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Mai 2017

ESC 2017: Nachgedanken und Fazit

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Okay, weil heute anscheinend jeder noch mal den ESC rekapituliert, hier meine 2 Cents:

Ein guter Jahrgang, in dem deutlich mehr regionale Aspekte und Lokalkolorit präsentiert wurden. Ich begrüße die geringere Anzahl an Power-Balladen und Faux-Musical-Nummern, bei denen Damen in langen Kleidern melodramatisch die angespannten Hände gen Himmel strecken. Diesmal keine reine Gag-Nummer. Tolle virtuelle (durch reale Requisiten ergänzte) Bühnenbilder.

Auf der Minus-Seite: Entsetzliche Moderatoren. Die zweigeteilte Punktevergabe ist scheiße, bitte zurück zum alten System.

Ich kann mit dem Siegersong gut leben, habe die vielleicht einen Tacken zu hippe Heulnummer gestern so beschrieben: “Ein Song, zu dem ich in einsamen Nächten weinen werde und der mich versteht, obwohl ich ihn nicht verstehe. Wie die Frauen.”

Persönlich hätte ich Schweden, Moldau oder Italien genau so gerne auf dem Siegertreppchen gesehen.

Gehen wir die Teilnehmer mal durch:

1 Israel – Imri Ziv – I Feel Alive
Entsetzlich generischer Castingshow-Pop mit einem entsetzlich generischen Sänger. Genau das, wogegen sich der Sieger in seiner Dankesrede ausgesprochen hat.

2 Polen – Kasia Moś – Flashlight
Die erste Powerballade, leider gänzlich ohne “hook” or nennenswerte Steigerung. Standard.

3 Weißrussland – Naviband – Story Of My Life
Kann man mitreißend und frisch finden, mich hat’s entsetzlich genervt.

4 Österreich – Nathan Trent – Running On Air
Generisch wie der israelische Beitrag, aber mit Ohrwurmqualität und einem sympathischen Sänger.

5 Armenien – Artsvik – Fly With Me
Ist nicht so meins. Sehr angestrengt. Aber die blonde Background-Tänzerin war klasse, erinnerte an George Michael- und Bryan Ferry-Videos.

6 Niederlande – O’G3NE – Lights And Shadows
Wilson Phillips sind wieder da? Sehr glatter, aber sehr schön emotionaler Pop. Ein Radiohit.

7 Moldau – SunStroke Project – Hey, Mamma!
Einer meiner Favoriten, mit sehr viel Spaß und Schmackes vorgetragen.

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8 Ungarn – Joci Pápai – Origo
Großes Drama. Vielleicht nix für die Charts, aber von solchen Kleinoden lebt der ESC.

9 Italien – Francesco Gabbani – Occidentali’s Karma
Hätte gewinnen können und vielleicht sollen. Sehr lässig, sehr lebensfroh.

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10 Dänemark – Anja Nissen – Where I Am
Eine in allen Bereichen übergroße Sängerin mit einem zu kleinen Song.

11 Portugal – Salvador Sobral – Amor pelos dois
Mutig, sperrig, wunderschön.

12 Aserbaidschan – Dihaj – Skeletons
Kunst. Kalt. Arrogant. Wäre auf der Documenta besser als auf dem ESC.

13 Kroatien – Jacques Houdek – My Friend
Beeindruckende stimmliche Leistung, aber ansonsten eher dünn.

14 Australien – Isaiah – Don’t Come Easy
Ich stehe nicht auf Teen-Traumboys und der hier wurde erheblich zu selbstverliebt inszeniert, aber der Song ist ein echter Ohrwurm.

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15 Griechenland – Demy – This Is Love
Schöne Frau, schönes Lied, schönes Kleid, aber in der Summe viel weniger beeindruckend als erwartet.

