04
Sep 2012

FFF Movie Mania 2012 (42): Compliance

Themen: Fantasy Filmf. 12, Movie-Mania 2012 |

USA 2012 / 90 MIN / ENGLISCHE OV

REGIE CRAIG ZOBEL
DARSTELLER ANN DOWD / DREAMA WALKER / PAT HEALY / BILL CAMP / PHILIP ETTINGER / JAMES MCCAFFREY

Offizielle Synopsis: Ein ganz normaler Freitag in einem Fastfood-Restaurant – bis ein Anruf die allgemeine Betriebsamkeit stört. Am Telefon ist ein Gesetzeshüter, der Kassiererin Becky beschuldigt, einer Kundin Geld aus der Handtasche gestohlen zu haben. Die dienstbeflissene Filial-Managerin Sandra hat eh schon viel um die Ohren. Besorgt um den reibungslosen Ablauf des Tagesgeschäfts will sie die Angelegenheit schnell und ohne einen öffentlichen Skandal aus der Welt schaffen. Die Frage nach der Legitimation des Anrufers stellt sich ihr gar nicht, zu mal Becky ganz offensichtlich nicht ihre Lieblingsmitarbeiterin ist. So setzt Sandra, den telefonischen Anweisungen des Officers brav folgend, die hübsche Blondine im Hinterzimmer fest – bis ein Polizist verfügbar ist, um sich der Ermittlung persönlich anzunehmen. Während Kunden nur wenige Meter entfernt friedlich Chicken Wings knabbern, beginnt für Becky ein Albtraum. Denn die Stimme am Telefon hat noch einige Schikanen auf Lager, um die fernmündliche, polizeiliche Untersuchung gründlich durchzuführen …

Kritik: Ich würde “Compliance” zugestehen, einer der wenigen Filme zu sein, der das Label “inspired by true events” zu Recht trägt. Zum einen nutzt er keinen banalen Vorfall, um dann absurde okkulte Elemente hinzu zu erfinden, zum anderen ist es der Glaubwürdigkeit der Geschichte dienlich, wenn der Zuschauer sich vor Augen führt, dass es (nicht so, aber so ähnlich) wirklich passiert ist. Denn es ist schwer zu glauben.

Vier, fünf Menschen lassen sich von einer anonymen Stimme am Telefon verleiten, eine junge Frau erst festzusetzen, dann zu demütigen und schließlich sogar sexuell zu missbrauchen. Die Behauptung, ein Polizist zu sein, reicht als Legitimation aus. Niemand verlangt eine tatsächliche Identifizierung, einen Beweis, auch nur einen plausiblen Grund, warum das angeblich gestohlene Geld so dringend gefunden werden muss, dass es sexuelle Übergriffe rechtfertigt. Sind Menschen wirklich so dumm – oder so obrigkeitshörig?

Tatsächlich ist “Compliance” sehr gut darin, ein stimmiges Szenario aufzubauen, in dem kleine Ressentiments und großer Stress aufeinander treffen, versteckte Abneigungen und unterdrückte Geilheit, die sich von einem psychologisch erfahrenen Manipulator leicht ausnutzen lassen. “Ich habe nur getan, was man mir gesagt hat” ist schnell keine Erklärung mehr, sondern ein Deckmantel für bequemes, im wahrsten Sinne verantwortungsloses Abreagieren an der jungen Frau, die das Pech hat, hübsch zu sein und vielleicht eine Zukunft außerhalb des schmierigen Restaurants zu haben.

Das alles ist so quälend langsam und folgerichtig aufgebaut, dass der Film mitunter schmerzhaft anzuschauen ist, auch wenn er oberflächliche Zurschaustellung der körperlichen Grausamkeiten vermeidet. Wir sehen die fast unvermeidliche Eskalation aus dem so banalen Anlass drängen, bis jede Form zwischenmenschlicher Loyalität zerfällt. In manchen Momenten erinnert es an “An American Crime“, in dem die Gewalt auch langsam, fast spielerisch gesteigert wird, weil die Zivilisation eine Weile braucht, bis sie grunzend befreit die Maske endgültig ablegt. Machen wir uns nichts vor: Sandra und Van sind keine Opfer des ominösen Anrufers, sie sind seine willigen Helfer.

