08
Sep 2024

Fantasy Filmfest 2024 (16): THE SUBSTANCE (re-upload)

Themen: Fantasy Filmf. 24, Film, TV & Presse, Neues |

USA 2024. Regie: Coralie Fargeat. Darsteller: Demi Moore, Margaret Qualley, Dennis Quaid, Hugo Diego Garcia, Gore Abrams, Matthew Géczy, Daniel Knight, Philip Schurer, Olivier Raynal u.a.

Story: Elizabeth Sparkle war mal ein Star, hat früh einen Oscar bekommen, und ist als Fitness-Queen noch mit 50 eine Institution im Morgenprogramm des Fernsehens. Doch als sie abserviert und durch ein jüngeres “Modell” ersetzt werden soll, nimmt sie aus Verzweiflung das Angebot einer anonymen Firma (?) an, mit Hilfe einer Injektion eine neue, jüngere Variante ihrer selbst zu gebären, mit der sie im Wechsel jede Woche den Platz tauschen muss. Die “perfektere” Elizabeth, die sich “Sue” nennt, bekommt prompt den Sendeplatz des Aerobic-Formats, macht es zu einer voyeuristischen Fleisch-Beschau und wird ein Star. Der Neid von Elizabeth und die Ambition von Sue kommen sich bald in die Quere und “you are one” ist schnell Makulatur…

Kritik: Es lohnt sich, mal meine Kritik zu Fargeats Erstling REVENGE auszubuddeln:

Coralie Fargeats Erstling ist beinhartes Survival-Kino, in dem wirklich jedes Element bis ins Absurde stilisiert wird: Jen und Richard sind reich, schön, athletisch und perfekt, Stan und Dimitri sind schmieriges, geiferndes Pack. Der Luxus in der Villa ist absolut, die Ödnis der umgebenden Wüste genauso. 

Das gilt auch für THE SUBSTANCE. Elizabeth kämpft nicht in der Wüste, sondern in Hollywood um ihr Überleben – zuerst gegen das System, dann gegen sich selbst, wort- und sprichwörtlich. Sie ist von perfekten, aber komplett moralfreien Widerlingen umgeben, von Eifersucht, Neid, und einem kalten, leeren Luxus. Schlimmer noch: sie ist williger Teil dieser Welt und will ihr nicht entfliehen, sondern nur dabei bleiben dürfen.

Über die puristische Handlung und die ins Extreme gezogene Figurenkonstellation hinaus ist “Revenge” außerdem einer der schicksten Filme, die ich seit langem gesehen haben. Styling ist hier alles, das Materielle dominiert, die Kamera ist geradezu flüssig in ihren Bewegungen, als würde sie die Villa und ihre Menschen nicht nur zeigen, sondern auch zum Verkauf anbieten.

Auch das lässt sich übernehmen. Die bis ins Abstrakte über-konstruierte Wohnung, das labyrinthische TV-Studio, das klinische Badezimmer – alles ist Style, Design, Aussage und Kommentar. Fargeats Bilder erinnern an Comics, der Blick der Kamera an Panels. Keine Abläufe, sondern statisch inszenierte Tableaus.

THE SUBSTANCE ist durch und durch Konzept und an der realen Welt bestenfalls als abstrakter Aufhänger interessiert. An keiner Stelle macht der Vorgang der “Verdopplung” Sinn – nicht medizinisch, nicht finanziell, nicht logisch, nicht logistisch. Man kann tausend Fragen dazu stellen – Fargeat wird keine beantworten. Weil die ominöse Organisation nur Mittel zum Zweck ist, damit Elizabeth mit ihren Dämonen konfrontiert wird.

Und schließlich:

Die einbrechende Gewalt wird dann ebenso ins andere Extrem ausgekostet: Hardcore-Splatter der heftigen Sorte und viel, viel, viel Blut färben Wände und Wüstensand.

Das wird in THE SUBSTANCE noch einmal gesteigert – das Finale ist eine der blutgeilsten Bodyhorror-Splatterorgien, die ich seit Brian Yuznas SOCIETY gesehen habe. Leider übertreibt Fargeat hier maßlos, weil THE SUBSTANCE im Gegensatz u REVENGE ein Film von tatsächlicher Substanz ist, der etwas über die Rolle der Frau, die Angst vor dem Alter, dem Neid der Alten und dem Ekel der Jungen sagen möchte. Da wäre eine inhaltliche Auflösung deutlich angebrachter gewesen als die gebotene Schlachtplatte.

