31
März 2025

Die Rache der Hollywood-Rentner

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Vor ca. 25 Jahren kam der kanadische Regisseur Timothy Bond nach München, um uns bei einer neuen Schnittfassung des Films HIGH EXPLOSIVE zu assistieren, der zwar vom Produzenten Harry Alan Towers in der vereinbarten Länge von 94 Minuten geliefert worden war, aber um der Spannung willen erst um 5 Minuten gestrafft und dann mit einem Nachspann zur Minen-Problematik im südlichen Afrika versehen werden sollte.

Ein Satz über sechs Zeilen. Sage keiner, der Wortvogel fordere seine Leser nicht.

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Ich übernahm die Aufgabe, Bond in München zu betreuen, denn schließlich hatte ich den Film zusammen mit Harry Allan Towers entwickelt, war am Casting beteiligt gewesen, und den Drehbuchautor Peter Jobin hatte ich durch diverse Fassungen an die Hand genommen, damit am Ende ein für ProSieben taugliches Koproduktions-Projekt dabei herauskam.

Die Abende mit dem renommierten kanadischen TV-Regisseur, der viel internationale Erfahrung mitbrachte, gestalteten sich als sehr spannend. Er war an europäischer Kultur interessiert, ich an seinen Geschichten aus Hollywood. Wir profitierten beide.

Eine der Kuriositäten, die Timothy Bond nebenbei erwähnte, war diese:

"Die reichste Gewerkschaft Hollywoods ist die Director’s Guild."

Warum? Hier gleich seine Antwort:

"Regisseure gehen nicht in Rente. Die arbeiten, bis sie sterben. Darum muss die Gewerkschaft auch selten Renten auszahlen."

Diese Aussage ist in ihrer Pauschalität sicher nicht standfest, aber sie auf breiter Front eben doch. In den US-Kinos lief vor ein paar Wochen THE ALTO KNIGHTS an, ein Gangsterdrama von Barry Levinson mit Robert De Niro, produziert von Irwin Winkler und geschrieben von Nicholas Pileggi. Wie Mark Tinta in seiner Kritik korrekt anmerkt:

"…it’s 2025, and De Niro is 81, Levinson is 82, Winkler is 93, and Pileggi is 92. While it’s wonderful that they’re all still with us, looking at the end result of THE ALTO KNIGHTS, one is forced to conclude that, as much of an indisputable impact as each of them has made on film history, perhaps they’ve collectively lost a step as time has inevitably marched on."

Das erinnerte mich nicht nur an Timothy Bonds Aussage, sondern auch daran, dass alte Männer nur noch selten Highlights produzieren. Hitchcock drehte seinen letzten Film mit 75 und man kann argumentieren, dass sein letzter wirklich GUTER Film da auch schon über 10 Jahre her war.

Es galt 1988 als unkalkulierbares Risiko, dass der Regisseur von EIN FISCH NAMENS WANDS das biblische Alter von 77 erreicht hatte:

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Die Zeiten haben sich wahrlich geändert. 77? Das ist doch kein Alter, Baby!

Mag ja sein, dass das moderne Hollywood an Mega-Blockbustern junger Regisseure erstickt, für die ein ruhiger Moment immer nur die Atempause zwischen zwei Action-Sequenzen ist, aber ich halte das Geronten-Kino für mittlerweile nicht weniger problematisch.

Fakt ist: Das tendenziell linksliberale Hollywood ist ebenso überaltert wie das deutlich konservativere Washington. Kino wird ebenso wie Politik von alten und weltfremden Männern für eine diverse Bevölkerung gemacht.

All die Regisseure, mit denen ich aufgewachsen bin und die ich bewundert habe, sind immer noch da, drehen immer noch, wollen sich einfach nicht in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden. Nicht die Einsicht, sondern die Einsargung wird ihre Karrieren beenden.

