25
Juli 2025

Gerechtigkeit für Gerhard! Mein kleiner Aufreger des Tages

Themen: Film, TV & Presse |

Vielleicht liegt es daran, dass ich mich so sehr über die junge "Feministin" geärgert habe, die letzte Woche unbedingt dem Regisseur eines 35 Jahre alte Kunst-Märchens wegen angeblichem Rassismus und Sexismus eine Tüte aufmachen wollte. Ich verallgemeinere das jetzt einfach mal in eine Polemik.

Mich kotzt die arrogante Attitüde der jüngeren Generation an, die zu allem eine Meinung, aber eben oft genug keine Ahnung hat, wovon sie redet. Die weiß wirklich alles, aber vor allem alles besser.

In den 90ern war der Umgang mit sowas einfacher, da hat man denen gesagt: Maul! Und bei Widerspruch gab es was auf die Omme. Simpler times.

Das war ja auch vor drei Jahren schon so, als mich dieser Beitrag triggerte, eine Abhandlung über Serials zu schreiben:

Was kommt als Nächstes? "Alder, guck dir mal den KING KONG von 1933 an, wie scheiße die CGI von dem Affen da aussieht!"?

Statt dem Weg zu danken, der sie an dieses Ziel gebracht hat, pissen sie auf die Gräber ihrer Väter. Möge es ihnen dereinst genauso ergehen.

Wer immer nur den Status Quo zum Maßstab macht und weder die Zeit noch die Umstände betrachtet, in denen Dinge entstanden sind, der urteilt meistens falsch, oft mit unangebrachter Häme, Herablassung, Arroganz. Ich finde es wichtig darauf hinzuweisen, dass man damit bestenfalls selber als Horst dasteht.

Eben ist mir wieder ein Beispiel dafür vor die Füße gefallen, das mich umso mehr schmerzt, weil ich die Jungs von den "Medienhuren" mag und diese Nummer von Christian Jürs nur deshalb nicht in der Rubrik "Depp des Tages" landet.

Vorab: Natürlich es okay, großartig sogar, sich über die Absurditäten der vergangenen Jahrzehnte zu amüsieren. Idealerweise sollten das jene tun, die dabei waren und den Kontext verstehen. Aber auch Jüngeren ist vergönnt, in den Irrungen und Wirrungen der Vergangenheit zu wühlen, sie den Vätern zu zeigen und zu fragen "was habt ihr euch DABEI gedacht?!". Oftmals nix, peinlich genug.

Aber – um eine Phrase zu bedienen – es war eben nicht alles schlecht und manches wirkt nur so, wenn man wirklich gar keine Ahnung hat, wo es herkam. Darum ohne jede weitere Vorrede dieser Post auf Facebook heute morgen:

So wenig Text, so viel Unfug. Ein "spießiger" Typ, der wie ein "FDP-Politiker" aussieht, ist der Ansager von CBS FOX Video in Sachen Jugendschutz. PEINLICH!

An diesem Beitrag ist vor allem alles peinlich, was die Medienhuren schreiben.

Leser, die damals dabei waren oder sich informiert haben, die wissen mehr:

  • Der Mann ist Gerhard Klarner, ein Sprecher der Nachrichtensendung "heute" im ZDF – die warme Stimme habe ich augenblicklich wieder im Ohr
  • Auch SPD- und CDU-Politiker haben in den 80ern so ausgesehen, vor allem aber Nachrichtensprecher
  • Nichts an Gerhard Klarner war/ist peinlich

Man könnte auch die moralische Keule rausholen: Was ist spießig und peinlich an einem beliebten Nachrichtensprecher, der 1990 elend an Krebs gestorben ist? Redet ihr so auch über eure Oma? Who the fuck gives you the right?!

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Das allein wäre schon genug, um mal wieder gegen die "jüngere Generation" zu ranten, über ihre Ahnungs- und Empathielosigkeit. Man hat sich eine Meinung über den Clip gebildet, ohne auch nur den Versuch zu machen, die Zusammenhänge zu verstehen. Aber es geht weiter.