16 Spanien – Manel Navarro – Do It For Your Lover
Surfer-Dudes. Ging gar nicht. Verdient letzter Platz.

17 Norwegen – Jowst – Grab The Moment
Für die ganze “dark electro”-Präsentation war der Song selbst zu soft.

18 Großbritannien – Lucie Jones – Never Give Up On You
Noch eine Power-Ballade, bei der ich der Sängerin wünschen würde, dass sie ihre Mimik besser in den Griff bekommt.

19 Zypern – Hovig Demirjian – Gravity
Keine große Nummer, aber catchy und mit Verve. Darf im Radio laufen.

20 Rumänien – Ilinca feat. Alex Florea – Yodel It!
Meine Frau fand’s entsetzlich, ich habe mich köstlich amüsiert, was sicher auch an den Beinen der Sängerin gelegen hat.

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21 Deutschland – Levina – Perfect Life
In jeder Beziehung nett. Und das reicht halt nicht. Trotzdem wären ein paar Punkte mehr drin gewesen. Deutschland hat aktuell wenig Freunde in Europa.

22 Ukraine – O.Torvald – Time
Das Rock-Feigenblättchen. Solide.

23 Belgien – Blanche – City Lights
Der Song gut, aber die Sängerin zu schwach. Mir egal, ob das als Kontrast Konzept gewesen sein soll.

24 Schweden – Robin Bengtsson – I Can’t Go On
Robin Thicke is alive and well in Sweden. Sehr smooth, sehr arrogant, sehr trendy. Ich wollte es nicht mögen, wurde dann aber mitgerissen.

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25 Bulgarien – Kristian Kostov – Beautiful Mess
Guter Song, gut gesungen, aber der Bengel ging mit entsetzlich auf den Keks.

26 Frankreich – Alma – Requiem
Tres sexy, oh là là!



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6 Kommentare
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frater mosses von lobdenberg
14. Mai, 2017 20:41

Ach, das ist auch schon wieder durch? Oooh, wie konnte mir das nur entgehen!? 😉

Naja, dafür hat gestern hier Conchita Wurst die Wiener Festwochen eröffnet.

Sigur Ros
Sigur Ros
15. Mai, 2017 09:19

Ich fand’s einen eher schwachen Jahrgang – zwar keine wirklichen Ausfälle dabei, aber abgesehen noch am ehesten von Portugal und Moldawien auch wenig musikalisch wirklich interessantes und viel Mittelmaß. Apropos Mittelmaß: Dass der deutsche Beitrag mal wieder so abstank und wir beinahe den Letzer-Platz-Hattrick geschafft hätten, lag sicher vor allem daran, dass er (wie auch schon die Beiträge der letzten Jahre seit Lena) zwischen all den großen Effekten und Performances einfach zu unauffällig war und nicht wirklich hervorstach. Zudem verstehe ich auch nicht, warum jedes Jahr relativ unbekannte Acts gewählt werden, die selbst in Deutschland bis kurz vorher kaum jemand kennt. Warum nicht mal einen relativ bekannten und auch international erfolgreichen Act hinschicken, der zudem auch musikalisch mehr hervorsticht, wie z.B. Milky Chance?

tbee
16. Mai, 2017 13:34

Muss das nicht Salvador Sobral – Amar pelos dois Wobei kommt ja aufs gleiche raus ob Amor oder Amar wir verstehen das 😉

Solus
Solus
17. Mai, 2017 23:17

Als der deutsche Song lief, enthielt auf Twitter JEDER Kommentar das Wort “Titanium” – gepaart mit weiteren Begriffen wie “Sia”, “Guetta”, “stolen” und “lawyers”. Ein paar Leute haben sogar ein Video hochgeladen, wie sie Titanium singen, während im Fernsehen unser Beitrag läuft. Das war doch eine einzige Peinlichkeit und ist völlig zurecht ganz hinten gelandet.

