfertigungsdruck, den ich früher so gar nicht kannte.

Schlimmer als die Verleiher sind allerdings die Autoren selbst dran. Heutzutage Filmjournalist für Printmedien zu sein, ist ein ungleich härteres Brot als vor 15 Jahren, und das hat primär zwei Gründe.

Grund 1 ist die Konkurrenz durch Online-Medien. Kritik zum Kino als audiovisuelles Medium lässt sich im Internet super präsentieren: Bunte Bilder, Trailer, Links – alles geht. Kollegen, die für ihre Blogs schreiben, können ihre Reviews teilweise eine halbe Stunde nach dem Ende der Vorstellung schon online haben. Bei Printjournalisten reicht der Vorlauf von zwei Tagen (Tagespresse) bis zu vier Wochen (Monatszeitschriften). Und im Gegensatz zum Cyberspace ist der Platz auf der gedruckten Seite begrenzt. Oft genug fällt selbst für einen neuen Star Wars-Film gerade mal eine halbe Spalte ohne Bild ab. Das ist extrem frustrierend, und außerdem ein Teufelskreis: je unaktueller Zeitungen und Zeitschriften im Kinobereich werden, desto eher neigen sie dazu, diese Seiten ganz ins Online-Ghetto zu verschieben.

Trotzdem haben die Printjournalisten immer noch einen ganz anderen Stand als ihre Online-Kollegen, und werden allemal bevorzugt. Viel Material von den Servern der Verleiher ist für eine Online-Verwertung gesperrt. Das ist natürlich albern, aber ich verstehe die Verleiher bis zu einem gewissen Grad: Jeder mit einem eigenen Blog kann theoretisch “Filmkritiker” sein, und Einlass bei den Presseterminen verlangen. “Klicks” werden nicht mit “verkaufter Auflage” gleichgesetzt. Eine gedruckte Zeitschrift ist eine größere Einstiegshürde, und damit eine bessere Visitenkarte. Als reiner Online-Schreiber ist es schwierig, überhaupt auf den Verteiler der Verleiher zu kommen, es sei denn, man schreibt regelmäßig für “Spiegel online” oder die BILD.de.

BlattgoldGrund 2, warum die Printjournalisten immer mehr unter Druck geraten, ist mit Punkt 1 verzahnt: Sie können ihren Job heute kaum noch ordentlich ausüben. Julian hat bei den Filmjournalisten dafür hauptsächlich die immer knappere und unübersichtlichere Planung der Screenings verantwortlich gemacht. Da ist sicher was dran: Als Kino-Redakteur der “TVpiccolino” und “TV 4×7” kommen die Pressevorführungen mittlerweile grundsätzlich zu spät, um Eingang in meine Texte zu finden. Ich muss mich mit allgemeinen Infos aus dem Pressematerial begnügen. Eine Rezension im Sinne von echter Filmkritik wird dadurch unmöglich.

Das ist übrigens allerorten so. Der Platzmangel in den Printmedien hat zu einer perversen Vorauswahl geführt: Es werden sowieso nur noch Filme präsentiert, die zur vermeintlichen Zielgruppe passen. Und von den Zielgruppen-Filmen nur noch die, die große Stars und tolle Fotos bieten. Und die vermutlich sehr gut sind. Warnungen vor schlechten Filmen sind für die meisten Magazine und Zeitschriften Platzverschwendung, und werden ignoriert.

X Files 2Man kann den Verleihern leicht vorwerfen, das absichtlich zu machen. Klar, wenn die Journalisten nur aus dem gelieferten Presseheft abschreiben können, weil es kein zeitiges Screening gab, sind harsche Verrisse praktisch ausgeschlossen. Die Kinoseite verkommt zur Info-Lektüre. Das ist doppelt ärgerlich, wenn die Verleiher den Informationsfluss auch noch absichtlich beschneiden. So gab es zu “Indiana Jones IV” und “Akte X” praktisch keinerlei Details zum Inhalt, weil man “das Mystery erhalten” wollte. Schön und gut, aber womit soll ich dann meine Doppelseite füllen? Das ist für mich ein lässliches Problem, für Zeitschriften wie “Cinema” ist es die Hölle.

Trotzdem glaube ich im Gegensatz zu Julian nicht, dass die Verleiher absichtlich so handeln. Ein erster Hinweis auf die wahren Beweggründe findet sich eher in der Tatsache, dass man vor Ort meist nur noch fotokopierte Pressehefte in der englischen Originalfassung bekommt.

Die Antwort lautet schlicht: Die Starttermine der Filme werden immer näher an den US-Start gelegt. Wenn z.B. “Transformers” in Deutschland praktisch zeitgleich mit den USA startet, dann müsste ein Pressescreening, auf dessen Basis ich über den Film in der “TVpiccolino” berichten kann, mehr als einen Monat VOR dem US-Start stattfinden. Zu diesem Zeitpunkt hat kein Verleiher eine Kopie zur Verfügung, das Pressematerial liegt oft noch nicht vor, und Bilder sind schwer zu bekommen. Die US-Mutterhäuser verbieten solche Screenings außerdem, weil sie eine Vorab-Berichterstattung ermöglichen würden, die eventuell den US-Release negativ beeinflusst. Der deutsche Verleih hat auch keine Zeit mehr, ordentliches Pressematerial vorzubereiten, sondern muss sich mit dem begnügen, was die Amis großzügigerweise bereitstellen.

Mit der Parallelisierung der internationalen Starttermine (es betrifft ja nicht nur uns) wird den lokalen Verleihern die Möglichkeit genommen, rechtzeitig die für Print schreibende Zunft mit ins Boot zu holen. Und ich weiß aus Gesprächen, dass die Verleiher selbst darüber nicht glücklich sind.

Um meine Theorie zu belegen, habe ich einfach mal ein paar willkürliche Beispiele herausgesucht.

Kung Fu Panda“Jäger des verlorenen Schatzes” startete in den USA am 12.6.1981, in Deutschland aber erst mehr als vier Monate später, am 29.10.1981. Das aktuelle Abenteuer von Professor Jones hatte einen identischen Starttag in allen relevanten Territorien. Während Tim Burtons erster “Batman” sich 1989 noch über vier Monate Zeit ließ bis zur Reise nach Deutschland, musste Christopher Nolans erster “Batman begins” einen TAG nach dem US-Release Batgewehr bei Fuß stehen. Auf “E.T.” konnten sich die Deutschen 1982 sechs Monate lang freuen. Und auf “Krieg der Sterne” fast sieben Monate. “Star Wars: Episode III” hingegen startete weltweit zeitgleich. Auch bei CGI-Filmen ist es nicht besser: Es scheint üppig, wenn “Kung Fu Panda” fast vier Wochen zwischen US-Start und Deutschland-Start verschwendet. Bei “Toy Story” waren es aber noch vier Monate.

