04
Sep 2017

Das hässliche Ende des Hauses auf der anderen Straßenseite

Themen: Neues |

Ich habe vor acht Jahren einen Artikel über ein Haus geschrieben, auf das man aus dem Dachfenster meines Hauses in Giesing schaut. Ein hässliches Haus mit einem alten Mann im Rollstuhl drin. “Schandfleck des Viertels” habe ich es genannt. Vielleicht ist es sinnvoll, wenn ihr diesen Artikel zuerst noch einmal lest.

Gestern informierte mich ein Freund, dass dieses Haus (und meins, btw.) aktuell in der Süddeutschen Zeitung zu sehen ist:

Das Haus ist weg. Abgerissen. Illegal vermutlich, denn unter Ensembleschutz hätte zumindest die Fassade stehen bleiben müssen. Das war wohl auch in Briefen an die Nachbarn so angekündigt worden.

Die Abendzeitung München berichtet auch drüber:

Hier ist auch ein guter Artikel aus dem Münchner Merkur zu finden.

Nach aktuellem Stand ist es wohl so gelaufen, dass ein paar Bauarbeiter Schmiere gestanden haben, während ein Kollege mit dem Bagger kam – als die Nachbarn von der Aktion Wind bekamen, sind die Schuldigen getürmt. Und das, nachdem ein erster Abbruchversuch zwei Tage vorher von Polizei und Denkmalschutz untersagt worden war. Ein Versehen oder ein Kommunikationsproblem? Wohl kaum. Es wurde alte Bausubstanz mit Vorsatz entsorgt.

Meine ehemaligen Nachbarn sind verständlicherweise entgeistert und wütend, fordern den Wiederaufbau des Hauses. Man engagiert sich und das finde ich gut. Ich solidarisiere mich aus der Ferne.

Meine eigene Meinung ist etwas ambivalenter. Grundsätzlich gilt aber: Unfassbar.

Zuerst einmal, auch wenn es herzlos klingt: Den Abriss als solchen finde ich richtig, Denkmalschutz hin oder her. Das Haus war de facto eine Ruine, stand völlig unpassend zwischen zwei dreistöckigen Mietshäusern und blockierte mit indiskutablen Kleinstwohnungen im Standard von 1940 ein wirklich gutes Grundstück in bester Lage. Für mich war es immer ein gutes Beispiel dafür, wie der überzogene Drang, Gebäude nur aufgrund des Attributs “alt” zu schützen, fehlgeleitet sein kann. Da habe ich keine Nostalgie für übrig, das Viertel hat wahrlich kein Highlight verloren.

Damit stehe ich nicht allein, was mich ehrlich gesagt ein wenig überrascht: Schaut man in die Kommentarspalten der Artikel zum Thema, dann findet man so einige, die sich über den Abriss der Ruine freuen. Was ihn nicht legaler macht.

Ich habe das Haus auch nie als Bestandteil der hübschen Feldmüllersiedlung gesehen. Wie gesagt, es steht zwischen zwei neueren Mietshäusern und gehört als Block damit eher zur Tegernseer Landstraße. Das ist auch gut in der Luftaufnahme bei Google zu sehen – die roten Dächer sind die geschlossene Feldmüllersiedlung, die Obere Grasstraße 1 steht klar getrennt davon:

Aber das ist nur meine Meinung. Sie wird weder von den Menschen in der Nachbarschaft noch von der Stadt München geteilt. Und schon gar nicht vom Gesetz, weil “richtig” noch lange nicht “legal” ist.

Natürlich kotzt mich an, was hier passiert ist. Da hat jemand das Haus (das seit ein paar Jahren leer stand) aufgekauft und es nun beseitigt, um dort eine lukrative Neuimmobilie hochzuziehen, sicher nicht unter drei Stockwerken.

Vom Standpunkt des Investors eine klare Sache. Weg mit Schaden. Das lohnt sich.

