E.A. Poe im Bayerischen Rundfunk – eine unvollständige Spurensuche
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Ich bin gesund und glücklich aus Ibiza zurück – eine Woche voller Highlights, über die ich noch separat berichten werden. Den Einstieg mache ich allerdings mit einem etwas schwereren Thema mit sicher begrenztem Appeal. Es kann nicht immer alles "fun and games" sein. Da müsst ihr durch, das traue ich euch zu.
Während ich auf Ibiza weilte, kamen drei weitere seltene deutsche Film & TV-Produktionen in meinen Besitz. Hinter einem der Filme, der voraussichtlich Thema der nächsten Filmverbrechen-Fotostory sein wird, war ich schon sehr lange her. Ich habe ihn auch schon mehrfach erwähnt. Seid gespannt und freut euch drauf.
Die anderen beiden Produktionen sind mir dank einer freundlichen Spende aus Wien quasi unerwartet vor die Füße gefallen. Es ist so bestürzend wie seltsam, dass ich von diesen Beiträgen der Reihe "Literarische Filmerzählung" noch nie gehört hatte. Tatsächlich ist die Reihe online erschreckend schlecht dokumentiert. Auch mit Hilfe von KI konnte ich nur herausarbeiten, dass sie wohl 1965 gestartet wurde, bis in die 80er Jahre einstündige Adaptionen klassischer und originärer Stoffe präsentierte, und dabei nicht den Anspruch hatte, die Geschichten für das Medium Fernsehen umzustricken. Man war darauf bedacht, den literarischen Aspekt zu erhalten.
Es wäre eine fernsehhistorisch wünschenswerte Leistung, wenn der BR die gesamte Reihe kuratiert in seiner Mediathek bereithalten würde.
Amüsantes Detail: An den Produktionen war auch mein früherer Stammfotograf Johannes Geyer als Kamera-Assistent beteiligt. Hätten wir noch Kontakt, würde ich ihn sicherlich mal zu den Umständen der Dreharbeiten befragen.
Zwei dieser erkennbar niedrig budgetierten Produktionen liegen also nun auf meiner Festplatte – Adaptionen der Edgar Allan Poe-Geschichten "Die schwarze Katze" und "Das verräterische Herz". Geschrieben und inszeniert von Karl Heinz Kramberg – was für sich genommen schon einen Abstecher wert ist.
Dem Wikipedia-Eintrag zufolge war Karl Heinz Kramberg fast 50 Jahre lang Kulturjournalist der Süddeutschen Zeitung. Er trat auch als Herausgeber einiger viel beachteter Sammelbände auf. So selektierte und kombinierte er 34 der skandalösesten Sexszenen der Literaturgeschichte in einem Buch, das ich mir unbedingt zulegen muss:
Ebenfalls keine schlechte Idee – Kramberg ließ 40 Schriftsteller ihre eigenen Nachrufe verfassen. Könnte man heute noch machen und wäre sicher vernünftiger als das Geschreibsel der vielfach ahnungslosen Hinterbliebenen:
Dieser Karl Heinz Kramberg scheint gute Verbindungen zum Bayerischen Rundfunk gehabt zu haben, für den er zwischen 1979 und 1991 insgesamt sieben Produktionen realisieren durfte, ohne dass seine Qualifikationen im Bereich Fernsehen jemals in Frage gestellt wurden. Über die Filme ist extrem wenig bekannt, bestenfalls ein paar zeitgenössische Kritiken. Krambergs Adaption der Novelle DER WANDERER ZWISCHEN BEIDEN WELTEN wird nicht einmal auf der Wikipedia-Webseite der Vorlage erwähnt. Auch seine anderen TV-Arbeiten sind nicht gelistet.
Warum Kramberg auf die Idee kam, Poe zu adaptieren? Warum er zwei völlig verschiedene Formen der audiovisuellen Umsetzung wählte? Wir wissen es nicht und werden es vielleicht auch nie erfahren. Kramberg verstarb 2007.
"Die schwarze Katze" und "Das verräterische Herz" sind im Kanon der Poe-Adaptionen weitgehend unbeachtete Stiefkinder, eher filmische Lesungen als tatsächliche Verfilmungen. Vielleicht sind es genau die Obskurität und die Sperrigkeit, die sie für mich interessant und berichtenswert machen.
Die schwarze Katze
"Die schwarze Katze" entspricht filmtechnisch ungefähr dem, was man sich unter dem Begriff "literarische Filmerzählung" vorstellt – statische, stille Bilder wie aus einem historischen Fotoroman, zu denen der Protagonist im Rückblick das Drama seines Lebens erzählt, schon andeutend, dass sein Ende bevorsteht.
