Richmond upon Thames: outside London, inside Life
Themen: Neues |Vor ein paar Wochen haben wir uns mal wieder eine Reise nach London gegönnt, die fast noch an beruflichen und medizinischen Hindernissen gescheitert wäre. Aber wir haben das durchgezogen. Der Grund wie so oft: wir hatten Karten.
Nachdem wir sie seit Jahren auf YT verfolgen und sie uns über Cameo sogar ein persönliches Video aufgenommen hat, wollten wir Nina Conti endlich live sehen:
Und weil das Richmond Theater ein sehr schnell wechselndes Programm hat, buchten wir noch zwei gute Plätze für Nathaniel Parker, den Hauptdarsteller der INSPECTOR LYNLEY MYSTERIES:
Die Tatsache, dass wir für beide Abende Karten im Richmond Theater hatten, legte nahe, dass wir auch in Richmond wohnen würden. Das war uns sehr recht, denn der kleine Ort (eigentlich ein Stadtteil Londons) hatte uns immer schon interessiert. Von hier aus kann man u.a. Wimbledon und die Kew Gardens stressfrei besuchen.
Ein weiterer Vorteil: Vom Heathrow Airport kommt man mit einem regulären Bus spottbillig und relativ flott ins Ortszentrum – wenn man nicht deppert in die falsche Richtung einsteigt, wie es uns gelungen ist.
Tatsächlich waren es kaum fünf Minuten Fußweg von der Haltestelle bis zu unserem Hotel, das sich als sympathisch und edel herausstellte, auch wenn die Matratzen für meinen Rücken zu weich waren und das kleine Zimmer das Attribut "klein" neu definierte. Aber wir waren ja nicht hier, um im Hotel zu hocken.
Wir begannen alsbald mit der Ortsbegehung. Selbst solche Schilder lese ich in England nicht mit deutscher Strenge, sondern mit britischem Humor:
Hier habe ich mich über den Widerspruch im Anspruch amüsiert – First Church of Christ Scientist?!
Weil wir nach der Flugreise Hunger hatten, kehrten wir erstmals in der asiatischen Kette ITSU ein. Ein wenig posh, ein wenig hip, aber es lässt sich kaum bestreiten, dass die Nudelgerichte aus der Pappschale extrem lecker waren und man vom ersten Stock einen hervorragenden Blick auf den Ortskern hat.
Danach spazierten wir noch ein wenig herum – auch im gut gepflegten Richmond gibt es mitunter seltsam aus der Zeit gefallene Architektur, in der man gleich einen Hammer-Film drehen oder einen John Sinclair-Roman schreiben möchte:
Ich gestehe, dass auch wir so viele Drehorte der Dramedy wie möglich besichtigen wollten. Direkt um die Ecke findet man das Haus mit Ted’s Apartment, auf der anderen Gassenseite den offiziellen TED LASSO-Shop:
Natürlich haben wir das "Original"-Shortbread gekauft und den Kent-Magneten:
Direkt gegenüber gibt es einen empfehlenswerten Empanada-Takeaway:
Es ist erstaunlich, wie sehr Richmond Kapital aus dem TED LASSO-Hype schlägt. Wer keine offizielle Lizenz hat, produziert einfach Waren, die eindeutig auf die Serie verweisen, ohne sie konkret zu nennen.
Es lohnt sich, abseits des Richmond Green-Parks durch die edleren Wohnviertel zu schlendern – hier lässt es sich leben:
Etwas baff waren wir, als wir auf einmal von Wassermassen gestoppt wurden:
Hochwasser in Richmond? Rohrbruch? Die letzte Flut?
Mitnichten. Wie ich hinterher recherchierte, ist die Themse bekanntermaßen ein Gezeitenfluss, der durch aufwändige Staustufen auf relativ konstantem Level gehalten wird. Die erste dieser Staustufen ist allerdings erst am östlichen Ortsrand von Richmond installiert, was dazu führt, dass diverse Straßen täglich für ein paar Stunden geflutet werden.
Den durstigen Pubgänger kann das natürlich nicht abschrecken:
Auch das Restaurant-Schiff, das wir eigentlich für unser "pre-theater dinner" eingeplant hatten, war nur über Stege zu erreichen:
Nun fahren wir nicht nach London, um deutsche Gemütlichkeit zu genießen, aber es war der richtige Ort und die richtige Zeit für eine heiße Schokolade:
Ich weiß, ich sehe hier ein wenig wie nach einem Schlaganfall aus, aber der Rücken war mir garstig und ich entschlossen, ihm das nicht zu gönnen:
In ganz Richmond sind sehr schöne Statuen zu finden, die das Leben der Schimpansen zeigen und erklären – so wusste ich gar nicht, dass bestimmte Arten sich zur Nacht in eine Art Nestbett legen:
Es gibt auch einen Amazon-Supermarkt und ich ärgere mich im Nachhinein, dass ich nicht dazu gekommen bin, mir das Angebot genauer anzusehen:
Dann wurde es aber schon Zeit für das erste Theaterstück, bzw. derer zwei. "Summer 1954" besteht nämlich aus zwei Einaktern.
