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Mrz 2009

Ruhe da vorne! Movie-Mania 2009 (38) Heute: The General

Themen: Film, TV & Presse, Movie-Mania 2009, Neues |

general1 USA 1927. Regie: Buster Keaton. Darsteller: Buster Keaton, Marion Mack

Der Wortvogel geht in die Vollen – nach Dokus, Experimentalstreifen und Industrie-Kurzfilmen widme ich mich heute dem ersten Stummfilm der Movie-Mania (keine Ahnung, ob weitere folgen werden).

„The General“ taucht regelmäßig den Top10-Listen der besten Stummfilme aller Zeiten auf, zusammen mit „Der andalusische Hund“, „Das Cabinet des Dr. Caligari“, „Napoleon“, und „Birth of a Nation“ bzw. „Intolerance“. Er gilt als später Meilenstein der Stummfilm-Comedy und der Karriere von Buster Keaton – dem Mann, der niemals lächelt.

Grund genug, mir den Film mal anzusehen, denn genau das ist ja eine Absicht von „Movie Mania“: Dinge nachholen, die man als Filmfan gar nicht erst hätte verpassen dürfen.

„The General“ dauert 75 Minuten – ziemlich lang für eine Stummfilm-Komödie in einer Zeit, in der Slapstick meist aus kurzen „one reelers“ bestand. Auch inhaltlich setzt sich der Film deutlich von den Werken der Konkurrenz ab, denn er nutzt nicht einfach einfach eine Ausgangssituation, um daran eine Abfolge an Gags aufzuhängen – stattdessen wird eine komplette (und durchaus komplexe) Geschichte erzählt, die noch dazu während des amerikanischen Bürgerkrieges spielt.

Johnny Gray ist Lokführer des „General“, einer stolzen Eisenbahn in den Südstaaten. Er ist mit der lieblichen Annabelle verlobt. Alles könnte so schön sein – da bricht der Krieg Nord gegen Süd aus. Voller Eifer will Johnny zur Armee, doch man lehnt ihn ab, weil er als Lokomotivführer schon einen sehr kriegswichtigen Dienst leistet. Leider bekommt Johnny diese Begründung nicht mit, und ein Missverständnis später hält seine Verlobte (und ihre Familie) ihn für einen Drückeberger. Doch Johnny kann sich beweisen, als die Nordstaatler-Saboteure den „General“entführen, um die versorgungstechnisch wichtige Strecke zu demolieren. Mit an Bord: Johnnys Verlobte. Dem einfallsreichen Lokführer gelingt es tatsächlich, nach einer hanebüchenen Verfolgungsjagd bis ins Feindesland sein Liebchen und die Lok zu retten. Doch nun muss der Plan der Nordstaatler, die Armee der Südstaaten in eine Falle zu locken, rechtzeitig nach Marietta gebracht werden.

general2„The General“ ist in seiner Erzähltechnik schon vollständig ausgereift: Schnitt, Rhythmus, und Choreographie entsprechen dem modernen Standard, sogar in den Actionszenen. Es ist erstaunlich, dass vor immerhin 80 Jahren die Spielregeln, nach denen Filmdramaturgie funktioniert, ihre endgültige Form gefunden hatten. Die Kamera ist ständig in Bewegung, und die künstliche Beschleunigung vieler früherer Stummfilme fällt hier nicht mehr auf.

Inhaltlich ist „The General“ eigentlich keine Komödie – eher die Stummfilm-Version von Seagals „Under Siege 2“: Ein Mann gegen eine Trupp Terroristen an Bord eines Zuges. Und lasst euch sagen, Freunde: Buster Keaton fällt zu dem Thema erheblich mehr ein als Steven Seagal! Wie sein „Johnny“ jedes noch so haarsträubende Problem in Sekundenschnelle durch Kombinationsgabe und Einfallsreichtum löst, das ist schon sehenswert. Man sollte meinen, mit ein paar Loks auf Schienen seien die Möglichkeiten für dramatische Konfrontationen beschränkt, aber mitnichten.

Im Gegensatz zu Seagal erledigt Keaton die Schmutzarbeit selbst: Stuntmänner benutzten die Stummfilm-Komiker grundsätzlich nicht. „The General“ macht deutlich, warum Jackie Chan Buster Keaton immer als eines seiner Vorbilder bezeichnet hat: Keaton lässt selbst die irrwitzigstens Stunts und Tricks kinderleicht aussehen. „The General“ hat demnach auch mehr Überraschungen und Spielwitz zu bieten als tatsächliche Gags: Keaton ist nicht Laurel & Hardy, oder Harold Lloyd. Er ist der Tüftler und Handwerker unter den Leinwand-Komikern.

