Abenteuer Kapselhotel: In space no one can hear you schnarch
Themen: Fantasy Filmf. 24, Neues |Als ich im Frühjahr das Hotel für meinen Berlin-Trip im September buchen wollte, war es wegen diverser Messen und Hauptreisezeit schon schwierig: entweder war alles überteuert oder nicht durchgehend verfügbar. Freunde boten mir ihr Gästezimmer an, aber das war mir zu weit draußen im Speckgürtel und da finde ich auch keinen Fokus. Denn wahrlich: fünf Filme am Tag und den Vormittag für die Reviews brauchen guten Schlaf und Disziplin. Also was tun?
Ich stieß auf das gänzlich neue Angebot eines vor drei Jahren eröffneten Kapselhotels in der Leipziger Straße. Einige von euch kennen das vielleicht aus Japan. Es hat den Charme einer Jugendherberge, aber man schläft nicht in einem Mehrbettzimmer, sondern in einer geschlossenen, privaten Kapsel.
Ich war hin- und hergerissen. Der Gedanke, die sanitären Einrichtungen mit anderen Urlaubern zu teilen, begeisterte mich ebenso wenig wie die Frage, ob man in so einer Kapsel wirklich gut schlafen kann. Für eine Nacht wäre es mir das Experiment wert gewesen – aber gleich acht?! Andererseits: Das Kapselhotel hatte sehr gute Kritiken und wurde für seine Sauberkeit gelobt.
No risk, no fun. Ich buchte eine Einzelkapsel für um die 50 Euro pro Nacht. Und von meinem Aufenthalt werde ich nun ausgiebig berichten.
Kommt man das erste Mal vor Ort an, ist der Eindruck ernüchternd:
Ja, das ist das Haus mit dem Kapselhotel. Kaum Beschilderung, wenig einladend. Ich bin zweimal dran vorbeigelaufen und befürchtete Schlimmstes.
Auch das Entrée ist eher was für robuste Vielreisende:
Typisch Berlin: Die Rolltreppe war außer Betrieb und es gab keinen Hinweis auf eine anstehende Reparatur. Wer nicht kraxeln wollte, musste den wenig vertrauenswürdigen Aufzug nehmen.
Auf was habe ich mich da eingelassen?!
Dann der Eingangsbereich – es ist tatsächlich, als ob man die Raumstation einer billigen SF-Serie der 90er betritt:
Auf Großbildschirmen Ansichten aus dem Weltraum, das einzige Geräusch das leise Summen mehrerer portabler Klimageräte. Willkommen an Bord der Nostromo. An der Rezeption bekommt man das Konzept und die Räumlichkeiten kurz erklärt. Die Zielgruppe des Kapselhotels ist offensichtlich breit gestreut, ich habe Gäste aus aller Herren Länder und Altersklassen gesehen. Meistens bleibt man wohl nur eine oder zwei Nächte, ich war mit meiner kompletten Woche schon so etwas wie ein “resident”.
Entgegen meiner Befürchtungen bietet das Kapselhotel etwas mehr Privatsphäre, als ich dachte: Die mit Chip verschließbare Kapsel besitzt Licht, einen USB-Anschluss, einen kleinen Safe, ein ausklappbares Tischchen. Zu jeder Kapsel gehört ein Spind im Stil eines Turnvereins, in dem man sein Gepäck zwischenlagern kann:
Der Sanitärbereich zwingt den Besucher nicht in Gemeinschaftsduschen, denn er besteht aus 12 vollständig ausgestatteten Badezimmern mit Dusche und Toilette, von denen immer welche frei sind. Da kann man die Tür verriegeln und sich gänzlich privat der Körperhygiene widmen:
Wenn ich das richtig mitbekommen habe, werden die Badezimmer mindestens zweimal am Tag komplett gereinigt.
