22
Jun 2007

Win/Win-Journalismus mit den Verlierern

Themen: Neues |

Die BILD hat mal wieder eine schreiende Ungerechtigkeit anzuprangern:

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Hintergrund: Die Bundesregierung hat die Unterhaltszahlungen neu geordnet, ein paar Berechnungstabellen nachjustiert.

“Schock”, eine der Lieblingsvokabeln der BILD (neben “Riesenzoff” und “Riesenwirbel”), wird natürlich ganz oben gesetzt. Erwartungsgemäß kann BILD auch blitzschnell ein paar junge Mütter auffahren, die sich nun nicht mal mehr das Schwimmbad mit dem Nachwuchs leisten können. Sowas nennt man “testimonial”, und es ist genau so glaubwürdig wie die “Mutter”, die in der Werbung die Fruchtzwerge anpreist.

Wir ahnen schon: Viel heiße Luft. Und die BILD weiß es auch.

Der Artikel räumt dann gleich mit diesem Anreißer auf: In vielen Fällen muss im Osten deutlich MEHR gezahlt werden als vorher – was dann auch wieder als “ungerecht” bezeichnet wird. BILD faselt sogar von einem Extremfall, in dem jemand bei 1000 Euro Einkommen netto 1104 Euro zahlen muss, setzt aber verschämt die Klammer dahinter “(Steuerersparnisse und Kindergeld nicht eingerechnet)”. Die tatsächlichen Zahlungen zu errechnen, wäre sicher zu kompliziert gewesen.

Sinkende Unterhaltssätze im Westen (um den Schockwert 1 Prozent übrigens) berechnen sich nach dem real sinkenden Einkommen – logisch: verdient Papa weniger, kann er auch weniger abdrücken. Das sagt BILD, aber hach, es lindert nicht die Empörung, dass ein Vater mit 1300 Euro netto künftig zwei Euro weniger abdrücken muss. Zwei Euro? Stand bei BILD nicht 24? Klar, aber der Boulevard rechnet sich das entsprechend schön: Die Einkünfte pro Monat, die Zahlungen pro Jahr. Das sieht dann gleich viel gruseliger aus.

Mitbekommen? Steigende Sätze im Osten – “ungerecht”, weil es die Zahler belastet. Sinkende Sätze im Westen – “ungerecht”, weil es die Empfänger belastet.

Nicht erklärt wird übrigens, warum Isabell aus Leipzig dem kleinen William nun das Schwimmbad nicht mehr bezahlen kann – wo doch im Osten die Unterhaltssätze ERHÖHT worden sind!

Weiteres hübsches Detail – in der Galerie zum Artikel versteckt BILD die Aussage: “Der gekürzte Unterhalt ist für allein erziehende Mütter oft ein schwerer Schlag: Sie finden besonders schlecht Arbeit, weil die Chefs fürchten, dass sie sich wegen der Kinder oft krankmelden”. Satz 2 mag stimmen, hat aber keine Verbindung zu Satz 1 – die Kürzung des Unterhalts (die ja de facto nicht stattfindet) kann wohl kaum für Schwierigkeiten bei der Jobsuche verantwortlich gemacht werden.

Und schließlich die Quintessenz: “für die meisten gibt’s weniger, für die anderen mehr.” Das nenne ich mal knallhart recherchierten Fakten-Journalismus.

Wir halten also fest: Die Unterhaltszahlungen sinken weder generell, noch drastisch. Wie bei den meisten Anpassungen steigen sie entsprechend anderswo. Trotzdem beharrt BILD darauf, die allein erziehenden Mütter als Opfer darzustellen (einen allein erziehenden Vater hat BILD übrigens nicht auftreiben können – oder wollen).

So eine Geschichte ist für BILD ein Gottesgeschenk – steigen die Unterhaltszahlungen, stellt man sich auf die Seite der Väter (“Unterhalts-Schock – wovon soll ich denn jetzt leben?!”), und andersrum bedient man halt die Mütter (“Unterhalts-Schock – wovon soll ich denn jetzt leben?!”).

Die gefühlte Empörung bleibt gleich, das Vokabular auch.

BILD steht halt auf der Seite des kleinen Mannes – egal, ob dem das passt oder nicht.



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