24
Jan. 2025

Fantasy Filmfest White Nights 2025 (1): CASSANDRA

Themen: FF White Nights 2025, Neues |

Deutschland 2024

REGIE: Benjamin Gutsche

DARSTELLER: Lavinia Wilson, Mina Tander, Michael Klammer, Franz Hartwig, Mary Tölle, Joshua Kantara, Elias Grünthal, Filip Schnack

OFFIZIELLE SYNOPSIS: Cassandra sieht alles, hört alles, Cassandra ist überall! Sie ist der treibende Teil des visionären, in den 1970ern entwickelten ersten Smart-Home-Systems. Die perfekte elektronische Haushaltshilfe ist jedoch bereits seit vielen Jahren ausgeschaltet. Als eine neue Familie in das Haus zieht, ahnt diese nicht, was die wiedererwachte Computertechnik alles drauf hat. Denn Cassandra hat sehr konkrete Vorstellungen davon, wie das Leben unter einem Dach ablaufen soll. Für die Umsetzung ist sie programmiert, auch drastische Methoden anzuwenden.

KRITIK: Endlich wieder Fantasy Filmfest White Nights! Zum Beginn gleich ein softer Start – kein offizieller Eröffnungsfilm, sondern eine außerhalb des Wettbewerbs laufende Preview einer neuen Netflix-Serie als München-Premiere in Anwesenheit von Cast & Crew. Ich habe mich nicht lumpen lassen und gleich mal meine neue Lebensgefährtin mit auf den Roten Teppich gebracht:

Für mich war das mehr als ein schnöder Kinoabend – es war eine Rückkehr in meinen alten Kiez. Mit der Produktionsfirma RatPack habe ich ja so manches Projekt gestimmt und Chef Christian Becker ist in meinen Augen eines der größten Herzchen dieser ganzen gottlosen Branche.

Und was ist nun mit CASSANDRA? Die Idee ist bestechend – die vertraute Story von vom Smart Home, das das traute Heim übernimmt, reicht ja tatsächlich bis in die 70er zurück. Die Inhaltsangabe von DES TEUFELS SAAT (1977) liest sich denn auch überraschend deckungsgleich:

Married Drs. Alex Harris and Susan Harris are a computer scientist and child psychologist respectively. Their house reflects Alex’s computer dominated work, their abode which is fully automated through a computer system they’ve named Alfred. They consider Alfred a small gadget of convenience. Susan doesn’t much like Alex’s work, which she feels has dehumanized him. Because of their differences, they are thinking about separating, this thought primarily on his initiative. He hopes to solve many of the world’s medical problems through this work.

Von anderen aktuellen Produktionen zu dem Thema unterscheidet sich CASSANDRA allerdings dadurch, dass die "evil intelligence" keine brandneue, sondern eine seltsam anachronistische Erfindung ist, die nach 50 Jahren Schlaf in einer neuen Welt die Sünden der Vergangenheit zu sühnen sucht.

Der Clash der Kulturen "1970er vs. 2020er" ist dabei kein vorwiegend technischer – die Cassandra-KI repräsentiert die weibliche Rache einer männlich dominierten Zeit, ein Familienbild aus "Schöner Wohnen", das heute wie ein Horrorszenario in Breitcord und Polyester wirkt.

Das ist eine durchaus potente Idee, die sehr stylish umgesetzt wurde und viele gute einzelne Szenen generiert (wobei ich nach zwei Folgen keine Aussagen über das Finale machen kann). Jedoch hakt es, und da klinge ich bekanntermaßen selber wie eine gestörte Maschine, am Drehbuch. Mag CASSANDRA auch noch so gelackt gefilmt und überzeugend gespielt sein – die Defizite machen besonders in der ersten Folge den Einstieg mühsam:

