30
Apr 2012

Forgotten Hero: Harry Piel

Themen: Film, TV & Presse |

Als ich Ende der 80er Zivildienst in der mobilen Altenpflege geleistet habe, waren meine “Klienten” alt genug, um teilweise noch den Kaiser gekannt zu haben. Und damit meine ich nicht Kaiser Franz Beckenbauer, sondern DEN Kaiser. Ihre Anekdoten werde ich beizeiten noch ausführlich erzählen. Eine bezaubernde alte Dame namens Emma Irgendwas (ich hab’s vergessen, sorry) war verwitwet, hatte aber einen nicht minder verschrumpelten, geradezu miniaturformatigen Verehrer. Ein Pärchen zum Verlieben. Als ich dem Mann mal zwischen Einkauf und Staubsaugen erzählte, dass ich ein großer Kinofan sei, leuchteten seine Augen: “War ich auch in meiner Jugend. Harry Piel. Jeden Monat. Harry Piel!”

Dank des “Lexikon des Science Fiction-Films” wusste ich ungefähr, von wem er sprach.

Harry Piel war DER deutsche Filmstar der 10er, 20er und 30er Jahre. Er ist heute fast vergessen, weil seine Filme keine aufgebrezelten Klassiker und große Dramen waren, sondern Abenteuer- und Actionstoffe für das ganze Volk, gerne auch mit futuristischem Einschlag. Er war ein Tausendsassa, der seine Stunts selbst erdachte und absolvierte. Er produzierte seine Filme und führte auch Regie. Evolver.at bezeichnet ihn nicht unkorrekt als den “Jackie Chan der 30er Jahre” – hier fährt er mit dem Motorrad ein Treppengeländer herunter:

Wer möchte nicht Filme sehen wie “Achtung Harry! Augen auf! – 6 Wochen unter den Apachen”, “Abenteuer im Nachtexpress”, “Schneller als der Tod”, “Das schwarze Kuvert” oder “Das fliegende Auto”? Leider sind die meisten Negative seiner Filme bei einem Brand in einer Windmühle (in die er sie verbracht hatte, um genau diesem Schicksal zu entgehen) vernichtet worden. Vor einigen Jahren strahlte Premiere mal sein Spätwerk “Ein Unsichtbarer geht durch die Stadt” aus, eine atemlose Actionkomödie, die man heute mit einem aktuellen US-Star problemlos neu drehen könnte. Besonders begeistert hat mich die Tatsache, dass Piel eben nicht in den großen Studios seiner Zeit gedreht hat, sondern in den Straßen von Berlin, was einen authentischen Blick erlaubt, den der Film damals gerne zu vermeiden suchte:

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Piels Filme (insbesondere die Stummfilme, die ja nicht synchronisiert werden mussten) waren auch internationale Erfolge, wie dieses tolle Plakat aus den 20ern beweist:

Ich habe jahrelang versucht, Piels Leben (das an Triumphen, aber auch schweren Niederlagen wahrlich nicht arm ist) als Filmstoff unterzubringen. Es wäre DIE Paraderolle für Heino Ferch, der Piel in Ausstrahlung und Hoppla-Attitüde durchaus ähnelt. Aber leider bevorzugen die Sender im historischen Bereich weibliche Protagonisten – und “Film über Film” geht sowieso nicht, wie ich immer wieder zu hören bekomme. Wäre auch ziemlich teuer zu drehen.

So tröste ich mich, in dem ich immer mal wieder seltene Fotos, Plakate und Autogramme von Piel kaufe:

Harry Piel liegt auf dem Münchner Waldfriedhof begraben. Auch nach Dutzenden von Spaziergängen habe ich sein Grab nicht gefunden. Ich werde wohl mal bei der Friedhofsverwaltung nachfragen, um den genauen Platz ausfindig zu machen.

Wer etwas mehr in das Thema einsteigen will, sollte sich antiquarisch die SEHR spannende Piel-Biographie von Matias Bleckmann besorgen. Lesenswert ist auch der Nachruf im SPIEGEL von 1963.



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Who knows?
Who knows?
30. April, 2012 12:37

Ich weiß nicht, ob’s viel hilft, aber:
http://androom.home.xs4all.nl/biography/p015304.htm

Wortvogel
Wortvogel
30. April, 2012 12:41

@ Who knows?: Einerseits – toll. Der Zaun im Hintergrund wird mit sehr helfen, das Grab zu lokalisieren.

