13
Jun 2010

… unto my dying electric breath: “Piiiiiiep”

Themen: Neues |

Wenn man wenig Stauraum in der Wohnung hat, muss man immer wieder mal ausmisten. Kartons vom Flachbild-Fernseher, Plastikfolien von den Matratzen, das kaputte Faxgerät, die Schnittreste der Küchenplatte, ein paar übrig gebliebene Laminat-Bretter. Immer wieder Styropor.

Zum Wertstoffhof.

Es ist eine dieser Gebrauchsfahrten, die in sich nicht unterhaltsam sind, deren Konsequenz aber das Wohlbefinden steigert. Wie der Einkauf, nach dem der Kühlschrank endlich wieder voll ist. Oder der Gang zum Container, damit hinter der Haustür nicht immer Berge von Glasflaschen klappern.

Ein letztes Durchforsten des Haushalts: Was geht noch in den Wagen? Die schöne alte Glasschüssel, die auf einmal die Spülmaschine nicht mehr vertragen hat. Alte Regalstangen. Die kaputte Senseo. Ein Eimer verkrusteter Farbe. Wenn schon, denn schon.

wertstoffhof

Die übliche Mischung trifft sich an diesem Dienstag auf dem Wertstoffhof: junge Paare, die zur ersten gemeinsamen Wohnung Überschüssiges und Doppeltes entsorgen – meistens von ihm; Handwerker, die es mit den Höchstmengen Bauschutt nicht so genau nehmen; leicht verstört wirkende Anverwandte, die nach einem Todesfall nicht wissen “wohin mit dem ganzen alten Plunder”; Hausfrauen, die eingesehen haben, dass 14jährige Töchter keinen Pumuckl-Schreibtisch mehr wollen. Viel Ikea. Viel Sperrholz. Vieles, das erst zu Müll wird, weil es hier landet, obwohl es das weder in Anmutung noch Funktion verdient hat. Ein kleiner schwarzer Holzhocker springt dem Schicksal von der Klinge: Ein “Typ Studienrat” hat ihn noch nicht ganz aus dem Kombi geholt, als ein “Typ Verhökerer” darauf deutet und mit schwerem Akzent fragt: “Schmeißt du weg?”. Jetzt nicht mehr.

Mehrere mittelprächtig gelaunte Bedienstete weisen Autos ein, achten auf die korrekte Entsorgung in den entsprechenden Containern. Beim Schleppen geholfen wird nur Frauen, und bei denen auch nur, wenn sie tatterig oder hübsch (hilflos) sind. Ansonsten: Kein Pardon. Holz zu Holz, Pappe zu Pappe, Elektro und Kabel bitte getrennt. Wo kämen wir denn hin?

Der stählerne Container mit den abgelegten Printerzeugnissen, der wie die Bibliothek eines Atomkriegs-Bunkers aussieht, erzählt ganz eigene Geschichten: Da ist das beendete (abgebrochene?) Studium durch die entsorgte Fachliteratur verewigt, und Oma konnte ihre Hardcover-Edition aller Simmel-Romane aus den 70ern wohl doch nicht mit ins Pflegeheim nehmen. Vielleicht hat die immer etwas überreizte Sekretärin mittlerweile eingesehen, dass die ganzen Bücher über Chakren und diverse Tibeter keinen Seelenfrieden bringen – vielleicht will ihr neuer Kerl auch einfach nicht, dass sie “so’n Zeuch” liest. Donald Duck und Günter Grass, together at last.

buchcontainer

Ich schmeiße den Sperrmüll zuerst weg – wie immer zwackt es für einen kurzen Moment. Jeder Gegenstand ist mit Erinnerungen bestückt, poltert mit einer Vergangenheit in die Presse. Nicht alles ist überflüssig, manches ist auch einfach nur im Weg: “Sorry, wenn die Situation eine andere wäre…”. Krabumm!