Eine aktuelle Übersicht derer, die immer noch an neuen Projekten arbeiten:

  • Brian De Palma (84)
  • Ridley Scott (86)
  • Martin Scorsese (82)
  • Francis Ford Coppola (85)
  • Werner Herzog (82)
  • Stephen Frears (83)
  • Michael Mann (82)
  • Barry Levinson (82)
  • Clint Eastwood (94)
  • Woody Allen (89)
  • Roman Polanski (91)

In diesem tatterigen Umfeld sind Oliver Stone (78), John Carpenter (77) und Steven Spielberg (78) echte Grünschnäbel.

Natürlich kann und darf man differenzieren. Woody Allen liefert seit Jahrzehnten zuverlässig und mit geringem Budget gedrehte Nabelschauen seiner intellektuellen Blase. Das ist so unvermeidlich wie Silvester und der Eurovision Song Contest.

Auch Clint Eastwood kann man ausnehmen, denn der hat ebenfalls schon immer sein eigenes Ding gedreht und seine Regiearbeiten waren seit jeher geprägt von Effizienz und Konzentration. Der darf das.

Ähnlich sieht es mit dem 84jährigen James Burrows aus, der schon in den 70ern Episoden der Sitcom TAXI gedreht hat und diese Woche die erste Folge des spirituellen GOLDEN GIRLS-Nachfolgers MID CENTURY MODERN ablieferte:

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Serien, besonders Sitcoms, spielen in einer anderen Liga. Die werden in einem geschlossenen Studio mit festgelegten Setups gedreht. Das sind fünf überschaubare Tage pro Folge, die schafft man auch als Uropa des Genres noch.

Aber Polanski? Scorsese? Scott? Ich habe das Gefühl, die brauchen uns eher, als dass wir sie brauchen. Die drehen, weil sie drehen müssen, nicht weil sie noch etwas zu sagen haben. Kein Beruf, eine Beschäftigungstherapie.

Klar gibt es immer mal wieder Ausreißer, wenn z.B. Scorsese mit THE IRISHMAN ein wirklich überzeugendes Alterswerk vorlegt, aber GRAN TORINO ist mittlerweile 17 Jahre her und DER PIANIST 23.

Ich hatte es vor ein paar Tagen schon mal erwähnt: kreative Säfte fließen nicht unendlich und in fortschreitendem Alter spärlicher. Alle genannten Regisseure laufen seit Jahrzehnten stotternd auf Reserve. Der Spielberg, den ich bewundere, hat die 70er und 80er definiert und in den 90ern noch ein paar Highlights gestemmt. Erinnert sich noch jemand an die Zeit, als Brian de Palma relevant war? Als Oliver Stone eine wichtige Gegenstimme zur US-Politik darstellte?

Die Ankündigung eines neuen Films von Allen, Eastwood, Spielberg und Scott stimmt mich mittlerweile eher traurig als froh. Das sind nicht mehr die Helden meiner Jugend, das sind verbissene Festhalter, die von einer nicht minder überalterten Industrie am Rollator auf die Bühne geführt werden. Es fällt nur deshalb nicht auf, weil sie mehr hinter als vor der Kamera stehen.

Richard Donner arbeitete an LETHAL WEAPON 5, bis er 91jährig starb.

Timothy Bond hatte Recht. Diese Regisseure (durchaus Legenden) erinnern mich an Päpste, denen man keinen würdigen Abgang gönnt – oder die keinen wollen.

Und wir Deutschen? Wir haben Howard Carpendale, dessen Titel seiner erneuten Abschiedstournee wenigstens erfrischend ironisch ist:

Der Mann wird bald 80. Allerdings spricht der Veranstalter hier auch nur von der "letzten großen Tournee". Das lässt ja noch hoffen…

Wie seht ihr das? Sollte man eine Altersgrenze für Filmemacher einführen? Sie zum Abschuss freigeben? Oder ist das nur wieder ein Fall von "dann guck dir die Filme halt nicht an, Blödian!"?



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Marcus
Marcus
31. März, 2025 14:20

"Hitchcock drehte seinen letzten Film mit 75 und man kann argumentieren, dass sein letzter wirklich GUTER Film da auch schon 20 Jahre her war."

BRO!!!!

Das wäre 1956. Damit schließt du u.a. The Birds, Psycho und Vertigo aus.

