The Fear is female: Im Spiegel der deutschen Romanheft-Kultur
Themen: Film, TV & Presse |Es mag einige Leser überraschen, aber ich bereite meine Artikel selten vor – von den Fotostorys mal abgesehen. Üblicherweise stoße ich auf ein Thema und sortiere im Kopf die Idee, die Argumentation, den Widerspruch, das Fazit. Dann setze ich mich ran und schreibe.
Das führt natürlich dazu, dass ich mitunter wichtige Aspekte eines Themas vergesse, weil ich sie entweder vorher nicht bedacht oder im Flow des Schreibens dann schlicht vergessen habe. Selten ist das relevant genug, um einem Artikel noch mal eine Fußnote folgen zu lassen, aber heute mache ich eine Ausnahme.
Ich bin bekanntermaßen ein großer Fan des Groschenromans, wenn auch nicht Fan genug, um zu übersehen, dass vermutlich 70-80 Prozent des Outputs schlecht geschriebener Käse sind. Wirklich brauchbare Belletristik kommt von wenigen immer gleichen Autoren und ein paar Teams, die gut kuratierte Serien auf den Markt bringen. Das gros bleibt aber Ausschuss für den Dreisprung "kaufen – lesen – liegen lassen" und ich bin baff, mit welchem Eifer es sogar dafür Sammler gibt.
Da das Romanheft aber echte Volksliteratur darstellt und eben nicht als geistige Anregung für die gebildeten Schichten gedacht ist, kann es als Massenphänomen mehr über gesellschaftliche Zusammenhänge, Bedürfnisse und Befindlichkeiten aussagen. Die Belletristik schämt sich nicht, sie will sich anbiedern – und zielt dabei auf die großen Nenner der Zielgruppe(n).
So bin ich gestern im Nachklapp des Beitrags über Frauen-Horror darauf gestoßen, dass Romanhefte meine Thesen perfekt stützen – über ihre Titelbilder. Denn es sind gerade die Titelbilder, die den Leser am Kiosk ködern sollen, die das versprechen, was dem Wunsch des Publikums am ehesten entspricht.
Es reitet der Cowboy Woche für Woche mit dem Colt in der Hand, während der G-Man im Halbdunkel einen Gauner vertrimmt. Bei der Science Fiction ist jedes Cover ein utopisches Versprechen von Raumfahrt und Aliens, während der weiße Kittel die Uniform des freundlich lächelndes Doktors im Arztroman ist. Die Schmonzette kennt nur Sommerwiesen und Sonnenschein – es sei denn, um des Dramas willen legt ein besorgt dreinschauender Mann seiner nicht minder gemarterten Liebsten die Hand auf die Schulter (werden sie dem kleinen Florian gute Eltern sein, trotz der dunklen Schatten auf ihrem Glück?).
Zur Unterscheidung von Frauen- und Männer-Horror eignen sich Romanhefte ganz besonders, man möchte fast sagen vortrefflich.
Schaut euch als gutes Beispiel einfach mal die Cover der John Sinclair-Romane an. Sinclair ist der Prototyp des männlichen Horror-Helds und er kämpft mit Waffen und Magie primär nicht gegen sich selbst, sondern gegen konkrete Monster aus Mythologie und Mottenkiste. Zwar gerät er auch mal in Gefahr, aber dieser tritt er immer furchtlos und mit großer Physis entgegen:
Man sieht in den Übersichten auch die Bandbreite der Romane, die überall und zu jeder Zeit spielen können: Im Wikingerdorf und in Wien, unter Wasser und im Weltall. Der männliche Grusel definiert sich über die Äußerlichkeiten, über das Abenteuer, über "everything everywhere all at once".
Der männliche Held ist ein Action-Man, der im wahrsten Sinne des Wortes Tod und Teufel nicht fürchtet und sich selbst zum auserwählten Retter erklärt:
Im Vergleich dazu sind die Cover von Frauen-Gruslern wie "Spuk Roman" erschütternd austauschbar, fast schon monoton:
Eine Frau, die verängstigt vor/von einem alten Gemäuer flieht, macht mindestens 60 Prozent der Titelbilder aus. Als Steigerung des "Horrors" darf maximal noch eine schemenhafte Geistergestalt in Hintergrund zu sehen sein.
