Ich bin ein Grauer Star –
holt mich hier raus!
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Dies ist eine separate Episode aus einem größeren Kontext. Den Rest erzähle ich euch in ein paar Wochen – und ich erwarte dafür eine gesunde Mischung aus Be- und Entgeisterung.
Die Prämisse: Ich musste aus Gründen einen kompletten medizinischen Check-Up machen lassen. Kein Problem, ich bin aktuell ja sehr gesund. Werte top, EKG beneidenswert, Blutdruck wie bei einem Baby. Keine Drogen nachweisbar, keine Anzeichen für psychische Störungen. Also alles im grünen Bereich.
Bis es an den Sehtest geht. Bei dem falle ich nämlich krachend durch.
Die Ärztin vermutet, dass sich seit meiner letzten Untersuchung beim Augenarzt 2021 das Augenlicht nochmal verschlechtert hat. Das kann ich nicht bestreiten. Äonenalte Leser werden sich erinnern, dass ich nach Jahren des gelegentlichen Brillentragens 2013 auf eine dauerhafte Nasenbereifung umgestiegen bin. Mittlerweile fotografiere und vergrößere ich das Kleingedruckte auf Lebensmittel-Verpackungen und brauche strahlendes Sonnenlicht, um gedruckte Texte zu lesen. Nicht ideal, aber auch nicht wirklich den Alltag torpedierend.
Den Sehtest muss ich allerdings bestehen. Aus Gründen, ich hatte es ja schon erwähnt. Also ab zum Augenarzt zu einer neuen Messung und einer neuen Brille. Als erneut auffällt, dass ich mit meinem linken Auge empörend schlecht sehen kann, runzelt der Arzt die Stirn und knurrt: „Tja, da haben Sie sich links einen schönen Grauen Star eingefangen. Und rechts geht’s auch schon los.“
Grauer Star. Ich bin ja medizinisch nicht so bewandert, aber aus diversen Filmen, die ich in meiner Kindheit gesehen habe, weiß ich, was das heißt: ich werde blind!
Der Augenarzt dämpft meine aufkeimende Panik und versichert mir, dass ich das mit dem Grünen Star verwechsle, der wesentlich destruktiver ist. Grauer Star ist eine vergleichsweise normale Alterserscheinung (hüstel) und gehört zu den häufigsten und belanglosesten Operationen in deutschen Kliniken.
Um mal zu verdeutlichen, was der Mann mit „belanglos“ meint: Der Augapfel wird aufgeschnitten, die alte Linse wird zerkleinert, dann abgesaugt, und eine neue Kunstlinse wird zusammengerollt ins Auge gepfriemelt. Ohne Narkose.
Ich stelle mir das ungefähr so vor:
Ehrlich? Da habe ich keine Lust drauf. Ich lasse mir nicht gerne an den Augen rumpfuschen. Aber Armbinde mit drei Punkten und Blindenhund ist ja auch keine Perspektive. Ich lasse mir also erstmal eine neue Brille verschreiben, mit der ich mühsam den benötigten Sehtest bestehe. Damit habe ich auf dieser Baustelle schon mal den Rücken frei.
Ich bin mit 56 relativ früh dran – Grauer Star ist eher so was für die 60+-Generation. Aber es gibt auch Fälle, da tritt er mit Ende 30 bereits auf. Und man kann ihn weder durch gesunde Ernährung noch durch Augentraining aufhalten.
Die Erkenntnis, dass mein Augenlicht in den nächsten Monaten progressiv nachlassen wird, beunruhigt mich. Ich merke es jetzt auch selbst: wenn ich das rechte Auge zudrücke, sehe ich mit dem linken Auge einen unangenehmen Nebelschleier. Das Drama ist bestenfalls aufgeschoben, aber nicht aufgehoben.
Ich beruhige mich mit Recherche und vielen Geschichten von Freunden und Bekannten, bei denen der Graue Star erfolgreich und stressfrei operiert werden konnte. Der Augenarzt verweist mich an eine Augenklinik hier in München, die einen sehr guten Ruf hat und fast ausschließlich den Grauen Star behandelt. Dort bietet man mir einen OP-Termin für Mitte Dezember an.
Jetzt komme ich allerdings in eine zeitliche Bredouille: Ich will Ende Dezember (und im Januar wieder) verreisen. Nach der OP ist man allerdings für mehrere Wochen fluguntauglich. Alle Reisepläne und andere Verpflichtungen würden demnach ins Wasser fallen.
