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Feb 2018

Dietmars Mama: Eine Erinnerung an die, die es schwerer hatten als wir

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Ich weiß, das ist eine verallgemeinernde und vielleicht polarisierende Überschrift. Aber ich denke in letzter Zeit oft darüber nach, wie gut es uns eigentlich geht. Nicht nur hier in Deutschland, nicht nur in dieser Generation. Wie haben es als Spezies so unfassbar weit gebracht: Wir werden 80 statt 20 Jahre alt, können Krebs ebenso behandeln wie Karies, haben das ganze Jahr Essen, Wärme, Strom, Wasser. Das angehäufte Weltwissen gehört nicht mehr nur den Eliten, die aufgeklärten Gesellschaften haben die irrigen Annahmen überwunden, Menschen könnten aufgrund ihrer Rasse, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung minderwertig sein. Fast jede Messlatte für zivilisatorischen Anstand haben wir in den letzten 50 bis 100 Jahren übersprungen. Und was haben wir technisch nicht alles erreicht: wir waren auf dem höchsten und dem tiefsten Punkt der Erde, haben den Mond besucht und ein globales Computernetzwerk geschaffen, mit dem jede/r mit allen kommunizieren kann. Auch wenn es manchmal in den Nachrichten nicht so klingt: Es wird besser. Immer weniger Tote, immer weniger Raub, immer weniger Verschmutzung.

Ich schreibe das auch deshalb hier hin, weil es mich immer entgeistert, wenn Menschen das anders sehen. Wenn teilweise banale Probleme aufgebauscht werden, als sei ein verlorenes Smartphone gleichzusetzen mit der verlorenen Heimat im Krieg. Wahrlich, viele Leute haben das Prinzip der “white people problems” perfektioniert, ängstigen und erregen sich an Dingen, die mit “Fliegenschiss” noch freundlich umschrieben sind.

Natürlich ist nicht alles perfekt – aber es ist alles so viel besser als die angeblich “guten Zeiten”, die wir uns aus Unkenntnis und blanker Ignoranz so oft zurück wünschen. Das Leben, was wir heute führen, mag individuell gesehen manchmal hart sein – allgemein betrachtet ist es ein weiches Daunenkissen. Weil wir ein Level erreicht haben, auf dem Armut nichts mehr mit dem zu tun hat, was der Begriff noch vor 50 oder 100 Jahren bedeutete. Vom Mittelalter oder der Antike mal gar nicht zu reden.

Und vielleicht ist es deshalb so wichtig, dass wir uns immer wieder vor Augen halten, wie weit wir gekommen sind, wie dankbar wir sein dürfen, wie bequem wir auf den Schultern vorheriger Generationen stehen. Ein ganz konkretes Beispiel dafür hat mir Stamm-Kommentator Dietmar diese Woche geschickt. Es ist eine Seite aus einer Regionalzeitung. Eine Geschichte wie Tausende, ein Leben wie Millionen. Aber eben auch Porträt einer Generation, die jedes Recht hätte, sich manchmal für unsere Weinerlichkeit und unsere mangelnde Dankbarkeit zu schämen.

Das hier ist die Geschichte von Dietmars Mutter (klick für PDF):

Weil es irgendwie ganz gut zum Thema passt:

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Dietmar
2. Februar, 2018 19:17

Ich habe meiner Mutter gerade am Telefon Deinen Artikel vorgelesen: Sie findet, Du triffst den Nagel auf den Kopf. Aber sie ist froh, dass sie etwas erreicht hat, das man sich in der Generation für seine Kinder wünschte. Nämlich, dass sie es besser haben als man es selbst hatte.

Danke für´s Teilen!

Dietmar
2. Februar, 2018 21:52

Was meinst Du, wird meine Mutter als 12- bis 16-jähriges Mädchen “angestellt” haben? Und was ist daran “revisionistisch”? Sie rechtfertigt nichts und will nichts wieder zurück haben.

Aber ich kann Dir mal erzählen, was sie unter anderem erlebt hat, als die deutsche Armee einmarschiert war: Die Einwohner Leipes wurden in Zügen nach Thorn gebracht und wurden auf dem Marktplatz Zeugen davon, wie man mit Juden umzugehen gedachte. Dabei erlebte meine Mutter, wie ein ihr bekannter Rabbi, mit dem man familiär freundschaftliche Beziehungen pflegte, auf offenem Platz vom Kommandanten mit einem Schlagstock zusammengeschlagen wurde. Sie sagt, seine Kippa sei bei dem ersten Schlag gegen seinen Kopf in einen Baum geflogen und dort hängen geblieben.

