The most 80s EVER!!!
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Ich habe schon häufiger gemutmaßt, dass unsere Erinnerung an die Jahrzehnte selten den kompletten Jahrzehnten gilt – "die 60er" meinen meistens die zweite Hälfte der 60er, während "die 70er" am typischsten im mittleren Drittel waren. Auch das, was wir stilistisch mit "den 80ern" verbinden (NDW, New Wave, Popper, Italo-Pop, Edding, Zauberwürfel), ballte sich primär in der ersten Hälfte.
Für mich war dieses Musikvideo immer "peak 80s", ein Best of des Worst of, eine komprimierte Brausekugel an Geschmacklosigkeit unter Einbeziehung von Mode, Musik Frisur, Sexappeal, Farben und Technik:
Tatsächlich bin ich allerdings vor zwei Tagen auf den Mitschnitt einer TV-Sendung gestoßen, die den ollen Zaza glatt vom Thron kegelt, gerade weil sich hier das verbliebene Spießertum der 80er auf die Ringermatte mit dem unterstellten "Geschmack der heutigen Jugend" begibt.
Kurzer Kontext: Tele-Gymnastik war im deutschen Fernsehen immer schon beliebt. Als schäme man sich, der Faulheit Vorschub zu leisten, wurde mit kurzen Hüpf & Schüttel-Routinen versucht, den Zuschauer gleich wieder aus dem Sessel zu treiben. Mich würde interessieren, ob es je irgendeine Untersuchung zur tatsächlich Effektivität dieser Sendungen gegeben hat.
1983 begann das ZDF mit dem neuen Format "Enorm in Form", das sich am Aerobic-Boom der frühen 80er orientierte. Die Titelmusik kam natürlich vom unvermeidlichen Ralph Siegel.
Schon im Jahr darauf entschied man sich aber, die Sendung unter einem neuen Namen für ein jüngeres Publikum "hipper" zu gestalten.
Willkommen zu "Breakdance" (1984):
Das ist so… so… so perfekt, gerade weil es so falsch ist. Zuerst einmal ist da natürlich relativ wenig tatsächlicher "breakdance" drin. Es ist Fitness-Gehopse mit ein paar angedeuteten "moves". Weil das dem durchschnittlichen 60+-Publikum des Senders kaum zu vermitteln war, musste der hüftsteife Prof. Dr. Bernd Rosenmeyer diesen neuen Trend aus den USA jedes Mal erklären – wobei er konsequent "danz" statt "dänz" sagt, was in der Bronx vermutlich nicht gut angekommen ist:
Die "dance crew" besteht weniger aus authentischen Hiphop-Kids, sondern aus Poppern wie Martina
und Sabine, die man vermutlich im ZDF-Ferienprogramm rekrutiert hat:
Die Kirsche auf dem Kuchen ist natürlich "Sugarbreak von der Bionic Dance Crew":
Jawoll, das ist der 19jährige Rob Pilatus, später Teil des Fake-Pop-Duos Milli Vanilli und noch später Opfer einer hässlichen Drogen-Überdosis.
Man kann es sich nicht ausdenken.
Der männliche Eintänzer ist gerade in Bayern kein Unbekannter, denn Pantomime, Kleinkünstler und Gelegenheitsschauspieler Eisi Gulp gilt als lokale Größe:
Ich hege aber schwer den Verdacht, dass die meisten männlichen Zuschauer wegen seiner feschen Kollegin Judith Jagiello eingeschaltet haben, die ziemlich genau dem Schönheitsideal der NDW im Stil von Ixi entsprach:
You live by the Frottee-Stirnband, you die by the Frottee-Stirnband!
Man sollte meinen, dass dieser Style, diese Präsentation, und diese Form von Fitness wie die Sendung "Breakdance" selbst nach einer Saison durch war – aber weit gefehlt: zu meiner Überraschung musste ich heute lernen, dass "breaking" wieder Bestandteil der Olympischen Spiele ist!
