05
Mai 2025

Berlin Batman: Banausen!

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Ich hatte schon mal drüber geschrieben, aber es ist ein "pet peeve" von mir, deutsche Kultur in den Medien anderer Länder falsch dargestellt zu sehen. Man möge im entsprechenden Artikel zur Vorbereitung nochmal nachlesen.

Das ist natürlich ein wechselseitiges Problem: Die Amerikaner empfinden die Darstellung des Indianerlebens in WINNETOU ebenso wenig als authentisch wie die Briten unsere Edgar Wallace-Filme. Ich bin ziemlich sicher, dass die Marsianer von diesem Film auch nicht begeistert waren:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Das Problem wird häufig verstärkt, wenn die Produkte primär für den heimischen Markt gedacht sind und die Darstellung der "fremden" Kultur nur als Rahmen, als Kolorit, als Atmosphäre dienen soll. They don’t give a s…

Und trotzdem ärgert es mich manchmal. Ich erinnere mich an Drehbücher, die ich vor 20 Jahren beruflich gelesen habe, die einen erschreckenden Mangel an Grundwissen über das Setting aufwiesen.

Da war der Spionagethriller mit Setting Wien, dessen Autor augenscheinlich mal DER DRITTE MANN gesehen hatte und die Stadt zur Jahrtausendwende immer noch für ein Labyrinth aus Trümmerstraßen und Abwasserkanälen hielt. Highlight: Eine Verfolgungsjagd zwischen Motorrad und Fiaker.

Da war der krude, auf europäische Koproduktionsgelder schielende FAST & FURIOUS-Abklatsch, in dem jemand in den 80ern in der DDR einen Sportwagen (!) klaut und damit über die Mauer springt (!!), während ein Grenzer "schießt das car!" brüllt (!!!).

Da war die Actionszene in der Münchner Straßenbahn, in deren Verlauf die Beteiligten durch eine Klappe auf das Dach der Tram steigen, weil man es in den USA augenscheinlich für unwahrscheinlich hält, dass dort Stromleitungen laufen.

Da waren Skripts, die in einer DDR spielten, die von den Autoren offensichtlich mit Nazi-Deutschland gleichgesetzt wurde, Gestapo und Hakenkreuze inklusive.

Eine erlaubte Ausnahme für diese Herangehensweise gibt es natürlich:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

RIP Val Kilmer.

Comics sind für solche Lapsus (ist der korrekte Plural von Lapsus, nur mit langem "u" gesprochen, ich hab’s nachgeschlagen) ein idealer Nährboden, allein schon deshalb, weil sie lange als Wegwerfkultur galten, in der deutsche Elemente und Sprachbrocken nur Merkmale waren, um den Bösewicht zu identifizieren:

Das hielt sich tapfer bis in die 80er – so war Nightcrawler von den X-Men ursprünglich ein Bayer aus Witzeldorf (gibt es tatsächlich, in der Nähe von Dingolfing), dessen Merkmal ein etwas krudes Deutsch war, das primär von einem Mangel an Schulbildung der Autoren zeugte:

Damit konnte ich immer gut leben, auch wenn ich damals schon verblüfft war, dass bei einem Großverlag wie Marvel niemand die 10 Dollar investieren wollte, um mal einen Muttersprachler drüberlesen zu lassen.

Seit den 90ern haben Comics allerdings einen anderen Anspruch. Sie werden immer mehr als visuelle Literatur vermarktet und verlangen einen angemessenen Platz neben anderen Kunstformen. Man druckt sie in Hardcover, bestückt mit ihnen Ausstellungen, verkauft sie bei Auktionen für Höchstpreise. Autoren wie Frank Miller, Kurt Busiek, Alan Moore und Warren Ellis sehen sich legitim als Schriftsteller in einem graphischen Medium.

Und genau darum stößt es mir auf, wenn auch in diesem wertigeren Bereich geschlampt wird, sobald die Macher mal außerhalb ihrer Blase arbeiten.

Case in point: THE BERLIN BATMAN von Paul Pope, erschienen 1998 als Heft 11 der "The Batman Chronicles":

Ich bin generell kein großer Fan von Popes fiebrigem Stil, der hysterische Action bevorzugt und Batman als eine unheilige, kreischende Horrorfigur neu definiert. Dennoch lässt sich kaum bestreiten, dass Pope dem Charakter neue, spannende Seiten abgewinnt und seine Geschichten definitiv ein erwachsenes Publikum verdienen und wohl auch finden.

