27
Dez. 2024

What To Watch: TV-Kassensturz

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Der Mensch lebt nicht von THE GREAT BRITISH BAKE OFF und ALL CREATURES GREAT AND SMALL allein, auch wenn die LvA und ich bereit wären, diese These zu widerlegen. Traditionell schauen wir ein bis zwei Stunden Fernsehen am Abend, von YouTube-Clips über Musikvideos bis zu einstündigen Serien und ab und an auch Spielfilmen. Miniserien sind bei uns sehr beliebt, weil sie ein überschaubares Commitment verlangen und ein befriedigendes Ende versprechen.

Auch 2024 haben wir uns wieder durch die Angebote gewühlt und natürlich primär britische Produktionen angeschaut. Ein paar davon werde ich an dieser Stelle heute empfehlen – am Wochenende gefolgt von den Rohrkrepierern, die wir nach ein oder zwei Folgen abgebrochen haben.


LUDWIG

Den Anfang macht LUDWIG, die neue Serie mit David Mitchell (PEEP SHOW, MITCHELL & WEBB LOOK, SOAPBOX), dem wir generell zugeneigt sind. Er spielt einen kauzigen Erfinder von Zeitungsrätseln, der für seinen verschwundenen Zwillingsbruder als Kommissar einspringen muss:

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Das ist bezaubernd oldschool, mit einem klaren "Fall der Woche" und einem durchlaufenden Story Arc über das Verschwinden des Bruders. Man wird positiv an PROFESSOR T und MONK erinnert, und Freunde klassischer Knobelkrimis kommen voll auf ihre Kosten. Zweite Staffel ist geordert und wir sind dabei.


THE TOURIST II

THE TOURIST fanden wir vor fast drei Jahren erstaunlich gut, auch wenn wir nicht nachvollziehen konnten, was an dem Stoff eine Fortsetzung rechtfertigt. Für die zweite Staffel ziehen die Protagonisten von Australien nach Irland um und versuchen weiterhin, das Geheimnis um Elliots Vergangenheit zu lüften.

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Es funktioniert… so halb. Irland ist nicht annähernd so episch wie Australien, die Glaubwürdigkeit der Beziehung von Elliot und Helen wird teilweise etwas überstrapaziert, und Ausflüge ins Traumland tun dem Vorwärtstrieb der Miniserie nicht gut. Unser Urteil bleibt bestehen: THE TOURIST hätte keine Fortsetzung gebraucht. Trotzdem ist THE TOURIST II immer noch durchgehend spannend und lebt von den hervorragenden Darstellern.


TULSA KING

Wenn ich das richtig sehe, ist Tom Cruise endgültig der letzte große Kinostar, der sich dem goldenen Zeitalter der TV-Serien konsequent verweigert. Sylvester Stallone hat sich für den Ausflug in die Streaming-Welt wenigstens den richtigen Partner gesucht, denn TULSA KING-Erfinder Taylor Sheridan ist aktuell der "hot shit" in Sachen edler TV-Fließbandproduktion. Ihm verdanken wir YELLOWSTONE und seine diversen Ableger ebenso wie LANDMAN mit Billy Bob Thornton, LIONESS mit Zoe Saldana, und MAYOR OF KINGSTOWN mit Jeremy Renner.

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Nicht missverstehen: TULSA KING ist sehr unterhaltsam, die Episoden erfreulich kurz, und der Aufstieg von Dwight Manfredi zum Mafiaboss einer Provinzstadt in Oklahoma sehr stramm und humorvoll erzählt. Wir freuen uns darauf, die zweite Staffel dieser Tage einzuläuten.

Aber die LvA und ich tun uns schwer mit dem völligen moralischen Versagen im Grundkonzept der Serie. Wie schon Filme wie BIRDS OF PREY nur funktionieren, weil sie die Dreckigkeiten der weiblichen Hauptfiguren durch noch größere Dreckigkeit aller beteiligten Männer rechtfertigen, versucht uns TULSA KING seinen Protagonisten als "guten Gangster" zu verkaufen, indem er alle anderen Gangster als noch brutaler und gnadenloser darstellt. Das ist ein perfider Taschenspielertrick, mit dem uns Bösewichte sympathisch gemacht werden – etwas, das ich schon seit DEXTER und BREAKING BAD anprangere.

Dwight Manfredi ist der Protagonist, das kann ich noch hinnehmen. Aber er wird auch als der Held erzählt – und DAS bereitet mir Bauchschmerzen.

Speaking of which…


THE GENTLEMEN

THE GENTLEMEN ist eine TV-Version (keine Fortsetzung, kein Remake) von Guy Ritchies gleichnamiger Gangsterkomödie, die mit anderen Figuren eine ähnliche Ansammlung von Ideen, Plots und Locations erzählt.

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Das ist sehr schwarzhumorig, teilweise sehr brutal, wieder mal getragen von großartigen Darstellern in größeren und kleineren Rollen. Die zweite Staffel ist für uns Pflichtprogramm, aber wie schon bei TULSA KING stößt uns der fehlende moralische Kompass auf: Eddie Horniman wird uns als absolute Sympathiefigur präsentiert, auch wenn er de facto ein Drogendealer im großen Stil ist, der am Schluss sogar zum eiskalten Killer mutiert. Er zahlt keinen Preis, muss keine Verantwortung übernehmen.

