Horror Double Feature:
HERETIC & NOSFERATU
Themen: Film, TV & Presse |
HERETIC
USA 2024. Regie: Scott Beck und Bryan Woods. Darsteller: Hugh Grant, Sophie Thatcher, Chloe East, Topher Grace, Elle Young, Julie Lynn Mortensen, Haylie Hansen, Elle McKinnon, Hanna Huffman u.a.
Story: Die Mormonen-Schwestern Barnes und Paxton klingeln bei Mr. Reed, um ihn von ihrer Religion zu überzeugen. Reed ist freundlich, den jungen Mädchen aber auch rhetorisch und intellektuell weit überlegen. Was anfänglich noch wie ein zynisches Spiel mit den Zweifeln an jedweder Form von Religion aussieht, nimmt aber immer grausamere Züge an. Wer ist Reed? Und was hat er mit den jungen Missionarinnen vor?
Kritik: HERETIC kommt mit vielen Vorschusslorbeeren, die das fast völlig auf smarten Dialogen basierende Konzept preisen und die gänsehautige Performance von Mr. RomCom Hugh Grant als perfider Bösewicht. Das ist auch alles durchweg richtig – man kann allerdings anmerken, dass Grant seit fast 20 Jahren keine RomComs mehr dreht und in Filmen wie CLOUD ATLAS und THE UNDOING bereits als Übeltäter glänzen konnte.
Tatsächlich ist HERETIC ein Film, der in zwei Teile zerfällt – und der Teil, der auf dem Papier schwächer klingt, ist in der Realität der bessere, nämlich der erste. Reed ist uns vom ersten Moment an suspekt, seine Freundlichkeit immer hart an der Grenze zur Arroganz. Dass ihm die jungen Frauen nicht gewachsen sind, ist sehr offensichtlich – er spielt mit ihnen und wir ahnen, dass er wie die Katze am Ende vorhat, sie zu fressen.
Leider ist es wie so oft: Ein gutes Setup ist relativ einfach zu entwickeln. Es sind die Antworten auf die gestellten Fragen, mit denen sich die meisten Autoren schwer tun. Und tatsächlich lässt der Film merklich nach, wenn er in die Untergeschosse des Hauses umzieht, wenn sich die Gefahr konkretisiert. Das ist alles zu bemüht, zu komplex und gleichzeitig zu vage. Je mehr wir von Reed erfahren, desto absurder wird das Geschehen, desto stärker wird der Zuschauer abgekoppelt. In diesem Kontext kann der Film dann auch nur ein Finale der Handlung, nicht aber seiner Themen präsentieren.
Dennoch ist HERETIC ein schöner Beweis, wie frisch der Horrorfilm auch 2025 noch sein kann und dass es durchaus Sinn macht, arrivierte Darsteller anzuheuern, damit sie sich die Seele aus dem Leib spielen können (siehe der aktuelle GOLDEN GLOBE für Demi Moore in SUBSTANCE).
Bemerkenswert ist außerdem die subtile, fast schleichende Kamera, deren Fokus auf räumliche Tiefe, auf Perspektiven und Schattenspiele zeitweise an Stummfilme erinnert und in einem Shot gipfelt, der mich wirklich begeistert hat.
So kann ich HERETIC trotz der Schwächen in der zweiten Hälfte vollumfänglich empfehlen. Ein Gruselfilm im besten Sinne.
Fazit: Ein in der ersten Hälfte packendes und teilweise zynisches Katz & Maus-Spiel, dem der Wechsel in das Konkrete nicht gut tut und bei dem am Ende weniger mehr gewesen wäre. Die Kameraarbeit ist besonders hervorzuheben.
NOSFERATU
USA 2024. Regie: Robert Eggers. Darsteller: Bill Skarsgård, Lily-Rose Depp, Nicholas Hoult, Aaron Taylor-Johnson, Emma Corrin, Ralph Ineson, Simon McBurney, Willem Dafoe u.a.
Story: Der frisch verheiratete Thomas Hutter reist nach Transsylvanien, um Graf Orlok eine Immobilie im heimischen Wisborg anzubieten. Doch Orlok ist ein Untoter, den allein die Gier nach Hutters junger Frau Ellen treibt, mit der er mental verbunden ist. Kaum den Fängen des Grafen entkommen, versucht Hutter mit dem Arzt Sievers und Professor von Franz, dem vampirischen Treiben ein Ende zu setzen.