"The Berlin Batman" geht allerdings gar nicht. Hier beweist Pope genau die kulturelle Ignoranz und Naivität, die ich weiter oben moniert habe.

Es ist sehr offensichtlich, dass es Pope weder darum ging, die Stadt Berlin oder das Leben in Berlin 1939 in irgendeiner erzählerischen Breite darzustellen. Aufhänger war vielmehr ein Zeitungsartikel, der sein Interesse geweckt hatte, wie er im Vorwort eines Sammelbandes umumwunden zugibt:

I had just read of the real world discovery of Austrian economist Ludwig Von Mises' private notebooks and papers, which had inexplicably resurfaced in Russia decades after having been confiscated by Hitler during World War II. It suggested a strange idea to me – what if Batman were a Jew, and, instead of Gotham City, he appeared in Berlin in 1939 under Nazi dictatorship? Hmn…

Ich bin nicht ganz sicher, warum die Lebensgeschichte eines österreichischen Wirtschaftswissenschaftlers, der 1973 in den USA verstorben ist, eine Story über einen Batman im Nazi-Deutschland inspirieren sollte. Pope auch nicht, weshalb "The Berlin Batman" eine außerordentlich dünne, krude Geschichte ist, die Mises Schriften im Dialog referenziert, ansonsten aber keinerlei Bezug darauf nimmt.

Auch der Rest des Comics ist erschütternd kraft- und saftlos. Der jüdische Batman attackiert einen Bahnhof, prügelt sich mit ein paar Schergen, es explodiert was. Das war es auch schon. Keine Darstellung des oder Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich, kein größerer Kontext, keine stimmungsstarken Bilder. Es scheint, als habe sich Pope für die vergleichsweise kurze Story nicht allzu sehr in das Thema einarbeiten wollen, historisch wie visuell.

Nun ist erzählerische Dürftigkeit eine Sache – Schlampigkeit eine andere.

Fangen wir gleich mal mit dem ersten Panel auf der ersten Seite an:

Wir sehen: wenig. Die elegante Villa von "Baruch Wane" im Berliner Stil der Zeit auszustatten war augenscheinlich kein Fokus von Paul Pope.

Ich lasse durchgehen, dass "Bruce" hier "Baruch" heißt. Ist ein jüdischer Vorname. Aber "Wane" ist weder jüdisch noch deutsch, und es ist leider davon auszugehen, dass Pope dachte, die Aussprache wäre bei uns "wäin" und nicht "wah-ne".

"Komissar Garten"? Fangen wir mal damit an, dass beim Kommissar (auch im weiteren Verlauf) ein "m" fehlt. Und deutsche Nachnamen orientieren sich traditionellerweise an Berufen, weshalb "Kommissar Gärtner" die korrekte Übertragung von "Commissioner Gordon" gewesen wäre.

Aber man muss sich gar nicht an den sprachlichen Details aufhängen. Baruch Wane ist ein jüdischer Playboy im Berlin des Jahres 1939, der explizit als extrovertiert, arrogant und hedonistisch präsentiert wird.

Hallo? Wer sich nur minimal mit der Geschichte des Dritten Reiches beschäftigt hat, der kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es 1939 keine reichen jüdischen Playboys mehr in Berlin gab. Die Juden waren enteignet, ihre Firmen arisiert, ihr kulturelles Leben praktisch ausgelöscht. Eine Figur wie Baruch Wane wäre vielleicht 33-36 noch denkbar gewesen – 1939 hätte er nur noch vom Untergrund aus arbeiten können (was gerade angesichts der "Bathöhle" großartige Möglichkeiten eröffnet hätte).

Und KEIN Kommissar der Berliner Polizei hätte sich dabei erwischen lassen, wie er mit einem jüdischen Lebemann Informationen austauscht.

Auch Baruch Wanes Backstory zeugt von einem Mangel an Interesse, die Geschichte des Dritten Reichs über die billigsten Banalitäten hinaus zu studieren.