Um zu verdeutlichen, was ich meine: In den großartigen DER PATE-Filmen von Coppola ist Al Pacinos Michael Corleone auch der Protagonist und "Held", aber wir sind uns immer bewusst, dass er ein skrupelloser brutaler Gangster ist, der keine Absolution verdient. Seine Lebensgeschichte ist der gescheiterte Versuch eines Ausbruchs aus der "familglia" und er selbst zahlt trotz der Herrschaft über den Clan immer einen hohen Preis. Serien wie TULSA KING oder THE GENTLEMEN tun so, als sei das Verhalten ihrer Figuren zu rechtfertigen und die seltenen Konsequenzen zu beklagen. Da hadere ich mit. Vielleicht bin ich nur zu alt.


BLACK DOVES

Mit BLACK DOVES steigt nun auch Keira Knightley ins Seriengeschäft ein – und ihr Debüt kann durchaus überzeugen, auch wenn weitgehend nur die üblichen britischen Spionage-Klischees durchgekaut (jeder bescheißt jeden, es gibt immer einen weiteren Hintermann, und die wahren Strippenzieher bleiben im Dunkeln). Die sehr edle Produktion ist ein Schaulaufen der aktuellen Möglichkeiten mit exzellenter Action und vielen Londoner Sehenswürdigkeiten als Schauplätzen. Kameramann war übrigen Giulio Biccari, der meine beiden Filme SUMURU und LOST CITY RAIDERS gekurbelt hat und der mittlerweile zu den Topleuten im TV-Geschäft gehört.

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Ich dachte, dass es mich ärgern würde, dass Ben Whishaws Handlungsstrang als homosexueller Auftragskiller mit Beziehungsproblemen fast soviel Raum gegeben wird wie dem eigentlichen Spionagefall, aber tatsächlich lockert das sehr persönliche Drama die üblichen mechanistischen Agentenklischees etwas auf. So ist BLACK DOVES sicher kein bahnbrechendes "new TV", aber eine Praline für alle Leute, die nicht genug bekommen können von Serien wie…


SLOW HORSES

Ja, da sind wir zugegebenermaßen spät dran. Auf SLOW HORSES wurden wir von Freunden hingewiesen, die ersten drei Staffeln haben wir 2023 geschaut und die erste neue von zwei bereits produzierten Staffeln war vor ein paar Wochen dran. Apple+ zeigt mal wieder, wie hochwertiges Story-Fernsehen aussieht:

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Was soll ich sagen? SLOW HORSES ist grandios, weil es mit schillernden Figuren und komplexen Geschichten fesselt, immer wieder tief emotionale Momente schafft und in Sachen Moral und Gerechtigkeit eben nicht die Macht des Stärkeren propagiert. Im Gegensatz zu TULSA KING und THE GENTLEMEN steht die Serie auf der Seite der Underdogs, die nicht bereit sind, ihre Menschlichkeit dem "System" zu opfern. Wer auf Spionage-Thriller im Stil von John le Carré steht, der wird hier bestens bedient. Und das extra für den Vorspann produzierte und von Mick Jagger (!) eingesungene Titellied ist sowieso jenseits aller Kritik:

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THE NIGHT AGENT

Ihr merkt langsam ein Muster, oder? Die LvA und ich stehen auf komplexe internationale Agententhriller. THE NIGHT AGENT ist ausnahmsweise eine amerikanische Produktion, die nicht nur im Titel an THE NIGHT MANAGER erinnert und von einem niederrangigen Agenten handelt, der in der Nachtschicht mit einer Verschwörung konfrontiert wird, die sich nicht unter den Teppich fegen lässt und immer weitere Kreise zieht. Business as usual.

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Das ist zugegebenermaßen nicht die Speerspitze des Genres und unterwirft sich mehr den Klischees, als dass es sie bedient. Aber es ist unterhaltsam und actionreich, was nach einer anstrengenden Woche völlig ausreicht. Aus diesem Grund freuen wir uns auch auf die zweite Staffel Ende Januar.


NIGHTSLEEPER

Eine Mischung aus SPEED und der kürzlich von mir besprochenen Miniserie HIJACK. Terroristen übernehmen gleich das gesamte Streckennetz der britischen Bahn und drohen damit, einen u.a. mit der Verkehrsministerin besetzten Zug in eine Metropole donnern zu lassen:

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NIGHTSLEEPER präsentiert seine Handlung in Echtzeit und macht das besser als so manche Kinoproduktion. Die Spannung wird konsequent gesteigert und regelmäßige Twists halten den Druck aufrecht. Die Figuren mögen weitgehend den Klischees entsprechen, aber das entschuldige ich in diesem Fall genauso wie die sehr begrenzten und gerade mal mäßigen CGI-Spezialeffekte, die nicht Netflix-Niveau haben, aber sympathisch an die Miniserien der 90er erinnern.


