17
Juni 2025

Reise-Resterampe (2): Fantasy Filmfest Nights 2025 Berlin

Themen: FF Nights 2025, Film, TV & Presse, Neues |

Wenn ich diese fotografische Rückschau noch lange hinausschiebe, kann ich sie gleich mit dem großen Fantasy Filmfest im September kombinieren. So geht’s ja nicht! Also rekapituliere ich noch mal die Tage vom 8.-12. Mai. Ich beschränke mich dabei auf die wichtigsten und unterhaltsamsten Eindrücke.

Nach reiflicher Überlegung hatte ich mal wieder ein 1. Klasse-Sparticket für den ICE gekauft, der in etwas über vier Stunden von München nach Berlin rast. Das kann ich mit unserem eigenen Wagen nicht schaffen, zumal ich den BMW in Berlin auch nur schwer für vier Tage kostenfrei parken darf. Es rechnet sich nicht.

Man mag an der Deutschen Bahn meckern, was man will, aber empirisch kann ich die Kritik nicht nachvollziehen: Hin- und Rückreise waren pünktlich, sauber und von funktionierenden Klimaanlagen geprägt. Meine Sitznachbarn haben nicht genervt und ich konnte mich gut auf das Festival vorbereiten.

Um Stress zu vermeiden und weil das Zimmer durchaus bezahlbar war, hatte ich mich diesmal einen Steinwurf vom Kino entfernt im aletto-Hotel eingemietet. Kein Luxus – mir reichen Stille, Sauberkeit und ausreichend WLAN (da letzteres mangelte, wechselte ich noch einmal in den vorderen Bereich des Hauses).

Zum Zimmer gehörte auch noch ein separater Bereich mit einem weiteren Bett und einem Schreibtisch, was mein Rücken sehr dankte, denn vom Stuhl aus lassen sich die Kritiken leichter schreiben als vom Bett. Bonus: Durch das Fenster konnte ich Obdachlosen und Junkies bei ihrem Treiben im Hinterhof zuschauen. Berlin!

Es lässt sich schwer bestreiten, dass der Bahnhof Zoo immer noch bzw. schon wieder ein sozialer Brennpunkt ist. Touristische Massen, Pendler, Modeketten und Fast Food-Läden werden ungesund von Taschendieben, Jugendgangs und Drogensüchtigen mit mentalen Problemen aufgemischt. Man altert schnell:

Eine gute Freundin, die mit den Problemen der Hauptstadt vertraut ist, verortet viele der Probleme bei den neuen Opioiden wie Fentanyl, die aus den USA rüberschwemmen und den Süchtigen ratzfatz das Hirn pürieren.

Wenn man in der Lage ist, dem sozialen Sprengstoff weitgehend auszuweichen, dann ist der Entertainment-Faktor dieses Viertels sehr hoch – direkt über meinen favorisierten Futterstellen hat eine riesige Spielhalle aufgemacht.

Gerade weil in München so früh Schicht im Schacht ist, genieße ich den Trubel Berlins auch nach Ladenschluss. Es hat ein gewisses savoir-vivre, wenn man nach dem letzten Film spontan entscheidet, um 1 Uhr nachts noch indisch zu essen:

Da in Berlin das Nachtleben dominiert, kann man besonders am Vormittag geradezu sakrale Stille im Viertel genießen – so manches Frühstück habe ich am Savigny-Platz in der Nähe meines geliebten Schwarzen Cafés genossen.

Ich bin bereits mehrfach daran gescheitert – diätische Zurückhaltung oder gar ausgleichender Sport sind während des Festivals nicht praktikabel. Man(n) muss durchhalten – es gilt die Devise:

Für meine Verpflegung war weitgehend der HIT-Supermarkt Ullrich zuständig, der das Label "gigantisch groß, aber auch unfassbar versifft" mit Zähnen und Klauen verteidigt. In diesen Laden zu gehen, muss man als Abenteuer verstehen.

Hier bin ich erstmals auf Flips (ich weigere mich, sie "Erdnuß Locken" zu nennen) in Bällchen-Form gestoßen:

Zuerst fragt man sich: braucht man Flips als Bällchen?! Nach der Speisung weiß man die Antwort: nein. Totaler Quatsch.