So trägt THE SUBSTANCE sehr deutlich die Handschrift von Fargeat, zeigt eine inhaltliche Reifung im Vergleich mit REVENGE, auch wenn diese nicht vollständig gelungen ist. THE SUBSTANCE möchte mehr sein als Tempo und Design, bringt seine Geschichte und seine Botschaft aber nicht befriedigend zu Ende.

Man kann auch mäkeln, dass die Sucht nach der Schönheit in einer Welt, die nur dem Schein huldigt, wahrlich kein neues Feld ist, das es zu beackern gäbe. RABID, LOOKER, REPLACE – und irgendwie geht alles auf DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY zurück. Man würde sich einen neuen Ansatz, eine neue Antwort zu dieser Thematik wünschen – aber THE SUBSTANCE hat keine.

Bemerkenswert ist allerdings die Konsequenz und Furchtlosigkeit, mit der sich die beiden Hauptdarstellerinnen in die Rollen werfen. Demi Moore und Margaret Qualley gehen “all in” und im Kontrast von “welkem Fleisch” ((C) HAROLD AND MAUDE) und “straffer Haut” wird auch sehr deutlich der “male gaze” bedient. Die Inszenierung der Aerobic-Videos im Stile der 80er erinnert teilweise an das hier:

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Warum gerade Moore sich darauf einlässt? Weil sie mit 62 die Probleme von Elizabeth kennt, nichts zu verlieren hat, und THE SUBSTANCE sehr offensichtlich erwartet, nicht als Horrorfilm wahrgenommen zu werden, sondern als erwachsenes Drama, das sich lediglich der billigen Mechanismen des Schockers bedient. Ich halte das für einen Taschenspielertrick und obendrein schade, denn THE SUBSTANCE ist ein guter Horrorfilm – und dafür muss sich niemand schämen.

Fazit: Ein extrem(er) gestylter Bodyhorror-Film in Cronenberg-Tradition, der mutig Erotik, Eleganz und Ekel kombiniert, seiner eigentlich tragischen Geschichte aber keine wirkliche Auflösung gönnt. Coralie Fargeat bleibt “one to watch”. Wegen des unbefriedigenden Finales “nur” 8 von 10 Punkten.

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S-Man
8. September, 2024 16:26

Wirklich schade, dass die letzten 5 Minuten ünerhaupt existieren. Der Film hätte tolles Ende abgegeben. Die Konfrontation der Gesellschaft mit dee oberflächlichlichen Schönheit/dem Hässlichen. Stattdessen totaler Stilbruch. Hat für mich den eigentlich guten Film leider stark geschwächt.

Dinozeros
Dinozeros
14. September, 2024 22:24
Reply to  S-Man

Für mich ist das Finale lesbar als Abrechnung mit dem Gorebauer-Publikum, das sich eben gerade in Hamburg vor Lachen nicht mehr einkriegte. Wie eben mit dem enthemmten, gierigen Publikum insgesamt.

Mit uns.

Exzellenter Streifen.

Last edited 25 Tage zuvor by Dinozeros
Matts
Matts
15. September, 2024 14:13

Der Kinosaal hier in Nürnberg war ausgebucht! Die Stimmung war gut – der Film war´s auch.
Fargeat überträgt ihren poppigen und knalligen Stil mühelos von Rape & Revenge auf Satire & Bodyhorror. Ich hab mit dem Ende auch nicht unbedingt ein Problem, denn ich finde, es hatte durchaus noch einige inhaltliche Elemente vorzuweisen.
Auch ic freue mich auf den nächsten Film von Coralie Fargeat.

Marcus
Marcus
6. Oktober, 2024 02:03

Nicht doof, sehr edel gefilmt und super gespielt, aber mir persönlich etwas zu artifiziell, um es nicht nur als Parabel, sondern auch als Horrorfilm an sich ernst nehmen zu können. Der Film hat keine Story, er hat eine Versuchsanordnung, die dazu dient, die gewünschte Message satirisch überspitzt zu transportieren. Das macht ihn nicht schlecht, aber hindert mich doch daran, so richtig reinzukommen und mitzugehen.