17
Apr 2020

Retro-Review: DAS RÄTSEL VON PISKOV oder: nichts Genaues weiß man nicht

Themen: Film, TV & Presse |

Die Hohelied der Firma PIDAX habe ich schon öfter gesungen, gerade erst wieder bei DREHT EUCH NICHT UM – DER GOLEM GEHT RUM. Dabei ist die Fleißarbeit, die der kleine Vertrieb leistet, eigentlich ein zweischneidiges Schwert: die Veröffentlichungen vieler dieser TV-Delikatessen obliegt eigentlich den öffentlich-rechtlichen Sendern, die sie über ihre Mediatheken kostenlos zur Verfügung stellen müssten. Bezahlt haben wir – die Gebührenzahler – sie nämlich schon vor und seit 50 Jahren. Im weitesten Sinne der Definition gehören sie uns.

Um das Fernsehspiel (ein wunderbares, altmodisches Wort, btw) DAS RÄTSEL VON PISKOV habe ich lange meine Kreise gedreht. Auf den ersten Blick eigentlich genau mein Ding: basierend auf einem SF-Klassiker (H.G. Wells DIE ZEITMASCHINE), mit Hellmut Lange und Hannelore Elsner prominent besetzt, aber völlig obskur und von der Zeit scheinbar vergessen. Nicht mal das ansonsten so erschöpfende Lexikon des Internationalen Films wollte sich zu einem Eintrag hinreißen lassen.

Andererseits: Gerade die Tatsache, dass ein Film basierend auf Wells’ Klassiker so völlig durch den Rost gefallen ist, sollte zu denken geben. Die Zahl der wirklichen vergessenen Perlen, das haben auch meine Recherchen der letzten Wochen ergeben, ist gering.

Aber wie ich immer so schön sage: es kommt der Tag, da will die Säge sägen. Und so habe ich mir das TV-Stück von Karl Peter Biltz gestern mal angesehen. Für eine Fotostory reicht es nicht, dafür geben die Bilder einfach zu wenig her. Der Trailer gibt euch aber einen guten Eindruck, ohne zu spoilern:

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Die Story, soweit ich sie zusammen fassen kann: Im tschechoslowakischen Piskov sind an einem Abend alle Uhren stehen geblieben – und anscheinend auch die Zeit. Die Menschen haben aber weiter “funktioniert” und reagieren verstört auf den Bruch in ihrem üblichen Rhythmus. Ein Fernsehteam unter der Leitung eines altgedienten Redakteurs soll eine Reportage darüber produzieren, stößt aber überall nur auf widersprüchliche und teilweise widersinnige Aussagen. Es schält sich heraus, dass ein Historiker des Ortes wohl am entsprechenden Tag eine nackte junge Dame unbekannter Identität und Herkunft aufgegriffen hatte. Die daraus resultierenden Implikationen können die sozialistisch geprägten Funktionsträger allerdings nicht hinnehmen und die Reportage wird ergebnislos abgebrochen. Die junge Mitarbeiterin Helenka gibt sich damit nicht zufrieden und stellt eigene Nachforschungen an.

Ich muss an dieser Stelle warnen: das klingt vielleicht nach einem Thriller im Stil von AKTE X oder Rainer Erlers Frühwerk DIE DELEGATION, so eine Art Found Footage-Frühwerk, aber vom Potenzial der Geschichte darf man sich nicht täuschen lassen: DAS RÄTSEL VON PISKOV ist eine außerordentlich schnarchige Nummer auf jeder Ebene.

Nichts, aber auch gar nichts passiert hier direkt, das gesamte Narrativ kommt aus der zweiten Hand: Menschen erzählen ausschweifend das, was wir eigentlich sehen wollen. Zuerst ist das das Auftauchen der jungen Frau und der einhergehende Zeitstillstand, dann das Verschwinden von Helenka und dem Historiker Pavelka. Was passiert, ist irrelevant, DAS RÄTSEL VON PISKOV interessiert sich nur für die Reaktionen darauf: die von der kommunistischen Partei ordentlich auf Linie gebrachten Kleinbürger wehren ab, verweigern sich, blockieren jede Diskussion. Man hat sich im real existierenden Sozialismus mehr schlecht als recht eingelebt, daran gibt es nichts zu rütteln. Der Sieg des Kommunismus ist die gelebte Utopie, andere Utopien haben keinen Platz.

