03
Apr 2017

A manly man’s guide to Manchester

Themen: Neues |

Die etwas aufmerksameren Leser werden es gemerkt haben: Das vorige Wochenende haben die LvA und ich in der Geburtsstadt der industriellen Revolution und der Arbeiterbewegung verbracht: in Manchester. Es ist übrigens nicht angebracht, um der political correctness den Begriff WoManchester in Wort oder Schrift zu verwenden.

Generell gilt: eine schöne, kompakte, abwechslungsreiche Innenstadt, die sich gut zu Fuß erlaufen lässt und in der drei kostenlose Metro-Buslinien des kompletten Verzicht auf die kommerzielle Konkurrenz erlauben. Ideal für eine überschaubare wie preiswerte Städtetour demnach.

Wer sich umschaut, findet durchaus noch Ecken wie diese:

Aber das ist nicht typisch. Genau genommen ist nichts “typisch” für Manchester. Spinningfields ist eine dieser renovierten Hafengegenden in Stahlbeton mit Hipsterkneipen und zu teuren Wohnanlagen, direkt neben dem winzigen Chinatown findet sich ein ebenso winziges Schwulenviertel, das hypermorderne “Museum of Football” steht direkt neben dem großartigen “Printworks”-Industriedenkmal (mittlerweile eine Shopping/Fressmeile). So herausgeputzt viele Gebäude sind, stehen sie doch manchmal neben leerstehenden, verfallenden Überresten besserer Zeiten. In vielen Ecken wird man sogar an das alte Manhattan erinnert:

Und so abwechslungsreich wie das Stadtbild ist auch die Bevölkerung. Hippes Jungvolk mischt sich mit der Mittelklasse. Straßenmusiker sind an vielen Straßenecken zu finden. Auffällig ist allerdings die Menge an Obdachlosen, die als “rough sleeper” die Nächte vor Schaufenstern und auf Parkbänken verbringen. Da wird man unfreiwillig auch gerne mal Zeuge einer Schlägerei um eine halbe Coladose (deren Inhalt nicht unbedingt eine halbe Dose Cola zu sein scheint), oder umschifft großräumig die von den Obdachlosen in Gullyrichtung fließenden Lachen sanitärer Herkunft. Wer in Manchester lebt, hat gelernt, es zu ignorieren – das sollte man als Besucher auch tun.

Für Leute, die gerne bei schweren Unfällen stehen bleiben und gaffen, sind die Aufläufe des Jungsvolks am Wochenende glatt Eintritt wert. Während der männliche Mancunian (ja, das heißt so) gewöhnlich unauffällig casual geht, bevorzugt die dralle Mancunesin (nein, das heißt so nicht) den chav-Look. Die korrekte Übersetzung von “Passform” ist hier “Presswurst” und es gilt das Motto: Sitzt es, brauchst du es zwei Nummern kleiner. Schminkutensilien sind Spachtel und Sprühkleber und man geht nicht “on the pull”, bevor man wie durch einen Instagram-Filter gezogen aussieht. Aktuell bevorzugte Stellen für unangemessene Tattoos: Waden und Fußrücken.

Hilfreich bei der zwischenmenschlichen semi-verbalen Kommunikation von Alters her: Alkohol. In Manchester trinkt man gerne verschiedene Sorten Bier und auch deutsche Unternehmen stellen sich drauf ein. Entsprechend das Regalvolumen bei ALDI:

Nicht minder verblüffend: Ein Schoko-Donut kostet beim Discounter gerade mal 19 Pence und zwei Liter Cola gehen für unfassbare 17 Pence über den Scanner:

Entsprechend dieser Trink- und Tanzgewohnheiten lassen sich auch z.B. vor dem Comedy Store am Montag die Überreste der guten Laune besichtigen:

Wem nach gehobenerem Entertainment zumute ist, kann natürlich eines der tollen Museen besuchen, eine spektakuläre Bücherei oder ein Theater. Was mich zu dem Grund bringt, warum wir überhaupt nach Manchester gereist sind. Ich musste im Auftrag eines anonymen Sammlers im Ryland-Archiv alte Folianten durchsehen auf der Suche nach Hinweisen auf einen bisher verborgenen Kult des 12. Jahrhunderts:

Kleiner Scherz. Bin ich Kai Meyer?

