Dystopian TV Double Feature: TWISTED METAL & PARADISE
Themen: Film, TV & Presse, Neues |I can’t watch everything – and I have stopped trying.
Noch vor 20 Jahren hatte man keine Probleme, wirklich alles mitzunehmen, was an Genrefernsehen produziert wurde. Ich habe STARGATE: ATLANTIS und CHARLIE JADE nicht geschaut, weil ich sie großartig fand. Wir hatten nix anderes und waren mit wenig zufrieden.
Bis vor ca. 10 Jahren war ich stolz darauf, von jeder neuen Serie zumindest die erste Folge gesehen zu haben, dank meiner Connections oft vor dem Rest der Welt. Ich habe viel Käse geschaut, aber wenigstens konnte ich dadurch zu allem eine halbwegs kompetente Meinung haben.
Diese Zeiten sind lange vorbei, nicht nur, weil ich verheiratet bin und meine Abende anders verplane. Es ist angesichts der Flut von Streaming-Angeboten schlicht nicht mehr möglich, alles zu schauen. Mehr noch: es ist nicht mehr möglich, auch nur die Sachen zu schauen, die mich tatsächlich interessieren.
Beichtzeit: Ich habe THE BOYS so wenig gesehen wie die zweite Staffel von GOOD OMENS, auch nicht THE EXPANSE oder THE SANDMAN. Und ich könnte noch ein Dutzend weiterer Beispiele aufzählen. Ich schäme mich (ein bisschen).
Es gibt sicher haufenweise großartige Serien, deren Existenz komplett an mir vorbeigegangen ist. Heute bespreche ich mal zwei, über die ich irgendwann zufällig gestolpert sind und die mir erwähnenswert scheinen.
Twisted Metal
Einige von euch kennen vielleicht die Playstation-Videospiel-Reihe aus den 90er Jahren, in der es primär um "vehicular combat" geht. Dieser Trailer für eine Playstation 3-Version atmet schwer den Geist des frühen neuen Jahrtausends:
Der Streaming-Ableger von NBC hat vor zwei Jahren eine zehnteilige Adaption mit halbstündigen Folgen produziert, die mit einem durchaus soliden Cast (Anthony Mackie, Stephanie Beatriz, Thomas Haden Church, Neve Campbell) versucht, aus dem chaotischen Krawall der Games eine klassische Heldengeschichte zu stricken.
"John Doe" ist ein "Milchmann", ein freiberuflicher Kurier in den apokalyptischen Wastelands nach der großen Apokalypse. Er fährt Waren und Personen zwischen den großen Städten hin und her, in denen sich die Privilegierten verschanzt haben, um die Überreste der Zivilisation nicht teilen zu müssen. Der neuste Auftrag soll ihm einen permanenten Platz in New San Francisco sichern. Auf dem Beifahrersitz nimmt bald die schweigsame "Quiet" Platz und als permanenter "road block" entpuppt sich der "Polizeichef" Stone, der mit faschistoider Gewalt eine neue Ordnung anstrebt, bzw. die alte wieder herstellen will.
Auf dem Trip von New SF nach New Chicago und zurück werden Doe und Quiet mit diversen Banden, Kommunen und Warlords konfrontiert, die das zerstörte Land unter sich aufgeteilt haben.
Dank meiner Unkenntnis über die Videospiele konnte ich TWISTED METAL entspannt angehen mit dem geringen Anspruch, mir bei meinen Runs auf dem Laufband die Zeit zu vertreiben, ohne mich groß vom Sport abzulenken. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich mich prima amüsieren würde.
Der Appeal von TWISTED METAL ist einfach zu erklären: Es ist ein sehr dummes Konzept, das sehr smart umgesetzt wurde. Alles ist grunzende Gewalt, eskalierende PS-Protzerei, DEATH RACE-Splatter und gutbürgerliche Apokalypse ohne Anspruch. Aber all das wird getragen von guten Darstellern und Dialogen, die weit über dem rangieren, was man von einem derart Corman-esken Rambazamba erwarten würde. Im Gegensatz zu anderen räudigen Roadmovie-Rüpeleien sind die Sprüche wirklich cool, die Gags wirklich witzig, und die Twists wirklich überraschend. Dazu kommen wirklich wertige VXF, die erfreulich selten nach hingeschlunzter CGI aussehen.
