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Mrz 2012

Theater-Kurzkritiken: Das weite Land, Die Zauberflöte, Rolf Boysen liest Nachtseiten, Weibsteufel, Tannöd

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Okay, bevor mir das alles aus dem Gedächtnis fleucht, arbeite ich mich noch fix an ein paar Theaterbesuchen der letzten Monate ab. Man will ja nicht als Kulturbanause dastehen, der nur Hollywood-Blockbuster und britische Krimiserien konsumiert.

“Das weite Land” von Arthur Schnitzler

Zugegeben, es ist selten ein Risiko, ins Residenztheater zu gehen. Auf Münchens renommiertester Bühne wird nur Premiumkost geboten, technisch wie inhaltlich. Ich verweise da gerne noch mal auf meine Kritik zu Shakespeare “Viel Lärm um nichts“.

Und so wurde auch Schnitzlers “Das weite Land” erwartungsgemäß beeindruckend gespielt und mit mutigem Bühnenbild umgesetzt:

Obwohl Schnitzlers Gesellschaftsdrama kaum aufgepeppt wurde, wirkte es in dieser Deko und unter diesem Ensemble frisch und zeitgemäß. Die klare Sprache und die zeitlosen Konflikte brauchten keinen Schnickschnack.

Besonders beeindruckt hat mich Tobias Moretti (noch sichtlich von einer Operation behindert und mit Schmerzen belastet), den ich im Fernsehen immer eher blass fand, der auf der Bühne aber eine geradezu erschreckende Präsenz ausstrahlt, der sich jeder andere Darsteller bedingungslos unterwirft. Ein ganz großer Mime – was ich von “Kommissar Rex” nicht wirklich erwartet hatte.

“Die Zauberflöte” von Wolfgang A. Mozart

Das ist so eine Art “Oper für Einsteiger”, in die man auch Kinder wegen der gefälligen Musik und der einfachen Geschichte mitnimmt. Dementsprechend war das Durchschnittsalter dieser Abendaufführung im Gärtnerplatz-Theater auch eher niedrig.

Überzeugen konnte mich diese Inszenierung leider nicht. Klar, die Musik ist jenseits aller Kritik, die Kostüme waren teilweise Burton-esk grandios – aber schon das Bühnenbild erschien mir zu vage und dünn. Es kreierte keine Räume über das Gezeigte hinaus, gab den einzelnen Szenen keine Richtung. Und wenn ich ehrlich bin, finde ich die Story der “Zauberflöte” immer noch total kindisch und hinkonstruiert. Den letzten Nagel in den Sarg schlug dann ein schwacher Papageno, der aus der im wahrsten Sinne schillerndsten Figur der Oper nichts zu machen wusste.

Vielleicht sollte ich mir “Die Zauberflöte” nur noch ansehen, wenn ein radikal neuer Ansatz bei der Inszenierung versprochen wird.

Rolf Boysen liest Nachtseiten

Auf dem Papier klang das ganz prima:

Vielleicht habe ich mir das romantisch verklärt, weil Rolf Boysen so eine Legende ist – aber im Endeffekt war es nicht sehr spannend, anderthalb Stunden lang einem alten Mann dabei zu zu sehen, wie er mit zitternder Hand, aber kräftiger Stimme alte Schauergedichte vom Blatt liest, ohne die Figuren und Emotionen wirklich auszuspielen. Es bietet nichts fürs Auge und nur begrenzt etwas fürs Ohr. Zu viele kurze Stücke, die keine wirklichen Bilder in die Köpfe der Zuschauer projizierten, machten schnell müde, zumal es keine Pause gab.

Vielleicht hätte ich lieber auf Zapatkas Lesung von Edgar Allen Poe warten soll.

Ich komme aber nicht umhin, Boysen dennoch Respekt zu zollen – der Mann ist immerhin bald 92 und sprach schon Bela Lugosi in Universals “Dracula” von 1931!

“Weibsteufel” von Karl Schönherr

Wir bleiben im Residenz. “Weibsteufel” war uns empfohlen worden – und wahrlich, die Empfehlung hat sich gelohnt. Das 3 Personen-Stück um den Wilderer, den Jäger und die schöne Frau mag auf den ersten Blick nach Heimat-Melodram riechen und auf den zweiten Blick in seinen Geschlechterrollen etwas antiquiert wirken – aber verdammt noch mal, wenn Darsteller, Bühne und Regie mit einer derartigen Wucht das Publikum attackieren, kann man das schon mal durchgehen lassen:

Wieder begeisterte uns ein reduzierter, aber doch bildgewaltiger Aufbau wie bei “Das weite Land” und wieder dominierte ein Akteur selbst in der Klammer zweier hervorragender Ko-Stars: Birgit Minichmayr sensationell zu nennen, würde ihrer so wütenden wie verletzlichen Darstellung nicht gerecht. Sie schien nicht nur aus sich selbst heraus zu spielen, sondern die Dynamiken ihrer männlichen Mitstreiter aufzunehmen und zu katalysieren. Klassisches Drama in seiner aktuellsten Form.

