28
Aug 2017

Watching (16): The Red Pill

Themen: Film, TV & Presse |

Es gibt selten Dokumentationen, die mein Weltbild vielleicht nicht verändern, aber doch die Perspektive verschieben. Aber nun habe ich mal wieder eine gefunden – eine, die ich eigentlich in langer schlafloser Nacht nur mal kurz an-schauen wollte, bei der ich dann aber zwei Stunden lang gefesselt dran geblieben bin.

Es ist bekannt, dass ich zwar ein glühender Verfechter des klassischen Feminismus bin, aber massive Probleme mit der intersektionellen „all inclusive but white males“-Szene habe. Ich verachte die gruppenspezifischen Wortneuschöpfungen, die nur zur Verhinderung von Diskussion dienen, ich lehne das Konzept des „white privilege“ ebenso ab wie die Behauptung einer „rape culture“. Wie in vielen politischen und sozialen Bereichen wird der Konflikte so lange in die Extreme verschoben, bis es nicht mehr um Lösungen geht, sondern nur noch um Macht, die Verteilung von Pfründen, und die Diskreditierung der Gegenseite.

Das wird kaum besser illustriert als in „The Red Pill“, einer Dokumentation, die eigentlich das „Men’s Rights Movement“ aus feministischer Sicht kritisch beleuchten sollte, zur Überraschung der Filmemacher aber zu einem Plädoyer für eine neue Verständigung zwischen den Geschlechtern mutierte – und für eine neue Sicht auf die Machtlosigkeit der Männer und ihre institutionalisierte Täterrolle.

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Was „The Red Pill“ auszeichnet, ist die Ruhe, die Mühe, sich offen anzuhören, was diejenigen zu sagen haben, die angeblich das Sagen haben, aber nie gehört werden. Statt (nur) plakativ kreischende Feministinnen und sozial abgestürzte Männer zu zeigen, wird den Mechanismen des “gender war” nachgespürt. Es geht es nicht um den argumentativen Endsieg gegen den modernen Feminismus. Im Gegenteil: es geht darum, dass Feminismus und MRA eigentlich die gleichen Ziele haben: ein Ende von Gewalt in Beziehungen, Fairness zwischen den Geschlechtern, gleiche Rechte vor dem Gesetz und in der Gesellschaft. Es wird allerdings auch schmerzhaft offensichtlich, wer diese Ziele zum Zweck der Machterlangung aufgekündigt hat…

Mich hat außerdem das Konzept des „Myth of Male Power“ fasziniert und ich werde mir das gleichnamige Buch sicher besorgen. Die zugrunde liegende These lautet, dass die Dominanz des Mannes in der westlichen Kultur auch von ihm selber nicht gewollt wurde und in der Konsequenz ein Rollenbild des „disposable male“ erzeugt hat, demzufolge Männer ersetzbares Kanonenfutter sind („Frauen und Kinder zuerst!“).

Natürlich ist „The Red Pill“ nicht allumfassend und blendet um seiner Narrative willen einige wichtige Punkte aus. So konterkariert die Aggression der Männer in sozialen Netzwerken durchaus die hier dargestellte Harmlosigkeit der Bewegung. Deren Aggressionen deuten vielleicht nicht auf eine „rape culture“, aber zumindest auf ein „rape mindset“ hin. Das wird weitgehend ausgeblendet.

Ich halte auch das „Red Pill“-Konzept für problematisch, denn so attraktiv es in einem Fall wie diesem klingt (öffne deine Augen, mach dich frei für eine neue Weltsicht), so sehr lässt es sich für jeden Verschwörungsquatsch kapern. Es ist eine sinnleere Phrase. Auch Flachweltler können von der „Red Pill“ faseln.

Das ändert aber nichts daran, dass „The Red Pill“ eine faszinierende Dokumentation über das Rollenverständnis von Männern ist, über deren Defizite und Probleme – und dass der aktuelle Feminismus dabei nicht gut wegkommt. Als Debattenbeitrag kann ich den Film gar nicht wärmstens genug empfehlen – auch wenn die Reaktionen auf ihn fürchten lassen, dass ernsthafte Debatten nicht zustande kommen:

https://www.youtube.com/watch?v=xvLsslFEv7k

So etwas macht einen wirklich fassungslos – “wir haben den Film nicht gesehen, würden aber gerne kritisieren, was wir ihm unterstellen, auch wenn das nicht stimmt – RECHTFERTIGE DICH DAFÜR, DU DUMMES STÜCK!!!”:

Kriegen wir das hier besser hin?