Da das gesamte Konstrukt des Kapselhotels in eine leere Halle gebaut wurde, gibt es keinerlei Fenster. Für Leute mit klaustrophibischen Neigungen ist das nix.
Insgesamt hinterließ das Kapselhotel einen guten ersten Eindruck. Sehr sauber, sehr still, aber absichtlich dunkel und damit wie abgekoppelt vom Rest der Welt.
Positiv auch die Infrastruktur. Die hat mich ziemlich begeistert. Der 200er-Bus fährt direkt vor der Tür ab, die U2 200 Meter entfernt. Damit gelangt man schnell zu allen Berliner Knotenpunkten. Die Fahrt zum Zoopalast Kino war mit 15 Minuten präzise planbar, auch nachts. Ich kaufte eine Wochenkarte für 40 Euro.
Weiterer Pluspunkt: Neben dem Kapselhotel ist ein riesiger nagelneuer LIDL, bei dem man sich auch mit Backwaren eindecken kann. Etwas gemütlicher frühstückt es sich in einem Café im Haus. Direkt neben dem Kapselhotel im gleichen Stock ist ein Tedi. Verhungern muss also keiner, obwohl das Kapselhotel nur einen schnöden Snack-Automaten zur Verpflegung bereit stellt.
Nachdem ich die ersten zwei Filme des Festivals gesehen hatte, bereitete ich mich zur Geisterstunde auf meine erste Nacht in der Kapsel vor. Die Rezeption ist übrigens rund um die Uhr besetzt.
Es gibt 102 Kapseln insgesamt, ich hatte eine Single-Größe gewählt. Wie bei Stockbetten kann man zwischen “oben” und “unten” wählen. Ich wählte unten, weil ich ein alter Mann bin und nicht wusste, wie gut sich da klettern lässt:
Tatsächlich ist der Einstieg nicht ideal geregelt. Man muss von der Fußseite in die Kapsel krabbeln. Ein Konstruktionsfehler scheint mir auch, dass die Flügeltüren nach innen aufgehen, was super unpraktisch ist, wenn man immer alles beiseite räumen muss. Bei den Doppel-Kapseln liegt der Einstieg an der Seite.
Weiterer Kritikpunkt: Das Licht in der Kapsel geht erst an, wenn man die Karte in das Panel steckt. Dazu muss man im Dunkeln reinkriechen. Umgekehrt ebenso: hat man die Karte abgezogen, geht das Licht aus, und man krabbelt unbeleuchtet zum Ausgang. Es wäre vernünftiger, den Karten-Slot neben der Tür zu platzieren.
Man darf sich auch nicht täuschen lassen – trotz des futuristischen Looks besteht die Kapsel aus windigem Kunststoff. Wer einen leichten Schlaf hat, sollte auf jeden Fall Ohrstöpsel mitbringen, zumal viele Besucher auch nachts die Türen offen stehen lassen, um sich nicht so eingesperrt zu fühlen.
Nun aber in medias res – wie wohnt es sich denn so in der Kapsel?
Das ist… überraschend komfortabel. Ich würde die Innenmaße auf 1m x 1m x 2m schätzen, was auch erlaubt, sich an die Rückwand zu setzen, ohne mit dem Kopf oben anzustoßen. Die ersten ein, zwei Tage habe ich hier stressfrei meine Festival-Kritiken geschrieben.
Der große Spiegel verbessert das Raumgefühl deutlich, ich hatte in keinem Moment ein unangenehmes “Sarg-Feeling”. Die Kapsel erinnert an ein sehr komfortables Schlafabteil in einem Nachtzug.
Das Panel auf der linken Seite ist eher der industriellen Bauweise der Kapseln geschuldet als dem Komfort – als preiswertes geschlossenes Modul lässt es sich schnell in die formgepressten Kabinen einbauen. Man steuert darüber das Licht, die Belüftung, etc.
