01
Okt 2017

TV Kritik: Marvel’s Inhumans

Themen: Film, TV & Presse |

Offizielle Synopsis: Die Inhumans leben in der Stadt Attilan auf dem Mond, unsichtbar für die Menschen. Regiert werden sie von König Black Bolt und Königin Medusa. Doch Black Bolts Bruder Maximus will selber an die Macht, zettelt einen Aufstand an. Nur mühsam können Black Bolt und seine Getreuen zur Erde fliehen, nach Hawaii.

Kritik: Marvel strebt die totale Herrschaft über die audiovisuellen Medien an, das steht fest. Zählen wir doch mal nach: Im Kino erwarten uns demnächst Thor 3, Ant-Man 2, Avengers 3, Black Panther, Captain Marvel und diverse Sequels aktuell in Entwicklung. Im Fernsehen läuft neben Agents of SHIELD die Reihe an Miniserien u.a. mit dem Punisher weiter, demnächst dürfen wir uns auf Runaways, Cloak & Dagger, The Gifted und New Warriors freuen. Legion wird ebenfalls fortgesetzt. Und dabei zähle ich nicht mal die ganzen Zeichentrickserien.

Einerseits kann man das einfach ignorieren – niemand wird gezwungen, sich alles anzuschauen. Andererseits nimmt jeder Marvel/DC-Sendeplatz den Raum für eine andere Serie weg – und der Raum ist relativ begrenzt, weil die Budgets der Sender es auch sind. Einerseits ist zu erwarten, dass die schiere Menge auch erste Fehltritte im bisher fast makellosen Marvel-Kanon produziert. Andererseits kann man einen Fehltritt wie “Inhumans” nicht nur der Wahrscheinlichkeit, sondern auch der Hybris der Macher anlasten, die augenscheinlich glauben, dass das Marvel-Label mittlerweile ausreicht, um kritikresistent zu sein.

Machen wir uns nichts vor: Schon bei den Netflix-Miniserien wie “Luke Cage” und “Iron Fist” hat es teilweise erheblich gehakt. Sie wurden aber halbwegs rausgerissen durch die Einbindung in die größere Defender-Narrative und die aufwändige Produktion bei einem zeitlich limitierten Investment durch die Zuschauer.

“Inhumans” hingegen hat kein “saving grace”, keine Entschuldigung. Es ist eine billig zusammen gestoppelte, von charismafreien Darstellern untergrabene und generell schlicht lahmarschige Serie, die uns an keiner Stelle überzeugt, dass die Inhumans eine eigene Franchise darstellen – anders als z.B. die “Guardians of the Galaxy”, deren Produktion ja auch zuerst mal mit einem massiven “Guardians wer?” begegnet wurde.

Nun bin ich gewahr, dass die “Inhumans” schon länger ein Stiefkind-Projekt von Marvels “unter ferner liefen”-Stapel waren. Eigentlich wollte man aus den Pseudo-Mutanten einen Kinofilm stricken, dann wurde die Entwicklung eingestampft, dann musste das Konzept für die finanziell reduzierten Möglichkeiten von ABC umgeplant werden, gleichzeitig aber genug Rambazamba bieten, um als Pilot in IMAX-Kinos zu reüssieren. Regisseur Roel Reiné, ein durchaus fähiger Low Budget Action-Regisseur, hat denn auch schon vorab verkündet, dass für so ein ambitioniertes Projekt eigentlich mehr Geld zur Verfügung stehen müsste.

Dabei hat er vergessen zu erwähnen, dass auch ein solides Drehbuch und begeisternde Darsteller von Vorteil gewesen wären.

“Inhumans” ist in jeder Beziehung ein Rückschritt in die Zeit von Serien wie “Mutant X”, “7 days” und “Time Cop”, als preiswerte Drehorte den Look einer Produktion bestimmten und CGI kein Füllhorn unbegrenzter Möglichkeiten war, sondern ein Mittel zur Kostensenkung. Und so spielt “Inhumans” auf Hawaii, weil man dort vermutlich steuerliche Anreize nutzen konnte und die Gebäude vor Ort sich als irgendwie futuristisch umrüsten lassen. Auf große Actionszenen wird gleich ganz verzichtet, ich habe selten einen so sedierten Putsch gesehen wie hier.