Ich werde bei der Klinik vorstellig und schildere mein Problem. Der Professor hört sich meine Geschichte an und verspricht, mich binnen der nächsten zwei Wochen an beiden Augen zu operieren, sofern ich in der Lage bin, die weiteren notwendigen Unterlagen von meinem Hausarzt schnellstens zu besorgen.
Leider hat mein Hausarzt nach 30 Jahren im September seine Praxis geschlossen. Und der neue Hausarzt, der bei mir schon diverse Impfungen vorgenommen hat, ist im Urlaub. Ich muss also einen weiteren Allgemeinarzt in der Nähe finden, der quasi auf Zuruf arbeitet. Und ich finde ihn.
So gelingt es mir, binnen einer Woche von der Diagnose auf den OP-Tisch zu kommen. Oder besser gesagt: auf den OP-Stuhl. Denn in der Tat ist die Operation erstaunlich minimal invasiv, wie man heute so schön sagt. Abgesehen von den vorbereitenden Augentropfen und einer kleinen Menge Propofol zur Beruhigung dauert der Vorgang keine drei Minuten. Es hilft, dass ich wie bei der Pizza noch ein paar Extras gegen Aufpreis gebucht habe: eine schonendere Behandlung mit Laser statt mit Ultraschall und eine hochwertigere neue Linse – ich bin der Meinung, beim eigenen Augenlicht sollte man nicht knauserig sein.
So lasse ich mich an einem schönen, aber kalten Montag von der LvA zur Klinik fahren, denn ich habe mir sagen lassen, dass man nach der OP erstmal nicht ans Steuer sollte. Tropfen sorgen dafür, dass die Pupille betäubt wird und sich nicht mehr zusammenzieht. Das Propofol zeigt zum Erstaunen der Assistentin kaum Wirkung, denn mein Blutdruck ist bereits im Idealbereich. Ich erkläre ihr, dass ich in solchen Momenten meinen Stress sehr gut in eine Schublade legen und diese verschließen kann. Ich lebe nach dem Motto: es geht so lange gut, bis es nicht mehr gut geht.
Im OP-Stuhl höre ich dann die Stimme des Arztes, der die erste Linse ersetzen wird. Beide Augen gleichzeitig geht nicht, dann wäre ich ja für mindestens 24 Stunden blind. Also muss die schlechtere Linse zuerst dran glauben. Ich bin nicht glücklich, dass man mich nicht unter eine volle Narkose gelegt hat, aber zu meiner Freude sieht mein Auge den Eingriff selbst nicht.
Was gemacht wird? Ich hatte es ja oben bereits beschrieben: ein zwei Millimeter langer Schnitt in den Augapfel, die alte Linse wird zerlasert, die neue Linse im Auge ausgerollt und eingepasst. Die Wunde schließt sich von selbst, keine Nadel oder Tacker nötig. Verband drüber – der Nächste bitte! Den Doktor sehe ich das erste Mal, als er sein Handy für ein Erinnerungsfoto zückt:
Bis zum nächsten Morgen soll ich den Verband drauf lassen, man hat mir Betäubungstropfen für etwaige Schmerzen mitgegeben. Außerdem hat man mich darauf vorbereitet, dass es Blutergüsse rund um das Auge geben könnte.
Den restlichen Tag verbringe ich doch ein wenig nervös. Was, wenn die OP nicht das gewünschte Ergebnis bringt? Von einer Problemquote von 3-5 Prozent ist die Rede. Dann muss man nachträglich nochmal die Hornhaut lasern – für einen vergünstigten Preis, quasi als Nachtisch. Will ich nicht. Außerdem muss ich mich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass die neue Kunstlinse sich nicht dynamisch an die Verhältnisse anpassen kann. Sie ist fix. Sollte ich also dennoch weiter eine Lesebrille brauchen, wird mit der Lesebrille jeder Blick in die Ferne ein totaler Ausfall. Auch nicht ideal.
Aber ich freue mich erstmal an der Tatsache, dass nichts weh tut, nichts reibt, und das Auge zumindest noch in der Augenhöhle weilt. Ich bin natürlich versucht, den Verband vorzeitig abzunehmen, aber die LvA interveniert erfolgreich. Am Nachmittag tun die Beruhigungsmittel doch noch ihre Wirkung und ich falle für drei Stunden ins Bett. Danach sehe ich ungefähr so aus:
Am nächsten Morgen schlurfe ich ins Bad und schaue in den Spiegel. Der Moment der Wahrheit. Ich hoffe, dass es keine Hämatome gibt, dass ich besser sehen kann (auch wenn sich das vielleicht erst angleichen muss), und dass ich weniger Licht brauche, um zu lesen. Man hat mir versprochen, dass meine Farbwahrnehmung sich verbessert, aber das halte ich für Kappes, denn die ist sehr gut.