Es gibt eine fließende Grenze zwischen Geschmacksfrage und faktisch falsch, die, so deucht mir, hier gerade nicht nur überschritten, sondern mit Anlauf übersprungen wird. 😳

Machste mal 10 Jahre draus, dann wird das einigermaßen diskutabel.

Last edited 27 Tage zuvor by Marcus
Marcus
Marcus
31. März, 2025 14:38
Reply to  Torsten Dewi

Top.

1966 sind seine letzten 4 Filme. Frenzy und Family Plot sind durchaus umstritten, Topaz und Torn Curtain sind exakt das, was du oben beschreibst. Gefällige, aber letztlich irrelevante Alterswerke.

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31. März, 2025 19:54
Reply to  Marcus

Torn Curtain ist zwar kein guter Film, hat aber einige richtig starke Sequenzen. Für mich eher ein untypisches Alterswerk (was so auch für Frenzy gilt).
John Carpenter würde ich bei der Aufzählung weglassen, der ist doch eher jemand, der tatsächlich relativ frühzeitig in den Ruhestand gegangen ist.

Marcus
Marcus
31. März, 2025 14:55

Ansonsten würde ich bei Scorsese vehement widersprechen, der ist immer noch ein Großer.

Der Posterboy für deine These ist für mich Ridley Scott, der wohl wirklich einfach nicht aufhören mag, Alphamännchen auf dem Regiestuhl zu sein. Mit beeindruckender Schlagzahl haut er die Filme immer noch raus und oszilliert dabei seit Jahren zwischen großem Kino (The Martian), gehobenem Alterswerk (The Last Duel), eitlen Egotrips (Napoleon) und absolut unsäglich (Alien Covenant, Gladiator 2).

Wobei er natürlich immer schon stark geschwankt hat. Gladiator saß auch schon zwischen GI Jane und Hannibal.

Mencken
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31. März, 2025 20:03
Reply to  Torsten Dewi

Die besten Filme ist eine sehr hohe Messlatte, aber Kurosawa und Bergman haben auch im Alter noch auf recht hohem Niveau gedreht, Fellini, Billy Wilder, Zinnemann oder Hawks könnte man eventuell auch nennen. Die sind zwar teilweise deutlich früher verstorben, allerdings auch schon in Jahrzehnten, in denen die Lebenserwartung auch deutlich geringer war.

DSFARGEG
DSFARGEG
2. April, 2025 22:24
Reply to  Torsten Dewi

Hayao Miyasaki wollte nach Prinzessin Mononoke in Rente gehen, danach kamen noch, na, fünf (glaube ich) weitere Filme. Der hätte keinen Tag mehr arbeiten müssen, der konnte nur einfach nicht aufhören. Und jeder einzelne Film ist super. Das Alterswerk ist da mindestens (!) so gut wie sein Zeug aus dem 20. Jahrhundert.

Stefan
31. März, 2025 19:58

Klar gibt es immer mal wieder Ausreißer, wenn z.B. Scorsese mit THE IRISHMAN ein wirklich überzeugendes Alterswerk vorlegt, aber GRAN TORINO ist mittlerweile 17 Jahre her und DER PIANIST 23.

Laut der Logik davor müsstest du je ein Beispiel von Ridley Scott und Roman Polanski bringen, aber Gran Torino ist ja von Clint Eastwood, den du vorher schon entschuldigt hast.

Manuel
Manuel
1. April, 2025 10:55

Ein Podcast-Tipp ist in diesem Zusammenhang die neue Staffel von "You Must Remember This": Da gehts um das Alterswerk von Hollywood-Regisseuren wie Hitchcock, Wilder, Cukor etc.

Manuel
Manuel
1. April, 2025 11:36
Reply to  Torsten Dewi

Richtig stark von diesem Podcast ist die Staffel über Polly Platt, "The Invisible Woman".

groschenopa
groschenopa
1. April, 2025 11:09

George Miller bestätigt hier als Ausnahme wohl gerne die Regel. Der wird sich am Sterbebett noch Chrom auf die Zähne sprühen.