Nehmen wir das mal auseinander.
Die Frau hat Angst. Sie ist keine Heldin, sondern nur Hauptfigur. Selten ist sie der Bedrohung ohne externe Hilfe gewachsen, selten ist sie von Anfang an ein aktiver Charakter, der sich mit Recherche und Werkzeug dem Bösen entgegen stellt. Oft genug ist "die Macht der Liebe" das Einzige, was sie zum Finale aufbringt.
Die Frau flieht vor der Bedrohung. Es geht nicht um eine Lösung oder einen Sieg über das Böse, es geht ausschließlich um Selbsterhalt. Das ist dahingehend verständlich, da zumeist keine Gefahr für die ganze Welt droht, sondern nur Leben oder Verstand der Protagonistin auf dem Spiel stehen. Die Welt des weiblichen Grusels ist nicht nur interner, sie ist auch persönlicher und intimer.
Weil der Konflikt weniger welterschütternd ist als beim Männer-Grusel (so wird schon im ersten John Sinclair Taschenbuch "Angst über London" gleich die britische Metropole in Schutt und Asche gelegt), sind auch die Handlungsorte immer gleich und austauschbar. Der alte Landsitz, das verfallene Schloss, das Haus am See, die Insel der Ahnen. In Laufweite ein kleines Dorf mit einem gemütlichen Pub. Sie sind nur Bühnenbilder, die verschiedene emotionale Befindlichkeiten der Hauptfigur widerspiegeln oder verstärken.
Während der männliche Horror über die Location und das Monster seinen Inhalt generiert, sind diese Elemente beim Frauen-Grusel nur austauschbare Illustration der immer gleichen Konflikte. Der düstere Familiensitz repräsentiert die Verlorenheit und Einsamkeit, die Macht der Vergangenheit über die Gegenwart. Die raue Natur ergänzt das Drama um die notwendige Soundkulisse, es donnert und blitzt mit beeindruckender Konsequenz, Nebel ist allgegenwärtig.
Gerne sind Sturm und Nebel auch nur Hindernisse, die eine zu rasche Auflösung verhindern sollen ("Bei diesem Sturm kommt kein Taxi zum Landsitz durch, Mylady – und die Telefonleitungen sind auch gestört."). Das ist deshalb notwendig, weil die Protagonistin ja in der Tat das Böse nicht besiegen muss wie ihr männlicher Gegenpart – sie könnte jederzeit auch einfach fliehen.
Urbanität oder Moderne findet man in hier praktisch nie – es sei denn, die Frau flieht anfangs aus der unpersönlichen Großstadt in das vermeintliche Idyll des Landlebens. Das muss so, da sind sich Grusel- und Liebesroman übrigens erstaunlich einig. Frauen-Grusel lehnt Modernität ab, Technik, Fortschritt, Wissenschaft. Seine Verbundenheit mit den viktorianischen Frauenrollen kann man ebenfalls an den Covern ablesen, auf denen die Protagonistinnen so gut wie nie Jeans und T-Shirt tragen, sondern immer alte Wallewalle-Kleider, die an VOM WINDE VERWEHT und WUTHERING HEIGHTS erinnern.
Auf den Kern gebracht ist der Gruselroman für die weibliche Leserin das Versprechen des Rückzugs in eine frühere, einfachere und auf jeden Fall bessere Welt, eine Welt der Bedingungslosigkeit, frei von jedem Widerspruch oder Widerstand. Das Versprechen wird dann aber jäh gebrochen. Die inhärente Möglichkeit, daran auch die eigenen naiven Erwartungen und die zur Qualität erhobene Unmündigkeit in Frage zu stellen, ist nicht Aufgabe des Romans.
So ist der Frauen-Grusel ungleich dünner und thematisch beschränkter als der knalligere Männer-Grusel. Seine Themen und Abläufe sind fast schon mechanisch vorgegeben, eine Abweichung von den Normen und Rollenmodellen wird von den Leserinnen strikt abgelehnt.