In Berlin ist ja immer gut was los. Die Stadt weiß, wie man von sozialen Konflikten und kommunalem Bankrott ablenkt. So war am Wochenende der Kudamm gesperrt und überall standen tolle Oldtimer und Street Food-Buden rum:

Direkt um die Ecke war ich am einzigen freien Abend georgisch essen, was sicher keine Neuerfindung der Kulinarik darstellt, aber eine erfreuliche Abwechslung.

Direkt gegenüber vom georgischen Restaurant entdeckte ich eine Imbissbude, deren Preise mich staunen machten – ich kenne keinen Fresstempel in München, der eine Scheibe Pizza noch für taschengeldfreundliche 1,50 Euro anbietet:

Ich machte eine mentale Notiz, das Angebot bei meinem nächsten Besuch vor Ort zu testen. Wer weiß, vielleicht haue ich sogar 3 oder 4,50 Euro auf den Kopp!

Nachdem das Festival rum war, verbrachte ich eine letzte Nacht im Hotel. Ich hatte die Rückfahrt für den nächsten Nachmittag gebucht, um die Stadt wenigstens ein paar Stunden in Ruhe zu Fuß erkunden zu können. Oft ist es nämlich so, dass meine Berlin-Trips erheblich zu wenig Berlin beinhalten.

Am Zoo habe ich von Leser, Kinobegleiter und Kumpel S-Man ein Foto für die LvA machen lassen. Man möchte die Heimatfront ja immer mal wieder wissen lassen, dass man in Berlin nicht unter die Räder gekommen ist:

Sehr bewegend: Ein Theater in der Nähe meines Hotels hatte einen Schrein zum Gedenken an die kürzlich verstorbene Rosenstolz-Sängerin errichtet. Die Menschen fühlten sich davon sichtlich angesprochen.

Auf der Straße des 17. Juni hatte jemand seinen Wagen wohl längerfristig abgestellt und den drohenden Strafzetteln mit dieser Nachricht den Wind aus den Segeln zu nehmen versucht:

Hundert Meter weiter entdeckte dieses Plakat für eine Veranstaltung, die mich spontan interessierte, die ich aber vermutlich in Berlin und in Wien verpassen werde und die in absehbarer Zeit nicht nach München kommt:

Kennt das wer? Hat das wer gesehen? Würde das wer empfehlen?

Der Tiergarten ist immer einen entspannten Spaziergang wert –  mich fasziniert dabei die zwanghafte Angewohnheit der Berliner, wirklich jede freie Fläche mit Aufklebern zu tapezieren:

Wie schon bei meinem ersten Besuch 1984 begeisterte mich die eklektische Architektur der Stadt, die Ruinen und Paläste stressfrei fusioniert:

Ich hatte es befürchtet – auch die Nostalgiewelle rollt sich durch die Jahrzehnte. Waren die 80er-Festivals vor 10, 20 Jahren noch lustig, habe ich schon mit der Begeisterung für die vollumfänglich ekligen 90ern gehadert. Ich schrieb kürzlich auf Facebook zu Herrn Lukas Verneigung vor dieser Dekade:

Nein, nein, nein. Die 90er waren ein grausames, von gewollter Ignoranz geprägtes Jahrzehnt, bestehend aus Plastik, schrillen Farben, schlechter Musik, und zu wenig Speicherplatz. "Mein" Jahrzehnt wurde von Michael Jackson und Madonna geprägt, meinetwegen auch von Nena. Die 90er wurden geprägt von Scooter und DJ Bobo. Ich kann nicht verzeihen, was unverzeihlich ist.
Die Tatsache, dass es auch positive Entwicklungen gab (TV-Serien, Internet, Kalkofe, Clinton), sehe ich eher als Entschädigung, denn als Bestandteil. Eins der weltpolitisch entspanntesten und entspannenden Jahrzehnte wurde an Kaugummi-Drogen und Talkshows verschwendet, an HUGO und "It’s cool, man!". Der Beginn der endlosen Nabelschau, des Main Character Syndrome.
Alle hatten Geld, alle waren geil – aber keiner hat die notwendigen Weichen gestellt, die uns viel von dem heutigen Ärger hätten ersparen können. 

