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Jul 2007

Fantasy Filmfest 2007: Ex Drummer

Themen: Fantasy Filmf. 07, Film, TV & Presse, Neues |

EX DRUMMER (Belgien 2007, 104 min, flämische OmdU)

REGIE: Koen Mortier
DARSTELLER: Norman Baert, Dries Vanhegen, Gunter Lamoot, Sam Louwyck, Bernadette Damman
DREHBUCH: Koen Mortier, Herman Brusselmans (Buchvorlage)

Ex Drummer PosterStory:
Dries ist ein gefeierter Underground-Autor mit Edel-Wohnung in Ostende und Luxus-Freundin. Ein Zyniker, wie er im Buche steht. Eines Tages stehen drei menschliche und soziale Wracks vor seiner Tür, die ihn als Drummer für einen Gig haben wollen. Mehr aus anthropologischer Neugier lässt sich Dries darauf ein – er hofft auf eine Geschichte für ein neues Buch. Die „Feminists“ bringen jedes Unterschichten-Klischee zum überkochen: arbeitslos, schwul, pervers, behindert, strunzdumm, faul, drogensüchtig, gewalttätig. Aber an den Instrumenten wissen sie, was sie tun, und auch Dries packt der Ehrgeiz, beim Punk-Festival in Laffinge zu gewinnen – und die „Feminists“ so lange zu provozieren, bis das brüchige Sozialgewebe der gegenseitigen Abhängigkeiten endgültig reißt…

Kritik:
Beichtzeit: Ich stehe nicht auf Gewaltfilme. Was Horror angeht, gehen meine Interessen ins okkult-phantastische. Slasher langweilen mich. „Torture Porn“ macht mich wütend. Ich habe Horrorfilme nie als „Mutprobe“ angesehen, die man „ertragen“ muss. Und Punk mag ich auch nicht.

Warum finde ich trotzdem, dass ein brutaler, sexgetränkter, schwulenfeindlicher, nihilistischer, deprimierender, Punkhardcorehorror-Streifen so ziemlich das Beste darstellt, was in den letzten Jahren auf dem FFF zu sehen war? Vielleicht, weil „Ex Drummer“ eben KEIN Selbstzweck ist, weil er seine Figuren nur scheinbar der Verachtung preisgibt; weil er letztlich genau das schafft, was das gros der New Wave-Slasher nur behauptet: Er richtet die Kamera auf das Geschehen, aber den Fokus auf die Zuschauer. Wir wollen wie Dries in die Unterwelt reisen, wollen neugierig in die Häuser schauen, an denen wir sonst nur schnell vorbeigehen. Wir geilen uns an der völligen Abartigkeit der Unterschicht auf, denn sie ist so, wie wir sie uns in feuchten Fieberträumen ausgemalt haben – bis Mortier am Schluss genau das zeigt, was wir eigentlich nicht sehen wollten: die Menschen hinter den Tierfratzen. Und plötzlich bricht unsere Fähigkeit, die Welt der „Feminists“ zu verachten, in sich zusammen. Die Tiere waren in Wirklichkeit der Spiegel, in den wir geschaut haben. Die „lost souls“ – sie sind unsere Verantwortung, nicht unser Abfall.

ex-drummer-143.jpg

„Ex Drummer“ ist wahrlich keine leichte Kost – es gibt echte Penetration bei den Sexszenen, extremste Gewaltdarstellung (besonders gerne gegen Frauen und Schwule), und nicht den geringsten Ansatz von moralischer Aufarbeitung des Geschehens. Dies ist kein Film, in den man mit seiner Freundin geht – dies ist ein Film, von dem man seiner Freundin nicht einmal erzählt, dass man ihn gesehen hat. Ein Film, der einem die Zähne mit dem Baseball-Schläger wegdrischt, und einem dann in den blutigen Mund pisst.

Internet-Reviewer Vern hat mal bei einem anderen Film etwas geschrieben, was zu “Ex Drummer” passt wie die Faust aufs Auge: “The film has taken the limitations of the medium by the neck and told them to go fuck themselves. And their mama too.”

Aber „Ex Drummer“ ist auch grandios erzählt, in sich absolut stimmig, mit dramaturgischen Ideen und Wendungen, die auf äußerste Sorgfalt der Macher schließen lassen. Es ist ein Film über eine hohle Welt – aber nicht von hohlen Menschen gemacht. Das beginnt schon bei der ersten Szene, die von der Ankunft der Feminists bei Dries an rückwärts läuft, und uns so Stück für Stück offenbart, was für gestörte Gestalten da bei dem Schriftsteller geklingelt haben. Der Geisteszustand des Vergewaltigers/Sängers der Band wird so ins Bild gesetzt, dass er in seiner eigenen Wohnung immer an der Decke läuft (ein cleverer, subtiler Effekt, durch ein umgedrehtes Set erreicht).