Verband runter. Das Auge sieht verschmiert aus. Aber das ist nur Salbe. Ich reibe sie vorsichtig weg – und bin baff: Ich sehe mich im großen Spiegel glasklar. Ohne Brille. Die neue Linse leistet ihren Dienst vorbildlich. Und nicht nur das: Farben wirken in der Tat plötzlich intensiver, als hätte jemand im Photoshop die Sättigung um 10-15 Prozent hochgedreht.
Vorher:
Nachher:
Durchatmen. Erleichterung. Das sieht sehr, sehr gut aus. Schon nach der ersten OP und zum ersten Mal seit 15 Jahren kann ich ohne Brille am Macbook arbeiten. Nah- und Mittelsicht sind knackescharf, bei der Fernsicht bin ich noch etwas unsicher. Natürlich torpediert auch das unoperierte rechte Auge die endgültige Bewertung der OP. Ich muss jetzt 48 Stunden mit dem Dilemma leben, dass mein gutes linkes Auge das weitere Tragen der Brille verbietet, das rechte Auge damit aber praktisch ausfällt. Aber das Gehirn ist ein wundersames Ding, denn es kombiniert beide Kanäle ausreichend, dass ich meiner Arbeit wie gewohnt nachgehen kann. Ohne Brille.
Die LvA fährt mich erneut zur Klinik, zur Nachuntersuchung. Entwarnung. Die Linse sitzt perfekt, die Werte sind gut. Wir sehen uns zur zweiten OP in 24 Stunden.
Ich verbringe den ersten Tag seit 15 Jahren ohne Brille. Kein auf die Nase schieben, kein ständiges Putzen, kein „wo liegt die denn jetzt schon wieder?“ mehr. Modisch sehe ich es als Verlust, denn ich war gerne Brillenträger. Das signalisiert Bildung und Würde. Ich taste auch immer wieder unbewusst nach der Brille.
Zur zweiten OP reise ich mit erheblich weniger Sorge an. Ich weiß, was mich erwartet – und das rechte Auge ist weniger dramatisch, auch wenn es mein Führungsauge ist.
Doch so kann man sich irren: Die zweite OP entpuppt sich als langwieriger und unangenehmer als die erste. Die neue Linse hat nämlich einen Kratzer und muss wieder rausgenommen werden. Dann wird Ersatz besorgt. Ich bin deutlich alerter als noch 48 Stunden zuvor und nehme wahr, wie an meinem Augen geschnibbelt und gefummelt wird. Es ist fies und es gibt keine Option zum Abbruch.
Als ich nach einer gefühlten Viertelstunde endlich fertig bin, verzichte ich auf das angebotene Daumen hoch-Foto. Danach ist mir gerade nicht.
Das restaurierte Auge ist diesmal deutlich empfindlicher. Das wenige Licht, das durch den Verband dringt, empfinde ich als unangenehm. Es wird ein wenig besser, wenn ich die Hand über das Auge halte. Ich denke kurz darüber nach, in der Apotheke eine Augenklappe zu kaufen. Dann entscheide ich mich doch dafür, es auszusitzen. Eine Schlafattacke ist laut Aussage der Ärztin heute nicht zu erwarten, denn man hat mir diesmal keine Benzodingsbumsens verabreicht.
Und so warte ich wieder bis zum nächsten Morgen, um das Ergebnis der OP und damit hoffentlich den Abschluss meines Augen-Dramas zu begutachten. Tatsächlich schlägt sich die schwierigere zweite OP auch im Zustand meines Auges nieder:
Blutunterlaufen, etwas schmerzend, Hämatom zum Nasenrücken. Aber auch hier: glasklarer Blick ohne Brille bis zwei, drei Meter, danach minimal unschärfer. Ich weiß noch nicht, ob alles geklappt hat – aber schiefgegangen ist zumindest nichts.
Autofahren kann ich so, Kleingedrucktes lesen auch. Die Weitsicht scheint fluide – mal besser, mal schlechter. Eine weitere Untersuchung in der Klinik bestätigt meinen Eindruck, beruhigt aber auch: Die Augen wie das Hirn brauchen ein paar Tage bis Wochen, um die Umstellung vollständig zu vollziehen. Sollte danach die Fernsicht immer noch unter dem gewünschten Niveau liegen, kann man nachlasern. Oder eben doch wieder punktuell Brille tragen.