Dann zum Elektroschrott, Senseo entsorgen, Faxgerät, ein uralter Nixdorf-PC im Minibar-Format. An diesem Container spielt sich heute eine dystopische Erfolgsstory ab: Kurz vor Feierabend ist er bis fast unter die Decke gefüllt, der Zugang musste in der unteren Hälfte schon blockiert werden, damit die gesammelten Ex-Stromfresser nicht wie eine tote Armee wieder in die Zivilisation hinaus quellen. Plastik, Gift und Edelmetall in einer unheiligen Allianz. Weg damit. Aus den Augen, aus dem Sinn.

stromschrott

Ich gönne mir den pubertären Spass, meinen Elektroschrott mit Schwung in den Container zu werfen. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, ohne Reue einen Computer zu schmeißen? Uffz! Krach. Knirsch. Stille.

Etwas piepst.

Ich horche.

Nein, es piepst nicht. Es ist ein lang gezogener Ton, wie das Freizeichen in einem Telefon, nur heller. Piiiiiiiep. Schwer zu lokalisieren, aber er kommt von weit hinten im Container, bahnt sich den Weg durch Kubikmeter stiller Staubsauger, Monitore, Anrufbeantworter und Videorekorder. Piiiiiiep.

Eine nicht entfernte Batterie, ein durch den Aufprall gedrückter Knopf, ein Standby-Modus. Restenergie.

Piiiiiiiep.

Ein Hilferuf.

Ich bin nicht tot. Ich bin noch hier. Hört mich denn keiner?

Vielleicht piepst es nicht nur in den Untiefen des stählernen Bauches, der die Elektronik frisst. Vielleicht blinkt es auch noch.

Piiiiiiiep.

Ich starre in das Halbdunkel, bin unschlüssig, was ich tun soll – und unfähig, das Geräusch zu ignorieren. Mein Magen verkrampft sich. Ich möchte in den Container kriechen, um… ja, um was zu tun? Ein schnurloses Telefon zu retten? Aber das Geräusch! Piiiiiiep! Es ist so einfach, so konstant, so… einsam?

Vielleicht reinkriechen, nur um dem Ton ein Ende zu bereiten. Mit einem Hammer. Oder einfach durch ein Herausschnippen des müden Akkus. Dann ist Ruhe, wie sie sein soll. Und sein muss.

Es sind fünf, vielleicht zehn lange Sekunden. Ich stehe still. Das Geräusch bleibt, klagend wie flehend. Aber mein Verstand zwingt sich wieder in den Vordergrund, drängt das Bauchgefühl dahin zurück, wo es hingehört.

Unsinn! Da piept halt noch ein Stück Elektroschrott! Wie zivilisatorisch verseucht muss man sein, um sich davon aus dem Takt bringen zu lassen? Pussy. Eine Maschine ist eine Maschine ist eine Maschine.

Piiiiiiiep.

Aber ich mag meine Maschinen.

Die Bediensteten, die neben dem Container auf Klappstühlen sitzen, bemerken mein untätiges Verweilen, schauen skeptisch. Ich atme tief durch, gehe zu meinem Wagen zurück, begleitet von Piiiiiiiep. Es wird leiser. Endlich leiser.

Auf der Heimfahrt bemerke ich, dass ich zittere. Ich rüge mich selbst. Skeptiker sein bedeutet auch, Abstand zu den Dingen zu haben. Sich nicht leichtfertig in Anthropomorphismen saugen zu lassen. Und doch…

Ich habe “Das verräterische Herz” schlagen hören. Es hat noch Strom.

Piiiiiiep.



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Julian
13. Juni, 2010 15:20

Und ich dachte immer, ich wäre der einzige, der Mitleid mit unseren seelenlosen Gehilfen hätte…

Lari
Lari
13. Juni, 2010 15:32

Hach, schön. 8)

Tyler
Tyler
13. Juni, 2010 16:14

Du kennst die legendäre Ikea Werbung mit der alten Lampe?
http://www.youtube.com/watch?v=I07xDdFMdgw

Muriel
13. Juni, 2010 16:21

Ich finde, man ist durchaus noch Skeptiker, solange man seine irrationalen Impulse als irrational erkennt. Verrückt ist man nicht, wenn man mit sich selbst redet, sondern erst dann, wenn man wirklich eine Antwort hört. Oder so.