Wenn wir Glück (?) haben, sind die 90er bald auch schon wieder durch und wir können uns den nur marginal besseren 00ern widmen:

Da bekommt die Doppel-Null doch ein ganz neues Gewicht…

Wie vor zwei Jahren wurde ich auch heuer von freundlichen Jungpolizisten gestoppt, die den Bereich um das Waldorf Astoria-Hotel weiträumig absperrten. Und wieder war es dem Besuch der israelischen Staatselite zu verdanken:

Wenn schon, denn schon – auch das Kaufhaus des Westens schaute ich mir nach mehr als 30 Jahren mal wieder an. Immer noch ein spektakulärer Konsumtempel, in dem sich der Kapitalismus feiert und dessen Technik-Abteilung beeindruckende Technologie für die Welt von Morgen bereithält. Leider ist das Video nicht in der Lage, die Perfektion des Werbehologramms adäquat wiederzugeben:

Von meiner guten Freundin Danielle angespornt, übe ich mich in letzter Zeit verstärkt, meine Fotos nicht nur unter dokumentarischen, sondern auch unter ästhetischen Gesichtspunkten zu schießen – an Motiven mangelt es nicht:

Das Dachgeschoss des KaDeWe ist ein "food court", von dem amerikanische Malls nur träumen können:

Aber da wollte ich nix essen. Mich zog es zum Wittenbergplatz, an dem ich 1984 die beste Currywurst meines Lebens gegessen habe – und das will was heißen, schließlich bin ich aus Düsseldorf. Die Wurst dieser Imbissbude wurde seinerzeit auch von Sterneköchen und den Darstellern von GZSZ gepriesen.

Die Enttäuschung war umso größer. Ja, das schmeckte okay, aber die Wurst war eher klein und der Preis für das Menü mit Pommes und Cola zu hoch (10,80 Euro!). Da steht zwar "Original Berliner Currywurst", aber die Bude hat 1995 den Besitzer gewechselt und entspricht damit nicht mehr meiner Erinnerung.

Irgendwann traf ich zehn Minuten vor Abfahrt meines ICE am beeindruckenden und sehr gut ausgeschilderten Hauptbahnhof ein – und stellte fest, dass ich mich um eine Stunde verrechnet hatte. Also noch mal 70 Minuten um die Häuser ziehen? Auf einer metallenen Bank hocken und Podcasts hören? Nase popeln? Ich beschloss, mein Glück bei den Bahnangestellten zu versuchen – es rollte ja gerade der frühere Zug nach Bayern ein. Sehr freundlich fragte ich den Schaffner, ob es vielleicht möglich wäre, trotz meines unflexiblen Spartickets diesen ICE zu besteigen. Kann der DB ja eigentlich wurscht sein. Er schaute seinen Kollegen an, der nickte leicht, dann lächelte er: "Rein mit Ihnen. Gute Fahrt."

Die Rückfahrt war nicht nur pünktlich, sondern schneller als erwartet – nach weniger als vier Stunden rollte ich bereits in München ein, wo die LvA darauf wartete, mich heimzufahren. Service!

Auch wenn sich die Filme auf dem Festival weitgehend im Mittelmaß suhlten, habe ich den City-Trip doch sehr genossen. Wetter geil, Berlin geil, viel gesehen, viel gegessen, viel erlebt. Für einen Jungen aus Trudering ist das hier ein Abenteuerspielplatz. Zu meiner Freude muss ich nicht lange davon zehren, denn bereits am 3.9. startet das große Fantasy Filmfest und ich bin natürlich vorbei.

Wer weiß, vielleicht komme ich ja dieses Jahr dazu, in meinem "Hotelzimmer" einen klaustrophobischen SF-Kurzfilm zu drehen:

Und damit bedanke ich mich beim Fantasy Filmfest, der DB, den mitleidenden Kumpels, dem Supermarkt Ulrich – und Berlin!



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16 Kommentare
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Sergej
Sergej
17. Juni, 2025 10:54

Erdnussflips habe ich auch schon in Donutform gesehen. Das Loch war so klein, dass ich mir die Donuts noch nicht mal auf meinen kleinen Finger stecken konnte (oder meine Finger sind zu dick).

Sergej
Sergej
17. Juni, 2025 11:34
Reply to  Torsten Dewi

Hättest du auch eine Tüte Flips gekauft, wenn es keine Bällchen gewesen wären?

Spandauer
Spandauer
17. Juni, 2025 14:00

Lieber Wortvogel,

vielen Dank für den, wie immer, sehr schön geschriebenen Bericht.
Auch wenn es mich als Spandauer nicht direkt was angeht 🙂 finde ich es wohltuend, mal nicht das übliche Berlin Bashing zu lesen, sondern auch mal einen realistischen und teilweisen positiven Blick auf die Stadt.