Andererseits – schade. Jetzt brauche ich es nicht mehr zu fotografieren 🙁

Andy
Andy
30. April, 2012 12:43

Oh man das wäre klasse und wie ich finde wahrlich ein große Geschichte die man verfilmen könnte (müsste!).
Schade das die meisten Filme zerstört sind, für meine Oma (die leider nicht mehr lebt) war Harry Piel durchaus ein Begriff.
Wenn manchmal eine ”Action” Szene im Fernsehen bzw. im Film gelaufen ist, ”die man damals als spektakulär empfand” da kam schon mal so ein Spruch ”das hat Harry Piel schon vor Jahren (Jahrzehnten!?) gemacht.
Vielleicht würden sogar einiger seiner Filme in etwas abgeänderter modernisierter Form heute noch sehr gut funktionieren!?
Schade das niemand an dem Stoff interessiert ist?
Liegt aber auch an seiner Vergangenheit da er ja NSDAP Mietglied war
und was vielleicht viel schwerer wiegt (Förder-)Mitglied der SS!
Habe jetzt die Piel-Biographie (endlich!) einmal euf meine Wunschliste gesetzt.

Who knows?
Who knows?
30. April, 2012 12:52

Zur Lokalisierung dürfte auch die Website der Münchner Friedhöfe helfen – gewiss gibt es da Grabpläne…

Und eigene Fotos haben doch immer einen persönlichen Mehrwert gegenüber Fotos Anderer… 😉

Tyler
Tyler
30. April, 2012 12:55

> “Film über Film” geht sowieso nicht, wie ich immer wieder zu hören bekomme.

Wieso denn das? Das Genre hat doch sogar letztens einen Oscar gewonnen.

Wortvogel
Wortvogel
30. April, 2012 13:00

@ Tyler: Das ist den meisten Zuschauern (im Fernsehen sowieso) erheblich zu “meta” und bauchnabelschauig. Zwar gibt es exzellente Filme und Serien zu dem Thema (Wag the Dog, Network, Studio 6), aber es gilt zumindest die Faustregel, dass damit kaum Geld zu machen ist. Siehe in Deutschland auch “Anke”.

Briza
Briza
30. April, 2012 13:01

http://friedhof.stadt-muenchen.net/bilder/friedhof/plan/waldfriedhof.jpg wäre ein Lageplan. Auf der Seite direkt ist Harry Piel auch verzeichnet, nur seine Grab-Lage nicht.

Und wie Who knows selber schon so schön sagt: Eigene Fotos haben eine eigene persöhnlichere Note! Und du hast das Grab mal selber besucht. Piel wird sich sicher über einen “besuch””freuen”. 😉

Exverlobter
Exverlobter
30. April, 2012 13:09

“Als ich Ende der 80er Zivildienst in der mobilen Altenpflege geleistet habe, waren meine “Klienten” alt genug, um teilweise noch den Kaiser gekannt zu haben. Und damit meine ich nicht Kaiser Franz Beckenbauer, sondern DEN Kaiser. Ihre Anekdoten werde ich beizeiten noch ausführlich erzählen.”

Auf die Anekdoten sind wir gespannt.

BTW, fast genau vor einem Jahr verstarb der letzte Veteran des Ersten Weltkriegs.
http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,760790,00.html

Who knows?
Who knows?
30. April, 2012 13:10

Ah, sehr gut 🙂
Und entsprechend der von mir verlinkten Seite wäre es die Grabstelle 220-3-77.

So wie ich das sehe:
Eingang Kreuzhof, und dann ist Sekton 220 gleich zur linken Hand.

Was allerdings verwirrt:
Harry Piel wird aufgeführt, aber ohne Grabstellenvermerk
Unter oben genannter Grabstelle wird hingegen ein Harry Fiel (Unterhaltungskünstler) aufgeführt…
Zufall? Verwechslung? Fehler?

Da muss der Wortvogel wohl tatsächlich selber mal schauen gehen…

Wortvogel
Wortvogel
30. April, 2012 13:16

@ Who knows?: Danke, das hilft mir sehr weiter. “Fiel” ist sicher nur ein Fehler – vielleicht OCR-Panne beim Scan alter Unterlagen.