Die Geschichte, sie ist nicht neu, oft erzählt, und darum auch bis zur "Pointe" bekannt: Der Mann, der von Alkoholrausch und Selbsthass zerfressen erst seine Tiere peinigt und dann seine Frau ermordet, wobei der Versuch der Entsorgung der Leiche missrät. Anders als z.B. Corman, Fulci oder Gordon, versucht Kramberg nicht, die Geschichte zu erweitern, zu ergänzen, den Personen Hintergrund oder Motivation zu zu gestehen. Seine "schwarze Katze" ist damit die vermutlich werkgetreuste, eher werkverpflichtetste "Verfilmung", was auch ihr größtes Manko ist, denn die gerade mal 14seitige Schauermär hat selbst für eine Stunde Laufzeit nur wenig "Fleisch", fokussiert sie sich doch – wie bei Poe üblich – auf ellenlange innere Monologe des zweifelnden und verzweifelnden Protagonisten.
So mäandert der Plot sehr gemächlich erzählt vor sich hin, und der stoisch wirkende Hauptdarsteller Rainer Rudolph macht keine Anstalten, die Zerrissenheit seiner Figur zu transportieren. Erst in der szenischen Umsetzung wird die Erzählung zur zweiten Hälfte hin düsterer und in ihrer Konsequenz grausiger:
Der Absturz des namenlosen Protagonisten in Alkohol und Gewalt ist gerade wegen seiner ungebrochenen Zwangsläufigkeit teilweise schwer ansehbar, und wer Gewalt gegen Tiere verabscheut, der findet hier keine Freude. Das Schicksal des Katers Pluto mag nicht plakativ inszeniert sein, grausam ist es dennoch.
Es ist die zweite, verstörende Hälfte der Adaption, in der Kramberg einige intensive, stimmungsvolle Bilder gelingen, die uns fast vergessen lassen, dass wir weitgehend nur zwei stummen Darstellern in historischen Kulissen zusehen:
Es bleibt allerdings weiterhin das Problem, dass wir von der ersten Sekunde an wissen, was am Ende geschehen muss – und auch geschehen wird. Kramberg zeigt kein Interesse an Interpretation, an eigener Auslegung. Wer jemals die Vorlage gelesen hat, wird sie hier bis ins Detail verliebt umgesetzt finden:
Einerseits bin ich beeindruckt, wie viel Kramberg aus wie wenig macht. Andererseits ist "Die schwarze Katze" kaum gedacht und geeignet, in der vorliegenden Form als Spielfilm zum funktionieren. Das Ergebnis wirkt eher wie eine Bebilderung einer Lesung, wobei die szenischen Bilder das Gelesene nicht erweitern oder interpretieren.
Lässt man diese "literarische Filmerzählung" im Hintergrund laufen, verliert sie als "Hörspiel" keinen Deut an Wirkung. Das kann man als Stärke und als Schwäche auslegen. Ich selbst war mehr interessiert als fasziniert und nach der einen Stunde geschlaucht wie nach zwei oder drei. Es zieht sich dann doch.
Für seine zweite Poe-Adaptionen ist Kramberg dann überraschenderweise einen in jeder Beziehung anderen Weg gegangen.
Das verräterische Herz
Auch hier eine bekannte Geschichte: Ein Mann berichtet von seiner Missetat, dem Mord an einem alten Herrn, dessen verunstaltetes Auge ihn in den Wahnsinn zu treiben drohte. Die Leiche gut versteckt (wie in "Die schwarze Katze"), verrät der Mann sich selbst, weil er den unerträglichen Herzschlag seines Opfers zu vernehmen meint.
Diese einstündige Adaption wird ebenfalls als Beichte des vor seiner Strafe stehenden Täters aus dem Off erzählt, ohne tatsächliche Dialoge.
Damit enden die Ähnlichkeiten, denn "Das verräterische Herz" verlegt die Geschichte Poes in die Gegenwart der Münchner Adventszeit des Jahres 1979 und Kramberg inszeniert sie auch szenisch deutlich näher am traditionellen Film, allerdings diesmal aus unerklärlichen Gründen in schwarzweiß:
Der Hauptdarsteller ist kein steifer Kostümhansel, sondern der große Hans Clarin, dem man nicht nur dank seiner Rollen in Edgar Wallace-Filmen den mühsam unterdrückten Wahnsinn sofort abnimmt:
Ihm trotz der beschränkten Rolle ebenbürtig – Ferdy Mayne, vielbeschäftigter britisch-deutscher Charaktermime und den meisten von euch bekannt als Graf Krolock in Roman Polanskis TANZ DER VAMPIRE. Sein zurückhaltendes, aber sehr intensives Spiel und das einfache, sehr effektive "Geierauge" geben ihm genau die unnahbare Gruseligkeit, die die Figur verlangt:
Da die Vorlage nochmal deutlich kürzer ist als bei der schwarzen Katze, nutzt Kramberg die "Lücken" in seiner Stunde, um den Wahnsinn des Protagonisten zu visualisieren. So verwandeln sich Gegenstände und Ereignisse des Alltags in Repräsentationen seiner Perversion und ein Dackel an der Leine wird zu einer geknechteten jungen Frau (man achte auf die Rücksicht der Produktion, ihr Knieschoner zu gönnen!):
Die genutzten filmischen Mittel machen "Das verräterische Herz" visuell spannender als "Die schwarze Katze", aber die dünne Geschichte überstrapaziert die Geduld des Zuschauers doch arg, zumal Kramberg wieder keinen Anlass sieht, die Leerstellen mit Inhalt zu füllen – wäre es denn so schwer gewesen, z.B. zu erzählen, wie der paranoide Protagonist überhaupt zu der Anstellung bei dem alten Mann kommt?!