So, das waren acht Highlights unseres TV-Jahres. Die Nieten folgen zeitnah.



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19 Kommentare
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Andreas
Andreas
27. Dezember, 2024 19:54

Tulsa King und The Gentelman schau ich auf den genannten Gründen nicht. Dexter habe ich aus diesem Grunde aufgegeben.
Mit The Night Agent hatte ich aber meinen Spaß und Lioness steht noch auf der Watchliste. Den Rest kenne ich nicht, danke für die Anregungen.

Last edited 29 Tage zuvor by Andreas
heino
heino
28. Dezember, 2024 16:44
Reply to  Andreas

Wobei Dexter immer wieder selber betont, dass ihm seine eigene Monstrosität durchaus bewusst ist und er am Ende der regulären Serie auch alles außer seinem Leben verliert. "You" ist da ein viel besseres Besispiel, denn Joe sieht sich selbst als Held, sein gesamtes jeweiliges Umfeld wird schlimmer dargestellt als er und am Ende hat er quasi auch noch den Jackpot geknackt

heino
heino
28. Dezember, 2024 19:06
Reply to  Torsten Dewi

Schon klar, Dexter ist eindeutig so ein Fall. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass die Autoren da zumindest immer wieder aufzeigen, dass er ein Irrer ist (ernsthaft, ich habe gestern im Rewatch Staffel 3 beendet und könnte ein Trinkspiel daraus machen, wie oft das gesagt wird), während bei Serien wie "You" kein einziges kritisches Wort fällt. Bei "Dexter" besteht auch das Umfeld noch aus normalen Menschen, während bei "You" einfach jeder ein Arschloch und Charakterschwein ist. Und Dexter kriegt am Ende die Rechnung präsentiert, während Joe für seine Taten noch belohnt wird. Da sehe ich schon einen Unterschied in der Darstellung und Aussage

heino
heino
28. Dezember, 2024 19:28
Reply to  Torsten Dewi

Siehe FB, ich verstehe das, finde es bei einigen Serien als Prämisse aber in Ordnung

Jo52
Jo52
27. Dezember, 2024 20:47

Mein Geheimtipp: Pachinko auf AppleTV+

Flossensauger
Flossensauger
27. Dezember, 2024 22:47

Irland ist nicht annähernd so episch wie Australien Unabhängig von Film und Serie müssten wir das mal ausdiskutieren. Aber besser nicht hier. Ironie-smile sicherheitshalber.

Marko
27. Dezember, 2024 23:00

Spannend, deine Sehgewohnheiten sind so komplett anders als meine. Stallone ist mir nach seinem Trump-Support nicht mehr wirklich sympathisch, und den "Gentlemen"-Film empfinde ich als so gut, dass ich mich an die Serienadaption gar nicht rantrauen mag.

Hast du "Silo", "Squid Game" und "Arcane" eigentlich gesehen? Ich weiß bei dir immer nicht, ob du diese, ich sag mal, mainstreamerigen Serien nicht schaust, oder ob du sie nur nicht bewerten magst, weil sie eben, naja, mainstreamiger sind.

Nummer Neun
27. Dezember, 2024 23:26

Sehr schöne Liste – wenn ich mal wieder Apple+ habe, sollte ich auch unbedingt mal in "Slow Horses" reinschauen!

Habt ihr denn in diesem Genre auch "Diplomatische Beziehungen" a.k.a. "The Diplomat" gesehen? Gefiel mir auch immer gut (nicht sehr gut), war mir stellenweise aber etwas zu unnötig locker erzählt.

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
28. Dezember, 2024 00:25

Slow Horses ist wirklich klasse – da sind wir erst durch einen Trailer für die aktuelle Staffel drauf gestoßen und haben direkt die drei alten Staffel in kürzester Zeit durchgezogen. Und es spricht für die Serie, dass einem das Ableben von Figuren tatsächlich nah geht und nicht egal ist.

Jörg Krömer
Jörg Krömer
28. Dezember, 2024 21:11

Es ist gar nicht so einfach, die Serien in Deutschland zu sehen, da manche bisher nur im UK erschienen sind.

Petz
Petz
30. Dezember, 2024 17:26

Noch ein Tipp: "Severance" auf Apple TV. Erste Staffel mit 9 Episoden und die zweite Staffel startet im Januar 2025. Büroarbeiter haben ihr Büro- und Privat-leben strikt voneinander getrennt und wissen nicht, was ihre jeweils anderen Persönlichkeiten tun.

Tolle Mystery-Drama-Serie mit Adam Scott.

Last edited 26 Tage zuvor by Petz
Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
30. Dezember, 2024 21:07
Reply to  Petz

Die Serie fand ich maximal anstrengend, ich wollte jeden Charakter nur anschreien und der „Twist“ am Ende war auch so… meh.

Don Dahlmann
Don Dahlmann
31. Dezember, 2024 17:54

"The Old Man" auf Disney+. Auch so eine Agentennummer, aber mit Jeff Bridges und John Lithgow. Erste Staffel super, zweite hmmm, aber anschaubar. Leider dann abgesetzt. Aber schön gefilmt und tolle Hauptdarsteller.