AICNUnd hier liegt das Problem, sind Ursache und Wirkung kaum noch auszumachen: Das Internet hat die Film-Berichterstattung rasend beschleunigt. Wenn ein Film nichts taugt, weiß das dank AICN ein paar Stunden nach den ersten Test-Screenings die ganze Welt. Und weil die Marketing-Kosten explodieren, wird alles komprimiert: Die Auswertungsfenster werden immer kleiner, Filme müssen ihr Geld immer schneller einspielen. Der zeitgleiche Start in mehreren Territorien maximiert den PR-Push, alles wird gleichgeschaltet, ein Flop in den USA darf keine Zeit mehr haben, die anderen Länder “vorzuwarnen”. Gigantische Kooperationen (Burgerking, McDonalds) laufen zeitgleich an, überschwemmen den Markt mit Milliarden Merchandise-Produkten.

Die Blogger und die Film-Websites, von den Verleihern auf lokaler Ebene nicht ernstgenommen, sind mit dafür verantwortlich, dass aus PR Hysterie geworden ist, aus Marketing Gehirnwäsche. Traditionelle Printschreiber bekommen keine rechtzeitigen Presse-Sreenings zu sehen, das Material wird ob der kurzen Zeitfenster immer dürftiger, und oft genug blockt der Verleih wichtige Informationen, um dem Release nicht zu schaden.

Das Ergebnis: Der Tod der gedruckten Filmkritik als aktuelle Begleitung des Kinoprogramms. Nicht überall, nicht immer, aber immer mehr. Kinokritik ist nun entweder bei kurzyklischen Periodika hingeschludert, oder retrospektiv. Das erodiert den Status des Printjournalisten noch weiter, und stärkt die eigentlichen “Übeltäter”, nämlich die Online-Petzen.

Ich wehre mich gar nicht dagegen. Es ist nun mal so, und dieses Rad lässt sich auch nicht zurückdrehen. Man kann dem Internet nicht vorwerfen, schneller zu sein als die Druckerpresse. Und vielleicht ist die aktuelle Orientierungshilfe in Sachen Film tatsächlich etwas, das die Online-Schreiber besser handhaben können. Und vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn sich Printjournalisten wieder mehr auf die größeren Zusammenhänge konzentrieren, als verkrampft Filme kurz vorzustellen. Ein Comeback des Film-Essays wäre in manchen Bereichen durchaus wünschenswert.

Aber dann muss der Online-Bereich im Gegenzug seriöser, und von den Verleihern ernstgenommen werden. Dann müssen die Verleiher ihre Screenings stärker für Blogger öffnen. Es muss sich eine neue Kultur der Online-Filmkritik herausbilden. Eine, die über die aktuelle Information hinaus Verständnis für Filmsprache und Kontext hat.

Die Zeiten ändern sich – aber was am Filmjournalismus gut war, darf nicht aus zeitplanerischen Gründen auf der Strecke bleiben. Es müssen Nischen aufgetan werden, die lukrativ genug sind, damit Kompetenz in der Filmkritik lebensfähig bleibt. Sonst müssen Filmjournalisten künftig bewusst das sein, zu dem sie heute oft schon gezwungen werden – gefällige Hofberichterstatter, die vorgefertigtes Infomaterial regurgitieren. Und “Kritik” verkommt zum Geplärre einiger Blogger, die “Der Film ist voll scheiße, LOL” für eine akzeptable Rezension halten.

So geht’s nämlich auch nicht.

Das war jetzt eine bewusst zugespitzte Sicht der Dinge, das bitte ich zu bedenken. Natürlich gibt es kompetente Filmkritiker unter den Bloggern wie mich, und in manchem Printmedium wird nur noch Unsinn verzapft. Aber ich sehe einen grundsätzlichen Wandel im deutschen Filmjournalismus, den weiterzudenken mir wirklich nicht gefällt.

Ach ja: Heute kam eine Einladung zum Pressescreening des neuen “Akte X”-Films. Es findet drei Tage vor dem Deutschlandstart statt. Den Text zum Film habe ich vor zwei Wochen schreiben müssen.



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Christian H.
Christian H.
10. Juli, 2008 22:20

Die von dir angesprochenen Punkte werden dann auch der Grund sein, warum ich (nach Jahren treuen Lesens) vor einiger Zeit aufgehört habe die “Cinema” zu lesen. Das hat mir früher (sprich: vor gut 10 Jahren) noch wahnsinnig Spaß gemacht und ich habe mich a) auf jedes Heft gefreut wie auf den Weihnachtsmann und b) in meinen Entscheiden für/gegen einen Film beeinflussen lassen.
Und dann stellte ich nach und nach fest, dass es anstatt der “Daumenbewertung” plötzlich immer öfter Fragezeichen gab, mit dem Hinweis dass der Film “zu Redaktionsschluss noch nicht vorgeführt wurde”. Aber zum Zeitpunkt des Erscheinen des Heftes, lief der Film gerade an. Ich habe mich also schon geärgert, dass ich jetzt nicht empfohlen bekam, ob sich ein Film lohnt oder nicht (damals konnte ich mir Kino nicht auf “gut Glück” leisten 😉 ). Und dann bemerkte ich, dass in vielen Filmkritiken eigentlich gar nicht so sehr über den Film an sich geschrieben wurde, sondern es gab Hintergrundinformationen über den Dreh und auch gerne mal eine halbe Seite über jeden der Hauptdarsteller.
Jetzt wo ich (dank des Blogeintrags) darüber nachdenke, wird es wohl der Fall gewesen sein, dass der Kritiker nichts zu berichten hatte, weil er den Film vermutlich gar nicht gesehen hatte, aber etwas schreiben MUSSTE, denn es war ja Release…

Wortvogel
Wortvogel
10. Juli, 2008 22:25

Dann ist vollkommen richtig – man darf auch nicht übersehen, wie unglaublich vorgekaut das Pressematerial mittlerweile ist. Das sind nicht bloß ein paar Infos, das sind teilweise vorformulierte Artikel, fertige Interviews mit allen Stars (aber natürlich ohne jegliche kritische Fragen), und Einblicke in den Produktionsprozess, die den Leser glauben lassen, der Journalist wäre vor Ort dabei gewesen (was wegen der schwierigen Situation am Markt immer seltener vorkommt). Die Presse wird schleichend gleichgeschaltet.