“Compliance” geilt sich dabei erfreulich wenig an dem auf, was er anklagt, er macht sich nicht zum Komplizen wie z.B. “Morituris“. Gezeigt wird, was notwendig ist – schockierend ist es primär auf der psychologischen Ebene, die gerade deswegen funktioniert, weil die Darsteller durch die Bank wie aus dem Leben gegriffen gecastet sind ihre Dialoge mit präziser Authentizität liefern. Es fällt schon fast störend auf, wenn im Epilog mit James McCaffrey ein “echtes Hollywood-Gesicht” auftaucht.

Und doch: Nach zwei Dritteln hatte ich ein paar Mal das Gefühl, dass “Compliance” zu offensichtlich blufft, dass er die Empörungsschraube überdreht, bis man trotz aller Glaubwürdigkeit denkt: “Das ist ENDGÜLTIG die Stelle, an der kein Mensch, der seine zwei Murmeln zusammen hat, noch mitgespielt hätte”. Regisseur Zobel treibt es einen Tacken zu weit – vielleicht aber auch notwendigerweise, weil die Wahrheit eben nicht ganz so spektakulär und filmisch gewesen wäre.

Der Nachwirkung des Films ist zudem nicht dienlich, dass das Ende etwas zu bequem und perfekt wirkt. Die angetackerte Polizeiarbeit, die den Bösewicht schließlich der Gerechtigkeit ausliefert (wegen was würde man ihn eigentlich anklagen?), scheint eher ein Zugeständnis an das Gerechtigkeitsgefühl der Zuschauer zu sein als an die dramaturgische Aufrichtigkeit.

Sei es, wie es sei: “Compliance” ist ein großartiges “kleines” Drama, das mehr Spannung aus weniger Gewalt und Action zieht als die meisten offen dem Horror zugeordneten Filme des Festivals. Die Hölle – das sind nämlich nicht die Zenobiten, sondern wir alle (wusste ja schon der olle Sartre).

Fazit: Ein düsteres Kammerspiel über den Missbrauch empfundener wie tatsächlicher Autorität, das von großartigen Darstellern und natürlichen Dialogen lebt, in der letzten Hälfte aber doch ein oder zwei mal ins Absurde abdriftet. Trotzdem absolut sehenswert.

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DMJ
DMJ
4. September, 2012 23:56

Von dem Fall habe ich seinerzeit auch gehört und er hat mich – obwohl ja misanthroper Zyniker, der den Leuten alles schlechte zutraut – umgehauen.
Da würde ich wirklich in die Köpfe der “Helfer” hereinschauen. Ich meine, genug Experimente (und historische Situationen) haben ja gezeigt, wieviel die meisten Leute mitmachen, wenn es eine Autorität anordnet, aber nie war eine Autorität so nebulös und kaum vorhanden, wie hier. Ich schätze mal, im US-Recht gibt es ähnliches.

Zur Frage der Strafbarkeit: Zumindest nach deutschem Recht könnte man den Typen als mittelbaren Täter in Sachen Nötigung und Missbrauch drankriegen, oder – wenn auch die Ausführenden schuldig gesprochen werden – als Anstifter.

Wortvogel
Wortvogel
5. September, 2012 00:02

@ DMJ: So einfach ist das nicht – der Manipulator ist clever darin, die Täter und das Opfer dazu zu bringen, den Demütigungen zu zu stimmen. Er verlangt nie, nutzt nie Erpressung – ich sehe zuallererst mal “Amtsanmaßung” als strafbar.

DMJ
DMJ
5. September, 2012 00:30

Okay, für solche Unterscheidungen kenne ich den Fall nicht genug… und den Film ja gar nicht. 😉

heino
heino
5. September, 2012 09:38

Ach verdammt, den hatte ich schon wieder gestrichen, weil ich nicht zuviele Filme sehen wollte. Also doch wieder auf die Liste….

