17
Jan 2008

Jon Stewart vs. Dummschwätzer

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Die konservative Medienlokomotive Bill O’Reilly meinte kürzlich, der Autorenstreik in den USA würde die Moderatoren der Comedy-News-Shows wie “Colbert Report” und “Daily Show” als Marionetten entlarven, die ohne Skript nicht einmal wüßten, in welche Kamera sie schauen müßten.

Natürlich war auch hier der Wunsch der Vater des Gedankens – Stephen Colbert und Jon Stewart sind feste politische Größen, und das nicht erst, seit Stewart als Gast in “Crossfire” den aufgeblasenen Tucker Carlson plattgemacht hat:

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Ich habe mir nun eine Woche lang “Daily Show” und “Colbert Report” angeschaut, die derzeit ohne Autoren auskommen müssen. Das Ergebnis ist nicht nur erstaunlich – es ist geradezu widersinnig: Die Shows sind in vielen Beziehungen besser geworden. Ohne eine Sackladung Pointen in der Rückhand wirken Colbert und Stewart ehrlicher, ihre Kommentare haben an Menschlichkeit gewonnen (bei Colbert muss man allerdings relativieren, weil er einen fiktiven fiktionalen Charakter spielt). Viele Sätze besonders von Jon Stewart entspringen nun authentischer Verzweiflung und Empörung, weil sie nicht mehr nur Anlauf für einen Zinger sind.

Mehr als je zuvor wird deutlich, dass Stewart längst kein humoristischer Hampelmann mehr ist – sondern ein rhetorisch brillanter, gut gebildeter, und extrem flexibler Politkommentator.

Selten kam das so schön heraus wie bei dem Interview mit Jonah Goldberg in der gestrigen Show. Wenn Michael Bay statt Actionfilmen Interviews schneiden würde, sähe das vermutlich ähnlich aus:

The Daily Show with Jon Stewart Mon – Thurs 11p / 10c
Jonah Goldberg
www.thedailyshow.com
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Wer nun glaubt, hier habe der Schneideraum Stewarts Argumente ins rechte (linke) Licht gerückt, der sollte sich mal ansehen, was Jon vor ein paar Monaten mit dem konservativen Kommentator Chris Matthews machte, als dieser sein Buch promoten wollte:

The Daily Show with Jon Stewart Mon – Thurs 11p / 10c
Chris Matthews
www.thedailyshow.com
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Und als Schmankerl noch ein deutscher Radio-Clip – unfassbar:



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Torsten K.
Torsten K.
17. Januar, 2008 14:19

Na, bei dem Interview mit dem liberal-fashism-guy konnte Jon von seinem Gesprächspartner profitieren, der einfach nur hanebüchene Thesen auftischen wollte.

Ansonsten sind die Sendungen in meinen Augen aber keinesfalls besser geworden. In den ersten Streik-Episoden hat Jon am meisten über seine Pointen gelacht. Und bei Colbert habe ich das geniale Moment solcher Rubriken wie “The Word” schmerzlich vermisst.

Wenn die Streik-Zeit um ist, schau ich gerne wieder rein.

Wortvogel
Wortvogel
17. Januar, 2008 14:26

Ich vermisse “The Word” auch, und wie erwähnt – Colbert leidet mehr unter dem Streik als Stewart. Ich gebe auch zu: LACHEN kann man besser bei den regulären Folgen. Aber ich sehe jetzt stärker eine seriöse Ebene durchscheinen, die viel tragfähiger ist, als man es Stewart oft zugetraut hat. Er dreht dem Politpöbel nicht nur die lange Nase – er ist tatsächlich so etwas wie ein politisches Gewissen.

Christian H.
Christian H.
17. Januar, 2008 15:29

Schön, dass du das aufgreifst 🙂
Ich habe seit 3 Jahren dank des Internets nicht eine (!) Sendung der beiden verpasst und so amüsant die Comedy-Elemente der beiden Shows auch sind, um so beeindruckter bin ich von Stewart und Colbert in den jeweiligen Interviews am Ende der Sendung. Erst da wird einem bewusst wie hochintelligent und informiert insb. Stewart ist und ich liebe nichts mehr als seine Diskussionen mit Zeitgenossen die einer komplett anderen Meinung als er sind. Und das traurige ist gleichzeitig, dass er in diesen 10 Minuten “Comedy” mehr Aufklärtungsarbeit und Diskussionsstoff liefert als andere Politiksendungen in einer ganzen Sendewoche… Ich bewundere den Mann!
Was wünsche ich mir diese Art von Sendung in Deutschland um aktuell die Ausländerkriminalität aufzugreifen und dabei Herrn Koch persönlich als Diskussionspartner zu sehen. Aber da fehlt es dann leider wohl am Moderator. Und wenn man den hätte am Publikum…