Es ist kaum zu beschreiben, wie frisch „The General“ auch heute noch wirkt: ein rasanter Actionfilm auf Schienen, eine dramatische Rettung, die Selbstfindung eines Mannes, der in Erfüllung seiner Pflicht zum Helden wird.Ton drauf, Farbe rein, und das Ding wäre reif für ein Remake.

Die Chronistenpflicht macht es jedoch notwendig, auch auf ein Grundproblem hinzuweisen, dass “The General“ mit vielen anderen Stummfilmen teilt: er ist stumm. Es gibt keine Dialoge, nur ein paar Zwischeneinblendungen. Da mag man sagen „Ist doch logisch!“, aber für ein modern geprägtes Publikum ist der Mangel an Dialog tatsächlich ein Hindernis: wir sind gewöhnt, dass Menschen sich unterhalten, dass wir Gesprächen folgen müssen. Wenn das wegfällt, und der Film das Publikumsinteresse ausschließlich aus dem bewegten Bild generieren muss, überfordert er schnell die Aufmerksamkeit des Zuschauers. Trotz all seiner Dynamik und seinen Eskapaden verlangt „The General“ doch ein ziemliches Durchhaltevermögen, weil er eine für uns eigentlich unverzichtbare Erzählebene nicht bedient. Das ist kein Manko des Films – hier liegen zwischen intendiertem Publikum und tatsächlichem Publikum halt 80 Jahre. Als ich vor einigen Jahren „Der Golem“ in einer Kinoaufführung sah, ging es mir genau so: toller Film, grandiose Bilder, aber ohne Dialoge fühlt man sich manchmal ein wenig hängen gelassen.

Trotzdem kann ich den Film jedem an Kinogeschichte Interessierten ans Herz legen. Der exzellente Ruf von „The General“ ist allemal gerechtfertigt, und das Label „Klassiker“ wird hier wahrlich nicht unnötig strapaziert.

Statt eines Trailer mal ein Doku-Ausschnitt zum Film:

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Lutz
Lutz
7. März, 2009 19:08

“The General” ist ein absolut genialer Film! Und gerade dadurch, dass man weiß, dass damals Stunts noch nicht so ausgereift waren wie heute und dass der gute Buster Keaton alles selber macht, entwickelt er dabei eine unglaubliche Spannung. Schließlich ist das Ding, was da so wild durch die Gegend fährt, wirklich eine echte Eisenbahn.

Ich habe auch lange gebraucht, bis ich mir den mal angesehen habe, weil ich “Nosferatu”, “Faust” und “Metropolis” zwar toll finde, aber dadurch, dass sie stumm sind, jeder dieser Filme seine Längen hatte und ein stark gefühltes Maß an zusätzlicher Aufmerksamkeit erforderten..

Ich finde aber, das ist bei “The General” überhaupt nicht so. Der Film ist der perfekte Einstieg in Stummfilme, kurzweilig, brüllkomisch und irrsinnig spannend. Wenn man seine anfängliche Skepsis beiseite legt und den Film anschaltet, zieht es einen sehr bald in den Bann.

Und wenn man sich fragt, wo man den sehen kann: “The General” ist einer der wenigen Stummfilme, die immer mal wieder im Fernsehen gezeigt werden. Zur Not ist er auch auf youtube, in Häppchen zerteilt zu finden. Und in dem Fall ist es sogar legal, da die Lizenzen bereits abgelaufen sind.

Wortvogel
Wortvogel
7. März, 2009 19:19

Naja, “brüllkomisch” fand ich ihn nicht, aber er war schon klasse.

Lutz
Lutz
7. März, 2009 19:28

Bei mir war es gerade so, dass es auf Grund der Kombination mit der Spannung witziger war, als diese Slaptick-Gags normalerweise auf mich wirken. Natürlich hat auch Keaton damals schon gewisse Sicherheitsvorkehrungen getroffen, aber durch meine (vielleicht überhebliche) Einstellung, dass alles damals wesentlich primitiver und dadurch gefährlicher war, das zu drehen, habe ich da wirklich mitgefiebert und das Lachen war in dem Fall für mich befreiend.

Ich kann normalerweise nicht so sehr auf diese alten Slapstick-Sachen. Ich erkenne zum Beispiel Chaplins Genie an und bedaure, dass ich mit seinen alten Filmen nicht so viel anfangen kann, aber bis auf wenige Ausnahmen (“1 am” !!!!) finde ich das nicht mehr so richtig witzig. Auch bei den paar Sachen, die ich bisher von Keaton gesehen hatte, überwog da mehr Bewunderung vor dem, was da technisch und stuntmäßig gemacht wurde, als dass ich wirklich mitgelacht hätte. Daher war ich umso überraschter, wie stark ich auf “The General” reagierte.