Solche Inschriften wärmen mein kaltes Herz:
Und solche Inschriften füllen meinen leeren Magen:
Kurz gesagt: Zwei tolle Stücke mit großartigen (weitgehend alten) Darstellern, deren Figuren in der fassadierten Moral der Nachkriegszeit gefangen sind.
Schräg vor mir saß übrigens die Schauspielerin Olivia Williams (SIXTH SENSE).
Am nächsten Morgen schauten wir uns die vom Fluss abgewandte Seite des Ortes an. Es gibt tatsächlich noch einen klassischen Comicladen, was im Laufe des Wochenendes durchaus von Bedeutung sein sollte.
Gefrühstückt wurde im THE IVY, einem Restaurant, das dem Jugendstil frönt und gerade abgenutzt und stoffelig genug ist, um authentisch zu wirken.
Nun ist Richmond keine Großstadt und für die Kew Gardens war uns die Jahreszeit nicht blühend genug – also doch noch mal schnell downtown London. Mit der District Line ist man in einer halben Stunde am Embankment. Der Wetterdienst hatte nasskaltes Wetter prophezeit, aber erfreulicherweise falsch gelegen:
Spaziergang in Richtung Covent Garden, wie immer – was für eine bezaubernde Art, Publikum ins Lokal zu locken:
Im Schottenrock auf Stelzen jonglieren – da muss man aufpassen, wohin der Tourist seine Kamera richtet…
Ein Café, das uns bei unserem letzten Besuch begeistert hatte, existiert schon nicht mehr – dafür gibt es nebenan nun eine Manufaktur für Schokoriegel:
In der Nähe war ja einstmals auch der CINEMA STORE beheimatet gewesen, in dem ich in den 90ern unendlich viele Bücher und Zeitschriften gekauft habe. Die Zeit dieser Art Läden geht zu Ende, wie ich auch feststellte, als ich um die Ecke bei Orbital vorbei schaute – rest in peace, my friend:
Weil uns die Götter grundsätzlich gewogen sind, wenn wir reisen, fanden an diesem Wochenende die Feierlichkeiten zum Chinesischen Neujahr statt:
Es war sehr viel los, aber wenn man mal sehen will, wie die Drachen die Geschäfte segnen und über den Türen Kohl aufgehängt wird, sollte man sich das nicht entgehen lassen:
Auch am Trafalgar Square war eine Großveranstaltung der Chinesen im Gange, aber ich wollte primär fotografieren, was aktuell den Fourth Plinth ziert:
Appetit holt man sich draußen, gegessen wird Zuhause, heißt es ja gerne in einem gänzlich anderen Kontext. Vor der nächsten Theater-Vorstellung wollten wir wieder ein Restaurant in Richmond aufsuchen und das gleich mit unserem ersten Experiment in Sachen "neapolitanische Pizza" verbinden.
Auf dem Weg zum "Napoli on the Road" sahen wir diese schöne Erinnerung an den großartigen Rik Mayall an der Hauswand:
Er fehlt:
Was auch fehlte, waren verfügbare Plätze im angesteuerten Restaurant. Glücklicherweise war nebenan im "Franco Manca" noch was frei:
Sauerteig-Pizza im industriellen Ambiente:
Ja, das kann sich sehen lassen – und schmeckt auch richtig gut:
Danach wieder entspannt an der Themse entlang (diesmal bei Ebbe). In den alten Bootsgaragen sind mittlerweile kleine Shops eingerichtet worden:
You can’t get any more British – der Herr Dewi vor dem "Princes Head":
Ein Kaffee sollte uns für den Rest des Tages aufpeppen, wir suchten dafür das "Megan’s" auf. Eine Kette zwar, aber eine sehr sympathische:
Was das ist? Kaffee-Eiswürfel, die man mit Sirup und Milch übergießt, woraufhin sich langsam stärker werdender Eiskaffee entfaltet. Ungefähr so:
Weiter, immer weiter. Richmond gönnt sich ein sehr schönes Art Deco-Kino:
Putzige kleine Kirchen hat es hier natürlich auch:
Und dann – Nina Conti. Und Monkey.