Als die deutsche Armee einmarschierte und sich auf den Ländereien versorgte, wurden sie und ihre Schwester zum Schutz vor Vergewaltigung von ihrer Großmutter unter deren Reifrock, den sie noch als eine der letzten Frauen trug, versteckt. Die Großmutter rührte sich nicht, bis die Soldaten mit der, man kann es wohl so sagen, Plünderung des Hofes fertig waren und weiter zogen.

Aber es ist okay, wenn Du kein Mitleid mit Frauen und Kindern hast, weil sie zu einer Gruppe von Menschen gehören, die es, ob wirklich oder vermeintlich, nicht besser verdient haben. Deshalb sollte man, ganz in Deinem Sinne, einfach den Iran flächig bombardieren. Nur kein Mitleid.

Dietmar
2. Februar, 2018 22:31

Weder wird die Rote Armee als Grundübel des WKII dargestellt noch sieht das meine Mutter so. Es ist aber eine Tatsache, dass die Familie vor ihr floh. Hätte sie das nicht gemacht, wäre sie zugrunde gegangen. Insbesondere mit zwei jugendlichen Mädchen; da braucht man nicht viel Phantasie.

Es ist kein Zufall, dass der Mann der Protagonistin in der „deutschen Truppe“, wie es da verharmlosend festgestellt wird, gekämpft hat, sondern bei der deutschen Minderheit in Polen der Normalfall.

Das ist ihr Vater gewesen, nicht ihr Mann. Mein Großvater war Teil der Einheit, die an dem angesprochenen Graudenzer Brückenkopf eingesetzt war, wurde dort verletzt und gefangen genommen. “Deutsche Truppe” ist auch nicht verharmlosend sondern ein Faktum. Bevor die Deutschen einmarschierten gehörte er, es wird Dich wundern, ist aber so, der polnischen Armee an. Denn mein Großvater war Jahrgang 1898 und wurde im Zuge des 1. WK als Scharfschütze der polnischen Armee ausgebildet. (Abgesehen davon ist der Begriff Protagonist etwas krude: Das ist kein erfundenes Drama und meine Mutter hat das als Jugendliche und Kind wirklich erlebt.)

Welche Rolle spielt es, ob es “Normalfall” war, dass Angehörige der deutschen Minderheit in der Armee waren?

Dietmar
2. Februar, 2018 22:49
Reply to  Dietmar

Da wird gar nichts verharmlost. Was ist daran harmlos, wenn eine Jugendliche in der Danziger Bucht mit ansieht, wie die Schiffe bombardiert werden? Was erwartest Du? Hättest Du gerne, dass meine Mutter ein anderes Leben gehabt hätte und andere Dinge bezeugen? Sie kann nur das berichten, was sie erlebte. Sie kann nicht berichten, was sie nicht erlebte.

Nach dem Krieg war meine Mutter in der Ausbildung zur Krankenschwester in Bergen. Die amerikanische Armee hat nach der Befreiung des Lagers Menschen zusammen geholt und in das Lager gebracht, damit sie die Toten dort sehen. Meine Mutter war dabei. Sie wusste vorher, dass mit Minderheiten und politischen Gegnern brutal verfahren wurde. Sie war Zeugin solcher Taten. Aber in diesem Artikel geht es um ihr eigenes, persönliches Erleben.

Dietmar
2. Februar, 2018 22:38

Aber für Dich, weil Du den Artikel offenkundig nicht gelesen oder verstanden hast, in Stichworten: Meine Mutter floh als Jugendliche mit ihrer Schwester, Mutter, Oma und Tante vor der Roten Armee. Ihr Vater, mein Großvater, war an der Front, kam in Gefangenschaft, fand die Familie nach knapp zwei Jahren wieder, meine Mutter heiratete nach dem Krieg und baute das Haus.

Sie war zwei mal zu Besuch auf ihrem alten Hof: Der Ort hat keinerlei Erinnerung an irgendeine der damals dort gelebt habenden Familien. Sie gingen alle zugrunde oder flüchteten. Zuerst vor den Deutschen, dann vor den Russen und zwischendurch bekämpften sich Polen und Deutsche mit Messern und Hunden. Eine zuvor vollkommen friedliche und koexistierende Völkergemeinschaft wurde komplett aufgerieben.