Sebastian
13. Juni, 2010 16:32

Was so ein Schreiner wohl denkt, wenn er einen Pumuckl-Schreibtisch schreinert…

Bernhard
Bernhard
13. Juni, 2010 18:30

Und wenn die Batterien noch nicht alle sind, dann piepst es noch heute. Und Du bist Schuld! Du hast das Technikmonstrum wieder zum Leben erweckt und es wird dich ganz sicher bald heimsuchen. Also wenn die Batterien noch nicht alle sind. 😉

Ich musste sofort an den Herbie aus den Filmen denken.

Peroy
Peroy
13. Juni, 2010 18:38

“WIIIIIILSOOOOOON !!! ES TUT MIR LEID !!!”

Tina
Tina
13. Juni, 2010 19:27

Nummer 5 lebt! Und Wortvogel war der Blitz…

C.
C.
13. Juni, 2010 22:04

Mir fehlt zwar jegliche Kompetenz zu einem objektiven Urteil, aber aufgrund meiner rein subjektiven Meinung möchte ich sagen: Genial geschrieben. Danke!

Dominik
Dominik
13. Juni, 2010 23:04

Wow, was für ein toller Text. Wirklich schön ge- und beschrieben! Großes Lob, werde mir jetzt wohl doch mal ein Buch von Dir kaufen müssen.

Wortvogel
Wortvogel
13. Juni, 2010 23:07

@ Dominik: Nein, musst du nicht. Diese Erzählung ist nicht repräsentativ. Sorry.

Peroy
Peroy
13. Juni, 2010 23:09

Vielleicht steht der Dominik ja auf Dämonen-Rape, dann muss er’s doch…

Lari
Lari
13. Juni, 2010 23:45

@Torsten: Wäre das nicht eventuell mal ‘ne Idee? Texte Deiner Seite als Grundlage für ein Buch? Kann man dann zwar nicht kommentieren (na ja, mit Kuli), aber wenn nur genug zusätzliches Zeug drinstünde, das sich noch nicht online findet… Potentielle Käufer hast Du hier doch genug.

Johannes
14. Juni, 2010 00:32

Für Sachen, die zu Müll werden ohne es wirklich verdient zu haben, wollte ich mal noch einen Link loswerden: http://de.freecycle.org/

FreeCycle ist ein Netzwerk aus lokalen Mailinglisten, über die man Sachen an Interessierte verschenken kann. Vieles kann eben doch noch jemand gebrauchen, und man spart sich dann mit etwas Glück den Entsorgungs-Aufwand. 😉

Tresie
14. Juni, 2010 09:09

Schöner Text.

Dietmar
Dietmar
14. Juni, 2010 09:25

Ich bin jetzt ganz klar für eine Kurzgeschichten-Sammlung von Dir.

Schöner Text und die Frage, was tut man, wenn der Rechner plötzlich fleht, bitte schalte mich nicht aus?

Wortvogel
Wortvogel
14. Juni, 2010 09:31

@ Dietmar: Dann holt man die Axt, denn die Übernahme der Welt durch die Maschinen steht bevor.

“I’m sorry, Dave, I’m afraid I can’t do that” (2001)

Dietmar
Dietmar
14. Juni, 2010 10:01

Meinen Baseball-Schläger habe ich hier griffbereit stehen. Der PC muss nur mal aufmucken …

Und ein HAL kommt mir gar nicht erst in´s Haus!

Kai
Kai
15. Juni, 2010 10:25

…und wenn das nicht Nr. 5 war? Sondern eher der T-800?

Tornhill
Tornhill
15. Juni, 2010 22:35

Ui, das war wirklich ein rührender Artikel. Konnte die Hilflosigkeit angesichts des Piepens voll und ganz nachvollziehen…da hätte ich mich auch mit Gewalt von entfernen müssen.

Nardon
Nardon
27. Juni, 2010 21:25

Meine Freundin ist nicht allein, juhu :o)

Nardon
Nardon
27. Juni, 2010 21:27

Aber ich bin nicht ganz unschuldig daran…. hehe. Ich gebe jedem seelenlosen Ding Leben. Mir ist bewusst das ist nicht gesund, macht aber Spass 🙂