Who knows?
Who knows?
30. April, 2012 13:22

Da nich’ für… 🙂

OCR-Panne kann natürlich gut sein – beim Einscannen alter Unterlagen kann schon mal Abenteuerliches herauskommen…

Exverlobter
Exverlobter
30. April, 2012 13:28

“Ich habe jahrelang versucht, Piels Leben (das an Triumphen, aber auch schweren Niederlagen wahrlich nicht arm ist) als Filmstoff unterzubringen. Es wäre DIE Paraderolle für Heino Ferch, der Piel in Ausstrahlung und Hoppla-Attitüde durchaus ähnelt. ”

Uwe Boll hat ja seit Schmeling Erfahrung als Biopic Regisseur. Vielleicht wagt er sich ja daran, wenn es keiner machen will. Ansonsten dreht der nur noch die x-te Amoklauf-Verfilmung, so wie jetzt bei Bail-Out.

Wortvogel
Wortvogel
30. April, 2012 13:33

@ Exverlobter:

a) Boll würden den Stoff vermutlich zu unkommerziell finden
b) Boll könnte den Stoff nicht finanzieren
c) ich würde Boll töten, wenn er sich an Piel vergreift

Exverlobter
Exverlobter
30. April, 2012 13:35

War auch eher ironisch gemeint

Who knows?
Who knows?
30. April, 2012 13:38

Komischer Zufall übrigens: Piel wurde in Düsseldorf geboren und starb in München.

Diese beiden wohl ultimativen biographischen Eckdaten könnten irgendwann (in hoffentlich ferner Zukunft) auf noch jemanden zutreffen… 😉

Exverlobter
Exverlobter
30. April, 2012 13:44

““Film über Film” geht sowieso nicht”

BTW, das macht Tarantino doch auch die ganze Zeit, und hat Erfolg damit.

Wortvogel
Wortvogel
30. April, 2012 13:56

@ Exverlobter: Nein, macht er nicht. “Film über Film” meint Filme, die selbst von den Dreharbeiten anderer Filme handeln oder hinter den Kulissen spielen. Wäre mir neu, dass Tarantino sowas macht.

Exverlobter
Exverlobter
30. April, 2012 14:02

Achso, du meinst dann eher sowas wie Ed Wood mit Johnny Depp.
Stimmt, sowas ist selten.

Wortvogel
Wortvogel
30. April, 2012 14:26

@ Exverlobter: Und vor allem selten erfolgreich.

noyse
noyse
30. April, 2012 14:51

ich hab damals (ende der 80er) als minderjähriger Bürger der Hauptstadt der ddr in den sommerferien oft das Babylon in derselben besucht. Camera hiess das Programm, dort wurden immer alte deutsche Filme gezeigt so ab 22:00 Uhr 🙂 da hab ih mir alles reingezogen Harry Piel und auch die alten Unsichtbarer Filme mit Rühmann, aber auch Karloff als Frankenstein :). Aber die Piel Filme waren schon Spektakulär – so vom Zugdach auffn Flugzeug usw. Ich war immer erstaunt dass niemand (und das meine ich bis heute) aus meinem Freundeskreis jemals was von diesem Typen gehört hatte. Muss gerade darüber nachdenken dass ich als so kleiner piepel überhaupt so spät zu fuss unterwegs war. Kino hat glaub ich 50 Pfennig pro film gekostet waren immer doppelvorstellungen oder so.

Tyler
Tyler
30. April, 2012 18:40

@Wortvogel
Jaguttäh … die Nabelschau ist natürlich eine Gefahr. Gibt ja auch unzählige vergessenswerte Romane dessen Protagonist ein Schriftsteller mit Schreibblockade ist.

Und das deutsche Fernsehen ist dann nochmal eine spezielle Sache für sich. 24 Folgen von “Anke” versus 122+ Episoden von “30 Rock”.

Aber … der deutsche “Jackie Chan der 30er Jahre”, die Sache hat was! Vor allem weil man die wahre Geschichte so vielschichtig aufziehen könnte: Als Actionkomödie mit waghalsigen Stunts, kuriosem Retro-Sci-Fi-Zeitkolorit und lässigem Filmpionier (zwischen zwei Frauen). Oder als ernsthafteres Bio-Pic mit der drohenden Nazi-Zeit als düsterem Ende.