Ach ja, die Belüftung. Da die Kapseln in einer klimatisierten Halle stehen, braucht es keine separaten Klimaanlagen. Man kann aber die Belüftung der Kapsel regulieren, Ich hatte trotz Außentemperaturen von 33 Grad kein Problem. Es summt nur ein bisschen. Ein guter Rat kam von der Rezeptionistin: Das helle weiße Licht sollte man weitestgehend aus lassen, denn es heizt die Kabine ziemlich auf. Das reguläre blaue Licht ist weniger energieintensiv und gibt einem auch mehr das Gefühl, ein Space Marine zu sein.
Ach ja: Wohl aus Brandschutzgründen gibt es keine regulären Steckdosen in den Kapseln. Es hängen aber vor den Kapseln Würfel mit Mehrfachsteckdosen, wenn man das braucht. Die kann man mit einem Kabel auch durch einen Spalt der Plastik-Türen erreichen.
Für die acht Nächte, die ich im Kapselhotel verbracht habe, kann ich mich nicht wirklich beschweren. Es gab keine Zwischenfälle, es wurde nie unangenehm laut, und die düstere Atmosphäre gibt einem tatsächlich ein wenig das Gefühl, in einer Raumstation zu sein und damit unabhängig von Tages- und Nachtzyklen. Ich habe mitunter um 4 Uhr morgens geduscht. Es fand sich immer ein sauberes und verfügbares Badezimmer.
Hand- und Badetücher gibt es frisch an der Rezeption. Der “Zimmerservice” ist effizient geregelt. Da der ganze Boden der Kapsel von der mit einem Laken bezogenen Matratze bedeckt ist, wird einfach die komplette Matratze aus der Kapsel gezerrt und durch eine frisch bezogene ersetzt. Die alte Matratze wird in einem separaten Trakt dann neu bespannt. Wenn notwendig, werden auch noch die Seitenwände der Kapsel gereinigt. Das alles dauert gerade mal 60 Sekunden.
An Kopfkissen und Bettwäsche hatte ich nichts auszusetzen. Ich habe geschlafen wie ein Baby, jeden Morgen ausgiebig geduscht und mich auf den Tag vorbereitet.
Ist es ideal, dass man nachts aus der Kapsel kriechen muss, wenn man einfach nur pieseln will? Sicher nicht. Aber das muss man einpreisen.
Soviel zu den Details – wie lautet mein generelles Fazit?
In meinen Augen schließt das Kapselhotel eine Lücke zwischen Hostel und Hotel, bietet ausreichend Privatsphäre zu einem günstigen Preis für Leute, die “nur einen Platz zum pennen” brauchen, aber nicht gerne wie in der Bundeswehr-Kaserne im Sechsbettzimmer liegen oder 180 Euro die Nacht zahlen wollen. Wenn man mit dem Konzept Kapsel umgehen kann, ist das eine tolle Alternative, die ich jederzeit wieder nutzen würde/werde.
Ich ahne aber, dass der Spaß von kurzer Dauer sein könnte: momentan ist das Kapselhotel noch relativ neu, was das Gefühl von Sauberkeit und Ordnung aufrecht erhält. Aber die ersten Duschköpfe wackeln schon, die erste Toilettenbrille ist auf der Seite gebrochen. Die Safes in den Kapseln funktionieren aktuell nicht und mein Leselicht verweigerte auch seinen Dienst. Wenn die Betreiber hier nicht schnell und konsequent den status quo aufrecht erhalten, könnte das Kapselhotel im nächsten Jahr schon sehr runtergekommen sein.