OnkelFilmi
OnkelFilmi
10. Juli, 2008 22:38

“Die von dir angesprochenen Punkte werden dann auch der Grund sein, warum ich (nach Jahren treuen Lesens) vor einiger Zeit aufgehört habe die “Cinema” zu lesen. Das hat mir früher (sprich: vor gut 10 Jahren) noch wahnsinnig Spaß gemacht und ich habe mich a) auf jedes Heft gefreut wie auf den Weihnachtsmann und b) in meinen Entscheiden für/gegen einen Film beeinflussen lassen.”

Wobei man auch sagen muss, daß sich die Cinema auch inhaltlich wie auch schreiberisch geändert hat. Früher hat die Cinema, wie Du schon sagst, “Spaß gemacht”. Heute sind 90% der Kritiken in dem Heft leider absolut austauschbar, und von dem Humor, der früher mal da war (und wenn nur in einer Bildunterschrift) ist heute so gut wie nichts mehr zu lesen. Ich habe die Cinema jetzt seit knapp 16 Jahren im Abo, und lese sie seit 26 Jahren, aber ich bin auch langsam an dem Punkt angelangt, wo ich mir überlege, ob es mir das wirklich noch wert ist…

Und was das “gleichschalten” der Presse angeht – im Videospiel-Sektor ist das noch schlimmer. Da wird teils bereits gegen Autoren und Magazine geklagt, weil den Publishern die Kritiken ihrer Spiele nicht gefallen! Ehrlich gesagt wundert es mich, daß sich diese Praxis nicht schon im Filmbereich eingebürgert hat…

Julian
10. Juli, 2008 22:40

Lieber Torsten,

Du sprichst mir aus der Seele. Was Du schreibst, versuche ich ja auch oft genug zu bloggen (sic!), doch wollen mir die Worte nicht ganz so geflügelt über die Lippen gehen.

Ich mag da vielleicht etwas ungeschickt sein, mich schlecht verkaufen und so weiter, doch die Entwicklung der Situation ist doch das Wichtige, und die hast Du perfekt geschildert.

Ich nenne mich zum Beispiel bewusst nicht “Filmkritiker”, sondern “Filmjournalist”. Und zwar aus Ehrfurcht vor den Schreibern, die sich diese Berufsbezeichnung redlich verdient haben. Ich bin ein ganz kleiner Fisch in einem riesiggroßen Teich (und will nur meine Brötchen verdienen), und die größten Fische sind nicht die renommierten Kollegen oder gar die Filmverleiher hier im Land, sondern natürlich die Multis in den Staaten. Wir gehören zwar dazu, “zum Film”, sind aber in der Gesamtheit des Filmbusiness nur die Darmflora.

Derzeit zählen wir ja aus o.a. Gründen eher zum Business.

Unsere Arbeit ist freiwillig, für einen Filmstart nicht nötig. Da wir an der Schnittstelle zwischen PR und Publikum arbeiten, sollten wir als Presse eigentlich absolut unabhängig und nur berichtend sein. Die Pressevorführungen sind eine ebenso freiwillige Leistung der Filmfirmen, damit wir Journalisten genug Zeit haben, gute Kritiken zu schreiben. Nörgeln wir, fragt man sich natürlich früher oder später, wieso überhaupt man den Journalisten die Filme denn bitteschön früher zeigt als dem Rest der Republik (in den meisten Fällen, ahem). Doch nur Gutes flöten können wir auch nicht, denn manche Filme haben das einfach nicht verdient. Also ist jeder Journalist auf sein fachmännisches Urteil reduziert, das zu fällen eine gefühlte Gratwanderung werden kann.

Unsere Einschätzung von Filmen, in früheren Dekaden noch ernsthafte Entscheidungshilfe beim Kinobesuch, ist heute nur noch ein nice to have und wird meiner Erfahrung nach nur noch geduldet, nicht mehr wirklich gewünscht. Schade. Aber wie Du schon sagst, ein neuer Filmjournalismus entwickelt sich. Ich persönlich hoffe, dass er weniger mit Klicks oder Auflage oder Reichweite zu tun hat, sondern wieder mehr mit Inhalt und Tiefgang.

Das Abgrenzen der Onliner ist im Alltag übrigens wirklich deutlich zu spüren: Manche Filme werden von zwei Agenturen betreut, die eine für Online, die andere für den Rest. In einer jüngeren Einladung zu einer Premieren-Berichterstattung wird bei der Anmeldung unterschieden zwischen “Redakteur”, “Fotograf”, “Radio / Onlinejournalist” und “TV-Team”. Die Absetzung von Fotografie und TV aus organisatorischen Gründen (Kameraaufbau am roten Teppich usw.) ist klar, aber sind Onliner und Radiokollegen denn keine Redakteure? Wie unterscheidet sich die Berichterstattung eines Onliners während eines Events von der eines Print-Kollegen? Genau: Gar nicht. Warum also die Trennung? Doch sicher nicht nur für die interne Adreßdatenbank. (Im Grunde sollte sogar das Geschlecht des Kollegen egal sein…)

Ich denke, es ist für PR-Agenturen nicht einfach, den Wust der Journalisten im von der PR gewünschten Sinne zu kategorisieren und den Überblick zu behalten, zumal man heute nicht mehr über Dekaden für dasselbe Medium schreibt.

Aber ich habe auch das Gefühl, dass die Möglichkeiten der Online-Berichterstattung an vielen vorbeigeht. Immer wieder höre ich, z.B. im Radio, dass Leute doch “einen Blog auf unserer Seite schreiben sollen”, dabei sollen sie eigentlich “einen Kommentar zu einem Post im Blog zum Thema auf der Webseite” des Senders schreiben. Das mag jetzt kleinkariert wirken, kann aber ein Indiz dafür sein, dass vieles noch nicht so ganz verstanden wurde.