Kritik: Wir hatten das Thema bei WITCH und NORTHMAN schon – ich bin kein Fan von Robert Eggers, dessen Auge und inszenatorische Sicherheit ich anerkenne, dessen Filme mir allerdings auf der inhaltlichen und thematischen Ebene zu dünn sind. Seiner Art von maximal inszeniertem Bildersturm fehlt der Unterbau, das verbindende Weltbild (wie z.B. bei Cronenberg das "neue Fleisch"). Eggers ist in meinen Augen ein Kunsthandwerker, aber kein Künstler.
Nun stehe ich mit dieser Meinung zumindest im Kreis meiner werten Kritiker-Kollegen weitgehend alleine. In deren Blase hat man sich früh entschieden, Eggers für ein Genie zu halten – und diese Einschätzung wird gegen jede Vernunft verteidigt. Es kommt mir vor wie bei JOKER 2, den diverse Kritiker immer noch nicht als den bösen Witz erkennen wollen, der er ist. Es zeigt sich das Dilemma, wenn man mit einer klaren Erwartungshaltung ins Kino geht und die Experience dann einfach der Erwartungshaltung anpasst. Wer hingegen auf den nackten Kaiser zeigt, dem wird beiläufig bescheinigt, dass er vermutlich das Kunstwerk in seiner gesamten Breite und Tiefe nicht ausreichend erfasst hat.
Diese Heiligsprechung von Eggers führt zu schizophrenen Kritiken, die sein Werk preisen, nur um NOSFERATU dann doch Stück für Stück zu demontieren – immer relativierend, dass die kaputten Einzelteile doch wieder ein wertigeres Ganzes ergeben, das der 08/15-Kinomob mal wieder nicht verstanden hat.
That said…
Ich halte NOSFERATU für Eggers besten Film (LIGHTHOUSE ausgenommen, den ich nicht gesehen habe), auch wenn er mich nicht begeistert hat. Der Grund ist weniger die Inszenierung oder der betriebene Aufwand – das alles ist "typisch Eggers" und ich hätte ihn vermutlich als Regisseur identifiziert, auch wenn er nicht auf dem Poster gestanden hätte. Was NOSFERATU von WITCH und NORTHMAN unterscheidet, ist die Tatsache, dass Eggers hier auf eine erprobte und bewährte Story zurückgreift (zurückgreifen muss?), die nicht mal Werner Herzog kaputt inszenieren konnte. Basierend auf DRACULA, ist NOSFERATU eine der Blaupausen des ganzen Horrorgenres, die zu vergeigen man sich wirklich Mühe geben muss. Es ist allerdings nicht so, dass es nicht versucht wurde:
Eggers tut gut daran, sich an die Vorgaben von Murnau und Herzog zu halten – und sich doch keinen Gefallen. Während der Film für 132 Minuten erstaunlich straff abläuft und es ihm relativ gut gelingt, seine Figuren etwas besser zu gewichten als in den früheren Versionen, kann Eggers dem Stoff dennoch nichts hinzufügen. Es ist, im Guten wie im Schlechten, einfach eine Neuverfilmung von NOSFERATU, orientiert an den technischen Möglichkeiten unserer Zeit. Das mag legitim sein, aber es ist letztlich nicht nahrhaft. Ich brauche eine neue Version des Stoffes so wenig wie eine neue Version von MORD IM ORIENT-EXPRESS oder DIE ZEITMASCHINE. Been there, done that, bought the T-Shirt. Eine Generation, die ohne Murnau und Herzog aufgewachsen ist, mag das anders sehen.
Sieht man davon ab, dass NOSFERATU der handlungsreichste, aber auch am wenigsten überraschende Film von Eggers ist, dann gibt es dennoch viel zu loben. Seine erdige Art, eine düstere Welt zu bebildern, hat an Wucht nicht eingebüsst und passt zum Stoff. Charaktere schleichen elegisch durch eine kalte Welt, die nur nackten Stein und lodernde Flammen zu kennen scheint. Lethargie, Wahn und Panik liegen nah beieinander, kaum ein Hauch von Zivilisation und Aufklärung versprechen einen Widerstand gegen das archaisch Böse.