Wären da nicht Lange und Elsner, man würde glauben, es handele sich tatsächlich um ein dröges TV-Drama aus dem Osten und es ist mir schleierhaft, dass man beim SWF Ende der 60er gedacht hat, so ein “ausländisches” Stück bräuchte eine Heimat im deutschen Fernsehen. Seit wann drehen die Deutschen tschechisches Fernsehen? Hätte man die Story wenigstens auf eine westdeutsche Location und damit für ein westdeutsches Publikum angepasst…

So ziehen sich sogar die knapp 70 Minuten, wenn Lange und Elsner von Haus zu Haus latschen und einen Dörfler nach dem anderen interviewen, ohne dass es jemals auf eine Konfrontation oder einen Event hinauslaufen würde. Wenn Helenka am Ende selber verschwindet (was immer noch mit der Zeitreise zu tun haben kann, aber nicht muss), dann bleibt als Ergebnis eine gewisse Ratlosigkeit – bei den Figuren wie beim Zuschauer. DAS RÄTSEL VON PISKOV ist ein Film ohne Auflösung, ohne Antwort.

Der Found Footage-Aufhänger (der gesamte Film wird quasi vom Redakteur rückblickend moderiert) ist zudem nur inkonsequent umgesetzt. Immer wieder wird behauptet, es handele sich um das Material der TV-Crew, aber dennoch sind die Szenen eindeutig nach dem auktorialen Prinzip von außen inszeniert und eben nicht Teil eines begrenzten Blickwinkels, aus dem wir uns Antworten erarbeiten müssen.

Und was das mit H.G. Wells ZEITMASCHINE zu tun hat? Rein gar nichts außer dem Thema Zeitreisen, und es ist nur meinem Wohlwollen gegenüber Pidax zu verdanken, dass ich die Werbung mit dieser Verbindung nicht als Kundentäuschung geißele.

Irgendwie soll das wohl auch Satire sein, ein schelmisches Augenzwinkern über die osteuropäische Politbürokratie, für die nicht sein kann, was nicht sein darf. Aber das bleibt ohne Biss, ohne Konsequenz.

Was mich mal wieder ärgert? Die grundlegende Idee ist ziemlich gut, da hätte man was draus machen können. Eine Zeitreisende, die von einer goldenen Zukunft berichtet, aber daran scheitert, dass die Menschen der Gegenwart bereits entschieden hat, wie die einzig akzeptable Zukunft auszusehen hat – komme, was da wolle. Es hätte ein Lehrstück über die Borniertheit des Menschen sein können, über den zwanghaften Drang, auch das Schlechte unter dem Deckmantel der Tradition zu bewahren. Das wird vom RÄTSEL VON PISKOV jedoch nur angerissen, aber nirgendwo auserzählt.

Aber wie sagt man immer? Es kann nicht alles Gold sein, was glänzt – und dieser spießige Tand aus der Mottenkiste des Nachkriegsfernsehens ist dann eben kein Gold.

P.S.: Der SPIEGEL hat den Film seinerzeit brav besprochen und eine “massive Gesellschaftskritik” entdeckt, die sich vermutlich auf meiner DVD unter einer romulanischen Tarnvorrichtung versteckt hat.

Im notorisch unzuverlässigen Lexikon des Science Fiction-Films ist der Streifen auch zu finden – und das Buch wird aller Kritik gerecht: massive Rechtschreibfehler, fehlende Infos, eine wirre und noch dazu weitgehend irreführende Inhaltsangabe. Wir können ausschließen, dass Hahn oder Jansen den Film gesehen haben:

Beeindruckend übrigens die Leistung von PIDAX, Hannelore Elsner auf ALLEN zehn Szenenbildern des nachkolorisierten Covers zu zeigen:



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4 Kommentare
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Dietmar
17. April, 2020 19:23

Bevor ich lese, das Offensichtliche: Hannelore Elsner war verdammt niedlich und Hellmut Lange hatte eine geile Stimme. Wenn jetzt Elsner eine Stimme wie Lange hätte…

Ich glaube, ich habe Quarantäne-Koller…

MinkyMietze
MinkyMietze
18. April, 2020 09:49

*hüstel* Jensen=Jansen

Martin Däniken
Martin Däniken
20. April, 2020 12:35

Vielleicht wollte man was “ausprobieren”!
Oder man hatte noch Geld zum Verbraten müssen übrig,
um was richtig künstlerisches aufklärerisches sozialkritisches zuproduziereren…

oder man konnte so irgendwas anderem ein buchhaltungstechnisches Cover-up geben..?!