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Zusätzliche Kraft gewinnt „Ex Drummer“ dadurch, dass nichts, aber auch gar nichts gestellt wirkt. Man kann in den Protagonisten keine Figuren sehen, kann sich keine Darsteller dahinter vorstellen. Sie sind, was sie sind.

Kein Zweifel – „Ex Drummer“ ist so kontrovers, wie er pervers ist. Und einige meiner Leser werden, falls sie sich den Film ansehen, hinterher wütend auf mich sein. Aber ich denke, ich habe hier ausführlich genug beschrieben, was einen erwartet.

Mag man sowas sehen? Vielleicht nicht. Aber man sollte. Vielleicht muss man sogar. „Ex Drummer“ spült einem das Hirn frei wie einst Herkules die Augias-Ställe. All die verklebten Vorstellungen, die man von dem Medium hatte, werden aufgelöst, die Krusten beliebiger Wohlfühl-Dramaturgie brechen weg. Hier wird gezeigt, zu was Film in letzter Konsequenz fähig ist, dass auch 2007 noch die Möglichkeit zur Revolution besteht.

Dringlichkeit: Wer sich den nicht auf dem FFF gönnt, dem ist nicht zu helfen. Dürfte auch nicht gerade ein Blockbuster auf DVD werden.

6belas.jpgPositiv:
Die Kamerarbeit, die Darsteller, das Konsequenz in der Ausführung.

Negativ:
Nix.

Hört nicht auf mich:
“Suckage redefined! Mkay, this may very well be the worst 104 mins I’ve spent in my life. ever. not even mentioning the 7.50 euro. Thank you ever so much Koen Mortier. The first 5 minutes were somewhat funny, cause it’s so extremely over the top.. not to sit back and watch an entire movie. I seriously wonder what mentally challenged person could’ve made this kind of movie, or even worse, enjoy watching it. And could anyone enlighten me, as to where exactly I should be looking for some kind of storyline. I won’t be watching another Belgian movie the first 5 years. Ashamed to be Belgian. Profoundly ashamed.” – IMDB



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19 Kommentare
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Peroy
Peroy
24. Juli, 2007 21:30

“Beichtzeit: Ich stehe nicht auf Gewaltfilme. Was Horror angeht, gehen meine Interessen ins okkult-phantastische. Slasher langweilen mich. „Torture Porn“ macht mich wütend. Ich habe Horrorfilme nie als „Mutprobe“ angesehen, die man „ertragen“ muss. Und Punk mag ich auch nicht.”

Dann brauch’ ich ja gar nicht weiterlesen…

Tornhill
25. Juli, 2007 16:39

Hmmmmmm…….

Klingt…interessant…Ich kann mir gut vorstellen, den Film abgrundtief zu hassen und höre mich mich jetzt schon meckern, dass all seine Schnörkellosigkeit nur Fassade für billige Triebabfuhr der Macher ist, aber…vielleicht ja nicht!

Ein generellen Standpunkt zum unendlich breiten Feld “Gewaltfilm” habe ich nicht, aber faszinierend klingt es…

Mencken
Mencken
6. August, 2007 15:40

Den Text könnte man so nahezu unverändert auch unter einen beliebigen Noe-Film setzen; für mich daher wohl eher Warnung als Empfehlung.

Wortvogel
Wortvogel
6. August, 2007 15:50

Klar, das muss jeder mit sich ausmachen – ich bin überzeugt, dass “Ex Drummer” für viele das genaue Gegenteil von guter Unterhaltung darstellt.

Scorch
14. August, 2007 22:56

Hui, bin auf dein Review durch Google gestossen, nachdem ich vor gut 2 Stunden den Film auf dem FFF Bochum gesehen hab und die Meinungen auf IMDB mal wieder keinen vernünftigen Ansatz zeigten.
Jedenfalls hast du den Nagel auf den Kopf getroffen.
(Mir geht es übrigens auch so, dass mich Torture Porn Filme eher wütend machen).
Ex Drummer ist wirklich ein heftiger Film, mal schauen, ob und wie der hier auf DVD erscheint…

Wortvogel
Wortvogel
14. August, 2007 23:00

@ Scorch: Es gibt ihn bereits auf DVD mit Untertiteln in mehreren Sprachen.

xenoforge
17. August, 2007 22:18

Das hört sich ja nach einem schönen Familienfilm an, so richtig knuffig.

“Ik ga je doodneuken !”

hihi..

