06
Mrz 2009

Aus meinem Bücherregal: “Thrill Power Overload” und “The Best of 2000 AD”

Themen: Neues |

thrillpoweroverloadIch lese zu wenig Bücher, und oft ist das, was ich lese, zu obskur für ein breites Publikum. Darum gibt es hier auch so selten Lesetipps.

Aber der Start von “Watchmen” ist vielleicht eine gute Gelegenheit, mal ein bisschen stärker in das Thema “britische Comics” einzusteigen. Meistens scheinen Fans ja fast ausschließlich in die drei Fraktionen “franko-belgisch”, “japanisch”, und “amerikanisch” zu zerfallen.

Ich selber hatte mit britischen Comics immer nur am Rande meines Blickfeldes zu tun: Die englische Videospielzeitschrift “C+VG” druckte in den 80ern Fortsetzungsgeschichten (aus “2000 AD” – was mir nicht klar war), ein Freund hatte einen Sammelband “Chopper” bei sich liegen, und ich wusste von mehreren C64-Spielen, die auf Comics basierten (“Nemesis”, “Slaine”, “Rogue Trooper”, etc.). In den 90ern wurde manchmal in einem irischen Pub in München die “Viz Comics” verkauft, und das Magazin “SFX” besprach ab und an Sammelbände erfolgreicher Titel.

Was mir lange nicht klar war: der britische Comic-Markt ist komplett anders strukturiert als der amerikanische und französische Markt. Absolute Dominanz hat seit 1977 das wöchentliche Magazin “2000 AD”, dessen “Prog” genannte Ausgaben Einzelstories und Fortsetzungsgeschichten präsentieren. Mehr dazu findet ihr in der Wikipedia und auf der offiziellen Homepage. Praktisch alle großen Autoren und Zeichner der Insel haben hier ihre Hörner abgestoßen – und diverse der kultigsten Comic-Charaktere entstanden exklusiv für “2000 AD” bzw. das Monatsheft “Judge Dredd Megazine”.

Durch Zufall stieß ich vor kurzem auf ein gut beleumundetes Buch von David Bishop mit dem knalligen Titel “Thrill Power Overload”, und bestellte es mir aus Großbritannien. Und tatsächlich: das übergroße, durchgehend vierfarbige Hardcover (jetzt auch als Paperback erhältlich) mit den üppigen Illustrationen verdient die selten gewordene Bezeichnung “Standardwerk”. Bishop hat praktisch alle Beteiligten der dreißigjährigen “AD”-Historie interviewt, und die wechselvolle Geschichte spannend, unterhaltsam, und ohne Scheu vor Kontroversen aufgearbeitet. Er findet sogar noch Zeit und Platz, um die Versuche der Konkurrenz zu beleuchten, “2000 AD” Marktanteile abzujagen.

Das Cover lügt nicht: “It’s totally awesome, man!”

bestof2000adSchon als ich das Buch bestellte, war mir klar – wenn ich was über die britischen Comics lerne, soll das nicht alles nur Theorie bleiben. Der Mensch lebt nicht von der Sekundärliteratur allein. Und da fand ich es überaus praktisch, dass Amazon zum Kauf des Bishop-Buches gleich den Hardcover-Band “The Best of 2000 AD” empfahl. Ein Klick, und ich hatte zugeschlagen.

Nun ist der Begriff “Best of” natürlich schwer subjektiv, aber nach 30 Jahren wissen die Macher von “2000 AD”, was bei ihren Lesern hoch im Kurs steht, und darum findet man in dem Sammelband auch alles, worüber Bishop so begeistert geschrieben hat: “Strontium Dog”, “ABC Warriors”, “Halo Jones”, “Judge Anderson”, “Slaine”, etc. Den mit Abstand größten Raum nimmt natürlich die legendärste Kreation des 2000 AD-Universums ein: Judge Dredd.

Man sollte sich allerdings vom schönen Cover mit dem neckischen Spot Lack nicht täuschen lassen – den Leser erwarten 380 fast ausschließlich schwarzweiße Seiten. Anders wäre der Band vermutlich nicht zu bezahlen. Macht aber auch nichts – bis Anfang der 90er war “2000 AD” auch weitgehend schwarzweiß publiziert worden, und die teilweise spektakuläre Artwork funktioniert auch so ganz prima.

Wie erhofft ergänzen sich “Thrill Power Overload” und “Best of 2000 AD” geradezu gruselig perfekt. Für beide Bücher zusammen zahlt man mittlerweile keine 30 Euro mehr – und einen umfassenderen und spannenderen Einblick in die Comic-Szene Großbritanniens kann man sich nicht wünschen. Außerdem machen sie sich verflixt gut im Regal.

Trotzdem legte ich die Bücher letzte Woche eher frustriert beiseite. Denn sie hatten ein Bedürfnis geweckt, dass ich bis dato nicht hatte, und ohne das ich auch gut leben konnte: Ich will ein deutsches “2000 AD”! Keine hunderte monatliche, inhaltlich miteinander verschränkte Heftchen wie in den USA, keine Telefonbücher wie in Japan, keine teuren Edelalben wie in Frankreich – ich will ein wöchentliches Magazin mit wechselnden Geschichten und Charakteren, in dem sich deutsche Zeichentalente austoben können. Zum Taschengeldpreis an jedem Kiosk und in jeder Kneipe. Ich wäre sowas von dabei.

Zu blöd, dass der deutsche Markt sowas niemals tragen könnte…



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Andreas
Andreas
7. März, 2009 00:58

Sowas wie U-Comix oder Schwermetall? http://de.wikipedia.org/wiki/U-Comix bzw. http://de.wikipedia.org/wiki/Schwermetall_(Comic)

Zugegeben, der Fokus lag auf französischen Comics, zumindest bei U-Comix kamen aber auch deutsche Zeichner zum Zug. Weiter liegst du mit deiner Vermutung, dass er deutsche Markt sowas nicht tragen könnte, leider richtig. Beide Magazine wurden eingestellt.