You cannot kill the 80s. Believe me, we have tried…
NACHTRAG: Auch schön:
Also meine Omi zumindest schaut sich solche Fitness-Dinger noch immer an – UND macht die jeden verdammten Tag mit. Mit Ü80!
Dafür habe ich angemessen Respekt!
Bzgl. "Breaking": Nicht "immernoch", sondern dieses Jahr erstmalig!
Das macht es umso absurder!
Und wahrscheinlich auch letztmalig. Das ist eine der „lokalen Sportarten“, die von den Ausrichtern vorgeschlagen worden sind und nicht zum Kernprogramm der Olympischen Spiele gehört. In Los Angeles gehört es dann schon nicht mehr zum Programm.
Klettern und Surfen waren IIRC auch mal solche lokalen Sportarten, die es jetzt aber ins Kernprogramm geschafft haben.
Ich finde es eigentlich eher nicht absurd, sondern sogar ziemlich spannend. Breakdance habe ich nie als Relikt wahrgenommen. Klar mag es irgendwann mal entstanden sein, aber es hat sich meiner Wahrnehmung nach auch in diversen Subkulturen sehr ausgeprägt gehalten. Es ist eine Form von Sport, warum dann nicht auch in diese sehr breite Sportveranstaltung mit aufnehmen, wenn es denn gelebt wird. Da gibt es für mich andere "Sport"-Arten, die ich viel antiquitierter finde und für mich rausgeworfen gehört (Schieß"sport", insbesondere Tontaubenschießen, Boxen, und natürlich diese Pferdequälereien…). Ich frage mich vielmehr, warum nicht mehr Tanzsport bei den Spielen zu sehen ist.
Dass Klettern sich (trotz damals übrigens ähnlichen Aussagen wie heute beim Breaking) nicht nur gehalten, sondern sogar noch ausdifferenziert hat, finde ich großartig. Eine spannende Sportart als Sportler: Kraft, Ausdauer, Technik – alles wird benötigt. Und als Zuschauer finde ich es darüber absolut spannend und toll anzuschauen. Surfen finde ich hingegen als Zuschauer extrem langweilig, weil man 30min wartet, damit die Sportler da 2-3x ein paar Sekunden eine Welle finden, die ihnen genehm ist. Aber anderen mag es gefallen und warum sollte man eben den einen Sportlern die Bühne und Ehre zugestehen und den anderen nicht? Ich finde es toll, dass es so differenziert ist und alle Arten mitmachen dürfen.
Ich schau mir gerade mal eine Breaking Runde an. Ich muss sagen, ich finde daran nichts Veraltetes oder Überholtes. Ich verstehe davon zwar nix, erkenne schon gar nicht, was da wie gewertet wird oder was ein Fehler ist, ich kann auch mit der Musik nix anfangen, aber ich finde es extrem faszinierend, was da getan wird. Auch wenn bspw. rhythmische Sportgymnastik irgendwie von außen strenger, trainierter aussieht (habe ich mir gestern mit ebenfalls staunendem Blick mal angesehen), aber ich denke, genau, das ist der Punkt: Die Sportler lassen es einfach und locker aussehen. Aber der Kommentator meinte: Das sind 8h Arbeit pro Tag seit Jahren. Hochleistungssport, wie alles andere, was bei der Olympiade gezeigt wird.
Ich neide niemandem den Spaß, denke aber dennoch, dass Breaking schwer seiner Zeit verhaftet war und deshalb nicht in die Olympiade gehört – wir machen auch kein Hula-Hoop, Aerobic oder Tae-Bo.
Hm, da bin ich nicht deiner Meinung. Breaking mag verankert gewesen sein, aber es ist immernoch aktuell, im Gegensatz vllt zu Aerobic. Und selbst wenn: Wenn es gefällt und irgendwie wertbar ist, dann sollen sie bitte gern auch Aerobic machen. Und HulaHoop… Naja, da ist Rhythmische Sportgymnastik mit Ringen sehr nah dran!
Man muss ja auch nicht immer einer Meinung sein.