Die neuen Besitzer bekamen Angst, als meine Mutter dort ankam, um mit ihnen zu sprechen, weil sie Ansprüche befürchteten. Meine Mutter beruhigte sie sofort. Ihr ging es nur um die Kindheitserinnerungen.

Und es steht immer noch Deine Erklärung aus, wo in dem Artikel ein jugendliches Mädchen “Entgegenkommen” als “Unterstützer Hitlers” erwartet. Ihre Erlebnisse sind gänzlich unpolitisch.

Dietmar
2. Februar, 2018 23:08
Reply to  Dietmar

Der Artikel muss nichts “einordnen”. Bildung ist eine Holschuld. Man muss bestimmte Dinge wissen. Und wenn Du noch so oft “revisionistisch” sagst: Das ist er nicht. Außerdem bekommst Du, nicht “man”, und auch nur “fast” ein Gefühl. Mit solchem (!) Unsinn muss man sich nicht auseinandersetzen und den löscht Torsten zurecht.

(Und ich lasse mich auch nur auf diese “Debatte”, die keine ist, ein, weil es um meine Mutter geht. Ansonsten hängt mein Internet-Warrior-Outfit am Nagel.)

Dietmar
2. Februar, 2018 23:11
Reply to  Dietmar

Ob die jetzt individuell deine Familie betrifft oder diese sogar dafür verantwortlich ist, sei’s drum.

Meine Familie verantwortlich für die Vorgeschichte. Die da wäre der Nationalsozialismus. Ich muss Dich enttäuschen: Unsere Familiennamen sind Winter, Brommand, Steinhaus und Wedekind. Nicht Hitler.

Und jetzt kannst Du Dich auch gerne verpissen.

Dietmar
2. Februar, 2018 22:51

Es tut mir ja leid, dass man diese Gebiete damals Ost- und Westpreußen nannte. Ist nun einmal ein historischer Fakt.

Meine Mutter benutzt übrigens für die Lage des Borek, so hieß ihr kleines Gut/Bauernhof, den Begriff “polnischer Korridor”. Der ist aber heute weitgehend unbekannt.

Dietmar
2. Februar, 2018 22:56

Habe mich gerade im sachlichen Antworten auf unsachlichen Behauptungen geübt… 😉

Sieht jetzt ein bisschen gruselig aus, wenn ich so viel Kommentare im luftleeren Raum unter diesen Artikel gestellt habe. 🙂

Marcus
Marcus
3. Februar, 2018 01:14
Reply to  Dietmar

Bei dem, was man hier aus deinen Kommentaren noch extrapolieren kann, ist es wohl besser so. So viel geballte Kacke hätte ich an Torstens Stelle auch nicht auf meinem Blog rumliegen lassen.

Und aus offensichtlichen Gründen sage ich dir in dem Fall mal nicht, dass du dich besser nicht mit Internet-Idioten streiten solltest. 😉

Dietmar
3. Februar, 2018 05:01
Reply to  Marcus

Ich antworte Dir, was längst überfällig aber jetzt egal ist: Das lass mal meine Sorge sein.

(Aber da bin ich bestimmt wieder “passiv aggressiv”…)

Marcus
Marcus
3. Februar, 2018 12:19
Reply to  Dietmar

Keine Ahnung, warum du auf so einen harmlosen Spruch gleich wieder so anspringst (QED, was unsere letzte Unterhaltung angeht, vielleicht), aber gut, die Message ist angekommen. Ich werde dich nicht weiter behelligen.

Dietmar
3. Februar, 2018 13:03
Reply to  Marcus

Diesen “harmlosen Spruch” habe ich ja nun nicht zum ersten Mal von Dir bekommen und, glaube es oder nicht, schon beim ersten Mal verstanden. Das Internet ist Dir zufolge ohne mich ein besserer Ort, also ist es in Ordnung, wenn Du mich nicht mehr behelligst. Warum übrigens so passiv aggressiv?

Marcus
Marcus
3. Februar, 2018 14:11
Reply to  Dietmar

“Das Internet ist Dir zufolge ohne mich ein besserer Ort” habe ich so zwar nicht gesagt, und das zu behaupten ist eine reichlich unverschämte Unterstellung, aber das ist ja mittlerweile auch egal.

