25
Apr 2018

Kreuzweg oder Kreuz weg: Brief eines Atheisten

Themen: Neues |

An alle, die es angeht (oder die meinen, dass es sie angeht),

ihr habt es ja mit bekommen: Die Bayern hängen überall Kreuze auf. In Behörden grüßt künftig wieder das Symbol, an das vor 2000 Jahren ein Mann genagelt wurde und an dem er blutigst zu Tode kam. Weil das genau genommen der Trennung von Staat und Kirche widerspricht, hat sich der neue bayerische Ministerpräsident Markus Söder folgende drollige Rechtfertigung ausgedacht:

„Das Kreuz ist nicht ein Zeichen einer Religion.”

Selbst die wahrlich nicht für aufklärerische Liberalität bekannte WELT antwortet mit der einzig richtigen Gegenfrage:

“Ja, was denn sonst?”

Ja, was denn sonst, indeed. Man darf unterstellen, dass es nicht um die tatsächliche Rückbesinnung auf christliche Werte geht, denn in der Beziehung sieht es gerade bei den rustikaleren Bayern in Sachen Nächstenliebe und Opferbereitschaft eher düster aus. “Mia san mia” und “Drecksneger” sind keine Begriffe, die ich aus der Bibel kenne.

Je tiefer der Fromm, desto größer der Arsch.

Das ist keine neue Erkenntnis. Wie viel Menschenliebe in so einem bibeltreuen Christen steckt, kann man prima an diesem Wahlwerbespot von 1987 sehe – es spricht die Christlich Bayerische Volkspartei:

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Und doch, und doch…

Lasst sie ihre Kreuze aufhängen. Lasst sie meinetwegen ihren Amtseid auf Bayern UND die Bibel schwören. Lasst sie von Tradition und Kultur faseln und von moralischen Werten, als wäre ihr Idol Franz Josef seinerzeit nicht im Central Park von zwei Nutten ausgeraubt worden. Als würden die eifrigsten Kirchgänger der Partei nicht regelmäßig bei Korruption, Drogenmissbrauch, Ehebruch und Sodomie erwischt.

Denn Söder hat Recht und Unrecht zugleich: Natürlich ist das Kreuz ein Zeichen für eine Religion, nämlich die christliche und damit die (noch) dominante in diesem Land. Aber es ist auch ein völlig leeres, vielleicht entleertes Symbol, impotent und von Bedeutung nur noch für nostalgisierende Charakterschwächlinge, die ein Schild zwischen sich und “die Anderen” stellen wollen. Es zeigt nicht aufrechten Charakter, sondern niederen, intellektuelle Unredlichkeit und den Unwillen, die vom Grundgesetz vorgegebene Trennung von Staat und Kirche tatsächlich zu leben. Es stärkt nicht, es entlarvt.

Für alle anderen – Menschen anderer Religionen, Menschen ohne Religion, oder einfach Menschen mit gesundem Menschenverstand – ist das Kreuz ein genageltes oder geklebtes Holzwerkstück für die Anfänger in der Bastelstunde. Es steht für nichts.

Und darum halte ich die Diskussion um das Kreuz für sinnlos, bzw. für nutzlos. Sollen sie die Dinger aufhängen, wenn sie sich dann besser fühlen. Es ändert nichts am Lauf der Zeit – und die Zeit arbeitet für uns. PID, Minderheitenrechte, Bildung – wir sollten wirklich Wichtigeres zu besprechen haben und uns nicht auf diese Nebenschauplätze zerren lassen.

In diesem Sinne: Amen.



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12 Kommentare
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Daniel Spiegelberg
Daniel Spiegelberg
25. April, 2018 13:51

Amen.

Rumpi
Rumpi
25. April, 2018 15:28

“Gut. Durch die Tür hinaus, zur linken Reihe, jeder nur ein Kreuz. Der Nächste.”

Marco
Marco
25. April, 2018 18:03

rAmen

Andy Simon
25. April, 2018 18:25

Für andere, die mit einer sehr deutlichen Vorstellung von Religion ins Land kommen und die ein Land mit fehlender oder zu vernachlässigneder religiöser Symbolik als schwach wahrnehmen, ist dieses “Ja” möglicherweise eine der symbolischen Handlungen, die sie verstehen.

Für alle anderen – Menschen anderer Religionen, Menschen ohne Religion, oder einfach Menschen mit gesundem Menschenverstand – ist das Kreuz ein genageltes oder geklebtes Holzwerkstück für die Anfänger in der Bastelstunde. Es steht für nichts.

Das mag stimmen, solange es so viele U-Boot-Christen gibt, die nur zu Weihnachten und Ostern an Spirituelles denken und die still und gleichgültig zusehen, wie ihnen eine Ebene der Existenz abhanden kommt und das auch noch besungen wird.

Peroy
Peroy
25. April, 2018 21:53
Reply to  Andy Simon

Beschde Troll seit langem… thumbs up.

Jonas
Jonas
25. April, 2018 18:41

In der Sache stimme ich zu, keine Frage.

