08
Dez 2009

Mein klitzekleines Ibiza-Tagebuch (1)

Themen: Neues |

Für jemanden, der sehr viel kommuniziert, ist es eine fast religiöse Erfahrung, zwei Wochen ohne nennenswerten zwischenmenschlichen Kontakt zu sein. Ich spreche mit praktisch niemandem, an manchen Tagen sehe ich auch niemanden. Was ich erlebe, kann ich mit niemandem teilen. Also mache ich, was ich immer mache: Ich schreibe es auf.

Herbstfarben - Ein frisch gepflügtes Feld

29.11.: Abflug zu humaner Zeit. Leider diesmal mit Zwischenstopp in Palma. Mein Flieger ist zu langsam – dafür kann ich direkt in das Insel-Taxi nach Ibiza weiter schlendern. Es regnet. Klasse, da hätte ich auch zu Hause bleiben können. Na ja, ich bin nicht zum Spaß hier. Abholservice bringt mich vom Flughafen zur Wohnung. Alles perfekt wie immer. Beruhigend. Aus dem Regen wird ein schweres Gewitter. Telefon geht nicht. Komisch. Kühlschrank leer, Supermärkte zu, weil: Sonntag und Winter. Ich springe in den Wagen und fahre zur Tanke: Nacho-Chips, eine Dose Ravioli, ein Energydrink. Das muss für heute reichen. Schaue das erste Mal seit Wochen auf meinem Computer einen Film ohne Unterbrechung (“Dolan’s Cadillac”). Falle um 23.00 Uhr tot ins Bett. Morgen stehe ich 9 Uhr auf. Spätestens! Seitenstand: 223.

Eroski ist eine extrem erfolgreiche Kette mit Supermärkten nach durchaus deutschem Standard 30.11.: 11.00 Uhr. Ich krieche mehr aus dem Bett, als dass ich aufstehe. Wenigstens ist das Wetter besser: knatschblauer Himmel, starker Wind. Der letzte Bewohner der Wohnung hat den benutzten Kaffeefilter in der Maschine gelassen – wusste nicht, wie prima die verschimmeln können. Lecker. Nehme den Wagen (uralter Ford Fiesta, frisch gereinigt – innen wie außen), und fahre zum brandneuen Supermarkt. Sehr bequem. Kaufe fast für die ganzen zwei Wochen ein – Essen gehen habe ich keine Zeit und keine Lust zu. Salami-Aufschnitt ist hier neon-rot, und leuchtet vermutlich im Dunkeln. Mir fällt auf, dass die Vorderreifen des Wagens fast platt sind – ich fahre wieder zur Tanke, schieße Luft nach. Geht doch, trotz spanischer Salami from hell! Anleitung. Frühstück: Ei, Müsli, Brot, Orangensaft, Kaffee. Ich will um 12.00 Uhr anfangen zu schreiben – nach diversen Kleinkram-Aktionen ist es 15.00 Uhr. Dann aber: 5 Stunden Schreibmarathon mit nur minimalen Pausen. Bin sehr zufrieden mit mir selbst. Grobe Rechnung: In dem Tempo komme ich zur Deadline gut hin. Springe in der Dunkelheit in den Pool vor dem Haus, um meine Männlichkeit zu beweisen. Wusste gar nicht, dass Wasser so kalt werden kann, ohne zu gefrieren. Beschließe, das täglich zu machen. Checke nochmal das Telefon – “jemand” hat normale Batterien statt Akkus in das Mobilteil gesteckt. Kein Wunder, dass die nicht aufgeladen werden. Brate ein spanisches Omelette, und dazu fünf Fischstäbchen. Für mehr reicht meine Energie nicht. Fernsehen: erste Schneefälle in Deutschland, Temperatureinbruch – jawoll, SO muss das sein! Wieder um 23.00 Uhr im Bett. Kuschelig. Schaue Comedy Specials. Jim Jefferies ist eine rüde Sau. Seitenstand: 240.