Peter Krause
17. Januar, 2008 18:36

Der Radio-Clip erinnert an den falschen Manfred Kock, der sich zum Tod von Ignatz Bubis äußern sollte. Nur daß dort niemand den Fehler bemerkte, und sich ein geradezu Loriotesquer Dialog entspinnt:
http://www.radiopannen.de/mp3/pl006.mp3

qapla
qapla
17. Januar, 2008 21:36

Es sind auch erst die Interviews außerhalb seiner Show, die mich zum absoluten Stewart Fan gemacht haben.

Bei der Überschrift darf sein Auftritt in O`Reillys Show auf keinen Fall fehlen. Stewart lässt sich hier gar nicht auf Reillys Niveau runterziehen. Nach dem üblichen Gepöbel von O’Reilly wird der im Laufe der Sendung immer unsicherer. Bill O’reilly kann nicht einmal sein berüchtigtes “Shut up” platzieren, weil alle Provokationen an Jon abprallen.
Der Mann hat klasse,keine Frage.

http://www.youtube.com/watch?v=H5pK7sK0i4A

Peroy
Peroy
17. Januar, 2008 23:01

Und er war auch super in “Jay und Silent Bob schlagen zurück” und “The Faculty”… 8)

jayjay
jayjay
18. Januar, 2008 00:31

oha, ein drehbuchautor, der fiktiv mit fiktional verwechselt…

Wortvogel
Wortvogel
18. Januar, 2008 00:37

Mea culpa. Aber die Wikipedia bestätigt, dass ich mich damit nicht in SO schlechter Gesellschaft befinde: “Allerdings werden selbst in der Fachliteratur die beiden Ausdrücke manchmal verwechselt.”

Und obendrauf: Was erwartest du von einem Gesamtschüler?!

Peter Krause
18. Januar, 2008 01:14

Sicher, daß es sorum lauten muß?
Fiktional ist doch all jenes, was wirklich existiert und fiktives zum Inhalt hat, oder? Der Film “Star Trek” existiert und ist daher fiktional, Captain Kirk ist fiktiv.
Ich würde behaupten, Colbert spielt eine fiktionale Rolle (die Rolle existiert als solche), aber einen fiktiven Charakter (der Charakter ist erfunden).

Torsten
Torsten
18. Januar, 2008 07:59

Ich guck mir eben die neuste Folge an. Kalauer, Kalauer, Kalauer…

lindwurm
18. Januar, 2008 12:40

Das Radiointerview ist ja ein Hammer vor dem Herren! LOL

Jonah Goldberg allerdings hat nicht so gaaanz unrecht mit seinen Ansichten, wenn natürlich auch nur in Ansätzen. Hillary Clinton mit Faschismus in verbindung zu bringen, bloß weil sie ein paar sozialdemokratische Rezepte kochen will, ist natürlich Blödsinn. Dass sich aber rechte und linke Totalitarismen in ihrer Bevorzugung des Kollektivs vor dem Individuum erschreckend ähneln, stimmt.

Christian
19. Januar, 2008 15:12

Das Goldberg-Interview würde mich wirklich in voller Länge interessieren. Wozu gibt es das Internet, da ist unendlich viel Platz drin 😉

Wortvogel
Wortvogel
19. Januar, 2008 15:25

Da gibt es wohl auch schon Petitionen, das ganze Interview auf der Webseite der Show zugänglich zu machen.

leonie
20. Januar, 2008 16:40

ich finde schon, dass die daily show ganz gut mit der streikbedingten abwesenheit der meisten autoren zurechtkommt. trotzdem vermisse ich sie hier und da schmerzlich. zum beispiel als der entzückende “korrespondent” john oliver letzte woche ein paar stunden mit kameramann durch den central park gehüpft ist, a la anderson cooper beim weltrettungs-getue auf cnn. gute idee an sich, aber insgesamt unter daily show-niveau. da hätten die writers was richtig hübsches draus gemacht.
klar ist die situation für colbert leichter zu verkraften. der tänzelt zwischendurch einfach mal schnell zu “sexy back” durchs publikum. das füllt fünf minuten und die leute sind begeistert.