Wortvogel
Wortvogel
30. April, 2012 18:48

@ Tyler: Richtig, das Potential sehe ICH ja auch. Es ist die Geschichte eines Mannes, dessen Bühnenpersona sein Leben bestimmt, der nach Drehschluss ein Tausendsassa und Frauenheld bleibt – und letztlich an den zwei Dingen scheitert, mit denen seine Helden nie zu kämpfen hatten: Politik und Alter. Es ist eine große tragikomische Biographie mit viel Schmiss und Eleganz, die noch dazu viel über die Weimarer Republik und die frühen Jahre des deutschen Unterhaltungskinos aussagt. Piel war ein Stummfilm-Bruce Willis, der das “Donnerwetter!” erfunden hat, als es noch kein “Hell yeah!” gab.

Ich würde das strikt chronologisch erzählen, vielleicht mit einer Rahmenhandlung – und enden würde es bei mir, wenn Piel vor der herunter gebrannten Mühle steht, in der seine Negative verbrannt sind. Was danach kommt, ist dem Charakter unwürdig gewesen.

Comicfreak
Comicfreak
30. April, 2012 19:18

..brings bitte zumindest als Buch raus, meinetwegen als Drehbuch oder Comic, ich kauf 3!

Tom Argus
Tom Argus
1. Mai, 2012 00:27

Hihi, ja der Harry. Ein Freund meines Vaters hat den ja noch persönlich gekannt. Da war er aber noch ein Kind (Also der Freund, nicht der Piel).
Solche Menschen gibt´s heute leider nicht mehr. Schade!!

Dietmar
1. Mai, 2012 01:41

Solche Menschen gibt´s heute leider nicht mehr.

Das muss irgendeine Mutation sein, dass menschliche Giganten nur in der Vergangenheit zu finden sind. Wir haben nix mehr drauf. Echt traurig …

McCluskey
McCluskey
1. Mai, 2012 21:52

Ich erinnere mich, dass mir mein leider viel zu früh verstorbener Großvater in meinen Kindertagen auch desöfteren von Harry Piel vorgeschwärmt hat. Die Leute müssen zu dessen Hochzeiten wirklich wie blöd in die Filme gerannt sein und immer sehnsüchtig auf “den neuen Piel” gewartet haben. Ich glaube, “Sensationsdarsteller” hieß das damals, wenn einer Actionfilme mit selbst ausgeführten Stunts fabriziert hat.

Und für die Suche nach der “letzten Adresse” von Promis (wenn auch hauptsächlich für den angelsächsischen Kulturkreis) empfielt sich diese Seite:

http://www.findagrave.com

Eureka
Eureka
19. März, 2013 21:56

Schoen zu sehen dass Harry immer noch geschaetz wird!
Ich kannte seiner Sohn in Suedafrika. Wie Pres. Gauck Anfang des Jahres gesagt hat – Deutschland braucht wieder Helden. Da war der Harry echt eine Traumhafte Beispiel. Es Lebe die Hoffnung…
PS Schon das Grab gefunden?? Wenn wir wieder in Muenchen sind, sag ich dir Bescheid wie man es findet…

Andreas
Andreas
13. September, 2013 12:53

Danke , Schöner Artikel !
Ja, ´ne Verfilmung wäre wirklich prima.
Gibt es nicht allerorten Filmförderungen ?
Echt Schade daß so ein Projekt nicht verwirklicht wird. Ich könnte mir gut vorstellen, daß eine Biographie ein Überraschunserfolg werden könnte. Hatte ja bei “the artist” bestimmt auch keiner geglaubt…

Dizoneros
Dizoneros
17. April, 2021 16:46
Reply to  Andreas

Den Artikel hier meinte ich. Piel und du – Düsseldorfer, die es nach München führt. Filmverrückte, die ein Spektakel abfackeln. Hallo? Die Sache will’s.

Das ist, als ob ich über etwas im Bannkreis der Familie Mann schreiben würde. Moment, was ich tue:-)… also…

Dizoneros
Dizoneros
17. April, 2021 20:09
Reply to  Torsten Dewi

Mm. So ist es dann. Immerhin: In meinem Kopf ist es ein feiner Film. Hat ein bisschen was von “Aviator”. Gute Message. Daumen hoch. Fantasie ist das wahre Königreich.