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Apr 2010

Kurzkrimi: Endstation Scheiterhaufen

Themen: Neues |

Ich habe mal wieder eine Kurzgeschichte für die LandIdee geschrieben, diesmal unter dem Pseudonym “Paul Terrid” – eine Anspielung auf den verstorbenen Autor Peter Terrid, mit dem ich bei den Braunschweiger SF-Tagen einst nette Gespräche führte. Thematische Vorgabe diesmal: Weiblicher Protagonist und Walpurgisnacht. Als “Pointe” habe ich die Idee für eine andere Kurzgeschichte verwurstet.

Endstation Scheiterhaufen

Walpurgisnacht, Maifeuer, und eine Leiche, die den Bewohnern von Bollenrode Angst macht. Doch Sophia Franzen glaubt nicht an Hexerei – nur an Mord…
feuer Die Flammen fauchten mehrere Meter in den Nachthimmel und Sophia drückte immer wieder auf den Auslöser ihrer Digitalkamera, um das prächtige Treiben beim Walpurgis-Fest von Bollenrode festzuhalten. Es war Tradition. Kinder tanzten mit Fratzen-Masken um das große Maifeuer, Männer prosteten sich mit Schnäpsen zu. Irgendwo bellte Sophias Schäferhund Gerry. Vermutlich ließ er sich mal wieder begeistert von schnell gemachten Freunden mit Leckereien füttern. Das war in Ordnung – Gerry war ebenso in Pension wie sein Frauchen und durfte schon mal eine Süßigkeit mehr haben als früher. Sie lächelte unwillkürlich.

Plötzlich donnerte es gewaltig. Wütender Platzregen trieb die feiernde Gemeinde auseinander und beendete das wilde Walpurgis-Fest schlagartig. Das mächtige Maifeuer fiel im Sturm in sich zusammen. Sophia flüchtete unter die Zeltplane der Sanitäter und war gerade dabei, das Wetter schade zu finden, als ein Gewitterblitz von einem gellenden Schrei begleitet wurde. Obwohl sie schon nass bis auf die alten Knochen war, eilte Sophia in den Regen hinaus. Sie fand eine junge Frau direkt vor dem dampfenden, sterbenden Maifeuer. Gebannt starrte die in die zischende Glut – auf eine fast bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leiche, die im noch zuckenden Feuer lag. Verbrannt wie eine Hexe auf dem Scheiterhaufen…

Eine halbe Stunde später saß Sophia mit dem völlig verstörten Bürgermeister Schmieder im Saal des Schützenvereins, direkt an der Festwiese. Er kippte seinen vierten Schnaps und schüttelte immer wieder den Kopf: „Hätte der Regen das Feuer nicht überraschend gelöscht, wäre die Frau wohl mit verbrannt worden und keiner hätte sie so schnell identifizieren können. Einfach furchtbar. Sowas, sowas, sowas…“

Man wusste schnell, dass es sich bei der Leiche um die Überreste einer Landarbeiterin namens Elsa handelte, die vor drei Wochen durch Bollenrode gekommen war. Einer der Feuerwehrmänner hatte sie an ihrer Kleidung erkannt. Aber wo war Elsa seitdem gewesen, was hatte sie gemacht? Und wer hatte ein Motiv gehabt, sie zu töten? In diese Richtung hätte zumindest mein Herbert gefragt, dachte Sophia. Immer im Dienst war er gewesen, der gute Herbert. Immer. Sie vermisste ihn noch jeden Tag.

„Regen auf Walpurgisnacht hat nie ein gutes Jahr gebracht“, murmelte Schmieder, den klaren Kopf endgültig an den Alkohol verlierend. „Sagt man so bei uns. Sowas…“
Sophia nahm Gerry an die Leine. Es war schon sehr spät, aber sie war zu aufgeregt, um zurück in die kleine Pension, wo sie für ein Wochenende Quartier bezogen hatte zu gehen.

Ein Mord, hier in der Provinz!

Auf der Festwiese war die Spurensicherung der Polizei damit beschäftigt, den Tatort zu sichern. Die Leiche hatte man bereits abtransportiert, aber auf einem kleinen Klapptisch lagen Beweisstücke, die man wohl der Toten zuordnete. Dazu gehörte ein angekokeltes Taschentuch aus weißer Baumwolle. Sophia ließ es unauffällig in ihre Manteltasche gleiten, ohne genau zu wissen warum. Dann beschloss sie, die Gegend zu erkunden. Der Spaziergang würde auch Gerry gut tun.

Herbert hatte immer gesagt, ein bestimmtes Gefühl, eine Ahnung ist mehr wert als manche Zeugenaussage. Nie hätte Sophia gedacht, einmal selber mit einem Mord zu tun zu haben.