Wieviel skrupelloser Vorsatz und vermutlich auch kriminelle Energie dahinter stecken müssen, um gegen das explizite Verbot von Polizei und Amt so eine Aktion durchzuziehen, kann man sich kaum vorstellen. Hier hat jemand sehr offensichtlich den Profit vor das Gesetz, die Geschichte und vor allem auch den Anstand gestellt. Da zeigt der Kapitalismus sein ganz hässliches Gesicht. Geld hat kein Gewissen.

Aber passiert ist passiert. Was nun? Auch da ist die Lage nicht so eindeutig, wie man es sich wünschen würde. Natürlich sind die ersten Rufe aus der Lokalpolitik laut geworden, das alte Haus müsse neu aufgebaut werden, aus denkmalschützerischen wie erzieherischen Gründen. Was wäre damit erreicht? Der Neubau wäre, selbst wenn er dem Original ähneln würde, immer noch ein Neubau. Das Original ist unwiederbringlich verloren und die Stadt hat ja die Aufgabe, alte Häuser zu schützen – nicht alt aussehende. Fake bleibt Fake und trägt nicht zum historischen Vermächtnis bei.

Bei aller Wut über den (vermutlich/offensichtlich) illegalen Abriss: Rein optisch würde ein dreistöckiger Neubau besser in die Straßenzeile passen und dringend benötigten Wohnraum schaffen. Rache ist kein guter Ratgeber, Pragmatismus schon.

Nun kann es aber nicht sein, dass so ein ungenehmigter Abriss aus pragmatischen Erwägungen durchgewunken wird. Das wäre ein skandalöser Präzedenzfall – schon um der Abschreckung wegen muss die Stadt mit aller Härte und allen gesetzlichen Mitteln zeigen, dass solche Methoden nicht profitabel sind. Sonst ist Giesing morgen überall. Versehen, Missverständnis, Unfall – shit happens.

Glaube ich, dass die Stadt mit der notwendigen Härte vorgehen kann und vorgehen wird? Leider nicht.

Hier mein rein fiktives Szenario für die nächsten Monate.

Zuerst einmal muss ein Täter identifiziert werden. Da kann der Bauherr leicht sagen, er habe das so nicht gewollt, es ist nie von Abriss die Rede gewesen. Aber irgendwie muss da einem Subunternehmer was falsch kommuniziert worden sein – und der ist leider wieder in Rumänien und seine Firma pleite. Ärgerlich, aber man übernimmt natürlich die Verantwortung und zahlt großzügig eine Strafe im fünfstelligen Bereich, die langfristig einen siebenstelligen Profit sichert. Die Stadtverwaltung kann damit argumentieren, den Abriss “hart bestraft” zu haben. Die Wut der Nachbarn wird sich mangels Alternative legen. Das Kalkül des Investors ist aufgegangen.

Ich bin gespannt – und hoffe, dass ich falsch liege.



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heino
heino
4. September, 2017 09:26

Sowas passiert leider immer wieder mal. Haribo hat z.B. vor einigen Jahren die eigene Firmenzentrale trotz Denkmalschutz und entsprechenden Abkommen mit der Stadt Bonn auch abgerissen und es hinterher als Unfall dargestellt. Ich habe jetzt leider auf die Schnelle keinen Artikel dazu gefunden, aber das hat zumindest im Bonner Umkreis damals ziemliche Wellen geschlagen.

pa
pa
4. September, 2017 09:52

Schade um solche Machenschaften, kenne ich aber auch aus meiner Stadt. Da stand ein altes Kino, 4-stöckiges Gebäude aus den 20-30er Jahren mit netter runder Eckfassade, das in den letzten Jahren aber nur noch von einer Sekte benutzt wurde. Wurde dann endlich aufgekauft um es in ein Bürogebäude zu verwandeln. Es gab natürlich strikte Auflagen, die historische Fassade zu erhalten. Nach dem Abriss stand dann auch noch nur ein Teil der Eckfassade. Die muss dem Bauherrn dann aber trotzdem noch ein Dorn im Auge gewesen sein, denn während der Arbeiten berührte der Baggerführer “aus Versehen” das Teil, das wurde “instabil” und “musste” abgerissen werden. Tollerweise hatte der Bauherr aber sofort neue Architektenpläne zur Verfügung die ohne die historische Bausubstanz auskamen.