Dieter
Dieter
7. März, 2009 19:40

Ich finde es sehr spannend, wo die Schnittmengen des Stummfilms zu den aktuellen Filmen und wo die Unterschiede liegen. Danke für die Analyse!

Neben den fehlenden Dialogen bremsen für heutige Augen auch die gestische Darstellung der Schauspieler das Einfühlungsvermögen (wer einmal ,,Angst” im Stummfilm gesehn hat, weiss, wie Angst überall im Stummfilm aussieht). Und es ist interessant, wie es gelang, die theaterartigen Bühneninszenierungen zu überwinden.

Wir haben früher in unserer großen Familie mal ,,Limelight” von Charles Chaplin gesehen. Bei der abschließenden Bühnenszene mit ihm und Buster Keaton kugelten wir Kinder uns buchstäblich vor Lachen auf dem Boden. Vor einiger Zeit lief der Film spät im Fernsehen. Genau diese Szene, im Film findet die erfolgreich vor Publikum statt, wurde ohne Filmlacher und ohne Publikum gedreht! Das haben wir nicht gemerkt, weil wir selber so lachen mussten. Jetzt habe ich irgendwo gelesen, dass Chaplin das Lachen des Kinopublikums eingeplant hat, sodass Szenenpublikum nicht nötig war. Und das funktioniert noch heute!

Keaton und Chaplin waren große Meister der Komik, weil besonders sie immer auch die Tragik ihrer Figuren beleuchteten.

Und noch eine kleine Bemerkung: Meine Mutter hat als Kind die Kinoaufführung von ,,King Kong” miterlebt! Im Kino entstand komplettes Entsetzen, als der Gorilla erschien und sich die Frau schnappte. Einige Zuschauer sind aus dem Kino geflüchtet! Das funktioniert heute nicht mehr, guter Humor und gute Dramaturgie schon. Interessant!

Wortvogel
Wortvogel
7. März, 2009 19:47

Es gibt ja auch die Anekdote, dass die Menschen bei den ersten kurzen Filmschnippseln, in denen ein Zug auf die Kamera zufährt, aufgesprungen und weggelaufen sind.

Meine Mutter ist damals bei “Shining” rausgelaufen – es hat sie zu sehr gegruselt 🙂

Mich hat halt überrascht, dass mit der Einführung des Tonfilms eigentlich alle dramaturgischen Mittel ausentwickelt waren, und seither nicht mehr nennenswert variiert werden.

Mencken
Mencken
7. März, 2009 20:10

@Wortvogel: Wobei es ja durchaus auch Leute gibt, die gerade die Einführung des Tonfilms dafür verantwortlich machen, daß dramaturgische Mittel nicht weiterentwickelt worden sind – ich fände es schon interessant zu sehen, wie sich die Filmsprache noch weiterentwickelt hätte, wenn der Tonfilm ca. 10-20 Jahre später Einzug gehalten hätte.

paradiesflüchtiger
paradiesflüchtiger
7. März, 2009 22:22

Wie Lutz geschrieben hat, ist die Lizenz des Films abgelaufen, daher findet sich der Film in ganzer Länge und verschiedenen Versionen im Internet Archive:
http://www.archive.org/details/The_General_Buster_Keaton

Wortvogel
Wortvogel
7. März, 2009 22:51

@ Paradiesflüchtiger: Ich habe das gerade mal verglichen – die Internet Archive-Fassung ist brutal langsam abgespielt, die läuft glatt eine halbe Stunde länger als meine Version. Ein Vergnügen ist das nicht.

Baumi
7. März, 2009 23:11

@Mencken:
Klar, gerade die frühen Tonfilme leiden darunter, dass plötzlich die Kamera in einem unförmigen schalldichten Gehäuse steckte und daher in allen Dialogszenen komplett unbeweglich war. Aus ähnlichen Gründen waren Außenaufnahmen mit Dialog fast unmöglich. Das änderte sich erst nach einigen Jahren.

Lustig übrigens, wie die miese Leistung der frühen Mikrofone und die noch nicht erfundene Tonangel ausgeglichen wurden. Ich hab’ im Studium mal einen Filmausschnitt gesehen (weiß leider nicht mehr, woraus), bei dem die Darsteller ihren Dialog penetrant in Richtung einer Deckenlampe sprachen, die zwischen ihnen hing. 🙂 (Wurde ja auch in “Singing in the rain” sehr schön parodiert, da war es allerdings eine Blumenvase, zu der die Schauspieler liefen, um ihren Text loszuwerden.)

Grinsi KleinPo
Grinsi KleinPo
9. März, 2009 08:20

Dieser Film hat Buster Keaton für alle Zeiten in den Olymp der Filmschaffenden katapultiert. Einer der besten Filme überhaupt. Nichts von dem was in den letzten Jahren meine Augen erblickt hat war, ist so gut und fesselnd wie dieser Film.