Das größte Problem bleibt erneut, dass Kramberg sich sklavisch an die Vorlage hält und damit keine Form von Überraschung oder Wendung zulässt – es kommt, wie es kommt. In meinem Review zur Kino-Adaption TELL TALE schrieb ich 2009:
"Aber man muss hier die Grundsatzfrage stellen: ist mir die Vorlagentreue wichtiger als das funktionierende Skript? Im Zweifelsfall ziehe ich ein funktionierendes Skript vor, zumal "Tell Tale" sich nicht allzu aggressiv als Poe-Verfilmung vermarktet."
Dazu stehe ich. "Das verräterische Herz" mag eine präzise Adaption der Vorlage sein, aber als eigenständiger Film ist sie zu dünn, zu trostlos, zu vorhersehbar. Einen Punkt muss ich obendrein abziehen, weil man Ferdy Mayne falsch kreditiert – wo bleibt denn da die Sorgfaltspflicht?!
Das war’s soweit. Die wenigen Informationen, die ich zu Krambergs Poe-Adaptionen finden konnte, lassen den Rückschluss zu, dass sie in umgekehrter Reihenfolge zu meinen Reviews ausgestrahlt wurden. Das verwundert, denn "Das verräterische Herz" wirkt deutlich reifer und filmischer und damit wie eine Weiterentwicklung zur postkartig-steifen "Abfilmung" von "Die schwarze Katze".
Am Ende verbuche ich beide Produktionen wie viele der schrägeren Präsentationen beim Fantasy Filmfest: interessant und auch filmhistorisch lehrreich, aber als Entertainment deutlich zu mager. Kann man aus Neugier mal anschauen, lädt aber nicht zum "rewatch" ein.
Mich würde interessieren, wie ich darauf reagiert hätte, wenn ich sie in einer der Wiederholungen in den 80er Jahren gesehen hätte. Vermutlich hätten sie mich gleichermaßen verstört und gelangweilt.
Ich wünschte dennoch, es gäbe eine ausführliche Liste der "literarischen Filmerzählungen" des BR, um herauszufinden, ob es weitere obskure Adaptionen gibt, die zu jagen sich lohnen würde.
Sehr interessant! Vielen Dank für dein unermüdliches Sichten und Veröffentlichen dieser vergessenen Klassiker.
Vielleicht bist du im Rahmen der Nachforschungen schon darüber gestolpert – aber das Archiv des BR scheint noch Unterlagen zu der Serie vorzuhalten:
https://www.literaturportal-bayern.de/nachlaesse?task=lpbestate.default&type=one-corporation&id=1449
Danke für das Lob. Ja, über die Unterlagen bin ich gestolpert. Scheint aber weniger beim BR zu liegen, sondern eher ein Nachlass in Archiv-Hand (?). Wäre super spannend, da mal drin zu stöbern. Vielleicht, wenn ich mal SEHR viel Zeit habe…
Zwar ein anderes Medium, aber ich möchte auf die Hörspielreihe von Lübbe Audio hinweisen, die stimmungsvoll, mit guter Besetzung (Ulrich Pleitgen, Iris Berben) und wechselnden Titelsongs (u. a. von Christopher Lee und Heinz Rudolf Kunze) fiktiv das Leben Poes verfolgt und ihn Ereignisse erleben lässt, die die Grundlagen für seine Geschichten bilden. Manchmal als echte Erlebnisse, manchmal als Träume, alles sehr filmisch angelegt, nur eben quasi als reine Audiospur. Als großer Konsument von Hörspielen finde ich diese Reihe herausragend, spannend und einfach gut erzählt. Leider, leider ist sie aus Kostengründen nie beendet worden, was natürlich schade ist, der Qualität der einzelnen Folgen aber keinen Abbruch tut (und es gibt immerhin 37 Folgen, plus Erklärungen der Macher zum eigentlich geplanten Ende).
Für mich einer der "schönsten" Ideen, die Geschichten Poes umzusetzen. Wer mehr wissen möchte: https://w.wiki/FrAe
Die erste Folge gibt’s gratis auf Yotube: https://youtu.be/CFfY1-NgT80
(Und nicht irritieren lassen, es ist wirklich ein Hörspiel, kein Hörbuch.)
Cool – das hier ist auch schön:
https://youtu.be/iUdpl-Pmsl8?si=xDiX1T-uHc3RRg6C