So blau bin ich auch, wenn ich aus dem Pool steige

1.12.: Erstes Türchen am SAT.1-Adventskalender – Schokolade! Fahre zum lokalen “Expert” (ja, gibt es hier auch), und kaufe Akkus (pre-charged). Schon geht das Telefon wieder. Rufe in Deutschland an, um beim Besitzer der Wohnung Mietminderung zu verlangen. Er lacht. Bekomme am Kiosk den aktuellen SPIEGEL – nur 1,10 Euro teurer als zuhause. Frühstück. Mit Wolfgang und Anneliese durch den Advent - SAT.1 sei Dank! Beschließe, nach dem Frühstück spazieren zu gehen. Die Strecke von der Bucht an der Küste entlang nach Es Canar ist wunderschön, und um diese Jahreszeit praktisch menschenleer. Zitronen und Orangen sind fast reif. Dieser Duft! Morgen jogge ich da mal ein bisschen. Freunde mich mit einem jungen Langhaar-Dackel an, der in einem sichtlichen Dilemma steckt: er soll ein Grundstück bewachen, will aber eigentlich nur gestreichelt werden. Ich streichel ihn. Mülltüte muss weggebracht werden. Ein Schild am Tonnen-Unterstand informiert mich darüber, dass die Tonnen verlegt worden sind – nur leider nicht, wohin. Ich fange eine Stunde früher als gestern mit der Arbeit an. Der Plot muss zum Ende hin neu gebaut werden – es kommt immer wieder vor, dass sich Dinge anders entwickeln, als man es geplant hatte. Müsste so aber noch besser gehen. Bin sehr zufrieden, schreibe wie im Fieber. Warum geht das Zuhause nicht? Zwischendurch: Spaghetti Bolognese. Gelungen. Der Abend kommt. Ich hechte in den Pool. Kälter als gestern, falls das möglich ist. Morgen knalle ich beim Sprung ins Becken vermutlich auf eine Eisschicht. Ist Schlittschuhlaufen eine Option? Ich schaue den ersten Teil einer Doku über Monty Python, dann die Tagesthemen: Wetter bleibt scheiße in Deutschland. Hier nicht. Noch ein bisschen SPIEGEL, und ab in die Heia. Seitenstand: 260.

Zwischen Notiz und Behältern lagen leider 200 Meter

2.12.: Etwas unruhig geschlafen, verfalle in unangebrachte Panik – ist es mit der Erholung schon vorbei? Ein üppiges Frühstück überzeugt mich: nein. Will mich nicht mehr rasieren. Ich schreibe eine Liste, was in den nächsten Wochen alles anliegt – ich muss mein Leben ändern, das ist klar. Was mich wieder mal erstaunt: Meine Internet-Sucht ist schlagartig Hier gibt's schon lange kein Internet mehr verflogen, ich habe praktisch kein Interesse, mir irgendwo ein WLAN-Netz zu suchen. Es liegen keine “Morgen-Aufgaben” an, und ich kann SOFORT mit der Romanarbeit beginnen – gegen 13.00 Uhr. Draußen hat es 17 Grad – in der Sonne deutlich wärmer, bei Wind deutlich kälter. Ich schreibe liegend auf einem weißen Sofa, mit dem Notebook auf dem Schoß. Nebenher räume ich die Festplatte auf. Nach meiner Rückkehr will ich Windows 7 installieren, da ist es Zeit für ein geordnetes Backup. Es läuft wieder gut mit der Schreiberei – ganz fette Action (Drachen! Zauberschwerter! Prinzessinnen!) lässt sich recht flott “zu Papier” bringen. Ich freue mich über die Möglichkeit, morgen die 300 zu knacken. Ab dann wird rückwärts gezählt. Fürs Jogging ist es zu dunkel. Reste-Essen. Der Sprung in den Pool hat mittlerweile eine eigene Bezeichnung: my ten seconds in hell. Rufe kurz meinen Agenten an: Keine Sorge, panta rhei. Pilotfolge “True Blood”, spanischer Denker-Krimi “Fermat’s Room”, Monty Python. Und wech. Seitenstand: 280.