Dietmar
3. Februar, 2018 14:21
Reply to  Marcus

Du merkst nicht, wann es mal gut ist, oder? (Wortgetreu kriege ich es nicht mehr zusammen, weil ich keinen Facebook-Account mehr habe, aber es war in etwa, dass ich zu den Menschen gehöre, die das Internet eher schlecht erträglich machen. Ist natürlich ganz etwas anderes und ich bin mir vollkommen sicher, dass Du es ganz genau wiederholen könntest, so dass alle sehen, wie gemein ich Dir hier etwas unterstelle.)

Dietmar
3. Februar, 2018 14:25
Reply to  Dietmar

Oha! Nicht “gemein” sondern “unverschämt”. Da wollen wir doch exakt sein…

Marcus
Marcus
3. Februar, 2018 14:46
Reply to  Dietmar

Was du mir unterstellst gesagt zu haben und was ich dir (größtenteils übrigens in PMs) wirklich gesagt habe, hat keinerlei Ähnlichkeit miteinander. Aber das ist für dich mittlerweile offenbar egal, also kann ich mir die Mühe sparen, es noch einmal hier hinzuschreiben. Und Torsten auch die Unannehmlichkeit, das hier weiter in seinem virtuellen Wohnzimmer auszudiskutieren.

Für dich bin ich mittlerweile offenbar ein Arsch. Nach Jahren hier im Blog und auf FB, in denen ich mir oft dachte, dass wir uns vermutlich auch im im echten Leben gut verstehen würden, wenn wir mal die Gelegenheit dazu hätten.

Keine Ahnung, wo der Wandel herkommt, aber damit werde ich wohl leben müssen. Und können.

Dietmar
3. Februar, 2018 14:57
Reply to  Marcus

Ich (!) bin nicht derjenige, der Dir (!) immer wieder sagt, was und was nicht er sagen sollte. Und natürlich: Das sind gewaltige Unterschiede und dann auch noch per PM! Da bin ich schon wieder so unfair! Wie gemein von mir…

Aber schon schön, wie Du mich nicht mehr behelligst.

Dietmar
3. Februar, 2018 19:39
Reply to  Torsten Dewi

Tut mir leid. Für mich wäre es mit der ersten Antwort schon erledigt gewesen.

tokra
tokra
3. Februar, 2018 11:11

Ja, es geht uns heute deutlich besser als vor 50 oder 100 Jahren, sehr schön zum Thema finde ich dieses Buch:

https://www.amazon.de/dp/3421047685/

Problematisch ist nur, dass durch manche Medien der Eindruck erweckt wird, die ganze Welt wird immer gefährlicher, krimineller und ungesünder.

Dietmar
4. Februar, 2018 12:49

Das Vorwort hier passt perfekt zu Deiner Stellungnahme: https://www.youtube.com/watch?v=SWvFMxYgmkU

Friesische Bergwacht
Friesische Bergwacht
5. Februar, 2018 08:25

Es wird besser. Immer weniger Tote, immer weniger Raub, immer weniger Verschmutzung.

Für Letzteres hätte ich ja gerne irgendeinen Beleg. Ich halte das für eine völlig haltlose und grundfalsche Behauptung. Und zwar für eine an der denkbar falschesten Stelle.

Denn letztlich nützt immer mehr Menschen der von dir konstatierte zivilisatorische Fortschritt nichts, weil wir immer größere Bereiche des Planeten unbewohnbar machen. Wir stehen erst am Anfang von etwas, das mich sehr, sehr, sehr froh sein lässt, die Sache hier in gut 50 Jahren hinter mir zu haben und auch keine Nachkommen zu haben, die das alles miterleben müssten.

Howie Munson
Howie Munson
5. Februar, 2018 09:33

Wenn du Belege haben willst, dann schreib doch wenigstens für welchen Bereich. Für die “hiesige” Situation* ja offensichtlich nicht…

*= exemplarisches Beispiel: https://www.derwesten.de/staedte/duisburg/wasserqualitaet-im-rhein-ist-so-gut-wie-schon-lange-nicht-mehr-id6750896.html

Dietmar
7. Februar, 2018 00:21
Reply to  Torsten Dewi

Das schlechteste Buch des von mir heiß geliebten Hoimar v. Ditfurth hieß da auch sinnentsprechend: “So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen – Es ist so weit”. Verglichen damit waren die 90er tatsächlich “leichter”.

comicfreak
comicfreak
6. Februar, 2018 12:42

Meine Großeltern waren Bessarabiendeutsche (Donauschwaben) aus Katzbach.
Auf der Flucht kam wirklich alles abhanden, nur meine Mutter, die kam in Polen erst dazu. Aber da war Opa schon in Gefangenschaft.
Oma kam dann an die Nordsee, in den Schwarzwald, wo sie Opa wieder fand (über das Rote Kreuz). Nirgendwo waren sie willkommen.
Bis sie sich schließlich in der Pfalz (nach drei weiteren Umzügen) eine neue Heimat aufbauen konnten.