Fake
Fake
4. September, 2017 10:12

Das mit dem Denkmalschutz kenn ich auch von Verwandten aus Brandenburg. Dort gibt es traditionelle (Klein)Bauernhöfe mit Scheunen auf dem Hof, die ein paar 100 Jahre alt und meist Denkmal geschützt, da die Dank der Nutzung bis nach dem 2.WK im meist Originalzustand sind. Alle Erben, deren Vorfahren die Dinger nicht schon abgerissen oder stark modifiziert/umgebaut haben, haben nun das Problem die Gebäude sinnvoll zu nutzen (da keine Bauern mehr) und der Denkmalschutz keinen Ausbau als Wohnung oder Garage (Brandschutz) usw zulässt. Wer die nicht doch irgendwie verwendendet kriegt hat nur eine legale Möglichkeit: Zaun drumrum, ein paar Jahrzehnte warten bis das Ding in sich zusammenfällt und dann die “Bauschuttbeseitigungsgenehmigung” besorgen.
Was die juristische Seite betrifft hat der Wortvogel höchstwahrscheinlich Recht: Zur Gewinnabschöpfung müsste man den Vorsatz nachweisen und das jmd aus Fahrlässigkeit keinen Gewinn erzielen darf gibt es wohl im deutschen Recht nicht.
Als Beispiel fällt mir ein privater Fernsehsender ein, der bei einer Boxsportübertragung die erlaubten Werbezeiten überschritt und “Strafe” zwar happig aber trotzdem nur ein Bruchteil der Mehreinnahmen aus der Gesetzesverletzung betrug.

Fake
Fake
4. September, 2017 11:17

Das scheint vorallem ein Problem der Interpretation der Gesetze durch die Denkmalschutzbehörden zu sein. In einer Reportage hab ich mal gesehen wie eine Schweinestall von 15xx, der 17xx zuletzt umgebaut wurde, in eine Art Einfamilienhaus umgebaut wurde. Dabei wurden innen Zwischenböden, Zwischendecken und Trockenmauern so angebracht das die die Originalsubstanz nicht verändert und konserviert wurde – zur Not könnte man alles “spurlos” wieder ausbauen. Die Behördenvertreter fanden es es zwar schade, das die uralten Balken und Fachwerkskonstruktion innen fast nicht mehr sichtbar waren, aber eine Nutzung des Gebäudes bedeutet dessen Erhalt und wie gesagt, die Originalsubstanz bleibt ja erhalten.
Ein kleiner Streitpunkt waren die Fenster aber die Behörde akzeptierte das die Fensteröffnungen Original, aber die Fenster keine 100 Jahre alt sind und so durften moderne Doppelglasisolierfenster, die optisch auf alt getrimmt waren, eingebaut werden.
Die Gemeinde bezahlte die Restaurierung – im wesentlichen den Rückbau späterer Baumaßnahmen, z.B. die Entfernung einer äußeren Putzschicht aus den 1950er und das ganze kostete den Bauherrn soviel wie ein gleichgroßes Einfamilienhaus. Der meinte am Schluss sogar etwas Geld gespart zu haben, den hätte er den Stall abreißen dürfen, hätte er den Abriss zusätzlich bezahlen müssen 🙂

Tante Jay
4. September, 2017 13:14

Nein, hast du nicht. Das wird exakt so passieren. Weil Denkmalschutz eben nur die bindet, die sich dran halten und die Häuser wieder aufbauen wollen.

Wem das wumpe ist, der kann problemlos die Strafe zahlen, der Kämmerer freut sich über ein hübsches Plus im Säckel und alle sind zufrieden.

Wenn man für einen Zeitraum X die Miete komplett als Strafe (mindestens 10 Jahre) abgreifen würde, wäre das existenzbedrohend und DANN würden die Leute anfangen zu überlegen.

Oder aber das Grundstück wird automatisch eingezogen, wenn so ein Verstoß vorliegt und dann erneut verkauft.