“Tannöd” von Andrea Maria Schenkel

Vorab: Ich habe das Buch nicht gelesen, den Film nicht gesehen. Vielleicht auch besser so, sonst hätte ich im bezaubernden Retro-Theater “Metropol” vermutlich ständig versucht, Vergleiche zu ziehen, Veränderungen zu bewerten. So war ich in der Lage, “Tannöd” frisch zu sehen – die Geschichte eines grausamen Verbrechens auf einem Einöd-Hof in der Nachkriegszeit (based on a true story, wie man so sagt).

Viele Details, hätte man sie mir vorab angekündigt, hätte ich wohl als albernen Schnickschnack abgekanzelt: Frauen spielen kleine Kinder, Männer spielen alte Frauen – und wenn ein Mann eine Frauenstimme braucht, bewegt er nur den Mund und eine Kollegin übernimmt das “Voiceover”. Recipe for disaster. Aber es funktionierte ganz prächtig.

Mit nur einer alten Tür und einem kleinen Tisch wurde der ganze Einöd-Hof so deprimierend wie vollständig dargestellt, das kleine Ensemble spielte fast 20 Rollen, ohne sich zu verheddern oder das Publikum zu verwirren. Kleinere Erzählpassagen halfen, die Szenen zu verbinden, Lücken zu schließen. Es ergab sich eine packende Dramaturgie, die sich der brutalen Tragödie aus vielen Blickwinkeln nähert und dabei nie auf das dünne Eis des “true crime” gerät. Spannend, überzeugend, aufwühlend.

“Tannöd” war auch das einzige Stück, bei dem die LvA und ich hinterher nicht einer Meinung waren. Es hatte uns beiden extrem gut gefallen, aber ich hätte das Ende noch einen Tacken griffiger gefunden, wenn nicht aufgelöst worden wäre, wer die Familie Danner samt Magd ermordet hat. Über die Laufzeit waren viele Verdächtige und viele Motive aufgebaut worden – das hätte mir gereicht. Britta wiederum fand, dass die Auflösung das Stück am Ende befriedigend abschließt.



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DMJ
DMJ
19. März, 2012 12:54

Hm, dem einen Bild zufolge sieht mir das Schnitzler-Bühnenbild nicht gerade “mutig” aus. Solange es nicht zu prächtig und vor allem nicht historisch ist, geht doch alles. Da gehen Regisseure wenig Risiko ein.
“Die Zauberflöte” sieht hingegen eher gut aus, da mir scheint, dass man sich zumindest um etwas altertümlichen Prunk bemüht hat, als sie wie sonst in Müllkippen und schwarze Löcher zu versetzen. Inhaltlich ist die Oper aber natürlich schon immer absoluter (frauenfeindlicher, unzusammenhängender) Quatsch gewesen, weshalb ich auch hier zu Kenneth Branaghs grandioser Filmversion rate, für die der Text fast völlig über Bord geworfen und von Stephen Fry komplett neu geschrieben wurde.

Nikolai
Nikolai
19. März, 2012 13:21

“Vielleicht hätte ich lieber auf Zapatkas Lesung von Edgar Allen Poe warten soll.”

Ich lese meiner Freundin “Die dreizeneinhalb Leben des Kapitän Blaubär” vor.
Das begeistert 🙂

Wortvogel
Wortvogel
19. März, 2012 13:23

@ Nikolai: Ich lese der LvA gerade “Die Vermessung der Welt” von Kehlmann vor.

@ DMJ: Branaghs Version werde ich mir sicher mal ansehen. Ich stehe beim Bühnenbild WEDER auf Prunk noch auf Reduktion – sondern auf eine sinnvolle Verwendung eines der beiden Ansätze.

DMJ
DMJ
19. März, 2012 14:06

Das ist natürlich die beste Variante, aber daher wohl auch die seltenste. 😉

Stephan
Stephan
19. März, 2012 15:04

Die Zauberflöte am Gärtnerplatz war tatsächlich auch bei mir die erste Oper, da muss ich ungefähr acht oder neun gewesen sein.
Eine Inszenierung, die man gesehen haben muss ist übrigens die alte von Everding am Nationaltheater. In meinen Augen zeitlos.

Bei den “Nachtseiten” hätten wir uns eigentlich sehen müssen, allerdings bin ich während des Stücks tatsächlich eingeschlafen. Wie Du richtig schreibst, sollte man den Besuch nur als Tribut an Boysen begreifen und ansonsten selbst lesen.

Peroy
Peroy
19. März, 2012 17:16

Ich finde es unglaublich, was sie aus dem plotlosen und Protagonisten-freien, dünnen “Tannöd”-Büchlein für einen Mileage rausgepresst kriegen… fehlt nur noch das Computerspiel dazu.

DMJ
DMJ
20. März, 2012 09:44

Da sieht man, was alles möglich wird, durch den simplen Trick, eine Geschichte aus dem Kaiserreich ins Dritte Reich zu versetzen und dann auf das obligatorische “Da sieht man’s – die Nazis!” zu warten.

Wortvogel
Wortvogel
20. März, 2012 09:47

@ DMJ: Worauf beziehst du dich?