Wir hatten uns die "ambassador lounge experience" gegönnt mit einem eigenen Tisch in der VIP-Bar, dazu Sekt und edle Chips "on the house". So entspannt kann Theater sein. Die Performance selbst war großartig, aber mit einer guten Stunde (plus "special guest") etwas kurz. Hätte auch mehr Monkey drin sein können.
Das Richmond Theater wird immer einer unserer Favoriten sein. Wir dürfen gar nicht auf deren Webseite schauen, weil wir uns dann permanent ärgern würden, was wir alles verpassen. Könnten wir in Richmond leben, hätten wir mit Sicherheit ein Abo und wären Stammgäste. Es kam übrigens auch in TED LASSO vor.
Nach einer weiteren unruhigen Nacht (weiche Matratze + Rücken = unschön) hatten wir noch Zeit für ein ausführliches Frühstück. Es bot sich das "Bill’s" an:
Da ist gut essen und trinken, die Bedienung war so jung wie enthusiastisch, und an so manchem Nebentisch saß ein Hund, der gerne gekrault wurde. Wir hauten rein:
Ein letzter Spaziergang, bevor wir wieder den Bus zum Flughafen erwischen mussten. Wir kamen am Orange Tree Theatre vorbei und ich machte ein bisschen die Faust in dieser Tasche: An diesem Abend fand hier die Premiere des Stücks CHURCHILL IN MOSCOW statt. Hauptdarsteller Roger Allam ist ein alter Bekannter.
Zwar verpassten wir das Stück, nutzten aber eine Woche später die Gelegenheit, eine Live-Übertragung über das Internet zu schauen.
Und damit waren die drei Tage (bzw. zwei Nächte) in Richmond auch schon wieder rum. Unser erwartbares Fazit: toll, toll, toll. Zwar kann man von "downtown London" nie genug bekommen, aber wenn man nach einem Dutzend City-Reisen zum Big Ben mal ein bisschen Umland erkunden will, ist man in Richmond genau richtig. Kleiner, ruhiger, aber nicht weniger kulturell anspruchsvoll und abwechslungsreich. Das lohnt sich auch und gerade für einen relativ kurzen Ausflug, den man gerade bei schönem Wetter komplett zu Fuß durchziehen kann.
Wir haben uns schon mal diverse Pubs und Restaurants vorgemerkt und Besuche in den Kew Gardens und Wimbledon eingeplant, wenn wir zu sommerlich geprägter Jahreszeit erneut hier aufschlagen.
Wie sieht’s bei euch aus? Irgendwer schon mal in Richmond gewesen?
Richmond zwar nicht, aber in den 90ern war ich ein halbes Jahr in South Kensington und meine Freundin in Putney, so dass ich öfter dort war. Kann aber nicht behaupten, dass sich das lohnt. Aber es gibt da noch das Nando’s, das ist doch erstaunlich für ein Schnellrestaurant nach über einem viertel Jahrhundert.
Cinema Store. Murder one..seufz..wie die Zeit vergeht.
Ach Gott ja, Murder One! Good times…
Hui, my old hood, heuer werden es satte 15 Jahre, dass es mich für 10 Monate nach Richmond verschlagen hat. Das White Cross, das Steins, da verdrück ich eine Träne. Hatte gegenüber Kew Gardens über dem "Original Maids of Honor" gewohnt, das Büro direkt am Richmond Green.
Ja, eigentlich auch super angebunden, aber am Wochenende konnte es schon mal knifflig werden, anhand der wenigen nicht lahmgelegten Strecken in die City reinzukommen.
Cool!
Chinesischer Drache vor japanischem Restaurant 😉nett
Das nimmt da keiner so genau.
Val Kilmer war Christ Scientist. Aber auch klug und pragmatisch genug, sich dennoch gegen seinen Krebs professionell medizinisch behandeln zu lassen, gegen diesen Glauben.
Mir war nicht klar, dass das eine tatsächliche Splitterreligion ist – Wissenschaftler, na sicher: "Die materielle Welt wird als Illusion betrachtet. Als Folge davon werden auch Krankheiten als Illusionen betrachtet, die nicht medizinisch, sondern durch Gebet zu behandeln seien."
Immernoch ein episches Foto, das mit dem Kletterer! Sehr tolle Bildkomposition.
Schlichter Schnappschuss aus dem Moment heraus. Manchmal hat man Glück.
Wir waren über Ostern in Oxford und Cambridge, Richmond ist jetzt tatsächlich nach diesem Bericht auch auf der Reiseliste gelandet 😀
Ich begrüße das ausdrücklich.