Unterstellen wir gnädig, dass Baruch in der Story Mitte 20 ist. Demnach wäre der Tod seiner Eltern ungefähr 15 Jahre her – und läge damit mitten in der Weimarer Republik, mit der sich Pope augenscheinlich nicht auseinander gesetzt hat. So werden die Eltern von Baruch Wane von einem nicht näher identifizierten Mob aus generischem "Judenhass" zu Tode getreten:

Das wäre 1939 gegangen, aber 1924? Da passt wirklich gar nichts.

Die Sequenz macht gleich mehrere Fässer auf: Warum sollte Baruch Wane Batman werden, wenn seine Eltern doch "nur" von einem anonymen Mob getötet wurden? Warum bekämpft er die Nazis, die keine direkte Verantwortung dafür gehabt haben (können)? Bekämpft er als Batman Verbrecher generell oder nur die Nazis? Ist er damit ein politischer Batman? Nichts davon wird auch nur angerissen.

Fast schon wieder komisch wird es, als der "Berlin Batman" sein Haus verlässt und durch ein generisches Berlin von 1939 streift, das auch San Francisco 1915 sein könnte, wenn man von den Beschriftungen absieht:

Ich vergrößere euch das mal:

Wer genau hinschaut, wird feststellen, dass Pope augenscheinlich von der Band Einstürzende Neubauten gehört hat, sich aber nicht die Mühe machen wollte, ihre Schreibweise auf einem CD-Cover nachzulesen. Und auch das Wort Kaffee/Café ist ihm nur so mittel geläufig. Drei Worte, drei Fehler. Respekt?

Wer jetzt einwirft, dass Pope immerhin versucht, die alptraumhafte Atmosphäre zu spiegeln, die im deutschen Expressionismus der 20er Jahre zu finden war, dem sage ich: gähn. Der Verweis auf CALIGARI und DER GOLEM ist die billigste visuelle Chiffre, die sich für die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts finden lässt, wenn man über Deutschland spricht. Und 1939 war sie auch schon durch. Zeitgemäß wäre ein visueller Stil gewesen, der die Schattenwelt des Größenwahns der Nazis darstellt, die Düsternis hinter den Hakenkreuzfahnen, klassizistischen Prachtbauten und stolzen Autobahnen.

Generell kann man dem Comic noch vorwerfen, dass es einen jüdischen Batman in der Nazi-Zeit zu thematisieren vorgibt, aber keine Nazis darin vorkommen. Nicht einmal ihre Insignien tauchen auf. "The Berlin Batman" spielt in einem Berlin ohne Hakenkreuze, ohne Hitlerjugend, ohne Führerporträts. Der grundlegende Konflikt der Idee, der jüdische Rächer gegen die verbrecherischen Faschisten, kommt schlicht nicht vor. Was soll das dann?

"The Berlin Batman" hat die "Authentizität" alter Serials:

Ich habe die Geschichte übrigens im Sammelband "Year 100 and Other Tales" von 2015 gelesen. Augenscheinlich war man bei DC auch nach 17 Jahren nicht der Meinung, wenigstens die gröbsten Rechtschreibfehler korrigieren zu müssen. Und auch Pope übergeht sämtliche Schnitzer geflissentlich.

Kurzum: "The Berlin Batman" ist ein Ärgernis, das unter einem provokanten und aggressiven Stil versteckt, dass der Macher keine wirkliche Geschichte erzählen wollte/konnte und auch kein Interesse am Zeitkolorit aufbrachte.

Vermutlich ärgere ich mich deshalb so über DIESEN "The Berlin Batman", weil ein ANDERER "The Berlin Batman" ungleich spannender gewesen wäre. Einer, dessen Eltern von SA-Schergen ermordet wurden, der seine Fledermaus-Identität als "jüdisches Ungeziefer" wahr- und annimmt, dessen edle Villa von einem Nazi-Bonzen im Rahmen der Arisierung okkupiert wird. Einer, der anders als der Batman von Gotham nicht für das System gegen das Verbrechen kämpft, sondern gegen das System als Verbrechen. Was wäre DAS für eine Geschichte!

Aber dafür hätte man eben deutlich mehr Recherche und Ernsthaftigkeit investieren müssen, als Paul Pope es für nötig gehalten hat.



Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

11 Kommentare
Älteste
Neueste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
5. Mai, 2025 12:32

An sich muss ich dir zustimmen mit deiner Analyse. Aber (wie leider zu erwarten) kam die Gewalt gegen Juden ja nicht aus dem Nichts. Dank Hyperinflation gab es zB in 1923 ein Progrom im Berliner Scheunenviertel. Das ist heute ja größtenteils vergessen, empfand es erfrischend und wichtig, als vor 1,5 Jahren vom RBB relativ breit drüber berichtet wurde.

Erinnere mich auch an eine Doku, wo ein Mädchen berichtete, das jemand am Tag der Machtergreifung von nem Mob totgeschlagen wurde. Und in Berlin würde ich ab 1927 allgemein nicht ausschließen, was der SA Mob getan hat.

Marcus
Marcus
5. Mai, 2025 12:42

Toller Beitrag!

Year 100 fand ich seinerzeit ganz okay, aber sonst bin ich auch kein großer Fan von Pope.

Wie lang ist "Berlin Batman" denn? Würde mich interessieren, auch wenn das nur bedingt als Entschuldigung für die dünne Story durchgeht – viele klassische Elseworlds wie Gotham by Gaslight oder Holy Terror sind ja auch recht schmale Bändchen.

Apropos Gotham by Gaslight: davon gibt es gerade eine noch nicht abgeschlossene Fortsetzung ("The Kryptonian Age"), die ich bis jetzt ziemlich cool finde.

Marcus
Marcus
5. Mai, 2025 23:25
Reply to  Torsten Dewi

Danke. Nicht mal ein komplettes Standard-Heft. Das ist dann allerdings wirklich so wenig, dass das eh nix werden konnte.

Stephan
Stephan
5. Mai, 2025 13:08

Jetzt möchte ich gerne ein Comic lesen, in dem Ludwig "Captain Liberal" von Mises Kommunisten und Kollektivisten bekämpft. In der Endszene übergibt er den Staffelstab an seinen Adlatus Friedrich August "Neoliberal Kid" von Hayek.

Das wäre sicher ein Kassenschlager!

S-Man
S-Man
5. Mai, 2025 14:43

Unabhängig vom Comic ist es schön, dass du mal wieder das Thema der Sorgfältigkeit auf den Tisch bringst. Ich habe mich die Tage mal wieder bei einem M:I Film geärgert. Der spielt angeblich in der "Nähe von Berlin". Und anstatt einfach einen Dartpfeil auf eine Karte zu werfen und den dortigen Ort zu nehmen, denkt man sich was krudes aus. Wieso? Da hat man x-Millionen Budget und es reicht am Ende nicht für einen Blick auf die Karte?

Ja, ein kleines Beispiel von Tausenden, aber das hat mich halt zufällig kürzlich einfach mal wieder hochfahren lassen.

PabloD
PabloD
5. Mai, 2025 16:49

Hat zwar mit Batman nix zu tun, aber mit dem Melkus RS 1000 gab es sehr wohl einen DDR-Sportwagen. Über die Mauer hätte man aber auch damit nicht springen können…

Alex
Alex
6. Mai, 2025 13:08

Mir fällt da spontan Tom Clancys "Chaos Tage" ein, der aus den Chaostagen in Hannover einen Aufmarsch von Rechtsextremen machte. Für jemanden, dessen Bücher sonst eigentlich immer Sachkenntnisse hatten, ein ziemlich dicker Bock.

OnkelFilmi
OnkelFilmi
7. Mai, 2025 02:09
Reply to  Alex

Dazu hätte Clancy irgendwas mit dem Buch zu tun haben müssen. Die OP-CENTER Reihe trägt zwar Clancy’s Namen im Titel, ist jedoch Etikettenschwindel, da Clancy seinen Namen gegen Geld draufgepappt hat (was er ganz gerne gemacht hat). Erschaffen wurde die Reihe von Steve Pieczenik, der u.a. unter Kissinger im US-Aussenministerium gearbeitet hat, und heute als rechter Verschwörungstheoretiker bekannt ist. Der von Dir erwähnte Roman selbst stammt von Jeff Rovin, der – um mal wieder eine Brücke zu Torstens Beitrag zu schlagen – u.a. für DC gearbeitet hat (und auch ein rechter Schwurbler geworden ist).