Die nächsten Tage bleiben zweischneidig: Das Gehirn und die Augen lernen, sich zu koordinieren. Das linke Auge spielt perfekt mit, das rechte Auge ist sehr druckempfindlich und sticht immer mal wieder leicht. Aber auch das lässt nach und nach vier Tage bin ich weitgehend frei von Symptomen, ohne je die Schmerzmittel gebraucht zu haben. Trotzdem tastet meine Hand nach dem Aufwachen immer noch nach der (nicht mehr vorhandenen) Brille auf dem Nachttisch. Gewöhnungssache.
Die vier bis sechs alten Gestelle, die ich noch in der Schublade habe, werde ich entweder spenden oder wegwerfen.
Jetzt gönne ich meinen Augen mal ein paar Tage Ruhe.
Mit Laser und Kunstlinsen in fünf Minuten vor der Erblindung bewahrt. Die moderne Medizintechnik – Respekt, Alter!
Weiterhin gute Besserung!
Was hat der Spaß denn gekostet?
(Ich werde wohl auch mal wieder meinen Augenarzt aufsuchen, denn irgendwie kamen mir die Beschwerden bekannt vor 😀)
Zahlt meine Krankenversicherung. Die besseren Linsen kosten ca. 400 Euro pro Stück und die Laserbehandlung 1000.
Re letztes Bild: So war das also mit Clark Kent und Superman.
Wow, danke für den ausführlichen Bericht. Eine weitere Altersbaustelle, von der ich bisher nichts wusste, oder sagen wir: Eine, über die ich mir bisher keine Gedanken gemacht habe.
Alles Gute und gute Besserung!!
Fun fact: es gibt auch noch Nachstar, wenn auf dem Rest der Linsenkapsel sich irgendwas Graues einfindet und doch wieder alles grauer wird. Da gibt es zwei Behandlungsoptionen: mit YAG-Laser rundherunm ein Loch in die Linsenkapsel schneiden (ambulant, keine Betäubung nötig), oder wenn das nicht hilft eine ernsthafte OP. Quelle: das durfte ich nach zwei OPs wegen Netzhautablösung und Katarakt-OP (ugs.: Grauer Star) machen lassen. Der Laser hat zum Glück gereicht bei mir
Hey, same here;-) Das ging ziemlich schnell und war völlig unspektakulär – im Gegensatz zur Netzhautablösung. Bei mir hat sich dann anfangs noch ein starkes Schielen von 9 Prismen eingestellt, welches dann auch noch behoben wurde… Angeblich hätte ich das von Geburt an gehabt, das wurde nur durch die junge Muskulatur behoben, die dann vermutlich durch den Netzhauteingriff beeinträchtigt wurde…
Hatte letztes Jahr auch auf einem Auge die Freude. Ein Tipp: auch wenns nur kurzzeitig morgens wieder nen Nebelschleier gibt, sofort zum Doc, Augendruck checken. Ansonsten: what a time to be alive! Kannst ja mal googeln, wie man in der guten alten Zeit mit Linsentrübung umgegangen ist, keine Gaudi.
Alles Gute und danke für deinen Einblick dazu 🙂
Handelt es sich bei den eingesetzten Linsen um Multifocal Linsen? Weiterhin gute Besserung.
»Ich musste aus Gründen einen kompletten medizinischen Check-Up machen lassen.«
Du willst Astronaut werden?
Oder LKW/Bus fahren…
Dank Elon ist alles möglich!
Schön, dass alles geklappt hat.
Das haben im letzten Jahr schon 2 Freundinnen von mir genau so machen lassen.
Bei meinem Vater war das vor Jahren noch rustikaler :
Da wurde der Kopf eingespannt, das Auge und alles örtlich betäubt, mit dem Gestänge aus Clockwork Orange aufgehalten, und dann hat man gesehen wie der Arzt über die ganze Breite der Linse das Auge aufgeschnitten hat.
Wenn man Pech hatte ist die neue Linse auch noch ins Auge gefallen.
Ein Hoch auf die Wissenschaft
„…, aber die LvA interveniert erfolgreich.“ Ich musste sehr lachen. Das kann ich mir sehr bildhaft und wortreich vorstellen. Weiterhin gute Besserung!
Freut mich auch, dass alles so gut gelaufen ist.
Verlust des Sehvermögens ist definitiv so eine meiner größeren Ängste. Ich wüsste wirklich nicht, was ich das machen würde. Dieser kurze Einblick in die Fortschritte der Augenmedizin macht da schon Mut!