Es bringt halt nichts, in einer einzigen Vorentscheid-Sendung aus einem Pool schlechter + einem halbwegs guten Interpreten Letztgenannten vom Publikum wählen zu lassen und ihm ein radiokompatibles Lied in die Hand zu drücken, das irgendein Produzent noch in der Schublade liegen hatte. Vor allem wenn das auch noch sehr spröde und nichtssagende Charaktere sind, wie im Fall von Levina und Ann Sophie.
Aber selbst mit einem frischen Schon-eher-Persönchen wie Jamie-Lee funktioniert das nicht, wenn man ihr kein Lied auf den Leib schneidert, sondern auch nur einen öden Popsong singen lässt, den man in Richtung “hätte Rihanna so um 2010 gesungen” verorten kann. Denn was auffällt ist, dass Auftritte beim ESC gut funktionieren, wenn Künstler und Song zusammenpassen und damit glaubhaft sind. Das kann der natürliche Knuffiboy sein, der mit seiner Geige allein auf der Bühne fidelt, oder der Kunstfuzzi mit der Pianoballade in Landessprache, oder auch der durchgestylte Popstar mit dem durchgestylten Poplied. Aber dann muss es eben auch der Popstar sein, und keine charismalose Dame, und der Popsong sollte zumindest nicht im ersten Takt wie ein bekannter Hit klingen.

Das Problem ist letztendlich, dass wir mit Lena auch einfach Glück hatten. Da war plötzlich diese junge Dame mit großer Ausstrahlung, und dann war da noch in diesem kümmerlichen Liedpool, den man ihr im Finale auftischte, zufälligerweise ein fieser Ohrwurm, der in seiner Weiblich-jung-verpeiltheit perfekt auf Lena gepasst hat. Aber das klappt eben nicht gleich wieder, und wenn Deutschland beim ESC gut abschneiden möchte, muss dann eben auch mal ein bisschen Arbeit invenstiert werden. Von mir aus wieder mit Casting, aber dann nicht nur an einem Abend, sondern wie damals über vier Monate hinweg, sodass sich der junge Künstler in seinem Charakter und Fähigkeiten erstmal entwickelt kann. Und dann braucht man eben noch zwei, drei Produzenten, die begleitend bis zum Finale den Teilnehmern jeweils ein, zwei Lieder auf den Leib schneidern. Ob das zum Sieg reicht, hängt dann natürlich immer noch vom restlichen Teilnehmerfeld und der allgemeinen Zuschauerstimmung am ESC-Abend ab, aber eine gute Platzierung wäre damit auf jeden Fall drin. Oooooder wir hoffen eben weiter einfach auf den nächsten großen Zufallstreffer und verwenden ansonsten den ESC-Abend zur Promotion für das neue Helene Fischer Album oder all den anderen deutschen Schlagerstars, die praktischerweise auch immer in der deutschen ESC-Jury sitzen. Der verschnarchten deutschen Musikindustrie wäre Letzeres wahrscheinlich weitaus genehmer. Für einen deutschen Künstler, der nach einem Erfolg plötzlich international vermarktet werden müsste, hätte man ja schließlich auch gar keine Ressourcen…

Stuckimann
Stuckimann
18. Mai, 2017 17:35

@Solus: full ack.

@Wortvogel: das Siegerlied ein bisschen zu hip? Nope. Stattdessen leise, intim, mutig. Ansonsten gute Zusammenfassung unter Außerachtlassung aller queeren Aspekte des ESC 😉

Sigur Ros
Sigur Ros
22. Mai, 2017 17:18

@Solus: Ja, trifft es schon ziemlich perfekt. Um beim ESC zu gewinnen, braucht man in der Tat die richtige Mischung aus Perönlichkeit, gutem Song, guter Show und Gespür für Trends und Zeitgeist, wie sie Lena damals hatte. Ansonsten gilt halt auch, dass Mut belohnt wird und man auch mit mit einem “etwas anderen” Song gewinnen kann, so wie 2006 Lordi oder dieses Jahr das Bübchen aus Portugal. Zudem muss man auch das Glück haben, dass sich nicht der gesamte Ostblock auf einem Song festlegt, denn sonst gewinnt eh wieder Russland, die Ukraine oder Aserbaidschan.