Nun lebt Fernsehen nicht vom Aufwand allein, im Gegenteil – wie wir gerade bei “Star Trek Discovery” gesehen haben, kann auch das größte Remmidemmi nicht helfen, wenn Stars und Story uns nicht scheren. Bei “Inhumans” hat man konsequenterweise auch das Remmidemmi weggelassen. Inhaltlich ist das bestenfalls Brotsuppe: Ein unsympathisches Königreich mit einem unsympathischen König, ein rattiger Bruder mit ungesunden Ambitionen, Gefährten als Verräter – die 90 Minuten von “Inhumans” würden bei “Game of Thrones” keine 30 Sekunden füllen. Da ist man mittlerweile andere erzählerische Standards gewöhnt.

Figürlicher Kern sollen natürlich Medusa und Black Bolt sein. Da frage ich zuerst einmal, warum die beiden überhaupt das Königspaar sind. So schicksalsgegebene Monarchie finde ich immer etwas anmaßend, denn solange ihre Macht nicht als gerechtfertigt und notwendig erklärt wird, sehe ich keinen Grund, warum Maximus NICHT rebellieren sollte – zumal viele Bewohner von Attilan augenscheinlich unter Back Bolt nicht gerade sehr angenehm leben. Warum sollte mich das Schicksal des Monarchenpaares also scheren? Zumal Medusa sich durch nichts als hündische Loyalität zu ihrem Gatten auszeichnet. Ehrlich? DAS sind unsere “Helden”?

Black Bolt ist in meinen Augen einer der vergeigtesten Protagonisten der neueren Seriengeschichte. Seine Superkraft ist so stark, dass er sie niemals einsetzt. Klasse, das ist ganz großes Entertainment. Und reden tut er auch nicht. Die Kernfigur unserer Serie ist also ein impotenter, stummer Monarch von eigenen Gnaden mit permanent säuerlichem Gesichtsausdruck. Hat sich echt niemand vorher gedacht, dass das ein Problem sein könnte? Doch, jemand hat.

Produzent Scott Buck hat im Vorfeld erwähnt, es wäre

 “a little bit difficult to write for the character since he does not speak, but yet he is our hero and the center of the show, so it does certainly present challenges in how you tell his story”

Da ist man sehenden Auges in die Katastrophe gerannt, da kenne ich kein Mitleid.

Und so latscht man melodramatische Soap Plots diskutierend durch die Gegend, ab und an gibt es mal ein bisschen Gehaue und Geschieße, den größten Teil der Effekte übernimmt der drollige Riesenhund Lockjaw, der letztlich auch ein beliebiger Beam-Mutant oder Transporterstrahl sein könnte. Nach 90 Minuten ist immer noch nicht ersichtlich, warum man emotional auf Seiten von Black Bolt und Medusa stehen sollte, was mit der Rückeroberung von Attilan gewonnen wäre und wie das alles überhaupt in das Marvel-Universum passen soll. Es stellt sich erneut die Frage (wie schon bei den Defenders und bei Dr. Strange), ob die Avengers permanent Urlaub machen oder erst ab “1 Million+ zivile Opfer” in Aktion treten.

Ich war wirklich bereit, angesichts der verworrenen Vorgeschichte der Serie wohlwollend zu sein. Aber auch in diesem Fall hat die breite Masse der Kritiker Recht und “Inhumans” ist ein Debakel, das sich gewaschen hat. Im Gegensatz zu “Star Trek Discovery” bezweifle ich auch, dass sich dieser Karren noch aus dem Dreck ziehen lässt.

Lass gut sein, Marvel, du kannst nicht immer gewinnen.

