Kino Kritik: "Rocky Balboa"
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Vorab: "Rocky Balboa" ist eine Rückkehr zu den "Wurzeln" der Serie, es geht weniger um den Kampf, als mehr um die Frage, wie Rocky sich selber sieht, wo er im Leben steht, und ob er den Rest seines Lebens in Nostalgie verbringen möchte. Die Entscheidung, ob Rocky kämpft, und ob er eine Chance hat, fällt nicht im Ring – sie fällt in seinem Kopf. Und zwar schon lange vorher.
Aber "Rocky Balboa" ist viel mehr, der Film ist gespickt mit Meta-Ebenen: Niemals zuvor war der Charakter Rocky so genau der Spiegel des Schauspielers Stallone. Jemand, der sich nichts mehr zu beweisen hat, aber der in den letzten Jahren schwer abgebaut hat. Jemand, der von der Legende leben kann, aber immer noch "Sprit im Tank“ hat. Jemand, der weiß, dass er nicht aufhören darf, weil er nicht aufhören kann. "Rocky Balboa" ist so persönlich und intim wie der allererste "Rocky", der ebenfalls bildlich für den Aufstieg des Außenseiters Stallone stand, der endlich eine Chance wollte.
Auch visuell geht "Rocky Balboa" zurück zu den Wurzeln: Wer perfekt choreografierte, brutale, langgezogene Kämpfe mit allem Schnickschnack sucht, sollte lieber auf DVD "Undisputed 2" ausleihen. Dieser Film hat nur EINEN Kampf, und der ist nicht zu vergleichen mit den Schlachtfesten Rocky/Clubber oder Rocky/Drago. Rocky hat den Kampf schon gewonnen, als er in den Ring steigt – der Ausgang des Fights ist irrelevant. Und so wird er auch behandelt.
Ich glaube, bei dem Film ist der Ballast des Zuschauers entscheidend – für echte "Rocky"-Fans, die seit den 70ern dabei waren, ist der Streifen ein nostalgische Reise, ein würdevoller Abschluss einer Filmreihe, die immer weit besser war, als viele Kritiker glauben machen wollten. In diesem Presse-Screening haben abgebrühte Kritiker GEHEULT und GEKLATSCHT!
Für jüngere Zuschauer (und damit meine ich ab 25 abwärts) und Non-Fans hat "Rocky Balboa" vermutlich nicht viel zu bieten. Nur ein Kampf, nur eine (kurze) Trainingsszene, kaum Montagen, und es dauert 80 Minuten, bis Rocky sich überhaupt entscheidet, wieder zu sporteln. Bis dahin geht es nur die Definition seiner Mitte, und die Verhältnisse zu den Menschen um ihn herum.
"Rocky Balboa" ist thematisch wie visuell "old school" – der Film gibt sich viel Mühe auszusehen, als sei er 1977 gedreht worden, auch in seiner totalen Verweigerung von High Tech. Die alten Kneipen, die Box-Clubs, die Reihenhäuser – alles noch da, nur sehr heruntergekommen. Wie Balboa. Wie Stallone. Nur das Box-Business selbst (mit einem coolen "digitalen" Fight von Rocky und Mason) wird als schrillbunter Kitschkommerz dargestellt. Das erinnert auch an Apollos Hampeleien im Uncle Sam-Kostüm.
Und verdammt: Ich bin wieder mitgegangen wie der Teufel! Als der große Fight beginnt, hatte ich mehr Adrenalin im Körper als in den letzten fünf Jahren zusammen. Ich habe GEZITTERT!
Sylvester Stallone ist nicht nur ein guter Schauspieler (was er hier auch mal wieder beweisen darf) – er ist auch ein verdammt guter Autor und Regisseur. Augenscheinlich hatte er sich was von der Seele zu schreiben, und man merkt es. Der Film ist gespickt mit Rocky-isms: "It’s not about how hard you can hit – it’s about how hard you can GET hit, and still move forward. That’s what winning’s about", "Let’s build some hurtin' bombs", "Fighters fight". Und Stallone liebt seine Figuren – hier kommt mehr Menschlichkeit rüber, als in allem Bay/Sommers/West/Singer/Ratner-Filmen zusammengenommen. Das klingt nach Kitsch pur, aber: "Rocky Balboa" ist ein richtiger Film über richtige Menschen, über Underdogs. Es ist erstaunlich, wie leicht und perfekt der stinkreiche Superstar Stallone dieses Reservoir in sich wieder anzapfen kann.