Es ging uns primär um dieses Musical, das im “limited run” gerade getestet wird und im Sommer nach London umsiedelt:

Fuckin’ hell yeah!!! Die Story ist dumm wie Brot und die Inszenierung mit “Baz Luhrmann dreht The Riffs 2” ausreichend beschrieben. Ein paar der besseren Steinman-Songs waren bereits an das (auf deutsch unerträgliche) Musical “Tanz der Vampire” vergeben. Aber egal: Hier rockt das Haus, hier kocht der Saal, hier gibt der Cast alles!

Auch ansonsten gilt an jeder Ecke: The 80 are alive and well in Manchester:

Oldschool-Audiophile können sich im Chinesen-Supermarkt denn auch gleich noch mit Musikkassetten eindecken:

Natürlich waren die LvA und ich viel shoppen. Dabei teilt Manchester das “Schicksal” der meisten größeren und kleineren Metropolen, nämlich die unsägliche Austauschbarkeit der Filialisten. Ob Barcelona oder Bielefeld, Mailand oder München, London oder Lissabon: Einkaufsmeile heißt H&M, Starbucks, Subway, Zara, etc. In England kommen Costa Coffee, Pret-a-manger, Waterstones und M&S simply food dazu. Je nach Kaufkraft der Einwohner auch noch Primark und Poundland.

Nichtsdestotrotz fanden wir ein paar hübsche Läden und ich pflege weiter meine Überzeugung, dass man eine ganze Wohnung sensationell dekorieren könnte, wenn man auf Poster verzichtet und sich einfach britisches Geschenkpapier rahmen ließe:

Im Buchladen fiel mir übrigens auch der aktuelle Megatrend in Sachen Frauenroman auf – die historische Romanze der berufstätigen Frau aus kleinen Verhältnissen:

Es ist teilweise erschütternd, wie sehr hier im Namen der “starken, unabhängigen Heldin” die alten Klischees gefahren werden. Allerdings: besser als billionaire porn ist es allemal.

Man kann übrigens sehr gut essen gehen in Manchester, das Angebot ist nicht nur im Andenken an das britische Empire sehr breit gestreut. Unser Geheimtipp in Sachen plüschiges Café – das Erdgeschoss des Annies. Wer nicht viel ausgeben will, dem empfehle ich bei Al-Faisal das Chicken Curry für 5 Euro. Oder die gleichpreisige Box bei Chopstix am Bahnhof. Sensationelles Hühnchen “american style” (24 Stunden in Buttermilch eingelegt) gibt es bei Yard & Coop, exzellent edel frühstücken kann man bei Evelyn’s:

Es gibt übrigens auch ein “Katzen-Café”, in dem man Eintritt bezahlt für 30 Minuten unlimitierte Getränke und den Zugang zu (aber nicht Zugriff auf) diverse blasierte Stubentiger, die sich nur sehr selektiv zu Sympathiebekundungen hinreißen lassen:

Der Wortvogel fand die vier Tage entsprechend:

Manchester bekommt meine uneingeschränkte Empfehlung. Steht man auf Großbritannien, wird man hier vollumfänglich bedient. Nach drei, vier Tagen kann man geschwollenen Fußes behaupten, die Stadt ausreichend zu kennen.

Generell gilt natürlich:



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6 Kommentare
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Dietmar
3. April, 2017 08:24

Neid. Purer Neid von meiner Seite. Steh´ ich zu.

Peroy
Peroy
3. April, 2017 19:43

Dinge, die mir aus diesem Blogbeitrag über Manchester im Gedächtnis bleiben werden:

– Die Cola ist billig.
– Es riecht nach Pisse.
(- Möglicherweise besteht da ein Zusammenhang.)

Den Rest werde ich vergessen.

sergej
sergej
4. April, 2017 11:04

Mit dem Katzenbus zum Katzencafe

https://www.youtube.com/watch?v=f5BxXaliP5M

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
4. April, 2017 15:03

Der Presswurst-Chic ist also nicht nur in London zu Hause 😀 Allein die Bierauswahl lockt, der restliche Reiseeindruck klingt aber auch sehr gut – wird im Hinterkopf behalten.

Martin Däniken
Martin Däniken
5. April, 2017 01:04

Und für die Freunde innovativer TV-Serien der 90er:
Cracker/Für alle Fälle Fitz spielt in Manchester!

sergej
sergej
10. September, 2018 10:16