Noch etwas grün, aber in einer Woche sind die Zitronen reif 3.12.: 15 Grad, bewölkt. Buuuh! Von einem bizarren Kurz-Trip nach New York geträumt. Bei der “Earth TV”-Übersicht auf N24 lief bei meinem vorletzten Urlaub hier immer “Back to Black” von Amy Winehouse, letztes Mal “Allein allein” von Polarkreis, diesmal “Nothing without you” von Mando Diao – wollen die mir was sagen? Denke darüber nach, am Wochenende ins Internet-Café zu gehen. Früher Arbeitsbeginn: 12.30 Uhr. 100 Seiten Roman sind in Open Office bei Standard-Formatierung um die 330kb. Demnach würde der gesamte Roman gerade so auf eine alte Diskette passen. Das war bei DOS-Word 3.5 noch weniger. Mir fällt auf: Ich habe diesmal keine konkreten Kapitelunterteilungen gemacht. Kommt später. Außerdem habe ich keine Einzüge verwendet, und die Seitenmargen etwas zu groß gehalten. Neue Formatierung: Autorenirrtum zu ihren Gunsten, gewinnen Sie sofort 10 Seiten! Das motiviert. Zu feucht für den Pool, ich gehe am Abend fast zwei Stunden nach Eulalia spazieren, pflücke unterwegs eine Zitrone. Dann wartet “A film with me in it”, den hatte ich auf dem FFF 2009 verpasst. Trotz des Titels komme ich nicht drin vor. Seitenstand: 310!

Eine tolle Ruine, die ich gleich um die Ecke in einem Waldstück entdeckt habe

4.12.: Mühsam aufgewacht, fühle mich schlapp – nach einem generell harten Jahr zehrt so ein Schreibmarathon halt doch an den Reserven. Ich ziehe das durch. Frühstück hilft. Schreibe zwei Von der Terrasse aus kann man es sehen - hier blüht es noch prächtig Blog-Beiträge, teilweise Reste-Verwertung. Kapitel-Unterteilung (grob alle 20 Seiten) des Romans “schenkt” mir nochmal fünf Seiten. Seltsam, eine ganze Sequenz (den Tod Fafnirs durch Siegfrieds Hand) noch einmal zu erzählen – aber aus einer anderen Perspektive. Ich überlege, ob Sonntag ein “freier Tag” drin ist. Lieber nicht. Während der Schreibphase gönne ich mir zehn Minuten Pause, trinke einen Sangria auf der Terrasse, proste um 17.30 Uhr dem malerischen Sonnenuntergang zu. Wäre schön, wenn es länger hell bliebe. Echte Autoren entwickeln übrigens eine Backup-Paranoia: Mein Manuskript sichere ich mindestens alle 30 Minuten auf einen USB-Stick. Mir fällt auf, dass die Vernichtung des Tyrannen-Schlosses in Worms deutliche Ähnlichkeiten zu 9/11 aufweist. Ich entschließe mich, das noch zu verstärken. Mache relativ früh Schluss. Bin wieder ermattet. Zur Strafe ab in den Pool. Anspruchsvoller Gruselabend mit “The Ash Tree” (nach M.R. James) und “Dead of Night”. Seitenstand: 330. Noch gut 100 Seiten, grrr…



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Montana
Montana
8. Dezember, 2009 23:28

“Salami-Aufschnitt ist hier neon-rot”

Glaub mir, das hilft. Als ehemaliger Radsport-Sponsor weiß Eroski, was Dein Körper jetzt braucht. Genau das Richtige für Leistungsschreiber und -schwimmer. 😉

Baumi
9. Dezember, 2009 10:02

Danke für die weiterbildenden Beiträge.

Bisher hätte ich bei “Eroski Center” auf einen russischen Discount-Puff getippt. (Oder auf Unanständiges auf der Abfahrtspiste.) Man lernt doch nie aus…

Tresie
9. Dezember, 2009 17:04

„Ich will um 12.00 Uhr anfangen zu schreiben – nach diversen Kleinkram-Aktionen ist es 15.00 Uhr.“
„Echte Autoren entwickeln übrigens eine Backup-Paranoia.“

Jo, genauso ist das. Mein Trick: Manuskript allabendlich an externe Mail-Adresse schicken. Dann hat man auch noch alle Versionen und es ist sicher, falls man ausgeraubt, tsunamit oder sonst was wird.
ABER: Ich bin ja fertig. Morgen kommen die Fahnen! Hurra.

Frohes Schaffen und Durchaltevermögen!!!

dLTexid
dLTexid
9. Dezember, 2009 18:05

“er soll ein Grundstück bewachen, will aber eigentlich nur gestreichelt werden”

so einen kenne ich auch 🙂

viel Spass und kreative Ergiebigkeit aus dem nebligen Deutschland 🙂

arghlöh
arghlöh
11. Dezember, 2009 14:02

lol*würde ja gerne mal sehen wie du nach dem pool am zittern bist XD

und ich schliesse mich “Tresie” an: Frohes Schaffen und Durchaltevermögen!!!

du schaffst das ! tschaka! ;P