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Tante Jay
28. August, 2017 14:45

Ich bin schon recht lange der Auffassung, dass der klassische Ansatz: “Frauen unterdrückt und müssen befreit werden” vs. “Männer sind Schweine” nicht stimmt.

Die Zeit des Gießkannen-Feminismus ist vorbei. Es geht nicht um die magischen “21% paygap” die eh nicht stimmen, das ist lange widerlegt, aber als Argument nicht totzukriegen.

Es geht darum, dass wir uns bestimmte Dinge, Mechanismen genauer angucken. Und dann ein Feintuning betreiben. Das ist die schwierigere Arbeit, weil sie genau dahin geht, wo es weh tut: In die Weltbilder.

Beispiele?

Beschneidung von Kindern bzw. Beschneidung allgemein.

Bei Mädchen ist das absolut und ohne Ausnahme verboten. Selbst eine erwachsene Frau, die sich frei entscheidet, in einer klinischen Umgebung unter Narkose eine Beschneidung durchführen zu lassen, kann das nicht tun.

Es wird immer unterstellt, dass Frauen sich *NUR* so entscheiden würden, weil sie Druck von der Familie bekommen. Und davor muss man sie schützen.

Und jetzt Jungen/Männer: Es gibt sogar einen Paragraphen (1631 d BGB), der es explizit Nicht-medizinischem Personal erlaubt, Jungen zu beschneiden. Keinerlei Schutz.

Erwachsene Männer werden nur selten über die Folgen einer Beschneidung aufgeklärt oder darüber, dass es Alternativmethoden gibt.

Beispiel Burkha/Niqab/Kopftuch:

Es wird immer automatisch unterstellt, dass keine Frau so etwas freiwillig tragen würde. Es wird immer unterstellt, dass die Familie Druck ausübt und sie darum von dem Stück Stoff befreit werden muss.

Ich komme jetzt nicht damit, dass meine Großmutter Zeitlebens draußen immer Kopftuch trug.

Diese Unterstellung ist, genau wie bei der Beschneidung, pure Entmündigung im Namen der Befreiung.

Man kann hinterfragen, welches Mindset eine Frau hat, die diesen Weg gehen will. Ob sie genug informiert ist. Aber wenn sie sich entscheidet, etwas zu tun, dann ist das IHRE Entscheidung. Und die ist zu respektieren.

Was ich hier sehe ist eine ultimative Respektlosigkeit, die auf feministischer Seite Frauen abspricht, für sich selbst zu entscheiden, was Feministin niemals für sich entscheiden würde.

Beispiel Sorgerecht:

Nach wie vor hat ein Mann, der sich um das alleinige Sorgerecht eines Kindes bemüht, nur geringe Chancen, das auch durchzusetzen.

Ich hab irgendwo den Fall im Hinterkopf, wo das Jugendamt das Kind lieber in eine Pflegefamilie gegeben hat anstatt zum Vater und wo nach dem erwartbaren Urteil “Gebt sofort das Kind zurück” mit allen Mitteln zurückgepfeffert wurde. Inklusive Gutachten, dass das Kind sich jetzt “eingelebt” hätte und eine erneute Herausnahme schädlich wäre.

Das ist durchaus ein legitimer Kritikpunkt, der gerne gerade von den Küken-Feministinnen (Humboldt-Uni, 20 Jahre alt), verneint und mit Shitstorms niedergebrüllt wird.

Rape-Cultur gibt es durchaus übrigens. In Indien.

Tante Jay
28. August, 2017 15:08

Indien hat wirklich ein Vergewaltigungs-Problem. Frauen und Mädchen sind hier “disposable”, wertlos. Weibliche Föten werden gezielt abgetrieben, weil die Mitgift und die Ausrichtung der Hochzeit Familien an den Rand des Ruins treiben kann.