Ich denke, aus der gefühlten Konkurrenz zwischen Presse und PR sollte wieder eine Gemeinsamkeit werden. Die Presse hat sich stark verändert, natürlich durch das Internet, das Ende für die Printberichterstattung über Filme ist schon längst eingeläutet (von den Filmfirmen übrigens mit, durch die Entscheidung mit den PV-Terminen), und die PR-Seite nutzt das Netz ja auch stark. Die neue Gemeinsamkeit muss wohl aber auf Kosten der PR gehen, da das Pendel derzeit zu weit in Richtung der Instrumentalisierung der Presse geschwungen ist.

Um es mal metaphorisch zu sagen: Aus dieser Asche kann ein neuer Phoenix erstehen, der eine kompetente Filmberichterstattung ermöglicht, der Film wieder jenseits des eigenen Heims attraktiv macht, der zusammen mit den PR-Mechanismen und zum Wohle aller Beteiligten ehrlich, gut und unabhängig ist. Hoffen wir, dass wir nicht noch viele Federn lassen müssen bis dahin. Denn wir alle lieben das Kino, sonst wären wir nicht in diesem Job!

Peroy
Peroy
10. Juli, 2008 23:20

Lässt sich wirklich irgendjemand von einer Filmkritik beeinflussen ? Selbst in den 80ern, war das jemals so ? “Cinema sagt der und der sind gut, die guck’ ich mir an”. Na, ich weiß nicht… 😕

Stimmt übrigens, damals war das Heft noch geiler, aber damals gab’s auch ganz anderen Scheiss im Kino und auf Video…

Julian
10. Juli, 2008 23:22

@ Peroy: Das glaub ich schon, auch wenn es rückläufig sein dürfte. Wieviele Leute gucken während der Arbeit mal schnell irgendwo im Internet, welchen Film sie anschauen sollen? Und sei es nur, um das Genre zu erfahren… Der Rest ist Mundpropaganda.

Wortvogel
Wortvogel
10. Juli, 2008 23:26

Ich glaube, da haben wir einen Wirklichkeitsknick: Als echte Filmfans vertrauen wir unserem eigenen Urteil. Aber ich kenne genug Otto Normalgucker, die sich von der Kinospalte in der TV-Zeitschrift inspirieren lassen…

Christian H.
Christian H.
10. Juli, 2008 23:51

Richtig, “inspirieren” ist vielleicht das bessere Wort.
Ich sehe mich durchaus als “mündigen Filmfan”, nicht als Otto Normalgucker (auch wenn ich vielen hier nicht das Wasser reichen könnte, aber ihr seid ja Über-Filmfans 😉 ). Aber in der “Cinema” haben mir insbesondere die Artikel gefallen, in denen mir ein Film, den ich überhaupt nicht auf meinem Radar hatte, nähergebracht wurde. Mit der Konsequenz, dass ich dann doch mal ins Kino gegangen bin. Gute (begründete) Kritiken haben mich auch dazu gebracht, mir Filme anzuschauen, von denen ich felsenfest überzeugt war, dass sie mir nicht gefallen werden. Um durchaus einmal positiv überrascht zu werden. Das ist es, was gute Filmkritik für mich ausmacht.
Und sicherlich gibt es genug Leute, die einer Kritik blind vertrauen und sich keine eigene Meinung bilden (wollen). Finde ich auch gar nicht so schlimm. Angenommen man hat keinen Trailer gesehen, ist nicht mit Regisseuren und Drehbuchautoren vertraut… wovon sollte man sonst VORHER seine Entscheidung für oder gegen einen Film abhängig machen (denn Mundpropaganda muss ja auch irgendwo anfangen)? Da bleibt ja nur noch “Da spielt Orlando Bloom mit, den finde ich soooo süß” und “In der TV Movie hat der nen roten Stern!” als Entscheidungsgrundlage. Oder halt das Plakat mit der Hauptdarstellerin mit den dicken Dingern 😉

Wortvogel
Wortvogel
11. Juli, 2008 00:01

Letzteres zieht bei mir immer 🙂

Ansonsten: perfekt zusammengefasst, dankeschön.

manhunter
11. Juli, 2008 00:14

Zufälle gibt’s, grad gestern hatte ich meine erste Pressevorführung; dies im Auftrag eines Studentenmagazins – resp. für dessen Website. 😀
War zum Glück nicht so’n Horror, wie der Wortvogel ihn heraufbeschwört: Es gab durchaus “physisches” Pressematerial (Einladung und Bilder nehmen aber tatsächlich den digitalen Weg), keiner wurde durchsucht und bis zum eigentlichen Filmstart ist es immerhin noch einen Monat hin. Allerdings ging es auch bloss um einen kleinen Arthouse-Streifen.

Wortvogel
Wortvogel
11. Juli, 2008 00:18

Die kleineren Verleiher hängen sich natürlich noch mehr rein, und da sind die Termine auch nie so eng.

Ach, ich erinnere mich noch an die Woche, in der ich die bis dato vollkommen unbekannten Filme “Reservoir Dogs” und “Man bites dog” gesehen habe…

Julian
11. Juli, 2008 01:30

@ Christian H.: Es ist halt komisch, dass “die härteste Filmredaktion der Welt” trotzdem jeden Tag einen Hammerfilm zum Empfehlen findet, auch an Tagen, an denen es einfach keinen gibt… Klar, den Mechanismus dahinter versteht natürlich jeder, aber es wäre doch mutiger, einfach mal keinen Tagestipp zu vergeben und zu schreiben: Leute, geht an den See, spielt Minigolf oder kocht mal richtig aufwendig! Es täte mancher Tageszeitung auch mal gut, die Schlagzeile “Heute ist nichts los” zu schreiben, beim ersten Mal wäre die Ausgabe bestimmt ausverkauft… Naja, es ist halt immer noch ein Business…