Goran
Goran
2. April, 2025 03:07

Ich seh das ähnlich, wie wenn Shyamalan der Tochter den Film produziert, das tut endgültig ja keinem wirklich weh.
(Im Gegensatz zur Politik, da brauchen wir dringend Altersgrenzen, und ein Ämterverbot für Berufspolitiker, die niemals ausserhalb der Partei gearbeitet haben, aber ich schweife ab…)

Natürlich gehört Ridley Scott für Gladiator Zwo öffentlich geschoren und mit "Shame, Shame, Shame" überzogen, aber ich kann dem Ganzen auch einfach kein Geld nachwerfen und gut is.
Daher: Fallt von mir aus am Set tot um.

Besonders, wenn ich mir da so eine "Jung"-Kritikerhoffnung wie Eggers ansehe, der sich ja grad erst an Nosferatu verhoben hat.
Wie man’s geschafft hat dem Film soviel weniger Tragik, als der offensichtlichen Theaterwerweiterung, die das Original darstellt, zu geben, ist faszinierend.
Abgesehen von "Las sich auf dem Papier ganz gut"-AsthmaNossi. (Jaja, mir ist klar, der holt Luft, weil er sonst nicht atmet und sprechen will. Geschenkt.)
Punkt der Sache ist, wenn uns die Jungen auch Nix liefern, dann lasst die Alten das Produktionsbudget vernichten.

Das Spannendste der letzten Jahre war da ja fast schon Barbie, nicht, weil der gut wäre, sondern weil der wenigstens die Eier hatte, sich direkt auf sein Publikum auszurichten.

Es wird auch noch ein paar Jahre dauern, bis die Verluste endlich bei Disney/Marvel/Warner/Amazon/Apple und so weiter, voll duchschlagen und dann wird’s erst richtig öde, wenn die Alten tot sind, die Studios pleite und die Jungen keinen Sandkasten zum spielen hatten, um sich für die interessanten Projekte vorzutrainieren.

Selle
Selle
2. April, 2025 16:43

Wie muss man sich das heutzutage vorstellen, wenn Spielberg oder Scorsese Regie führen? Sitzen die den ganzen Tag mit der Flüstertüte auf ihrem faltbaren Regiestuhl, schauen regelmäßig durchs Objektiv ob alles ihren Vorstellungen entspricht und coachen die Schauspieler zur gewünschten Emotion? Oder besprechen die mit ihrem großen Team an assistant directors grob die Idee, schreiben ihren Namen in den Vorspann und dann ab auf den Golfplatz?

DSFARGEG
DSFARGEG
2. April, 2025 22:42

Ich hab früher gut 3-400 Filme pro Jahr gesehen, heute sind‘s vielleicht noch zwei. Ich hab, familiär bedingt, keine Zeit mehr für so was, und so haben sich Interesse und Fachwissen über die Jahre langsam ausgeschlichen. Die alten Säcke kenne ich alle und kann ihre Filmographien genauso runterrasseln wie ihre typischen Shots, mit den Namen der heute so ca. 55-60jährigen kann auch noch was anfangen. Aber frag mich mal nach irgendwem unter 40. Meine einstige Begeisterung fürs Kino wird mit dem Abtreten der alten Riege endgültig absterben, ich kann nicht mal sagen, dass ich irgendetwas nachtrauere.

minkymietze
minkymietze
6. April, 2025 10:21

Ich kann mich hier nur zu Clint Eastwood qualifiziert äußern, weil mich der Rest (inzwischen) nicht mehr genug interessiert um dafür Lebenszeit zu opfern: Solange der hinter der Kamera bleibt, darf der gerne weitermachen bis er am Set tot umfällt. Aber bitte nie wieder vor der Kamera; wie etwa bei"Cry Macho", wo er für die Rolle 40 Jahre zu alt war

minkymietze
minkymietze
7. April, 2025 12:48
Reply to  Torsten Dewi

Weiß ich auch, aber er hätte erkennen müssen, daß es für ihn als Hauptdarsteller einfach zu spät geworden ist… schon aus Gründen der Glaubhaftigkeit des Plots