Frauen haben einfach häufig keinen Wert außer der persönlichen Beziehung als Tochter oder Wertanlage. Einige wenige können sich freischwimmen. Aber die generelle Situation der Frauen gerade im ländlichen Bereich ist nicht gut.

Davon ab:

Im Westen: Nein, das ist keine “Rape-Culture”. Es gibt allerdings ein großes Respektsproblem. Schlechtes Benehmen und einfache Kriminalität.

Aber wenn man die Statistiken sieht, Deutschland hat ein 10-Jahres-Tief an Vergewaltigungsfällen. Ich glaub, irgendwas um 9 Fälle pro 100.000 Einwohner. Sind immer noch viele, aber weiiiiit entfernt von “Rape culture”.

Ich sehe aber, dass die Opferrolle durchaus ritualisiert benutzt wird, um Rechte zu bekommen, die nicht zustehen.

Kurz eingeworfen, ich bin bei 11:53: “His body, his choice” – das ist genau das, was ich oben mit der Beschneidung eingeworfen habe.

Jungen werden 24 Stunden nach der Geburt beschnitten. Ohne Betäubung in einer furchtbaren Operation, die um die 20 min. dauert und die Kinder zutiefst traumatisiert zurückläßt.

“Her body, her choice” – absolut in Ordnung.
“His body, his choice” – nicht. Weil ein beschnittener Junge besser geschützt vor STDs ist und so seine Partnerin nicht anstecken kann.

Nein, dass Argument ist nicht gerade aus dem Arsch gezogen, dass wird so tatsächlich propagiert.

Tante Jay
28. August, 2017 15:10

Allgemein wird mir der Vergewaltigungsbegriff derzeit zu weit ausgedehnt auf alle möglichen Begebenheiten.

Gerade wurde ein Mann in den USA wegen Vergewaltigung und Betruges verurteilt. Was er gemacht hat? Den Frauen ne Millionenkarriere als Sexdarstellerin versprochen, wenn sie mit ihm ins Bett gehen.

Urteil: 10 Jahre Knast.

Tante Jay
28. August, 2017 15:30

Kann ich nicht. Weil es eben nichts anderes als einen massiven Backslash geben kann.

Ich frag mich ja immer, wie man so dumm sein kann.

Apropros Dummheit:
Hier ist ein Teenager der sich als Opfer darstellt. Ich bin immer noch fassungslos dass der 10 Jahre gekriegt hat.

http://fox4kc.com/2016/10/25/victim-of-mario-antoines-alleged-pornographic-film-extortion-scheme-describes-falling-into-his-trap/?fref=gc

Tante Jay
28. August, 2017 17:23

Das ist ein Medienproblem. Natürlich tut es das – weil sich das halt verkauft.

Generell fliegen Lesben und Transmänner aber irgendwie unterm Radar durch. Schwule und Transfrauen aber nicht.

Die leben echt gefährlich.

Mencken
Mencken
29. August, 2017 15:23

Ich halte das “Men’s Rights Movement” eigentlich für eine zahlenmäßig ziemlich unbedeutende Gruppe (wie ihr feministisches Gegenstück auch), die hauptsächlich als Social Media Thema Beachtung findet, weil nahezu immer Clickbait geliefert wird.

Bin mir nicht so sicher, dass jeglicher Diskussion über Rollenverständnisse, Geschlechterverhältnisse usw. damit gedient ist, von einer Betrachtung des eher extremen Rands auszugehen.

Kenne den Film aber nicht, insofern mag das in diesem Fall durchaus ein guter Ansatz sein.

Hapi
Hapi
29. August, 2017 23:36

Danke für den Hinweis. Den Film konnte ich mir allerdings nur in Etappen anschauen. Gewünscht hätte ich mehr Fragen der Dokumentarfilmerin an die Männerrechtsaktivisten, wie sie zu Frauenrechten stehen. So bleibt teilweise offen, ob sie nicht lediglich ein Gegenstück zu einer einseitigen Frauenrechtsbewegung sind oder aber für eine Gleichberichtigung der Geschlechter stehen.