Lindwurm
11. Juli, 2008 01:52

Zu dem Thema sollte auch gesagt werden, dass es bei den Printmedien einen argen Qualitätsverlust zu verzeichnen gibt, weil immer mehr Verlage sich keine erfahrenen Redakeure leisten wollen, sondern auf billige Kräfte, frisch gefangen unter den Absolventen diverser Journalismusstudiengänge, zurückgreifen, welche dann natürlich keine halbwegs seriöse oder gar orginelle Schreibe haben, sondern der idealen Link zur PR-Maschinerie der (Film)Wirtschaft sind. Es sind genau diese Sparmaßnahmen, mit denen die Printmedien auf den wachsenden Einfluss des Onlinejournalismus reagieren zu müssen glauben, die das gedruckte Papier noch tiefer in die Bedeutungslosigkeit reiten. Wenn der Filmjournalismus, wie es Julian vorschwebt, phoenixgleich aus der Asche dieser ökonomischen Zwänge sich erheben soll, dann müssen die Printmedien und deren Online-Ableger sich wieder stärker auf Qualität konzentrieren, denn so weg vom Fenster, wie manche es meinen, sind die professionellen Medien im Vergleich zu Blogs etc nicht. Filmblogs und Nerdsites wie “Ain´t it cool” sind sicher auch wegen der vom Wortvogel genannten neuen Vertriebspolitik der Studios schneller mit Bewertungen zur Hand, aber es wäre ein Trugschluss zu glauben, tout le monde würde sich seine Meinung aus diesen Quellen abholen. Der größte Teil der gemeinen Kinobesucher hält sich nach wie vor an 1. Mundpropaganda und 2. die gute alte Tageszeitung oder Filmzeitschrift. Und es bleibt auch noch zu erwähnen, dass Filme NIE von der Kritik zu Blockbustern oder Flops gemacht werden, das entscheiden die Kinobesucher, und die halten sich nicht oder nur in geringem Ausmaß an die Empfehlungen der Presse, vor allem seit diese Empfehlungen allzu sehr nach PR stinken. Beispiel: “10.000 bc” wurde von fast allen seriösen Kritikern vernichtend bewertet und war dennoch ein Erfolg.

wusch
wusch
11. Juli, 2008 02:37

Zu diesem Themenkomplex möchte ich aber auch einen Vorwurf an die Chefredakteure aller möglichen Wochen- und Monatszeitschriften richten: warum berichten sie immer noch über Filme, die vorab nicht zu sehen waren? Ich an ihrer Stelle würde diese Filme mit keinem Wort erwähnen! Und es gleichzeitig auch ablehnen, etwa einen Hintergrundbericht, ein Interview o.ä. zu einem Film zu bringen, der vorab nicht gezeigt wurde.
Das wär’ doch mal was, ein Film wie “Indiana Jones 4” startet und keine deutsche Zeitschrift erwähnt das…

Aber da haben sie wohl Angst um ihre Auflage und ihren Job!

Die Studiobosse in Hollywood können weiterhin alle gegeneinander ausspielen (Verleiher, PR-Agenturen, (Chef-)Redakteure, Freelancer), solange die keine SOLIDARITÄT zeigen!

Ich glaube nach wie vor, dass Filmkritiken (zumindest vom “gewohnten” Kritiker, von dem man bereits zig Besprechungen testen konnte) einen Einfluss auf den Zuschauer haben – “10.000 BC” hätte meiner Ansicht nach ohne die Verrisse ein noch viel besseres Ergebnis gehabt.

Interessanterweise legen wohl wirklich nur noch die Zuschauer Wert auf eine Filmkritik, die Medienbetreiber weniger (egal, ob Radio, TV oder Print – hierbei sei an den legendären “Kino-Kahn” auf Radio Gong München, an Hellmut Langes Filmquiz “Kennen Sie Kino” (bei dem einer der Gewinner seitdem im Archiv von “Cinema” arbeitet) oder eben an frühere Zeiten von “Cinema” erinnert – die schreiben ja heute trotz des Relaunches nur ein paar Zeilen über einen Film – und das auch noch ziemlich schlampig).

Mein Frage: Gibt es denn schon einen Internet-Kin-Sender?
Zu machen wäre das ja relativ einfach! Tun wir uns zusammen!
In Zeiten einer pseudo-hochspezialisierten Medienlandschaft, die letztendlich nur Wert auf Äußerlichkeiten legt, würde der Charme einer rotzig produzierten Filmsendung (wie damals, als die ganzen Privatsender aufkamen) meiner Ansicht nach wieder ein bisschen wirkliches Leben in die Bude bringen – und ankommen!

zu-schauer-lich
11. Juli, 2008 10:30

man kann das rad auch gleich viel weiter drehen: nicht nur die starttermine rücken immer dichter aneinander ran, auch der dvd release folgt innerhalb kürzester zeit. nimmt man die beispiele von oben, mit 4-6 monaten zwischen us-start und deutschland-start, dann würden diese filme inzwischen fast schon in der videothek oder bei amazon liegen, bevor sie in deutschland gestartet wären. der journalist im kino, kann also eher eine gute kritik zum film für die dvd schreiben, als zum kinostart (das passt weit besser in den zeitplan). die zuschauerzahlen gehen da ja auch entsprechend mit: sie sinken im kino und der dvd-verkauf wächst. teilweise habe ich den eindruck, dass manche filme nur noch zur vermarktung der dvd überhaupt ins kino gebracht werden. vielleicht hat also gar nicht die (kino-)filmkritik ein problem, sondern (immer noch und immer mehr) das gute alte kino?
wer weiß

Marko
11. Juli, 2008 11:10

Hm. Vermutlich bin ich zu branchenfern (?), um das ganze als Problem zu verstehen. Ich habe in den 80ern auch gern die Cinema gelesen, velor aber schnell die Lust. Ich kann nicht mal sagen, woran das eigentlich lag. Ich lese gern erklärendes zu oder über einen Film, aber das erst, wenn ich den Film gesehen habe.

Filmkritiken lese ich fast nur noch von Leuten, von denen ich weiss, dass ich ihre Meinung oder ihren Schreibstil mag (Karsten Schreurs ist so einer, auf den gleich beides zutrifft: http://cinegate.blog.de/ ). Ansehen tue ich den Film aber dennoch meistens aus eigenem Antrieb, oder eben nicht.

Warum zum Beispiel viele Kritiker das Ende von “Der Nebel” so toll fanden, entzieht sich mir komplett. Ich habe nach all den Kritiken ein cooles Ende erwartet, gern auch ein bisschen “bad ending”, aber auf den dann zelebrierten Sadismus war ich nicht vorbereitet. Schlimmstes Film-Ende EVER. Schade, ansonsten fand ich den Streifen echt nicht schlecht, aber der Schluß hat es geschafft, einen stimmungsvollen Gruselfilm in zehn Minuten mal so richtig komplett in die Tonne zu treten. Nicht lustig.