Wortvogel
Wortvogel
7. März, 2009 01:00

@ Andreas: Und die von dir gebrachten Beispiele kamen nicht einmal wöchentlich – ich beneide die Engländer. Sowas wie “2000 AD” hätte mich gerne durch die Pubertät begleiten dürfen…

Andreas
Andreas
7. März, 2009 01:26

Achja, stimmt, das waren monatliche Magazine. Für mich war zumindest U-Comix aber ein sehr prägendes Format, hat es mir als Jugendlicher doch gezeigt, dass es da mehr gibt als Asterix, Lucky Luke und Micky Maus.

Wortvogel
Wortvogel
7. März, 2009 02:36

Ich war in den 70ern ein Kind von ZACK

Mencken
Mencken
7. März, 2009 11:31

Ehrlicherweise habe ich immer mangelnde Qualität für die vergleichsweise Obskurität des britischen Comicmarktes ausgemacht – Viz Comics war immer Schrott und 2000 AD auch eher in der etwas peinlichen “Heavy Metal”-Ecke einzuordnen (mag sich geändert haben), ein Vergleich mit Frankreich, Japan oder den USA würde mir daher auch schlichtweg absurd erscheinen.

Wortvogel
Wortvogel
7. März, 2009 12:14

@ Mencken: Da möchte ich schwer widersprechen. Sicher, “2000 AD” war immer für eine klare Zielgruppe (Jungs knapp vor und in der Pubertät), und etwas “hard SF”-lastig, aber das ändert nichts an der Brillanz vieler Geschichten, und der zeichnerischen Qualität. Ich glaube, “Thrill Power Overload” würde dir da echt die Augen öffnen.

Tornhill
Tornhill
7. März, 2009 12:48

Waaah – der Wortvogel weckt die wallende Gier!

Als Moore-Jünger achtete ich das mir persönlich völlig unbekannte “2000 AD” ja schon immer, aber jetzt bin ich wirklich gierig darauf geworden.
Wenn ich mir also eines, oder beide der Bücher zulege, schäme man sich, in welch Kosten man mich gestürzt hat!

Das Fehlen einer solchen Publikation bejammere ich auch schon länger. Muss ja zu Anfang gar nicht gleich wöchentlich sein, aber einfach eine regelmäßige Plattform zum Ausschauen und Ausbilden neuer Talente. Natürlich zu einem moderaten Preis und möglichst ohne zu eindeutiges, Interessenten ausschließendes Image (wie es “Schwermetall” nun einmal hat) und ein froher Morgen könnte dämmern…

Mencken
Mencken
7. März, 2009 14:02

@Wortvogel: Durchaus möglich, ich kenne da nur wenige Ausgaben und das seinerzeitige Publikum (in etwa die Leute, die sich ansonsten in der Gorebauernschublade einordnen lassen) mag mich da auch beeinflusst haben.

Wortvogel
Wortvogel
7. März, 2009 14:13

@ Mencken: Du hast ja auch nicht völlig Unrecht – “2000 AD” kommt meistens (im Gegensatz zu franko-belgischen Comics) ohne Subtext oder Moral aus. Großen Knarren wird mit noch größeren Knarren entgegen getreten. Das überschreitet oft genug die Grenze zum faschistoid-militaristischen. Und die erste wirkliche Frauen-Hauptfigur “Psi-Judge Anderson” war dementsprechend auch die erste Wichsvorlage vieler 2000 AD-Leser. Aber das hat sich schon lange gebessert, und wenn man sich heute mal die ausgewählt besten Geschichten in Sammelbänden anschafft, findet man erstaunlich viele Perlen im Schweinetrog.

Tornhill
Tornhill
8. März, 2009 12:04

Es sei vermerkt, dass der Schaden nun angerichtet ist: Weil ich erst die Primärliteratur kennen will, bevor ich in’s Sekundäre einsteige, habe ich mir über Amazon “The Best of 2000 AD” bestellt.

Ich hoffe, die danken dem Werbevogel angemessen, dass er mich um mein Geld bringt. 😉

Wortvogel
Wortvogel
8. März, 2009 12:08

@ Tornhill: Und dann bin ich wieder schuld, wenn es dir nicht gefällt 🙁

Ich hätte TROTZDEM zuerst “Thrill Power Overload” gelesen. Dank der üppigen Bebilderung versteht man den Kontext auch so, und kann hinterher die Strips in “Best of 2000 AD” besser einordnen.

Tornhill
Tornhill
9. März, 2009 13:32

Macht ja nichts: Jetzt, wo ich einen Sündenbock habe, kann ja nicht mehr viel schief gehen.
Im schlimmsten Fall prügle ich halt einen Obdachlosen mit dem Band zu Tode und brülle ihm dabei zu “Bedank dich dafür beim Dewi!”

Stephan
Stephan
10. März, 2009 23:53

Du könntest ja selbst mal ein Comic schreiben – die Vorlagen sehen aus wie Drehbücher 😉

Wortvogel
Wortvogel
10. März, 2009 23:56

@ Stephan: Ich habe seit Jahren ein Konzept für ein Superhelden-Comic hier liegen, und ein bekannter Münchner Comic-Zeichner würde sich auch gerne daran versuchen. Das Problem: es geht nur mit einer Figur, deren Lizenz nicht zu bekommen ist – Batman.

Dr. Acula
11. März, 2009 10:42

Das hat Asylum bei “The Black Knight Returns” auch nicht gestört 🙂