Wortvogel
Wortvogel
17. August, 2007 22:44

Der Xeno ist fieeees… 😉

Wüstenarchitekt
Wüstenarchitekt
7. September, 2007 22:03

Na dann bin ich ja mal gespannt. Hab mir den Film wild ausgesucht und werde ihn heute beim Toronto Filmfest sehen… Mir gefällt die Beschreibung der Kameraarbeit, ob mir das was die Kamera einfängt gefällt…

markus

Wortvogel
Wortvogel
7. September, 2007 22:09

@Wüstenarchitekt: Feedback erwünscht!

zentai
zentai
9. September, 2007 18:28

hab ihn auf dem fff in berli gesehen. nicht sooooo derbe, wie überall dargestellt (oder bin ich schon zu abgehärtet?) aber sehr sehenswert! einzig die lange konzertszene hat für mich unheimlich energie aus dem film genommen. die grandiosen charaktere, TEILWEISE innovate umsetzung und die ungestühme rohheit sollte man wirklich gesehen haben, das verzeiht auch die herummäandernde und kein ende finden wollende story… in diesem sinne “mongoloid….mongoloid….happier than you and meeeeee” 🙂

Peroy
Peroy
4. November, 2007 10:21

Gratualition zum Zitat im offiziellen “Ex-Drummer”-Trailer. Falls sich der Schrott wie geschnitten Brot verkaufen sollte, bist du mit schuldig… 8)

Alex
Alex
31. März, 2008 02:31

ich hab den film nun auf dvd gesehen. und jaaa… er ist mehr als nur aufwühlend. kontrovers und ehrlich. so ziemlich alles was man sich im kopfe einbildete in bezug auf sozial-gestörte menschen in einen sozialschwachen milieu wird echt gesprengt.
jedoch wirken diese ganzen looser typen ehrlich. ich hattedas gefühl ich schaue paralell zum film eine doku.
ein typ der frauen auf brutalste weise zusammenschlägt. Einer der zu fast 100 % taub ist und dessen freundin ihr kind mit hasch ruhigstellt. usw.
es ist echt nen film den mann sich unbedingt anschauen muss! hier erwartet einen rohe Ehrlichkeit, gute Dramaturgie, klasse Story und momente (ähnlich wie in trainspotting) wo man nicht weiß ob man nun lachen, weinen oder schweigen sollte, da alles einen vorkommt als sei man Zuschauer.
die Extras auf der dvd sind echt klasse gemacht. besonders das Making Of ist echt der hammer!

finzschette
finzschette
16. Juli, 2008 22:53

Langweilig, zynisch, pseudo-dokumentarisch und sexistisch. Braucht’s noch mehr?

Wortvogel
Wortvogel
16. Juli, 2008 22:57

@ finzschette: Da fehlen noch genial, verstörend, ehrlich, unprätentiös und kick ass.

Peroy
Peroy
22. Juli, 2008 12:43

Der Streifen ist in der Kino Kontrovers-Reihe auf DVD erschienen. Der KANN nur scheisse sein, weil da ausschließlich Müll verramscht wird… ! xP

Passt bestimmt prima neben moppelkotze wie “Ken Park”, “Irreversible” und “Santa Sangre”…

Wortvogel
Wortvogel
22. Juli, 2008 12:48

Engelchen, seit über einem Jahr arbeitest du dich an dem Streifen ab – wie wäre es einfach mal mit angucken?

Peroy
Peroy
22. Juli, 2008 15:31

Nee, der interessiert mich halt nullkommagarnüscht, das ist das Problem. Da wird kein Geld investiert in einen Film, der soweit abseits vom Schuss liegt, dass er komplett aus meinem Raster fällt. Muss sich der “Ex-Drummer” halt bis zur eventuellen TV-Ausstrahlung für lau gedulden und solange meine unfundierten Pöbeleien über sich ergehen lassen…

Teys
Teys
21. März, 2010 19:52

Das Ende des zweiten Absatzes deiner Kritik fasst es wirklich perfekt zusammen – dieser Film ist ein hochsubversives Meisterwerk. Wobei ich ehrlich sagen muss, dass er mich amüsiert hat und mich eigentlich bis heute amüsiert – ich kann mich einfach zu gut in die Figur des Schriftstellers einfühlen, auch wenn ich ihn doch mit einem bösen Grinsen verachte. “Ex Drummer” zeigt perfekt: Der freudvolle Betrachter des Drecks ist nicht einen Deut sauberer als dieser, mag er sich auch täglich duschen und den reinsten Sex auf Erden haben. Und der “Showdown” ist jenseits jeglicher Superlativen. Deine Rezension ist dem Film auf jeden Fall ebenbürtig, schade, dass er immer noch ein wenig unbekannt ist.