Es sei nur angemerkt: Es ist ein altes Gerücht, dass es in der deutschen Verfassung eine Trennung von Staat und Kirche gibt. Das steht dort nirgends. Der entsprechende Artikel des GG der das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen regelt ist Art. 140 GG (welcher wiederum auf einige Artikel der Weimarer Reichsverfassung verweist). Wer sich das einmal anschaut, wird relativ schnell merken, dass das a) kompliziert ist und b) rein juristisch reichlich Diskussionsstoff bietet. Es kann aber unter dem Strich keine Rede von einer echten Trennung sein.

Ich bin kein Freund von diesen Regelungen, mir wäre persönlich eine strikte Trennung von Staat und Kirche recht. Es hilft nur rein gar nichts, wenn man so tut als wäre das schon so.

Wortvogel
Wortvogel
25. April, 2018 19:10
Reply to  Jonas

Jein, man muss ja auch die Auslegung von 140 beachten:
“Art. 140 GG begründet ein im internationalen Vergleich gemäßigtes religionsverfassungsrechtliches System, das mit dem Verbot der Staatskirche einerseits die institutionelle Trennung von Staat und Kirche durchsetzt und den Staat für weltanschaulich neutral erklärt, sich aber andererseits nicht dem laizistischen Vorbild Frankreichs anschließt, sondern Religionsfreiheit und kirchliches Selbstbestimmungsrecht auch im öffentlichen Bereich gewährleistet (vgl. ausführlich Staatskirchenrecht).”

Jonas
Jonas
25. April, 2018 23:53
Reply to  Wortvogel

“Jein” wäre auch meine Antwort. Es gibt einige Beispiele für diese halblebige Trennung. So hat der Religionsunterricht Verfassungsrang (Art. 7 GG) und die Gehälter der katholischen Geistlichen zahlt (aus historischen Gründen) noch immer der Staat.
Es hilft jedenfalls nicht, sich auf die Trennung von Staat und Kirche zu berufen, die steht in der strengen Form wie gesagt nirgends im GG (anders als in den USA oder Frankreich).

Dass die Kreuzaufhängerei verfassungswidrig sein dürfte, liegt nicht daran, dass Staat und Kirche getrennt sind, sondern daran, dass der Staat sich weltanschaulich neutral verhalten muss und keine Religionsgemeinschaft bevorzugen darf. Das kommt in mancher Hinsicht natürlich aufs Gleiche heraus, ist aber doch ein Unterschied.

Vermutlich wäre es etwa zulässig, ALLE Symbole ALLER Religionsgemeinschaften in den Behörden aufzuhängen (das sähe dann sicher albern aus, würde aber die Neutralität wahren).

Mencken
Mencken
27. April, 2018 00:26

Söder dürfte es eher um Wähler als um Religion oder Abgrenzung gehen. Hier wird bewusst nach Gegenreaktionen gefischt und mit Sätzen wie “Aber es ist auch ein völlig leeres, vielleicht entleertes Symbol, impotent und von Bedeutung nur noch für nostalgisierende Charakterschwächlinge, die ein Schild zwischen sich und „die Anderen“ stellen wollen.” liefert man der CSU genau das, worauf sie gehofft hat (was indiesem Fall ziemlich egal sein dürfte, da hier vermutlich eher wenig potentielle CSU-Wähler und/oder Christen lesen).

Petra
28. April, 2018 13:49

ich las einen schönen Kommentar:
Würde Jesus dorthin gehen, wo er an die dunkelsten Stunden seines Lebens erinnert wird?
Somit fehlen in den bayerischen Amtsstuben nicht nur die göttlichen Eingebungen durch den Boten Aloisius sondern auch noch jeder Christlichkeit.

https://www.youtube.com/watch?v=kjuK4_T-JXI

Matts
Matts
30. April, 2018 17:49

Meine Meinung als jemand der katholisch erzogen wurde, und – auch wenn ich mich heute nicht mehr als “praktizierend” bezeichnen würde – der ganzen Sache nach wie vor etwas positives abgewinnen kann:
Ich kann das recht vernichtende Urteil vom Wortvogel über das Kreuz an sich definitiv nicht teilen. Ich würde sagen, dass es bei seiner Bedeutung immer auf die jeweilige Person ankommt.
Allerdings muss ich zustimmen, dass die Bedeutung in diesem Fall wohl genau die ist, die die meisten hier darin sehen: Ausgrenzung in die eine und Anbiederung in die andere Richtung. Allgemein geht mir die momentane Politisierung des Christentums ziemlich gegen den Strich. Vor allem wenn ausgerechnet einer wie Orban sagt: Nur das Christentum kann Europa retten!
Irgendwie muss ich die Stelle in der Bibel überlesen haben, wo Jesus sagt: “Ey, du kommst hier nich´ rein!”

Wortvogel
Wortvogel
30. April, 2018 18:09
Reply to  Matts

“Irgendwie muss ich die Stelle in der Bibel überlesen haben, wo Jesus sagt: „Ey, du kommst hier nich´ rein!“” – das gefällt mir.