Mehr noch: Es ist alles sehr sauber konstruiert, die Figuren passen zueinander und haben konkurrierende "wants and needs", die sowohl die innigen Beziehungen als auch die Konflikte logisch ineinander greifen lassen. In seiner Comic-Überzeichnung ist TWISTED METAL vielleicht dünn, aber durchaus stimmig. Viele digitale Szenerien und aufwändig inszenierte Autojagden erschaffen eine knallbuntes Rumsbums-Universum, sorgen für ein Kino-Feeling auf hohem Niveau.
Klar merkt man, dass zwischen Anfang und Ende immer mal wieder "bottle shows" das Budget einfangen müssen und wie bei jeder Miniserie ausgiebige Flashbacks auf zehn Folgen strecken, was auch in sechs zu erzählen wäre. Aber bei gerade mal 25 Minuten netto pro Episode schaut sich das rasant weg.
Zum Ende hin wird sehr clever der Rahmen für die zweite Staffel gebaut, die fast alle Personen der ersten Staffel erneut zusammenbringt, um noch mal deutlich tiefer in die Mythologie der Spiele einzusteigen.
Ich hatte einen Heidenspaß und bin froh, die Serie verspätet entdeckt zu haben.
Wie gesagt: TWISTED METAL erzählt eine dumme Geschichte sehr smart. Das ist eine erfrischende Abwechslung zu den vielen Serien, die sich extrem smart geben, aber für ihren eigenen Anspruch schlicht zu dumm sind. Als Drehbuchautor weiß ich, dass es schwer ist, eine intelligente Figur zu schreiben, ohne selbst deren Intelligenz zu besitzen. Es ist wie ein Schachspiel beschreiben, wenn man selber nicht Schach spielt. Das Problem wird uns gleich bei PARADISE begegnen…
P.S.: Ich hatte für diesen Review die Geschichte von TV-Serien über Autorennen recherchiert, dann aber doch keinen Platz dafür gefunden. Nicht vorenthalten möchte ich euch aus diesem Subgenre allerdings zwei Trailer.
So war DRIVE eine 2007 mit großem Aufwand gestartete Ensemble-Serie, die erstmals über Social Media direkten Kontakt mit den Zuschauern suchte. Nach gerade mal vier Folgen brach man das Experiment ab. Schaut man sich den Trailer heute, fallen besonders die junge Emma Stone und die miserablen digitalen Rückprojektionen der Fahrszenen ins Auge:
Zehn Jahre später versuchte sich der SyFy-Channel an einer vom Grindhouse-Hype um Tarantino entstandenen Trash-Serie, die ein bisschen wie ein Probelauf für TWISTED METAL wirkt – aber in hummeldumm:
Auch hier war nach 13 Folgen bereits Schluss und im Cast fällt Alan Ritchson auf, der später mit TITANS und REACHER erheblich mehr Erfolg haben sollte.
Paradise (Spoiler!)
PARADISE fußt auf einem ähnlichen Szenario wie TWISTED METAL, ist aber komplett anders angelegt. Auch hier hat ein apokalyptisches Ereignis die Erde weitgehend unbewohnbar gemacht, auch hier haben sich die Reichen und Mächtigen in idyllische Festungen zurückgezogen, um eine Illusion von Normalität und Ordnung aufrecht zu erhalten. Und wieder ist ein Schwarzer der Wandler zwischen den Welten, der Katalysator hässlicher Wahrheiten.
Ist TWISTED METAL allerdings ein krachendes Actionspektakel im B-Movie-Stil, versucht sich PARADISE als politisches Drama, als eine Art WEST WING in einem High Concept-Szenario. Der Mord an einem Ex-Präsidenten muss aufgeklärt werden und dabei kommen nicht nur die Leichen der Beteiligten ans Tageslicht – die Existenzberechtigung der künstlichen Kleinstadt wird in Frage gestellt.
Das ist edel gefilmt, keine Frage. Jede Episode legt den Fokus auf eine andere Person, enthüllt neue Facetten der bereits bekannten Ereignisse. Unsere Loyalitäten wechseln, unsere Sicht auf diese amerikanische Fake-Community wird zunehmend ambivalenter. Die Darsteller sind exzellent, auch wenn mir persönlich Sterling K. Brown als Protagonist ein wenig zu stoisch daher kommt. Dafür kann James Marsden mal wieder beweisen, dass hinter dem Sonnyboy-Image aus X-MEN und SONIC ein richtig guter Darsteller steckt. Sein Ex-Präsident Cal Bradford ist die vielleicht spannendste und vielschichtigste Figur der Serie.