Ist "Rocky Balboa" fehlerlos? Nein – obwohl der Film das Gros seiner Laufzeit mit Rockys Beziehungen verbringt, bleiben einige dieser Handlungsstränge seltsam unaufgelöst. Man hat das Gefühl, dass Stallone nach 80 Minuten auffiel, er müsse nun langsam doch mal zum boxen kommen, und dass er daraufhin die Nebenfäden einfach "zugemacht" hat. So bizarr das für einen "Rocky"-Film klingen mag: Am Ende hätte man statt des Schlusskampfes lieber die Auflösung der Vater/Sohn-Beziehungen gesehen.
Und dann der Kampf: Man merkt deutlich, dass Stallone nicht mehr das Geld der früheren "Rocky"-Filme zur Verfügung stand. In Aufwand, Länge, Schnitt und Dynamik ist das bestenfalls in Ordnung. Aber man geht begeistert mit – bis Stallone auf einmal DOCH NOCH visuellen Schnickschnack zu Hilfe nimmt (shutter speeds, künstliche Kolorierung von Schwarzweiß-Material, etc.), und damit den Stil des gesamten Films in Frage stellt. Hier riecht es förmlich nach "studio intervention".
Was außerdem stört: Mason Dixon ist sicher der langweiligste der bisherigen Rocky-Gegner. Der Schauspieler sieht wie ein drittklassiger Rapper aus, wir sehen keinen seiner Kämpfe, in dem seine Gefährlichkeit klar wird, und am Ende hat er auch wirklich nicht viel zu bieten. Er hat die Arroganz von Apollo, und den Street Style von Clubber – aber ohne jedes Charisma. Das ist jedoch damit entschuldbar, dass "Rocky Balboa", wie der Titel schon andeutet, ein Film nicht über das Duell zweier Boxer, sondern über den Kampf eines Boxers mit sich selbst ist. Mason Dixon ist unwichtig, eine Chiffre.
Der Film hätte vermutlich besser funktioniert, wenn er tatsächlich den Schlusskampf nur angedeutet hätte, und stattdessen weiter als ernstes Drama gelaufen wäre. Aber das hätte man wohl nicht verkaufen können.
Noch ein Wort zu Stallones physischer Verfassung: Ja, der Mann ist alt geworden, und kein Bodybuilding der Welt kann seine Brustmuskeln wieder aufblasen. Aber scheiße, er sieht immer noch furchteinflößend aus. Wie schon in den 80ern hat man es hier nicht mit Designer-Muskeln à la Schwarzenegger zu tun – Stallone sieht aus wie ein Ochse. Man glaubt ihm unbesehen, dass er 30 Jahre lang was auf die Fresse bekommen hat. Jeder Mangel an Perfektion, den man ihm vorwürfen könnte, stützt genau das, was Stallone aussagen will.
Will vs. Skill – "Rocky Balboa" is back. Und Stallone auch…
Hinsichtlich der Rezeption des Films durch unsere Altersgruppe und der damit verbundenen Emotionen gibt es nichts hinzuzufügen. Ich bin Jahrgang 1967 und habe den Film zweimal ohne den geringsten Anflug von Langeweile genossen.
Bezüglich der Figur Mason Dixon bin ich anderer Meinung. Ein kleiner Rückblich auf Rocky III-V: Clubber Lang verweist auf seinen beschwerlichen Aufstieg aus einfachsten Verhältnissen, Ivan Drago schüttelt im entscheidenden Moment das sowjetische Joch ab (er brüllt zum Generalsekretär hinauf: "Ich werde gewinnen. Für mich! Für mich!") und Tommy Gunn spricht von seiner harten Jugend mit einem gewalttätigen Vater. Trotz dieser Ansätze von Charakterzeichnung sind diese Figuren als Rocky-Gegner im Grund genommen "einfach nur böse", auch Gunn, der seinen Hass auf seinen Vater auf seinen "Ersatzvater" Rocky umzulenken scheint, dem er vorwirft, ihn um den schnellstmöglichen Erfolg betrogen zu haben. Sie sind denkbar unsympathisch gezeichnet. Mason Dixon dagegen steht in der Tradition von Apollo Creed. Jener war zwar bis zu seiner "Konvertierung" in Rocky III zweimal der unbarmherzige Gegner, aber er war nie eine negative Figur. Man denke an den Schluss des Kampfes in "Rocky", als beide Kontrahenten unisono verkünden: "No rematch!" oder an die Krankenhaus-Szene in "Rocky II", als der ramponierte Apollo Rocky bestätigt, wirklich alles gegeben zu haben. Die der Öffentlichkeit gegenüber demonstrativ herausgekehrte Arroganz des Champions Creed gegenüber einem Nobody ist absolut nachvollziehbar, ebenso sein Bestreben, in "Rocky II" seinen ramponierten Ruf wieder herzustellen, wobei er mit einer Kampagne gegen Rocky ein wenig über das Ziel hinausschießt.