Es gibt Möglichkeiten – aber gewollt sind die eher nicht.

DJ Doena
DJ Doena
4. September, 2017 13:47

“Fake bleibt Fake und trägt nicht zum historischen Vermächtnis bei”

Erzähl das mal einer den Berliner Stadtschloss-Wiederaufbauern…

S-Man
S-Man
5. September, 2017 22:22

Ich verstehe es nicht. Zumal es Volksabstimmungen gab, die gegen den Aufbau entschieden.

Und warum musste der Palast der Republik weg? Er war ebenso ein bedeutender Teil der Berliner und Deutschen Geschichte. Er hätte saniert und wunderbar als Museum oder sonstwas funktioniert… Hässlich ja, aber bestimmt nicht weniger geschichtsträchtig als das Schloss.

Schlösser haben wir wirklich schon genug. Und der Aufbau ist ja auch hauptsächlich nur Fassade, innen wird ja viel modern gemacht…

Ok, genug OffTopic

Sigur Ros
Sigur Ros
6. September, 2017 08:38

Immerhin wird der illegale Abriss dem Verursacher wohl sehr teuer zu stehen kommen: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/giesing-was-dem-bauherrn-nach-dem-illegalen-abriss-in-giesing-droht-1.3654392

Ich bin da ja zwiegespalten – ja, das Haus war nicht schön und sichtlich heruntergekommen, aber sollte man nicht auch gerade solche Bauten erhalten, da sie perfekt unperfekt sind und zeigen, dass alte Gebäude eben keinesfalls immer perfekt waren, aber gerade dadurch auch historischen und Erhaltungswert haben? Ich find’s jedenfalls trotzdem schade um dieses Häuschen. Sehr treffend auch dieser SZ-Kommentar : http://www.sueddeutsche.de/muenchen/gentrifizierung-der-abriss-in-giesing-ist-eine-kampfansage-an-die-gesellschaft-1.3652648

Iucabrasi
Iucabrasi
6. September, 2017 16:18

Hallo erstmal.Lese gern die Artikel und Kommentare.
Ich bin auch zwiespältig in meiner Meinung.
Was wäre die Alternative gewesen.Ein Haus renovieren,das kein Mensch bewohnen möchte.
Das erinnert mich an die Szene aus “State of Grace”,wenn Gary Oldman und Sean Penn einen warmen Abriss veranstalten.

Iucabrasi
Iucabrasi
6. September, 2017 16:30

Eine Frage an dich Wortvogel.
Da sind ja Verlinkungen zur SZ.
Ich hab sie früher sehr gern gelesen.
Wegen der genialen Filmkritiken von Michael Althen.Das Feulleton unter Joachim Kaiser.Der Sportteil usw.
Aber seit einiger Zeit geht mir die Zeitung mächtig auf den Keks.
Bin ich Prantl-gefoltert oder jetzt alt genug für die FAZ.
Bin ich der einzige dem es so geht?

DJ Doena
DJ Doena
6. September, 2017 17:54

Für mich ist die SZ aus anderem Grund keine Adresse: Keine Kommentarsektion. Eine Zeitung deren Artikel man nicht mit anderen Mitlesern kommentieren kann, ist heute völlig wertlos für mich. Aus der Passiv-Konsumenten-Phase bin ich rausgewachsen. Argumentum ad verecundiam gestehe ich heutzutage nur noch sehr wenigen Leuten zu. Journalisten gehören nicht mehr dazu.

lucabrasi
lucabrasi
6. September, 2017 18:42

Entschuldige Wortvogel.
Dachte, das du als ehemaliger Bürger von Minga auch betroffen bist vom Niedergang einer einst grossen Zeitung.

Nadine
Nadine
16. Januar, 2018 17:08

Hallo zusammen,

danke für den sehr interessanten Beitrag über Abbrucharbeiten.
Unsere altes Haus muss auch abgerissen werden, da es schon sehr alt ist. Hierfür benötigen wir einen Container.

Grüße
Nadine