Von der Landstraße bog ein Feldweg ab. Im Dunkel von Nacht und Bäumen sah sie dort Licht hinter den Fenstern eines alten Bauernhauses. Natürlich war es unangebracht, die Leute um diese Uhrzeit zu stören. Aber Sophia vertraute ganz ihrem Instinkt, und dem Instinkt kam Ruhestörung nicht weiter schlimm vor. Entschlossen klopfte sie an die schwere Tür und als sie Geräusche dahinter hörte rief sie: „Mein Name ist Sophia Franzen. Beim Walpurgis-Fest ist eine Leiche gefunden worden. Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen dazu stellen.“
Die Tür ging auf. Klaus Hecklinger entsprach so gar nicht dem Klischee vom Bauern, wirkte eher wie ein schlaksiger Geographielehrer, der sich mit der Familie aufs Land zurück gezogen hatte. Seine zierliche Frau Miriam stand hinter ihm. „Polizei?“
Sophia nickte stumm und streichelte Gerry dabei nervös den Kopf. Sie spielte gerade ein gefährliches Spiel.
Die Hecklingers ließen sie herein, fragten nicht mal nach einem Dienstausweis. Sophia nahm das Angebot eines wärmenden Tees dankend an und in der gemütlichen Stube erzählte sie von der toten Elsa. Klaus Hecklinger war sichtlich schockiert, seine Frau wurde bleich.
„Aber was hat das denn mit uns zu tun?“ fragte der Hausherr, als Sophia geendet hatte.
Sophia räusperte sich. Sie war ein paar Mal dabei gewesen, wenn Herbert so etwas gemacht hatte. „Die Leiche muss in den 24 Stunden zwischen der endgültigen Aufschichtung des Brennholzes und dem Beginn des Fests zur Wiese verbracht worden sein. Vermutlich in der letzten Nacht. Das Gelände war abgesperrt, ein Auto hat der Täter also nicht benutzt.“
„Ich verstehe nicht…“ stammelte Miriam Hecklinger.
„Weit kann der Weg vom Tatort zum Fundort demnach nicht gewesen sein“, fuhr Sophia fort.
„Und deshalb halten Sie uns für verdächtig?“, fragte Hecklinger, offensichtlich empört. Seine Stimme zitterte.
„Das habe ich nicht gesagt“, hielt Sophia dagegen. Sie zog das angekokelte Taschentuch der Toten hervor. „Ihr Hof ist allerdings der Einzige im näheren Umkreis.“
Gerry begann aufgeregt zu schnuppern, als Sophia ihm das Taschentuch vor die Nase hielt. „Kannst du damit etwas anfangen, mein Lieber?“
Sie sprach mit dem Hund wie mit einem Menschen. Herbert hatte das immer furchtbar unangebracht gefunden. Mit der Nase am Boden sauste Gerry durch das Haus, den Kopf pendelnd, alle Sinne in vollem Anschlag. Irgendwann fand er seinen Weg durch die Küche nach draußen, zur alten Scheune.

„Wollen wir mal nachsehen, worüber sich Gerry so aufregt?“ fragte Sophia.
Zwei Minuten später stand sie mit den Hecklingers in der Scheune, die zu einem einfachen Gästezimmer umgebaut worden war. Gerry schaute Sophia stolz an. Sie gab ihm aus ihrer Jackentasche einen Hundekeks. „Er riecht die junge Frau oder ihre Kleidung. Wollen Sie etwas dazu sagen?“
Hecklinger fuhr sich durch die Haare. „Ja, Herrgott nochmal, Elsa war hier. Sie hat auf dem Hof geholfen. Vorgestern ist sie plötzlich abgereist… weil… weil…“
Sophia brauchte nur in das leere Gesicht von Miriam zu schauen, um den Satz vollenden zu können: „Sie kamen dahinter, dass Elsa mehr als nur „ausgeholfen“ hat, richtig?“
Die Frau des Bauern schaute schweigend auf den Boden. Ihr Mann verlor die Fassung: „Wir haben Elsa nicht ermordet! Ich war an dem Abend bei der Gemeinderatssitzung! Dafür gibt es jede Menge Zeugen!“
„Ich hätte auch nicht notwendigerweise auf Sie getippt“, bemerkte Sophie und sah sich nach Gerry um, der nun mühsam mit der Schnauze ein schweres Werkzeug unter dem Bett hervor zerrte und dabei entschlossen knurrte. Es war eine Axt – eine Axt mit verdächtigen dunklen Flecken…
Klaus Hecklinger blickte seine Frau an, als sähe er sie zum ersten Mal. Sophia ahnte, dass in seinem Kopf gerade sein gesamtes Leben zusammenbrach. „Miriam, du hast… du kannst doch gar nicht… sag, dass das nicht stimmt!“
„Sie war eine Hexe“, sagte Miriam tonlos „und sie wollte nicht gehen, uns nicht in Ruhe lassen, dich mir wegnehmen. Mit der Schubkarre habe ich sie zum Scheiterhaufen gebracht.“