PARADISE hat ein Problem, das ich weiter oben schon angesprochen habe: Der Serie gelingt es nur streckenweise, so schlau zu sein wie ihr Konzept. Immer wieder kommen Fragen auf, die nicht beantwortet werden, müssen wir Lücken in der Story selber füllen. Die Twists funktionieren für den Moment, addieren sich aber mehr zu einem Sittenbild als zu einer vollständigen Geschichte. Die Frage, wer den Ex-Präsidenten ermordet hat, gerät immer mehr in den Hintergrund.
Vor allem aber: Am Ende ist alles Schall und Rauch, wenn in der letzten Episode noch einmal neue Figuren eingeführt werden und der Täter sich als jemand entpuppt, der wie ein Kaninchen von einem mittelmäßigen Show-Magier aus dem Hut gezogen wird. Die LvA und ich haben uns danach angesehen und gefragt, ob die Showrunner diese Auflösung ernst gemeint haben können. Sie ruiniert in ihrer Beliebigkeit den ganzen mühsamen Aufbau der sieben vorherigen Folgen.
Wenigstens ist auch hier genug Stoff angelegt worden, um eine zweite Staffel zu rechtfertigen, die bereits geordert wurde. Wir geben PARADISE trotz der Enttäuschung über das Finale nochmal eine Chance.
Hey, Nischen-TV … genau mein Ding! Den Vergleich zwischen TWISTED METAL und BLOOD DRIVE hatte ich natürlich auch gleich gezogen – allerdings in diesem Fall ausnahmsweise zu Ungunsten des thematischen Nachfolgers: Mir hatte die ungehemmte, aber gut gelaunte Grindhouse-Mentalität von BLOOD DRIVE mehr zugesagt als im ähnlich inspirierten TWISTED METAL, auch wenn letztlich beide Serien eher im 70%-Bereich pendeln. Aber weil du THE BOYS erwähnt hast – versuch’s mal. Wirklich. 😉 Ich hab zwar auch das Gefühl, dass dir die Serie zu zynisch sein könnte (und das Spin-off erst recht), aber einen Versuch wäre es wert …
Bei der Wahl zwischen The Boys und Expanse würde ich ganz klar zu Expanse tendieren.
Einfach weil der Overload an Superhelden in den letzten Jahren schon enorm war.
An guter SiFi fehlt es aber einfach.
Na gut, dann wären da ja durchaus noch Foundation oder For all Mankind als lohnend in diesem Genre zu verorten. Expanse ist sowieso immer eine Empfehlung wert, wurde IMHO aber mindestens zwei Seasons zu früh gecancelt (ich glaube, im Story Arc von Buch 6 oder 7). Andererseits: Die eine Wahl muss die andere ja nicht ausschließen. Zur Not halt einfach beide. 😀
Das mit dem Overload an Superhelden sehe ich weniger. Zum einen ist der Overload an SciFi noch viel verheerender (man denke an den ganzen Trek- oder Star-Wars-Kosmos, neverending Doctor Who oder drölfzig neue Dystopien jedes Jahr), und zum anderen würde ich The Boys nicht zwangsläufig bei den klassischen Schema-F-Superheldenstories einordnen, sondern eher in der Meta-Ebene (wie Invincible zum Beispiel ja auch). Aber da hat jeder ohnehin andere Vorlieben, und Torsten hat ja schon gesagt, dass sein Tag unfassbarerweise auch nur noch 24 Stunden hat 😉 …
Ich fragte mich ernsthaft wer sowas wie Dr. Who und Star Wars mal zu SiFi zugeordnet hat.
Wer würde das NICHT tun?
Star Wars war einfach immer ein klassisches Märchen.(Magier, der weise Mentor, dunkler Ritter und Held etc.)
Es beginnt sogar mit "Es war einmal…"
Dr. Who ist ein Alien und reist durch die Gegend. Klingt eher nach Abenteuer.
Lichtschwerter oder eine TARDIS machen kein SiFi.
Der klassische SiFi hat doch immer ein Zukunftsbild, beeinflusst durch Wissenschaft(Science), der Menschheit gemalt, und das in die Zukunft projiziert(Fiktion).
Das fällt bei Star Wars und Dr. Who einfach weg.
Das ist eine albern enge Definition. Wenn man so denkt, ist Batman auch kein Superheld, weil er nicht super ist.