Das habe ich alles erst auf der Beerdigung der beiden erfahren, als der (evangelische) Pfarrer ausführlich darüber sprach.

Irgendwie war meine Familie davon ausgegangen, dass ich als Spätgeborene das Familienwissen assimiliert hätte.

Meine Mutter fühlt sich immer noch oft als Flüchtling. Sie sagt, sie hat mit über 50 zum ersten Mal erkannt, dass ihre Mutter eine in der Gemeinde angesehene Frau war, kein grimmig geduldetes Pack mehr.

Dietmar
7. Februar, 2018 00:36
Reply to  comicfreak

Meine Mutter spricht heute noch fließend polnisch. Uns hat sie das nicht beigebracht: Sie hatte, und hat noch, Angst, dass dieser Ungeist wieder ausbricht und wollte vermeiden, dass wir durch Polnisch als Zweitsprache auffallen und zur Zielscheibe werden.

Wurden wir auch so. Meinem älteren Bruder wurde regelmäßig aufgelauert, um ihn zu verprügeln. Bis er seine Sanftmut ablegte und man ihn lieber in Ruhe ließ.

Heute war ich bei ihr: Es gab einen Leserbrief in der Lokalzeitung. Der Tenor war der gleiche, wie von den gelöschten Kommentaren. So ähnlich, dass ich die Vermutung habe, da könnte sogar der selbe Mensch hinter stecken; aber so etwas gibt es sicher nicht nur einmal. Jedenfalls hat das meine Mutter sehr aufgewühlt. Damals war es nicht “erlaubt”, dass man als Flüchtling öffentlich litt, heute “darf” man es nicht, weil man angeblich das Leid der Opfer des Nationalsozialismus relativieren würde.

Das ist aber das Letzte, was sie wollen würde. Ich habe auf Facebook mal die kurze Geschichte von Theresa, ihrer Freundin erzählt, die sich im von Nazis niedergebrannten Haus ihrer Familie versteckte, nachdem alle anderen in Lager kamen. Dort hielt sie mehrere Tage durch, um sich dann von meiner Mutter im Park zu verabschieden. Sie lagen sich weinend in den Armen, weil beide wussten, was mit Theresa passieren würde und das passierte dann auch.

Meine Mutter sieht den Menschen. Darum ging es ihr. Das Ganze ist ein eindrückliches Zeugnis dafür, dass es uns heute besser geht. Ich verstehe nicht, was es da zu diskutieren gibt.

Einen Leserbrief als Antwort habe ich aber trotzdem geschrieben. Weil dieser andere Leserbrief meine Mutter belastete und ich sie verteidigen will.

Irgendwie war meine Familie davon ausgegangen, dass ich als Spätgeborene das Familienwissen assimiliert hätte.

Das ist ein Problem, für das ich noch keine Lösung gefunden habe: Wie erhält man so etwas?

comicfreak
comicfreak
7. Februar, 2018 10:04
Reply to  Dietmar

..ich bin immer noch dran, meinen Papa zu überreden, dass ich seine Erinnerungen aufnehmen darf.
Er sträubt sich sehr.
Aber gerade vor ein paar Wochen ist seine große Schwester gestorben, deren Geschichten zusammen mit ihrer Stimme, den Betonungen, der Gestik, all das nur noch in meiner Erinnerung lebt und ich kann das nicht adäquat weiter geben.

Dietmar
7. Februar, 2018 22:14
Reply to  comicfreak

Mach das! Das ist so wertvoll.

Ich hatte eine ganze Weile die Idee herumgetragen, meine Mutter über längere Zeit zu interviewen und das dann vielleicht sogar online zu stellen. Aber bei dem, was man da so an Reaktionen erlebt, will ich ihr das lieber nicht antun.