Die Darsteller bringen sich gebührend ein und ich sehe keinen Grund, die viel gescholtene Lily-Rose Depp oder Aaron Taylor-Johnson zu kritisieren. Sie sind nur deshalb nicht auffällig gut, weil ausgerechnet Nicholas Hoult den Film mit einer bemerkenswert intensiven Performance an sich reißt – it’s been a long way since RENFIELD. Willem Dafoe ist mir ein wenig aufgestoßen, denn seine zu verspielte Darstellung des van Helsing-Substituts zerrt das europäisch-nüchterne Drama mitunter gerne mal in Richtung Hollywood.
Hervorheben möchte ich explizit Bill Skarsgård als Orlok, eine wirklich furchterregende Figur in und aus den Schatten. Wer kritisiert, dass die Gestalt stark im Hintergrund gehalten und kaum definiert wird, der verwechselt das mit Dracula. Orlok war immer mehr Chiffre (für Eroberer, die Pest, die Diktatur) als sein Cape tragender Kollege mit dem Fledermaus-Fetisch. Er ist Katalysator, Auslöser, das vage Böse, aber kein Charakter. In dieser Form als verrottender Balkan-Warlord stellt er das frischeste Element von Eggers NOSFERATU dar.
Und so gilt, was ich weiter oben zu HERETIC auch schon geschrieben habe: Trotz aller Schwächen ein schöner Beweis, dass der Horrorfilm auch 2025 noch Sprit im Tank hat. Es muss nicht immer Blumhouse sein…
Fazit: Eine erfreulich erdige und düstere Neuauflage, die den ersten beiden Verfilmungen allerdings wenig hinzufügen kann und mehr ein technisches als ein erzählerisches Update darstellt.
Bei HERETIC stimme ich zu 100% zu: Nach einer wirklich starken ersten Hälfte, fällt er merklich ab. Trotzdem ein Film, den ich absolut empfehlen würde.
Von NOSFERATU war ich schwer begeistert! Ich bin nicht sicher, ob er für mich Eggers´ bester ist. Da schwanke ich grade sehr stark zwischen THE VVITCH, THE LIGHTHOUSE und NOSFERATU. Er ist definitiv stringenter erzählt als die anderen beiden.
Als jemand, der weder Murnaus noch Herzogs Version gesehen hat (jaja, ich Banause) bin froh, dass dieser Film existiert. Er tut es ja wohl deshalb, weil Eggers seit er Murnaus Film als Kind gesehen hat, fasziniert von dem Stoff war, und schon immer seine eigene Version machen wollte. Er wollte ja auch diesmal Anya Taylor-Joy für die weibliche Hauptrolle, die dann leider aus terminlichen Gründen abspringen musste. Vielleicht hätte der Film mir dann noch besser gefallen, aber Lilly Rose-Depp muss sich mit ihrer Performance definitiv nicht verstecken.
Falls du irgendwann doch noch mal THE LIGHTHOUSE siehst, würde mich echt interessieren, wie du den findest.
"Basierend auf Dracula": Im Prinzip war Nosferatu, wenn ich es richtig im Kopf habe, mehr oder minder eine direkte Dracula Adaption. Wenn ich daran denke, wie im modernen Hollywood "basierend auf" oft heißt, daß nur das grobe Konzept der Vorlage übernommen wurde.
Man hatte aber nicht die Rechte an einer Verfilmung und deshalb alle Namen, den Ort und gewisse Details geändert – u.a. etwas, das in meinen Augen zum Grundpfeiler des modernen Vampirmythos geworden ist: Daß Vampire nämlich durch Sonnenlicht getötet werden können – das war in Stokers Dracula nämlich nicht der Fall.
In der Herzog/Kinski Version ist Nosferatu dann ja auch Dracula, ich nehme an, das Werk war da bereits in public domain.
"Nosferatu" war genau die exquisite Neuerzählung des vertrauten Stoffes die ich mir erhofft hatte. Ohne Fehler oder Längen auf den Punkt inszeniert. Es bleibt nur noch die Frage: wie hält er sich gegenüber "Graf Dracula in Oberbayern"?
Graf Dracula hat Tobias Meister – das ist kriegsentscheidend.
Vielleicht bei bei diesen aktuellen Kinofilmen passend: Ich habe gerade eben im Frühstücksfernsehen vom deutschen Science-Fiction-Film "Jupiter" erfahren. Coming-of-Age-Story mit Social-Fiction-Einschlag. Keine Space Opera, logo, soll aber Tiefe besitzen. Sehe ich Samstag, der läuft nämlich jetzt an.
In Hamburg: keine einzige Karte verkauft. Bei guten Kritiken.
Build it and they shall come – aber dafür muss man schon ein bisschen PR machen …