Hach, sorry für’s Abschweifen, ich rege mich schon wieder auf. Ich wollte eigentlich nur sagen, dass alle Kritiken, die ich vorher zu “Der Nebel” gelesen hatte, das Ende zu unrecht lobten und ich am liebsten zu jedem einzelnen nach Hause gefahren wäre, um ihm einen Sack Schrauben an den Kopp zu knallen. Und (nicht nur) seitdem lese ich Kritiken zwar gern, aber eigentlich erst lieber nach dem Film, um dann nickend oder kopfschüttelnd vor dem Monitor sitzen zu können (respektive Klo, wenn es was gedrucktes ist).

Auf “Akte X” freue ich mich trotzdem, obwohl der Trailer der lahmste des Jahrtausends ist … 🙁

Gruß,
Marko

Tornhill
Tornhill
11. Juli, 2008 12:08

“Ein Comeback des Film-Essays wäre in manchen Bereichen durchaus wünschenswert.”

Ja, das stimmt. Ich las letztens einen Artikel über den Beginn der Nouvelle Vague mit dem ganzen Genöle im “Cahiers du cinéma” und dachte, dass ich in all meiner Zeit, die ich Moviestar, Cinema u.ä. gelesen habe, noch nie über so große, kämpferische Grundsatztexte gestolpert bin.
Wäre schön, wenn es wieder mehr in eine solche Richtung gehen würde.

Und ich muss hören, dass die Pressemappen zurückgehen? Schlimm! Ich habe auf Flohmärkten u.ä. ein paar davon ergattert (“Hellboy” & “Strange Days” als die Prunkstücke meiner kleinen Sammlung) und schätze sie durchaus.

HomiSite
11. Juli, 2008 12:21

Anschaulicher und interessanter Bericht zu einer Problematik, bei der es interessant sein wird, wie sie sich in ein paar Jahren auflösen wird.

Ich glaube auch nicht, dass Kritiken (heutzutage – dazu gibt’s dankt Internet zu viele) Erfolge von Kinofilmen übermäßig stark beinflussen, aber Auswirkungen haben sie sicher (“Hm, alle sagen, der Film sei nicht super, dann warte ich eher auf die DVD”).

Die Cinema habe ich phasenweise Ende der 90er gelesen und fand sie damals schon nicht besonders dolle. Aber solche umfassenden Filmzeitschriften können, wie hier schon angemerkt, den Fokus auf bisher unbekannte Filme lenken. Denn ein Gros der Kritiken behandelt ja meist eher distanzlos die typischen US-Blockbuster.

Jens
Jens
11. Juli, 2008 12:58

Kommt es eigentlich nur mir so vor, oder fehlt es in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern an allgemein beachteten und angesehenen Filmkritikerpersönlichkeiten – so einer Art Kino-Reich-Ranicki?

In den USA nimmt Roger Ebert diesen Platz für die klassische Filmkritik ein und Harry Knowles für die Online-Medien. (Wobei ich persönlich AICN nicht mag, aber damit bin ich eher die Ausnahme unter den Filmfans.)

In Großbritannien fiele mir Mark Kermode von der BBC ein (dessen Urteile zwar häufig komplett meinem Geschmack entgegen stehen, aber sowohl seine Verisse als auch seine Empfehlungen sind so pointiert und kenntnisreich, dass es Spaß macht, ihm zuzuhören, selbst wenn man anderer Meinung ist), aber in Deutschland?

Viele talentierte Einzelpersonen, deren Namen Insider mit Qualität verbinden können, aber kein “Household Name” – könnte vielleicht auch damit zusammenhängen, dass ernstzunehmende Filmkritik im Fernsehen hierzulande höchstens im Quotenghetto der Kulturmagazine als ein Beitrag unter vielen abgehandelt wird.

Dr. Acula
11. Juli, 2008 13:42

Ponkie von der AZ fiele mir im Printbereich ein. Da’s im TV kein einigermaßen seriöses Kino-Format mehr gibt, kann sich da natürlich auch keine Personality entwickeln…

flow
11. Juli, 2008 16:29

Im Kern ist die Onlinekonkurrenz doch dieselbe Problematik vor der auch alle sonstigen Magazine und Zeitungen stehen. Stern, Spiegel, FAZ etc haben quasi willentlich Selbstkannibalisierung betrieben und sich mit ihren Onlineportalen selbst Konkurrenz gemacht um nicht anderen den Markt zu überlassen. Ihnen blieb auch nichts anderes übrig, weil der technische Wandel einfach unvermeidbar war. Es gibt im Bereich der Onlinemedien jetzt die “alten Hasen”, also die Offlinemedien die ihre Marke ins Internet herübergerettet haben, und die unabhängigen Blogger welche ihre unakkreditierte Meinung äußern dürfen, aber eben “nur” die Blogger sind.

Im Kern steht der wirkliche Wandel aber noch aus, nämlich die Frage ob auch in Zukunft die Leser eine Marke, einen “Channel” wollen der ihnen die Informationen liefert, oder ob sie selbst die Suchkosten für eine zugeschneiderte (evtl unabhängigere) Information in Kauf nehmen wollen. Parallel dazu sehe ich die vom Wortvogel beschriebene Situation für Filmjournalisten. Inwieweit dies aber eine Wiederbelebung des klassischen Filmessays wird hängt nur davon ab ob es dafür in Zukunft einen Markt geben wird, d.h. ob es genügend Filmfans gibt die eben bereit sind für unabhängige(re) Rezensionen zu zahlen.

flow
11. Juli, 2008 16:36

Ich kaufe einen Editbutton. 😉

Tinitus
11. Juli, 2008 17:16

@flow: Und wenn man drückt kommt eine Edit raus? Klingt nich besonders rassig.

@Julian: Jup. Klingt entspannter als Dein Flammenschwert was? 😉
Just kidding.

Ansonsten muss ich sagen das Filmkritiker und Filmkritiker nicht immer das selbe ist. Kennt einer den Kasper aus dem SAT1 Frühstücksfernsehen? Der bei dem alles was nich grosses Drama is automatisch Müll ist? Quasi der Günter Netzer der Filmkritik.

Ich selber muss mir nich unbedingt ne Meinung verkaufen lassen. Die bild ich mir hinterher allein. Ausser an den Tagen an denen ich total verkatert und müde bin. Dann kauf ich mir die BILD und seh mir lustige Bilder von Raketenschafen an.