An die Sendung kann ich mich noch gut erinnern, mit 13 gehörte ich zum anvisierten Publikum und habe mich auch (vergeblich) an den Moves versucht. Für Breakdance war ich leider nie gelenkig genug.
Jetzt nachholen! Jugendträume wahr machen!
Ich habe gestern im TV einen Breakdancer gesehen, der auf seinem Ellbogen (!) mit den Füßen senkrecht in der Luft gehüpft ist. Dass sowas überhaupt möglich ist, ist für mich völlig unnachvollziehbar
"wobei er konsequent “danz” statt “dänz” sagt"
Die britischen Breakdancer wird es freuen.
"britische Breakdancer" – ein Oxymoron.
"Mich würde interessieren, ob es je irgendeine Untersuchung zur tatsächlich Effektivität dieser Sendungen gegeben hat."
Die Frage kann man heute immer noch stellen. Tatsächlich ist z.b. eine der grössten deutschen Youtuber überhaupt, Pamela Reif, eine Fitness-Influencerin. Der Stil ist etwas anders aber eigentlich ist dieses Influencer-Gehopse nix anderes als das was wir schon in den 80ern mit der Telegymnastik gesehen haben.
https://youtu.be/Xw-RkP1t9V0?si=omlgVpIEXofmGMxJ
Da ist ein Unterschied – bei der Tele-Gymnastik wurden jahrzehntelang Gebührengelder rausgehauen basierend auf der These, Leute würden mitmachen. Influenzer bezahle ich nicht.
Ah, der gute Eisi Gulp. Immer noch gut im Geschäft, ich freue mich jedes Mal, wenn ich ihn als Kiffer-Opa in den Eberhofer-Krimis sehe. Trotzdem wird er für mich immer der Breakdance-Instructor sein, wir fanden ihn damals schon ziemlich hip und cool. Das Zaza-Video ist aber auch ein echter Goldschatz, kann mich nicht erinnern, das vorher schon mal gesehen zu haben! Danke für dieses geniale Relikt des Zeitgeistes. Vermutlich war es für das bayerische Fernsehen zu anstössig. "Deine Beine, die Säulen deiner runden Pracht". Brutal.
Wir müssen ja auch durchaus unterstellen, dass Zaza mit "Zauberstab" gar keinen Zauberstab meinte… !
Kurios: unmittelbar bevor ich auf deine Seite gekommen bin, hab ich diesen Artikel auf SPON gelesen, in dem exakt dieses Video, das mir vorher nicht bekannt war, erwähnt wird. Hattest du die Inspiration da her? Oder war das ein erstaunlicher Zufall?
https://www.spiegel.de/sport/olympia/olympia-2024-selbst-adele-spottet-ueber-raygun-das-steckt-hinter-dem-viralen-breaking-auftritt-a-53341e69-3fb2-4d2f-b7cb-d48c6b3ba50b
Kurioserweise nein. Tatsächlich ein Zufall.
Hat Eisi Gulp eigentlich irgendwas nicht gemacht? Was a long way from Gymnastik to Eberhofer…
Ich war Team "Skigymnastik" mit den Neureuthers, immer mit dem Abschluss 2min in der Hocke eine berühmte Abfahrt runter:
https://www.br.de/nachrichten/kultur/fit-fuer-die-piste-eine-kulturgeschichte-der-ski-gymnastik,U18crfv
In den USA hat ein sehr ähnliches Video ebenfalls Kultstatus erreicht. This is Hip Hop! https://www.youtube.com/watch?v=IS2KQ46Kf84 Das Video wurde sogar in der Serie Bobs Burgers parodiert. https://www.youtube.com/watch?v=nHNdes00Bco
Irgendwie in die Kommentar-Diskussion passt der Kontext zur unseligen Breakdance-Performance der Australierin, die viele Fragen aufwarf (vor allem: wer hat sie dort hingeschickt???). Es ist wohl so, dass der australische Verband der professionellen Paartänzer mit der Findung betraut wurde. Die hatten null Expertise in dem Bereich und sich Kriterien erdacht, die völlig an der Lebenswirklichkeit des Breakdance vorbeigehen (hinzu kommt, dass die Tänzerin als Kulturwissenschaftlerin u. a. im Gebiet Tanz wohl gut connected ist). In dem Zuge entstand die Verschwörungstheorie, dass sie den Wettbewerb extra "tanken" wollten, weil Paartanz knapp nicht zum Zuge kam und man nicht wollte… keine Ahnung. Insgesamt gibt es manchmal so Ausreißer, die davor sorgen, dass nicht nur die besten der besten dort landen. Aber so ein Eddie the Eagle gehört auch irgendwie zum ganzen Spaß.