Fazit: Eine erschreckend dünne und erzählerisch banale Serie, die mit ihren farblosen Figuren und langweiligen Locations an die Syndication-Serien der 90er erinnert und den ersten Totalausfall im MCU darstellt.

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10 Kommentare
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Comicfreak
Comicfreak
1. Oktober, 2017 14:08

Schade

Pogopuschel
1. Oktober, 2017 14:13

Die Serie ist ja auch schon nach der ersten Staffel gecancelt worden.

Markus
1. Oktober, 2017 14:31

Reiht sich ein in das, was bislang zu lesen war, und klingt plausibel. Kleine Anmerkungen: Die Marvel-Netflix-Reihen sind (bis auf – bislang – “Defenders”) keine Miniserien, sondern erste Staffeln. “Inhumans” sollte das auch sein, wurde aber wegen anhaltender “Begeisterung” unter den Fans inzwischen zur Miniserie deklassiert. Black Bolts Superkraft ist quasi identisch mit dem Umstand, dass er nicht spricht: Tut er das, bricht das Chaos aus. Damit geht er auch im Comic relativ sparsam um. Und ich mochte immer die Übersetzung “Unmenschen” statt “Nichtmenschen”. Die Inhumans sind eben keine klassischen Superhelden, sondern eine aus demokratischer (irdischer) Sicht durchaus fragwürdige Monarchie mit zum Teil wenig sympathischen Regeln und Hierarchien. Umso schwieriger, das in einen klassischen “Helden”-Kontext zu packen. Es sei denn, man lässt zum Beispiel offen, ob Maximus nicht vielleicht der Gute ist… Anyway – sowas geht einfach nicht mit ‘nem Fernseh-Standard-Budget. Künftig sehen wir die Royal Family allenfalls als Gaststars bei den Agents. Marvel sollte lieber mal die Rechte für eine andere Familie zurück- und diese ins MCU holen…

Markus
1. Oktober, 2017 14:46
Reply to  Torsten Dewi

Absolut. Willkommen in der Welt der 60er-Jahre-Comics, die man heute nicht mehr 1:1 filmisch umsetzen kann. Thor und Cap werden froh sein, keine Flügel am Helm zu haben…

Dr. Acula
1. Oktober, 2017 15:35

Hatte ich befürchtet. Tut mir leid für Roel Reine, der besseres verdient hat, aber trifft mein Gefühl vom ersten Foto ab…

invincible warrior
invincible warrior
2. Oktober, 2017 05:14

Es verwundert einen ja, dass irgendwer an einen echten Erfolg der Serie geglaubt hat. Schon der erste Trailer war eher meh, wurde aber trotzdem in den USA künstlich groß gepusht. Dabei hatte die Serie seit den Trailern mit Kritik zu kämpfen, so weit, dass selbst das Comiccon-Panel (üblicherweise voller amerikanischer Jubelperser) zu einer einstündigen Version des berühmten Batman v Superman Interviews verkam (https://www.themarysue.com/awkward-inhumans-panel/).
Und dann wurde der Pilot ja ernsthaft per Deal mit IMAX in deren Kinos (4 Wochen vor TV Premiere) ausgewertet. Der Release war zwar halbwegs erfolgreich (vergleichbar mit der Game of Thrones Kinoauswertung), allerdings waren die Kritiken absolut grottig. Damit hatte die Serie also neben der bisherigen Kritik noch genug Zeit, dass wirklich jeder lesen konnte, dass der Pilot schlecht ist. Da verwundert es natürlich niemanden, dass die TV Premiere (auf dem Freitagabend Todesslot!) maue Ratings einfuhr.

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
5. Oktober, 2017 11:10

In einer Episode der “Guardians of the Galaxy”-Cartoon-Serie waren die Inhumans ganz ok (da wird imo ungefähr die Geschichte des Piloten erzählt), aber eine ganze Serie mit denen? Der Trailer sah auch schon hundsmiserabel aus, danke für die Warnung.