Hätt ich auf Torsten gehört wäre “Transformers” nie in meinem DVD-Player gelandet. Und ja! Ich fand den Film geil. Schale Chips, Glotze an, Hirn aus.
Wobei ich mich aber von Begeisterung mitreissen lasse. “Iron Man” nicht im Kino gesehen zu haben wäre für mich im Nachhinein ne Todsünde gewesen.
Und Indy hol ich mir trotzdem erst auf DVD. Ohne Nazis is der bestimmt nich halb so witzig.
Gespannt bin ich allerdings was er zu “Dark Skys” sagen wird. Nach Juden im Weltraum Nazis auf dem Mond. 😀

Aber mal zusammengefasst. Ich steh auf sowas wie Wortvogel. Backgroundstorys, Humoriges, Allgemeines, Ungefilterte Meinungen.
So macht lesen Spass.

Mainstream-Dewi quasi. *duck und renn bevor was fliegt*

CinemaLeser
CinemaLeser
11. Juli, 2008 17:37

Um mal was zu Filmbesprechungen im TV zu sagen – gibt’s da wirklich nichts Gutes? Ich erinnere mich noch, als der Cinema VHS-Kassetten (!) mit selbstproduzierten Beiträgen beilagen. Da waren dann die Redakteure vor der Kamera. Offensichtlich fehlte denen alles, was Moderatoren üblicherweise mitbringen. Ich fand’s trotzdem toll, weil das Inhaltliche stimmte und Filmausschnitte nun mal durch nichts Geschriebenes zu ersetzen sind. Irgendwann gab’s dann Cinema TV mit Nadine Krüger auf ProSieben. Ganz andere Sendung, viel professioneller produziert, potentielles Millionenpublikum, inhaltlich aber eher Grütze. Nadine Krüger als Person wird ja gern mal als hohle Nuss gedisst, was ich auch nicht richtig finde, sie hat das nur moderiert, aber die Zielgruppe war hier eben der durchschnittliche ProSieben-Zuschauer, der die gedruckte Cinema in den meisten Fällen wohl nie zu Gesicht bekommen hat. Was man dann mal bei ZDF und 3Sat zu sehen bekommt, versucht sich meist vom Kommerz fernzuhalten. Auch schade. Kann nicht einfach jemand zB Indy 4 besprechen, der Ahnung vom Film hat und das nicht notwendigerweise auf das Niveau von 12-jährigen runterbricht (nix für ungut, ich war auch mal 12)?

Peroy
Peroy
11. Juli, 2008 19:32

“Hätt ich auf Torsten gehört wäre “Transformers” nie in meinem DVD-Player gelandet. Und ja! Ich fand den Film geil. Schale Chips, Glotze an, Hirn aus.”

Das ist seitdem auch ausgeblieben…

comicfreak
11. Juli, 2008 19:36

@ Tinitus

..ich hab Iron Man im Kino verpasst (kein Babysitter), dafür aber ein überlebensgroßes Poster ergattert
*protz*

Und Indi ist klasse :))

Tinitus
11. Juli, 2008 23:12

@ comicfreak: *Neid*

@Peroy: Is doch nich schlimm das Dein Hirn ausgeblieben ist. Das schöne am Blödsein is doch das Du es nich merkst oder?

Kent
Kent
12. Juli, 2008 08:30

@Tinitus
“”””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””
Gespannt bin ich allerdings was er zu “Dark Skys” sagen wird. Nach Juden im Weltraum Nazis auf dem Mond.
“””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””””
Du meinst “Iron Sky” ?

Tinitus
12. Juli, 2008 09:51

Jup. Sorry.

hilti
hilti
12. Juli, 2008 18:32

Ich packs mal hier hin. Passt so schön, weil es auch um Filme geht. Gerade auf den Link zu http://cosmobells.blogspot.com/ gestoßen (ich glaub bei Don Dahlmann). Da hats Bilder aus und zu Filmen wie “Amazons Against Supermen” nebst kleinen Texten.

Enk
Enk
14. Juli, 2008 10:59

Ich halte die Gewichtsverlagerung von Print zu Online für durchaus positiv. Gerade weil im Online-Bereich viele Seiten nicht (vollständig) kommerziell arbeiten, und daher nicht auf den Goodwill von Verleihern angewiesen sind (und auch nicht auf Pressevorführungen…), kann man online oft die interessanteren Texte lesen.

Es gibt mittlerweile viele wirklich gute Filmkritik-Seiten und -blogs, dass man auch als ehemaliger Cinema-Leser online fundierte und gut geschriebenen Rezensionen und Hintergrund-Infos findet. Natürlich ist es schwierig die Spreu (“lol – geiler film”) vom Weizen zu trennen, aber mittelfristig wird sich hier auch Qualität durchsetzen. Einziges Problem: Viele gute Filmseiten, die eher hobbymäßig nebenbei betrieben werden, haben nur eine kurze Halbwertzeit – nach 1-2 Jahren ist bei vielen die Luft raus und man muss sich auf die Suche nach den nächsten guten Filmblogs machen.

Wortvogel
Wortvogel
14. Juli, 2008 12:20

@ Enk: Das ist alles sehr richtig und gut beobachtet, zeigt aber auch das Problem – die Leute verlieren die Lust, weil es ein unbezahltes Hobby ist, das viel Arbeit macht. Wäre es gelungen, das kommerzielle Prinzip auch auf die Online-Filmkritik zu übertragen, könnten diese Leute vielleicht auch davon leben, und würden es tatsächlich zu ihrem Beruf machen.

Auch die Onliner sind von den Verleihern mitnichten unabhängig: Ohne Presse musst du bis zum offiziellen Kinostart warten, um einen Film zu besprechen. Und eigentlich darfst du ohne Erlaubnis des Verleihs auch keine Bilder zeigen. Das sind heftige Einschränkungen.

Eigentlich verlangen die Verleiher fast nie Gefälligkeitsschreiberei (mir selber ist so eine Bitte in 18 Jahren in der Branche noch nie angetragen worden). Die wissen, dass sie sich damit ein Ei legen würden. Ich denke, davor müssten die Onliner auch keine Angst haben.

Was not tut:
– Die Onliner müssen Wege finden, ihre Angebote kommerziell zu vermarkten
– Die Verleiher müssen Onliner ernst nehmen, und ihnen Zugriff auf Materialien und Pressen bieten (was teilweise schon passiert)

Jeeves
Jeeves
14. Juli, 2008 13:08

Da kann man nix machen, die Zeit schreitet voran, es geht immer weiter, alles verändert sich, …nur die Menschen wollen immer das gleiche, altbekannte, liebgewonnene. Und früher war ja sowieso immer (!) alles (!) besser.