Viele Grüße
Spandauer

Loozi
Loozi
17. Juni, 2025 15:05
Reply to  Torsten Dewi

Ich bin Kölner – aber das stimmt leider.

Michael
Michael
17. Juni, 2025 15:01

Den Zirkus des Horrors habe ich vor einigen Jahren in Wiesbaden gesehen. Ich kann nicht sagen, ob das derselbe Anbieter ist, die HP weist aber darauf hin. Im Prinzip ein Zirkus mit Artisten und Akrobaten in gruseligen Kostümen. Nett, wenn man Zirkus mag.

Reini
Reini
17. Juni, 2025 15:43

…die Piccola Taormina gibt es tatsächlich schon seit über vierzig Jahren, das war früher unser Verpflegungspunkt nach dem Kinobesuch… als ich noch in Berlin lebte.

Feivel
Feivel
17. Juni, 2025 19:54

"eine Scheibe Pizza" ?! Damit ist bestätigt: Den Wortvogel macht jetzt komplett die KI; das Original ist im Berghain hängen geblieben. Ob als Gast oder als neuer Türsteher ist noch ungeklärt.

Squirrelius
Squirrelius
17. Juni, 2025 23:35

Hach Berlin. Immer eine Reise wert, wobei ich Herbst/ Winter bevorzuge.

ZIRKUS DES HORRORS habe ich mal vor Corona besucht. Ist halt ein tierfreier Zirkus mit Akrobatik und "Freaks" (sprich: Leute die sich Nägel in die Nase schlagen uÄ). Die Artisten sind dabei mehr oder weniger gruselig gekleidet. Ist ganz nett, habe ihn aber auch als recht teuer für das Gebotene in Erinnerung. Wenn er in der Nähe ist kann man sich den durchaus einmal geben (zumeist gibt es im Vorfeld Rabattflyer in der Werbung) , aber einen längeren Weg auf sich nehmen, dafür lohnt es sich, meiner Meinung nach, nicht . Da würde ich dir eher den CIRQUE BOUFFON empfehlen. Hat zwar kein Horror- Thema, ist aber von der Ästhetik eleganter und hat, im Gegensatz zum ZIRKUS DES HORRORS, ein durchgehendes Motiv/ Thema.

Und mein Favorit im Bereich der Berliner Currywurst bekommt man am Gesundbrunnen, direkt am Ausgang wenn man aus der U-Bahn hochkommt.

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
18. Juni, 2025 00:33

Warte mal, beim Hit ist doch nebendran (oder gegenüber) direkt eine Currywurst-Bude unter der Brücke – die ist richtig klasse!

Baumi
Baumi
20. Juni, 2025 07:27

Das Theater mit dem Gedenkschrein ist das Theater des Westens. Früher ein sehr innovatives und renommiertes Musical- und Operettentheater, bis die Stadt es an Stage Entertainment verkaufte, die es zu einer weiteren Abspielstätte für ihre Wanderproduktionen degradierten.

Seit letztem Jahr hat Stage es an das Duo Peter Plate und Ulf Leo Sommer (respektive Ex-Rosenstolz-Sänger und -Komponist/Texter) vermietet, die es bisher hauptsächlich mit eigenen Werken bespielen. (Welche mich nicht wirklich überzeugen können: Teils sind es Jukebox-Musicals mit Rosenstolz-Hits, und auch da, wo neu komponiert wurde, klingt es eher nach Popsong als nach Musiktheater. Komponieren für einen abendfüllenden Erzählbogen funktioniert anders als für drei Minuten Radio.)

Langer Rede kurzer Sinn: Daher der Schrein gerade dort.

Last edited 25 Tage zuvor by Baumi
Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
24. Juni, 2025 14:52

Meines Wissens ist in Berlin eher das alte Crack das Problem. Die Südamerikaner bekommen ihr Kokain nicht mehr so leicht in den USA verkauft und dann gibts wohl auch noch ein paar Bandenkriege. Das alles sorgt dafür, dass vor allem Europa mit Kokain überflutet wird und von vielen Leuten dann als Crack genommen wird.
Fentanyl kann man ja auch heimlicher nehmen, aber kann definitiv bestätigen, dass in Berlin die Penner gerne Crack nutzen. Zumindest von Benutzung und der typischen Verhaltensweise. (schnell und laut vs schläfrig)