„Ich denke, wir sollten den Rest der Polizei überlassen“, sagte Sophia ruhig.
„Ich dachte, Sie sind von der Polizei“, krächzte Klaus Hecklinger völlig außer sich.
Sophia schüttelte den Kopf. „Das habe ich nie behauptet. Gerry ist von der Polizei, wenn auch im Ruhestand. Früher hörte er auf den Namen Gerold von Grafenhorst und war in der Hundestaffel meines Mannes. Wie es aussieht, hat Gerry nichts verlernt.“
Sophia dachte wieder an Herbert, als Miriam abgeführt wurde. Er wäre stolz auf sie gewesen. Und auf seinen Gerry…



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Who knows?
Who knows?
13. April, 2010 16:01

Wieder mal sehr lesenswert 🙂

Lari
Lari
13. April, 2010 16:07

Mir fehlt grade die Zeit, das zu lesen, aber ich vermute mal, dass die Geschichte nicht abgründig schlecht sein wird. Wieso dann trotzdem das Pseudonym? Ist ja offensichtlich nur für die Landidee-Leser gedacht – sollen die nicht merken, dass der Typ, der die Storys über niedliche Eichhörnchen und sowas schreibt, auch zu Kriminellerem in der Lage ist?

ich
ich
13. April, 2010 16:39

Die Grundidee ist dieselbe wie bei Nicola Förg, Funkenfeuer.

Andreas
Andreas
13. April, 2010 16:55

Peter Terrid alias Wolfpeter Ritter, seufz da werden Erinnerungen an so manche “durchlesene” Rhodan Nacht wach. Nette Kurzgeschichte übrigens!

Wortvogel
Wortvogel
13. April, 2010 16:56

@ ich: Habe mir das gerade mal durchgelesen – in der Tat, gewisse Ähnlichkeiten sind vorhanden. Aber ich kannte Frau Förg oder den Roman bisher gar nicht. Es bietet sich halt an.

@ Lari: Ich weiß nicht einmal genau, warum wir das mit Pseudonymen machen. Hat sich so eingebürgert. Mine is not to reason why, mine is just do do and die…

Marko
14. April, 2010 09:10

“… und war gerade dabei, das Wetter schade zu finden …”

Schöne Formulierung. 🙂

Mir gefällt diese Geschichte deutlich besser als die von Silvester, sie ist imo klarer und hat vor allem eine emotional bindendere Hauptdarstellerin — ihr toter Mann, an den sie sich immer wieder erinnert und ihr Hund sind schöne Elemente, die die Figur lebendig machen. Mit ein paar Seiten mehr hätte das richtig spannend werden können, die – redaktionell vermutlich nötige – Kürze hetzt da leider ziemlich durch die Story.

Dennoch, schön geschrieben und gern gelesen. 🙂

Gruß,
Marko

Shah
Shah
14. April, 2010 11:23

Es gibt Braunschweiger SF-Tage? Ach, man kennt seine Stadt zu wenig……

Schön geschrieben…..auch wenn ich Gerry fürchterlich finde 🙂

Howie Munson
Howie Munson
14. April, 2010 17:05

hmmm…. ich sag es ja nur ungern, aber normalerweise ist es üblich so ein Großfeuer direkt vorm Anzünden nochmal zu durchsuchen, eben damit da sicher keine Tiere, Kinder oder Bewußtlose drin sind…. aber gut, auch dabei kann es zu Nachlässigkeiten kommen… (wenn schon keiner auf Beweismittel aufpasst… *duck&weg*)

Stephan
Stephan
14. April, 2010 17:18

@Howie Munson
Mit einem künstlichen Herzen kann man auch nicht gangsterplättend durch die Stadt jagen und an Hochspannungskästen fassen. Der Film ist trotzdem geil.

Peroy
Peroy
14. April, 2010 18:27

“Mit einem künstlichen Herzen kann man auch nicht gangsterplättend durch die Stadt jagen und an Hochspannungskästen fassen. Der Film ist trotzdem geil.”

Nein.

ich
ich
15. April, 2010 12:01

@Torsten: Wollte auch keinen Plagiatsvorwurf machen, sondern nur darauf hinweisen. Übrigens recht lesenswert (vor allem als Norddeutscher im Allgäu-Exil sehr amüsant)