Xander
14. Juli, 2008 23:26

Filmkritiken in kinofremden Zeitschriften (TV-Zeitschriften, “Herrenmagazinen” oder in der “Für Sie”) kann man nicht für voll nehmen, meistens wurde der Film gar nicht erst gesehen und es stehen im Grunde umformulierte Pressetexte darin oder aber die Filme sind alle super – wie z.B. in den Heftchen, die immer im Kino umsonst verteilt werden. Ginge es nach denen, wäre jeder Film ein Blockbuster.

“Ohne Presse musst du bis zum offiziellen Kinostart warten, um einen Film zu besprechen.”

Wohl wahr… Dann müsste man echt schon regelmäßig in die Sneak gehen, um halbwegs aktuell zu sein. Da kritisiere ich lieber meine DVD-Sammlung. So komme ich wenigstens dazu, die mal alle zu gucken. Und mein Blog z.B. ist weniger dazu da, z.B. der “Cinema” (die ich übrigens gar nicht mag) Konkurrenz zu machen – das ist eher so ein Hobby und wenns wem gefällt, ist ok, wenn nicht, dann auch. Zähle mich also nicht als Kritiker o.ä. – sondern gebe nur meine Meinung zum besten. Doch eine Qualität wie der Wortvogel werden meine Reviews wohl nie erreichen 😉

Enk
Enk
17. Juli, 2008 14:19

“Ohne Presse musst du bis zum offiziellen Kinostart warten”

Naja, es gibt jede Woche Sneaks und immer mehr Vorpremieren, es gibt DVD-Importe über Amazon vor dem deutschen Kinostart, und natürlich gibts auch noch andere Möglichkeiten, Filme vor dem Kinostart zu schauen. Abgesehen davon: Wie du ja selber schreibst, ist es online möglich, schon eine Stunde nach dem Kinobesuch die Kritik zu publizieren, womit man immer noch direkt am Premierentag online ist. By the way: Für Pressevorführungen hätte ich als Feierabend-Kritiker tagsüber eh keine Zeit.

Was das Bildmaterial angeht: Neben der Möglichkeit, sich auch als Onliner für die Presseseiten der Verleiher zu registrieren (ging bei mir bislang problemlos), kann man sich auch anders behelfen, z.B. mit Amazon-Partnerlinks, damit hat man ohne Copyright-Probleme die Möglichkeit, zumindest Covershots vom Soundtrack oder der DVD-Box auf seinen Seiten zu integrieren – ist sicher nicht so professionell wie Hochglanz-Stills vom Presseserver, für eine Online-Kurzkritik aber oft ausreichend.

Aber du hast recht – das ist alles natürlich Hobby-Niveau, wenn auch textlich oft um Längen besser als das die formatierten Kinoseiten in Printmagazinen. Und der kritische Punkt ist in der Tat die Langzeitmotivation. Selbst semi-professionelle Seiten wie die Fünf Filmfreunde lassen Content-mäßig immer mehr nach, und für one-man-shows wie z.B. mein Blog ist es eine ziemliche Herausforderung, dauerhaft zumindest 1-2 mal pro Woche was neues zu bringen.

Markus
Markus
19. Juli, 2008 13:23

Ich selbst betreibe ein relatives großes Filmportal und habe nur selten Probleme in Pressevorstellungen zu kommen. Natürlich gibt es die berühmten Pinkies, die für Onliner meist nicht zugänglich sind, aber letztlich könnte ich jeden Film, der der Presse gezeigt wird auch irgendwie sehen.
Das Problem für die Verleiher ist eben (genauso wie für den Leser) die Spreu vom Weizen zu trennen. Ich würde mich zum Beispiel recht herzlich bedanken, wenn in einer PV auf einmal 300 Leute vor dem Kino stehen und man dann mitbekommt, dass man selbst um seinen Platz praktisch kämpfen muss, weil jeder der in seinem privaten mal eine Filmkritik geschrieben hat, glaubt einen Anspruch auf die Pressevorstellungen zu haben.
Für mich als langjähriger (und ausschließlicher) Onliner war es anfänglich auch nicht leicht, aber wir haben den Verleihern bewiesen, das unsere Halbwertszeit deutlich länger ist und wir eine relevante Größe darstellen. Man kennt mich und unser Portal und wenn einer meiner Autoren in einer anderen Stadt in eine PV gehen will, dann reicht ein kurzer freundlicher Anruf bei der betreuenden Agentur und der Autor wird herzlich empfangen.

In den letzten Jahren habe ich viel an Entwicklung durchgemacht, wenn ich mir aber den heutigen Stand ansehe, dann haben einige Verleiher einen großen Schritt in Richtung Internet gemacht, der auch Wirkung zeigt. Wir fühlen uns meist gut betreut und könnten uns bei einigen Verleihern (Disney ist hier zum Beispiel äußerst positiv hervor zu heben) nichts besseres wünschen! Die Gegenleistung die wir dafür bringen ist Verständnis, Kooperationswillen und eben viele Leser. Der Online-Journalismus kann und wird also positiv aufgenommen, wenn man beweist, dass man es ernst meint und nicht nur aus persönlichem Interesse in die PVs rennt, damit man vor seinen Kumpels damit prahlen kann, den Film schon gesehen zu haben.

Wortvogel
Wortvogel
19. Juli, 2008 13:45

@ Markus: Ich gebe dir vollumfänglich Recht – sofern die Onliner sich als seriös, stabil, und populär beweisen, können sie bei den Verleihern auch punkten. Und es ist richtig, irgendwelche selbsternannten Filmkritiker samt Google-Blog und 30 Besuchern (inklusive Mama) pro Monat außen vor zu lassen. Trotzdem ist festzustellen, dass viele Verleiher sich immer noch schwer tun, online und print als vergleichbare, wenn auch innerhalb verschiedener Parameter arbeitende Medien zu sehen. Und viele Online-Kritiker beherrschen gerade mal notdürftig die Form der formalen Kritik (Musik toll, Hauptdarstellerin sexy, insgesamt alles sehr lustig), was dem Medium einfach nicht gerecht wird. Beide Seiten müssen sich da weiterentwickeln.

Du hättest deine Webseite ruhig nennen dürfen, http://www.moviemaze.de ist ja durchaus eine prima Anlaufstelle für Filminteressierte. Besonderes Lob für die große Datenbank mit Postern und Wallpapern!