Der Mann ist einfach giganitisch. Voller Einsatz für das Werk. Leider hatte er danach nicht mehr all zu viel Glück als Schauspieler. Sein Spätwerk ist ebenfalls sehenswert.

Sheera
Sheera
9. März, 2009 14:56

Das heutige Publikum findet Stummfilme eher langweilig, und ein wenig kann ich das nachvollziehen. Aber ich persönlich schaue so etwas ganz gerne. Das liegt wohl daran, dass ich auch in ‘normalen’ Filmen extrem auf das Setting und den Hintergrund achte. Ich lache mich über etwas, dass vom Hintergrund mit dem Vordergrund interagiert, schlapp – und meine Freunde schauen mich verwundert an, weil sie gerade nur auf die Protagonisten im Vordergrund geschaut haben…

Ich habe mir z. B. auch die ‘Nibelungen’ als Stummfilm angesehen. 3 Stunden. Und es hat mir gefallen!

Was man in modernen Filmen nicht mehr zu sehen bekommt (und was ich wirklich schade finde) ist echtes SCHAUspiel. Eben *weil* es keinen Ton für die Gespräche gab, war Mimik und Gestik unglaublich wichtig. Durch ihr ganzes Gebärden haben diese Schauspieler den Inhalt von Gesprächen vermittelt, ohne dass Ton nötig gewesen wäre! Das finde ich immer wieder beeindruckend. Derart intensives Spiel ist aber durch das Einführen des Tonfilms überflüssig geworden. Ein echter Jammer.

Was den Humor der damaligen Komödien angeht, die lassen sich mit einem Wort zusammen fassen: Kurzweilig. Ob einem das gefällt oder nicht ist Geschmackssache. Als Kind fand ich z. B. Charlie Chaplin-Filme zum brüllen, aber ich weiß nicht, ob ich das heute noch genauso empfinden würde.

Insgesamt kann man aber sagen, dass Stummfilme ein Stück Filmgeschichte sind, das sich anzusehen lohnt. Allein die damaligen ‘Spezialeffekte’ and the likes sind einfach nur herrlich und einfallsreich. Das wiegt in den meisten Fällen das Fehlen einer guten Story wieder wett (mEn). =)

Peroy
Peroy
9. März, 2009 15:14

“Dieser Film hat Buster Keaton für alle Zeiten in den Olymp der Filmschaffenden katapultiert. Einer der besten Filme überhaupt. Nichts von dem was in den letzten Jahren meine Augen erblickt hat war, ist so gut und fesselnd wie dieser Film.”

Na, jetz’ mach’ mal halblang… 😕

Peroy
Peroy
9. März, 2009 15:17

“Was man in modernen Filmen nicht mehr zu sehen bekommt (und was ich wirklich schade finde) ist echtes SCHAUspiel. Eben *weil* es keinen Ton für die Gespräche gab, war Mimik und Gestik unglaublich wichtig. Durch ihr ganzes Gebärden haben diese Schauspieler den Inhalt von Gesprächen vermittelt, ohne dass Ton nötig gewesen wäre! Das finde ich immer wieder beeindruckend. Derart intensives Spiel ist aber durch das Einführen des Tonfilms überflüssig geworden. Ein echter Jammer.”

Das zu intensive Chargieren ist übrigens auch Schuld daran, dass viele Stummfilme heutzutage einfach nur noch peinlich wirken. Also, ich vermisse das nicht…

Manuel
17. März, 2009 00:11

Dieser Film hat zu dm schönsten Kinoerlebnis geführt, dass ich je hatte. In Hamburg werden auf dem Rathausplatz im Sommer kostenlos Kinofilme (keine aktuellen) gezeigt. Die Leute bringen Decken, oder Klappstühle mit oder schauen sich die Filme im Stehen an.

“Der General” wurde gezegt und dabei live vom Landesjugendorchester Schlewig-Holstein begleitet. So etwas fantastisches hatte ich bis dahin noch nie gesehen, sowohl was den Film anging, als auch wie ein Orchester live einen Stummfilm begleiten kann.

Eine Stelle in dem Film mag ich besonders. Buster Keaton versucht Holzsämme – falls ich mich richtig erinnere – auf den Zug zu laden, aber sie fallen auf der anderen Seite wieder herunter.

In einem modernen Film würde so etwas mit vielen Kamerapositionen und schnellen Schnitten gedreht, um den maximalen Effekt herauszuholen, bei Buster Keaton war das alles eine einzige Einstellung ohne Schnitt, ohne Zoom, ohne garnx und holte damit den maximalen Effekt heraus.