  • Die Dialoge sind blechern, plump, und vor allem ständig davon ausgebremst, dem Zuschauer "info dumps" vermitteln zu müssen
  • Der Großteil der Laufzeit wird nicht in den sich anbahnenden Konflikt mit der KI-Rentnerin Cassandra investiert, sondern in die zwischenmenschlichen Probleme der Familie, die banaler und behaupteter kaum sein könnten
  • Wir sollen glauben, dass ein Haus mit einer bahnbrechenden Roboter-KI 50 Jahre lang leer stand (ohne nennenswert zu verrotten), dann von einem Makler ohne einen genannten Besitzer verkauft wurde, ohne dass jemand versucht hat, die omnipräsente Computeranlage in Augenschein zu nehmen
  • Die Familie akzeptiert eine ihr komplett fremde Roboter-KI als neue "Hausfreundin" und kommt auch nicht auf die Idee, mal den Strom abzudrehen, als diese offensichtlich versucht, die Mutter zu ermorden. Keine der Personen verhält sich auch nur annähernd plausibel – Sympathie kann dafür kaum aufkommen. Die KI ist so offensichtlich "evil", dass eine Entwicklung der Beziehung zu ihr an keiner Stelle möglich ist.
  • Cassandra leidet massiv am Dalek-Syndrom – Kamera und Schnitt müssen ständig tricksen, weil die ungelenke und langsame Roboterfigur nicht mal eine Treppe hochsteigen oder ein Zwergkaninchen überholen könnte
  • Und schließlich: Die Diversität im Cast wirkt mitunter störend und plump

So stolpert die an sich clevere Geschichte über Unstimmigkeiten, Unglaubwürdigkeiten, und mitunter auch baren Unfug, statt sich auf den Kern zu konzentrieren: Eine KI, die ihr psychotisches 70er Jahre-Weltbild nicht mit der Wirklichkeit des Jahres 2025 in Übereinklang bringen kann.

Beglückwünschen kann ich die Macher aber für die großartige Detailverliebtheit, mit der in Rückblenden die 70er heraufbeschworen werden, samt diverser Pop-Callbacks, die je nach Gemütslage bezaubernd oder brutal sind. Hier hat CASSANDRA die stärksten Momente, hier hätte man den Fokus legen sollen.

CASSANDRA zeigt nach Produktionen wie DARK und DER PASS ein weiteres Mal, dass Deutschland bei den Streamern international mithalten kann, aber teilweise noch am Anfang des Wegs steht. Das kann man für frustrierend oder ermutigend halten. Ich habe mich für ermutigend entschieden.

FAZIT: Eine faszinierende Grundidee, eine technisch solide Umsetzung, die aber auf der Skriptebene noch zwei oder drei Runden hätte drehen müssen. Ich hätte gerne mehr als 6 von 10 Punkten vergeben. Schade.

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Marcus
Marcus
24. Januar, 2025 21:33

Die Inhaltsangabe zu "Des Teufels Saat" klingt mir suspekt. Die Namen und Berufe der Hauptfiguren stimmen, aber danach wird es sehr vage und am eigentlichen Thema vorbei – es geht ja nicht um ein Smart Home, sondern um eine künstliche Intelligenz von seiner Arbeit, die sich in den Computern in seinem Hause einnistet. Und besagte KI heißt auch Proteus, nicht "Alfred". Ist der Abschnitt vielleicht selber KI-Quark?

Marcus
Marcus
24. Januar, 2025 21:36
Reply to  Marcus

Ah, ich seh schon. Die arg geschwätzige Inhaltsangabe der IMDB abgeschrieben und um den Teil, der dann das Wesentliche schildert, gekürzt. 😉

F. T.
F. T.
29. Januar, 2025 19:09

Das erinnert mich an Buffy S2 E11 "Ted". 1997 führt wiederbelebte Alt-Technologie aus den 1950ern zu Problemen. Die Story war anders aufgebaut, es ging aber auch eher um Zwischenmenschliches, und der Technikaspekt war eine Fußnote als Teil der Auflösung.

heino
heino
30. Januar, 2025 06:52
Reply to  F. T.

Das zweite Beispiel ist S5 E15, in der Incel Warren sich eine Roboterfreundin gebastelt hat und diese mißbraucht.