In dieser Tradition steht Dixon. Natürlich kann der jugendliche Champion, der keine ernstzunehmenden Gegner findet (ein wenig weit hergeholt, aber das Drehbuch will es nun einmal so) und somit dasteht wie Tyson zu seinen besten Zeiten, für den sportlich gesehen wirklich "uralten" Rocky Arroganz empfinden. Wie soll er denn sonst reagieren? Auf die Knie fallen, weil der gr0ße Champ vergangener Tage ihm die Ehre gibt? Arroganz gehört zum Geschäft, wie einst bei Apollo. Das Element, mit dem Dixon nicht rechnen kann ist auch nicht die Tatsache, dass Rocky sich als besser entpuppt (eine solche Darstellung wäre völlig verwegen und absolut unrealistisch), sondern vielmehr die Tatsache, dass Rocky eine "altmodische" Kämpfer- und Durchbeisser-Einstellung hat, die es offensichtlich in der Welt Rockys bei moderen Fightern so nicht mehr gibt. Aber einer der viellen Handlungsstränge des Films ist gerade der Figur Dixon gewidmet: Als erster Rocky-Kontrahent seit Apollo hat dieser Mann Ehre und Rocky-Potential. Er erkennt, dass er sich auf einem falschen Weg befindet und wendet sich wieder seinem alten Trainer zu, der ihm mit einigen Micky-Sprüchen schon auf den richtigen Weg bringen wird.
Du argumentiert von der Seite dessen, was die Macher für Dixon GEWOLLT haben – und da stimme ich zu. Aber ich wiederhole mich: Der Darsteller hat kein Charisma – er ist eben kein Apollo oder Clubber. Ihm fehlt das "larger than life"-Element, das die Rocky-Filme auszeichnet. Rocky BRAUCHT einen übergroßen Gegner, und Mason wirkt eher wie so ein Angeber-Rapper aus einem der unzähligen Musikvideos, in denen schwarze Mädels im Bikini vor einem Ferrari den Hintern schwenken. Vergleiche mal ein Bild von Mason Dixon mit einem Bild von Mike Tyson zu seiner Hoch-Zeit – da liegen Welten dazwischen. Ich sehe das Problem in der Entscheidung von Stallone, einen echten Boxer zu casten. Er hat selber immer gesagt, dass er für Rocky 3 schon einen echten Champ wollte, dann aber vom Look und der Attitüde des Bodyguards Mister T begeistert war. Diese Cleverness, dem Publikum einen "bunten" Helden zu geben, hat Stallone diesmal verlassen. Jeder Gegner von Rocky funktionierte auch als Symbol – Apollo als "american triumph", Clubber als "black menace", Drago als "evil empire". Mason steht für gar nichts. Das erkennt man auch daran, dass er zuerst gar nicht gegen Rocky kämpfen WILL. Die bisherigen Gegner waren Verfolger, die ihr Recht auf einen Fight einforderten (auch Apollo – in Rocky 2). Mason hingegen treibt nur der Frust und die Furcht vor einer Medienschelte. Das fand ich zu wenig.
Zusammenfassend: Ich stimme dem von dir genannten Potential der Figur zu – nur konnten weder Drehbuch noch Darsteller es erfüllen.
SORRY JOE, DEIN NÄCHSTER KOMMENTAR WURDE AUS VERSEHEN GELÖSCHT – HIER IST ER NOCHMAL:
Die angemessene und notwendige Anti-Rocky-Häme ist vorhanden, wenngleich der Spruch vom Balboasaurus und Masons Geschwätz vom (zu) alten Mann nicht die Klasse von Clubbers Drohungen ("I’m gonna torture him. I’m gonna crucify him!") oder der genialen "evolutionsbiologischen" Erklärung der Überlegenheit Dragos durch den Sowjetfunktionär erreichen.
Die Darstellung Masons bleibt leider recht blaß, das stimmt. Vermutlich ist es schwer, einen Darsteller zu finden, der alle nötigen Eigenschaften (Berufsboxer-Hintergrund und damit realistische Boxkunst UND angemessenes Charisma) vereint. Aus den Vorgaben hätte man mehr machen können.
Ein Manko , aber der Qualität des Films insgesamt tut dies glücklicherweise keinen so großen Abbruch. Man könnte es auch so sehen: Die Unzulänglichkeiten des Jungen stärken die Legende des Alten. Plötzlich fühle ich mich an Captain John Harriman aus "Star Trek – Generations" erinnert.