Will Tippin
Will Tippin
5. September, 2012 10:04

Mir ging es da wie dir, allerdings wurde es mir, als Van die Szenerie betritt, so unglaubwuerdig, dass mir das den ganzen Film versaut hat. Auf der englischen Wikipedia-Seite des Films ist der Strip Search Prank Call Scam verlinkt, demzufolge ist das ganze exakt so wie im Film dargestellt tatsaechlich passiert. Lediglich der Taeter hatte einen anderen Job. Falls die Seite nicht frisiert wurde, um zum Film zu passen. Der Taeter ging in der Realitaet straffrei aus, ‘Van’ fuenf Jahre in den Knast. ‘Beckie’ bekam von McDonalds 5 Mio. Schmerzensgeld, ‘Sandra’ 1 Mio. Dann haette der Regisseur ein wenig an der Darstellung von Van arbeiten muessen, dem traue ich das Gezeigte naemlich nicht zu. Sandra dagegen ist fuer mich zu jedem Zeitpunkt voll glaubwuerdig.

Wortvogel
Wortvogel
5. September, 2012 10:06

@ Will: Van war auch bei mir der erwähnte “tipping point” – an der Stelle konnte NIEMAND mehr glauben, es mit einem Polizisten zu tun zu haben. Sehr schön fand ich den Typen, der die Sache am Schluss zum Einsturz bringt, einfach weil er ganz simple Normen für Anständigkeit hat.

Peroy
Peroy
5. September, 2012 16:53

“In manchen Momenten erinnert es an “An American Crime“, in dem die Gewalt auch langsam, fast spielerisch gesteigert wird, weil die Zivilisation eine Weile braucht, bis sie grunzend befreit die Maske endgültig ablegt.”

So falsch… ganz falsch…

Wortvogel
Wortvogel
5. September, 2012 17:15

Ich habe den Satz geschrieben und gedacht “Ich stelle schon mal die Eieruhr, bis Peroy kommt und sich über den AAC-Bezug aufregt”.

Peroy
Peroy
5. September, 2012 17:18

“Ich habe den Satz geschrieben und gedacht “Ich stelle schon mal die Eieruhr, bis Peroy kommt und sich über den AAC-Bezug aufregt”.”

Und, was hab’ ich gewonnen ?

Will Tippin
Will Tippin
5. September, 2012 18:05

Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, an wen mich ‘Sandra’ erinnert… Eben kam die Erleuchtung: Adam Sandler in Jack & Jill.

John
6. September, 2012 01:24

Also wirklich, Sandra spielt doch nicht Twister mit Sandler’s Sister…

Aber ja, Daumen auch von mir hoch. Da ich die Geschichte vorher kannte (und dann, bis ich im Film wusste, worum es ging, verdrängt hatte), ging mir das wirklich nahe – grade weil es eben doch tatsächlich so passiert ist (mit geringen Abstrichen).
Außerdem: guter Boob-Call im Screenshot. Sehr dezent. 😉
Übrigens ein schönes Double Feature mit Beyond the Black Rainbow, den Du bitte schnellst möglichst youtubst. 🙂

Marcus
Marcus
14. September, 2012 12:36

90 Minuten, davon gefühlte 80, in denen man sich im Kinosessel vor Unbehagen windet. Harter Stoff, unterhaltsam ist anders. Schlecht aber auch. 9/10.

Wortvogel
Wortvogel
14. September, 2012 14:39

@ Marcus: Es freut mich, dass wir geschmacklich weitgehend kompatibel sind.

AlphaOrange
AlphaOrange
14. September, 2012 15:55

Ein Film, dessen Atmosphäre wunderbar dadurch zerstört werden kann, wenn ein Dutzend Leute im Saal ihn aus irgendwelchen Gründen mit einer Komödie verwechselt, die regelmäßig zum Lachen anregt.
Hätte ich mir im Nachhinein dann doch lieber im düsteren und stillen heimischen Wohnzimmer angesehen.