Superhelden definieren sich aber nicht durch übernatürliche/übermenschliche Kräfte, sondern durch ihre Beweggründe und Aktionen. Man muss schon den Inhalt berücksichtigen.
Und da landet man bei SiFi eben bei Raumpatroulle Orion, Star Trek, Expanse, Space 2063, Blade Runner, Matrix.
Und daher fehlt Dr. Who und Star Wars einfach entscheidende Elemente um SiFi zu sein.
Nicht jede Weltraumoper ist SiFi, nicht jeder Zeitreisende ist SiFi.
Man kann natürlich alles SiFi nennen, was in der Zukunft spielt oder bei dem fortschrittliche Technik verwendet wird, aber dann ist der Begriff SiFi eben sehr schwammig.
Das ist – zumindest was Film und Fernsehen angeht – schlicht falsch und eine völlig überholte Definition von SciFi. Auch wenn Star Wars primär Märchen-Klischees bzw. Campbells Heldenreise bedient, kann man es kaum als "den Märchenfilm Star Wars" bezeichnen. Deiner Definition nach wäre BATTLESTAR GALACTICA keine SF, weil es (zumindest seit GALACTICA 1980) in der Gegenwart angesiedelt ist. Da die Grundstruktur der Serie der Bibel entnommen wurde, wäre es demnach eine fundamental-christliche Serie? Seit wir SF auch in Film und Fernsehen umsetzen, macht die Visualisierung und der Kontext das Genre. Dr. Who ist ebenso Science Fiction, wie Star Trek kein Western ist, obwohl es als "Wagon Train to the stars" gepitcht wurde.
Mich irritiert, dass du durchgängig von SiFi schreibst, obwohl du sogar die Herleitung des Begriffs mit Science und Fiction explizit nennst.
Fairerweise wird das mittlerweile relativ beliebig verwendet – und seit ein paar Jahren ja sogar als Syfy. Dazu auch immer noch sehenswert:
https://wortvogel.de/2009/01/scifi-ist-der-tod-der-science-fiction-und-sf-pinkelt-auf-das-grab/
Da komme selbst ich – mitlesender Fan von Haushaltstipps – unter dem Stein hervor. Entweder bist Du sehr sehr jung oder "SiFi" (sic) ist dir als Konzept von Science/Wissenschaft und Fiction/Vorstellung nicht geläufig.
Hallo Markus! Auf wen beziehst du dich?
Könnte es sein, dass Nikolai das meint, was man gerne Hard Science Fiction nennt? Was nur ein Teilbereich der mittlerweile viel weiter gefassten Science Fiction ist?
Wie ich weiter oben schrieb: eine sehr enge Definition, die nur noch von Hardcore-Nerds verteidigt wird. Wobei man mit "Hard Science Fiction" eher die technisch orientierte SF meint und nicht z.B. die politische oder psychologische SF.
Beim Lesen des Textes über TM kam mir direkt Blood Drive in den Sinn und passenderweise folgte ja direkt der Trailer 😀 die Serie gab es mal bei Amazon für 99 Cent und war recht spaßig, obwohl ich mich immer frage, ob der Hauptdarsteller absichtlich so käsig gespielt hat oder danach nochmal Schauspielunterricht genommen hat. Bei Reacher und Co wirkte er wesentlich kompetenter.
Paradise habe ich wohlwollender aufgenommen. Für eine Network-Serie spannend und smart erzählt, die Auflösung war okay. Allerdings frage ich mich, ob es hier einen großen Plan der Autoren gibt oder ab der zweiten Staffel einfach Sachen dazugedichtet werden, um Bezüge zu Season 1 reinzubekommen. Und der Wechsel „nach draußen“ könnte auch schiefgehen.
Vielen Dank für den Tipp, hab mich bei Twisted Metal am Wochenende sehr amüsiert und kann die Kritik so unterschreiben!
Bzgl. The Boys und The Expanse begebe ich mich mal auf einen eher unpopulären Platz: Ersteres fand ich deutlich zu brutal nur um der Brutalität wegen und habe mich sehr unwohl gefühlt damit, nach der ersten (eher unwillig durchgehaltenen) Staffel abgebrochen. Zweiteres fand ich im Storytelling bzw. Characterbuilding deutlich zu langatmig, ebenfalls nach der ersten Staffel aus Langeweile abgebrochen. Aber so geht es mir mit sehr vielen der populärsten Serien, mein Geschmack scheint nicht dem des Mainstreams zu entsprechen.