Frottee Stirnband…Ich hatte es verdrängt. 😉
Eine Ergänzung zur Wahrnehmung der Dekaden: die 90er sind für mich 1993 bis 1997. Alles danach ist eine gefühltes Zwischen-Jahrzehnt vor den nuller Jahren, zu dem ich so gar keinen Bezug mehr habe, was zu der kuriosen Situation führt, dass mich das 90er-Revival ziemlich kalt lässt, weil die allgemeine Wahrnehmung sich kurioserweise auf die Jahre 1998 bis 2001 eingeschossen zu haben scheint – und mit Beklopptem Frosch und den No Angels verbinde ich (zum Glück) nichts.
Das würde ich unterschreiben – auch, weil ich mit dem Ende der 90er eigentlich das tatsächliche Ende sogenannter Jugendkulturen (Mode, Musik, Frisuren) gekommen sehe.
Jein – Emo war in den nuller Jahren ein letztes Aufbäumen der klassischen Jugendkultur-Muster, mit allem, was dazu gehört, Musik, Klamotten, Attitüde. Danach aber würde ich dem zustimmen, weil offenbar zwei Dinge passiert sind: erstens sind die Kiddies während der Nuller komplett ins Internet umgezogen, handeln ihre Jugend nun dort aus und bleiben für die Außenwelt unscheinbar. Auch Musik ist kein Massenmedium mehr, sondern findet in unzähligen Soundcloud-Splittergruppen statt, in Genres, für die das Formatradio nicht mal Namen hat. Und zweitens (und anders als das Vorangegangene ist das kein Bauchgefühl, sondern in Studien belegt) sind die Zeiten gefühlt härter geworden. Da wächst gerade die bereits zweite Kohorte von Jugendlichen heran, die genau weiß/zu wissen glaubt, dass sie das Über-die-Strenge-schlagen einen der begrenzten Plätze an den Trögen kosten wird. Einen Sommer gekifft statt gelernt, ehrenamtlich engagiert und berufsvorbereitendes Networking betrieben – tja schade, und raus bist du. Nicht, dass das so stimmen muss, aber es scheint die allgemeine Wahrnehmung zu sein.
Ich denke schon länger über das Thema nach und wollte immer mal einen Artikel dazu schreiben. Meine These: Durch das Internet sind die Stil bildenden Multiplikatoren verschwunden. In den 80er haben wir ALLE Formen Eins geguckt und am nächsten Tag war das auf dem Schulhof Top-Thema. Ob Bravo oder Spex, ob Benetton oder Doc Martins – es gab starke Gravitation in bestimmte Wellen. Seit jeder Jugendliche (zumindest theoretisch) Zugriff auf alles hat, sind die vereinigenden Erlebnisse abhanden gekommen. Und das datiere ich ungefähr auch 2000.
Ja, absolut. Ein Indikator dafür ist die Bravo, die irgendwas um 95% ihrer Auflage eingebüßt hat und mittlerweile nur noch monatlich erscheint, und auch das eher aus Pflichtbewusstsein. Die setzt längst keine Trends mehr, sondern hechelt ihnen spürbar hinterher, und das liegt auch daran, dass es nicht mehr hauptsächlich um Stars aus Musik und TV geht, sondern zu großen Teilen um Influencer, also um eben jene Internet-Menschen, um die sich die Internet-Jugendlichen scharen, und deren Image die Bravo nicht in dem Maße mit großen Konzernen absprechen kann wie das eines 90er-Jahre-Eurodance-Acts.