P.S. Die Rothaarige an der Ottawa University hat mich zur Weißglut gebracht, wie kaum jemand sonst.

invincible warrior
invincible warrior
30. August, 2017 06:38

In den USA ist anscheinend zur Zeit eine sehr ungesund gewordene Diskussion über Diversität ausgebrochen. Die Wortführer sind vielleicht nicht zahlreich, aber leider sehr laut. Besonders LGBT und Feminism sind da immer weit vorne, ohne imo wirklich benachteiligt zu werden. Schwarze und Latinos dagegen haben definitiv nach Akzeptanzprobleme. Und das hat sich nicht erst seit Trump so entwickelt, allerdings ist Trump und seine Politik sicherlich nicht beschwichtigend in der Diskussion.

Wegen benachteiligter Männer muss man nicht unbedingt in die USA schauen.
Bekanntheit erlangte ja das Schicksal um Horst Arnold, dessen Leben konsequent zerstört wurde durch die Anschuldigungen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Justizirrtum_um_Horst_Arnold
https://www.youtube.com/watch?v=P8nnF-iNkc0
Der bekannteste Fall ist aber natürlich Jörg Kachelmann, dessen Ruf auch vernichtet wurde. Wie man letztens ja sogar noch sehen konnte, behaupten manche Feministinnen immer noch, er hätte den Missbrauch begangen. https://www.youtube.com/watch?v=07i73dNwmoQ
Dem gegenüber stehen aber leider auch abertausende Fälle, wo eine Frau aus irgendwelchen Gründen nicht zur Polizei geht.

Wegen der Rape-Culture in Indien: Natürlich maßlos vereinfacht! Indien ist ein riesiges Land und wie in Europa gibt es da gewisse kulturelle Gruppen, die Frauen als nicht so wertvoll wie Männer sehen oder besser meistens sahen. Aber das heißt nicht, dass das alles direkt zu einer Rape-Culture führt! Arschlöcher vergewaltigen Frauen, aber nicht jeder ist ein Arschloch! Habe genug indische Kollegen (aus allen Kulturkreisen), die ihre Töchter genau so viel lieben wie ihre Söhne. Alles entwickelt sich und Vergewaltigung war nie ein Kulturphänomen, sondern nur ein Mittel von Machtausübung und/oder Arschlöchern.
In Indien gibts übrigens als Höchststrafe für Vergewaltigung die Todesstrafe, die auch gerne auf Jugendliche angewandt wird.

Was auch noch zum Thema passt:
https://www.vice.com/de/article/gyvzqw/versaute-klassenfahrt-und-sex-lehrerin-wie-medien-ueber-missbrauch-durch-frauen-reden
Während Männer, die Sex mit Jugendlichen haben, kulturell unten durch sind (ganz egal wie angeblich einvernehmlich es war), werden Frauen, die Jugendlichen beinahe zugejubelt. Was es den Opfern natürlich auch nicht viel leichter macht dagegen vorzugehen.

Mencken
Mencken
30. August, 2017 11:41

@Torsten: Ich dachte immer, die ganze “Red Pill” Nummer stammt aus dem extremen Rand und die moderateren MRA-Gruppen würden sich davon distanzieren. Ist dann zumindest ein unglücklich gewählter Filmtitel, ich z.B. hätte mir den Film aufgrund dessen vermutlich nicht angesehen.

Mencken
Mencken
30. August, 2017 14:35

@Torsten: Ja, den “Matrix”-Hintergrund kenne ich natürlich, aber popularisiert und auf Geschlechterdiskussionen übertragen wurde dieser meines Wissens erst durch die Pick-Up Artists und eben reddit und 4chan.

Selbst wenn man da von einem Missbrauch ausgeht (was ich angesichts der Implikationen schon zweifelhaft finde), ist der Begriff zumindest mittlerweile ziemlich untrennbar mit dem extremen Rand verknüpft.

ben_
18. September, 2017 10:36

Mal ne ganz pragmatische Frage: Wo hast Du den Film eigentlich gesehen? Auf Google Play ist er derzeit nicht verfügbar und auf Amazon findet man den nicht einmal .

ben_
19. September, 2017 14:26
Reply to  Torsten Dewi

Hmmm … doof. Das scheint mir doch etwas viel Aufwand zu sein, nur um den Film zu sehen, hehe.