Ich lasse mich zu einem Kommentar hinreißen, halte es kurz:

Was ist daran spießig? Was ist daran peinlich?

Ich bin nicht der Einzige – andere Leser verweisen auf Klarners Beruf, der die offensichtliche Inspiration für diese damals schon ironisch gemeinte Ansage war. Auch die Frage, was daran "peinlich" sein soll, wird thematisiert.

Angesichts des Gegenwinds wird schnell nachgebessert – Christian Jürs entfernt die Proklamation "Peinlich!" aus dem Titel des Videos und schiebt im Beitrag ein, dass Klarner Nachrichtensprecher beim ZDF war.

Nun kann man sagen: Mist gebaut, aufgeräumt, versendet sich.

Aber ich ärgere mich trotzdem. Weil man das Wort "Peinlich!" nicht einfach nur gestrichen, sondern durch ein anderes ersetzt hat:

Es ist vermutlich DAS, was mich noch viel mehr aufregt. Eben fanden wir den Clip mit Klarner noch "Peinlich!", bei Gegenwind ist er auf einmal "Kult!".

Diese völlige Beliebigkeit, dieser völlige Mangel an Position, an Haltung.

Dass es auch besser geht, erlebte ich neulich ausgerechnet in unserer Lästergruppe "Die scheißeste Musik wo gibt". Dort hatte jemand ein Video von MC Baba geteilt, das in der Tat zur kollektiven Häme einladen konnte. Aber sehr schnell wurde es auch wieder gelöscht und von dieser Erklärung ersetzt:

Und die Reaktion der Gruppenmitglieder? Respekt für MC Baba!

We need to do better.

P.S.: "das", nicht "dass".

P.P.S.: Die Sendung heißt "heute", nicht "Heute".



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Vitalis
Vitalis
25. Juli, 2025 18:44

Oh ja, wir scheinen ganz allgemein in einer fiesen, empathielosen Spottkultur zu leben. Mit Memes und ähnlichem wird sich über alles und jeden lustig gemacht, oft ohne den Kontext zu kennen oder auf die Hintergründe und Details zu schauen. Mich regt das schon seit langem auf. Habe gerade gestern etwas zu dem Thema gefunden (Paywall): https://www.spiegel.de/kultur/kisscam-video-bei-coldplay-konzert-tektonische-verschiebung-ins-haemische-a-aebc5c38-a72a-4af1-b92f-67840aa79f18

Alex
Alex
26. Juli, 2025 00:04

Dazu zwei Dinge, an die ich mich erinnere. Zum einen an einen Leserbrief in der Fernsehzeitung meiner Eltern, dass Gerhard Klarner eine Zumutung für gehörlose Menschen sei, weil man aufgrund seines Schnauzers seine Lippen nicht lesen konnte.
Zum anderen, dass heutige Zuschauer die Leistung eines Ray Harryhausen nicht bewerten können, weil sie ihn schlicht nicht mehr kennen.

noyse
noyse
26. Juli, 2025 09:18
Reply to  Alex

Und sie kennen ihn nicht weil die meisten in der heutigen Generation u.a. Schwarz/weiss Filme ablehnt.

Alex
Alex
28. Juli, 2025 08:59
Reply to  Torsten Dewi

Leider begegnet mir das doch immer wieder. Ich hab einen Kollegen, der schaut nur Filme aus diesem Jahrtausend. Oder eine Kollegin, die mit einer DVD für einen Film, den ich ihr empfohlen habe, nichts anfangen konnte, weil sie keine Abspielmöglichkeit mehr hat.

S-Man
27. Juli, 2025 09:32

Was mich heutzutage, aber nicht nur bei "Jüngeren" ankotzt, ist der totale Mangel an Selbstreflexion. Fehlerkultur gibt es nicht mehr. "Entschuldige bitte, das war flasch von mir.", "Da habe ich einen Fehler gemacht" oä. gibt es heute nicht mehr. Auch hier in dem Beispiel ist es ein Kehren unter den Teppich, als ggf. klar Stellung zu nehmen, dass das Geschriebene eventuell falsch gewesen sein könnte.

Last edited 3 Monate zuvor by S-Man