Umgekehrt kann man natürlich fragen, wie die männlichen Sinclair-Leser reagieren würden, wenn der Geisterjäger plötzlich primär introspektive Traumata über nachlassende Potenz und die Einsamkeit des Singles in der Großstadt überwinden müsste. Da helfen kein Weihwasser und keine Silberkugel…
Der Fairness halber sei gesagt, dass Frauen-Horror, wie ich ihn gestern beschrieben habe (THE SUBSTANCE, ROSEMARY’S BABY), nicht deckungsgleich mit dem Frauen-Grusel der Belletristik ist. Während sich das Romanheft auf kitschige Oberflächlichkeiten konzentriert und die Frau als so überfordert wie unterkomplex darstellt, reflektiert der Frauen-Horror tatsächlich die Befindlichkeiten unserer Gesellschaft, ihre Tücken und Niederträchtigkeiten. Im Idealfall entlarvt er Umstände, in denen die Frau in die Opferrolle gezwungen wird, wobei die Überwindung der Bedrohung auch die Chance zu einem Neuanfang in einem größeren Kontext erlaubt. Der Frauen-Horror ist nicht daran interessiert, zum status quo zurück zu kehren, während der Frauen-Grusel ihm huldigt.
Aber das würde zu weit führen. Eigentlich wollte ich nur aufzeigen, dass die Romanhefte meine Argumentation von gestern bezaubernd illustrieren, wenn nicht sogar bis ins Satirische überzeichnen.
P.S.: In den Neuauflagen versuchen sich die Frauen-Grusler ein wenig vom veralteten Weltbild zu emanzipieren (pun intended) – und greifen dabei nicht überraschenderweise auf KI-Bildgeneratoren zurück:
P.P.S.: Wer sich noch mehr zum Thema einlesen will, dem sei dieses kostenlose Buch über das Frauengrusel-Genre ans Herz gelegt:
Diese Cover sind wirklich ein Kuriosum an Ähnlichkeit! Beim ersten Beispiel dachte ich erst, ich hätte genau den mal am Zeitungsstand gesehen … dann wurde mir klar, dass es sich nicht sagen lässt, da sie sich zu ähnlich sehen.
Daher dachte ich während der Lektüre des Artikels noch, da würde wohl bald die KI Feste feiern … und dann schließt es mit einem so missratenen Exemplar.
Ich bin da nicht SOOOO empfindlich und aufmerksam, aber die verwachsenen Haare gehen ja nun gar nicht.
Ich frage mich ob die Herausgeber von GASLICHT die Bedeutung von GASLIGHTING (emotionale Manipulation) kannten oder einfach nur viktorianische Düsternis wollten.
Ich vermute eine banalere Antwort – sie bezogen sich auf den Film Gaslight.
„Gaslighting“ und „Gaslicht“ stammen aus dem gleichnamigen Film, wo einer jungen viktorianischen Frau von ihrem frisch angetrauten Gatten eingeredet wird, dass das häufige Poltern auf dem Dachboden – immer eingeleitet durch das Flackern der Gasbeleuchtung in ihrem Zimmer – nur in ihrer Einbildung existiere und sie immer seltsamer werde.
Ist natürlich nicht so.
Gibts bei Prime zu kaufen, und beim Pastewka („Kein Mucks“-Podcast) als Hörspiel.
Vielen Dank, genau die Frage hatte ich, als ich den Titel gesehen hatte!
Spannend!
Ist im Rahmen Deiner Unterscheidung der alte HP Lovecraft dann männlicher oder weiblicher Horror?
Auf der einen Seite sind praktisch alle Protagonisten Männer, auf der anderen Seite enden die Geschichten ja immer entweder mit der (höchstens kurzzeitig erfolgreichen) Flucht des Protagonisten (Call of Cthulhu, Colour Out of Space) oder der Vereinnahmung des Protagonisten von innen (Innsmouth) oder aussen (The Haunter of the Dark)
Bei Lovecraft werden die Protagonisten schlicht vom Grauen vereinnahmt – das ist selten mit einer konkreten inneren Auseinandersetzung verbunden. Gerade die "Großen Alten" sind sehr männlich angelegtes Grauen. Ich sehe Lovecraft sowieso eher als Meister der Atmosphäre und weniger als Meister des Storytellings.
Ja, Worldbuilding ist gut, Storytelling each der dritten Story etwas generisch