Den Aufwand und die Sorgfalt, mit der Japaner ihre Kapselhotels betreiben, darf man hier nicht erwarten:
Als Vorschläge würde ich nach einer intensiven Woche formulieren:
- Bequemere Sitzgelegenheiten an der Rezeption mit Steckdosen und USB-Ports (aktuell nur Würfelhocker)
- Kapseltüren ummontieren, damit sie nach außen aufgehen
- Kartenleser direkt neben der Tür montieren
- Safes nutzbar machen
- Haken zum Aufhängen von Kleidung in der Kapsel anbringen
- Aussparung in der Tür für das Kabel zur externen Steckdose
- Rolltreppe reparieren lassen
- Ordentliches und großes Schild an die Hauswand
Zum Abschluss noch ein “life hack”, der mich bei diesem Festival-Besuch sehr entstresst hat. Drei Häuser neben dem Kapselhotel befindet sich ein Motel One, in dem ich ebenfalls schon gewohnt habe. Hier kann man sich einen Kaffee bestellen und dann in der Lounge oder sogar am Business-Tisch kostenlos und bei hervorragendem Wifi seine Kritiken schreiben und den Tag einläuten. Wenn man es sich gönnen will, bucht man das hervorragende Frühstück dazu. Damit ergänzt das Motel One das Kapselhotel um den fehlenden Komfort.
Soviel zum Service-Teil meiner Festival-Berichterstattung. Eure Meinung?
Danke für den Bericht, klingt auf jeden fall nach etwas das ich, wenn sich die Gelegenheit ergibt, mal ausprobieren werde.
Sä Fudscha is nau!
Danke für den Bericht!
Dass die Kapseltüren nur nach innen aufgehen ist irgendwie gruselig. Was, wenn es mal pressiert (Feueralarm …) und man da Kram vorliegen hat?
Oder wenn mal jemand aus so einer Kapsel herausgeholt werden muss (medizinischer Notfall). Oder kann das Personal die Kapsel auch anders öffnen?
Das wird schon den Brandschutzregeln entsprechen, ist ja auch eher schwierig wenn im Fall der Fälle alle Türen nach aussen aufgerissen werden. Oder ganz profan einer durch den Gang rennt und jemand schwungvoll die Tür öffnet….
Das kann es eigentlich nicht sein – zwischen den Kapselreihen ist ca. drei Meter Platz. Da rent auch keiner. Ich vermute eher so eine Verwandtschaft zu den Regeln in Hotels. Da geht die Zimmertür im Gegensatz zur Haustür einer Wohnung auch nach innen auf. Es macht auch Sinn, aber nicht hier.
Bin gerade geistig alle Türen hinter denen ich jemals gewohnt habe durchgegangen, und die gingen alle nach innen auf…
Ich kenn spontan auch keine Haustür, die nach aussen aufgeht. Dann halt nur Brandschutz, damit keine Fluchtwege verengt werden.
Ja, da hatte ich wohl einen Hirnfurz dank Grippe.
Gute Besserung!
Spannender Bericht, aber so ganz ohne Fenster wäre mir das nix.
Aber zum Wochenticket in Berlin: Haben die nicht das D-Ticket für 29€ oder gilt das nur für Locals? 40€ für eine Wochenkarte ist schon sportlich.
Was Locals sein sollen weiß ich jetzt nicht *hust*, aber das Berlin-Ticket gilt nicht nur für Berliner. Man kann es allerdings nicht monatlich buchen, sondern muss ein Jahresabo dafür abschließen.
Zum Bericht: Irgendwie würde ich wohl auch die Fenster dabei vermissen, das ist schon fast schlafen wie in einem U-Boot.
Locals = Lokale. Das ist doch so einleuchtend.
Ziehst du durch die Lokale, bezahlst du weniger für das Ticket.
Don’t drink and drive
Wie von Qtrix schon gesagt, das Berlin Ticket gibts “sinnigerweise” nur im Jahresabo, sonst hätte ich es mir wohl auch geholt. Keine Ahnung wer sich das ausgedacht hat, aber man muss ja alles gute, irgendwie schlecht machen. Wäre schon geil, wenn man das 29€ Ticket für 20€ aufrüsten könnte, wenn man es braucht zum Deutschlandticket. Aber dank Jahres vs Monatsabo, geht das natürlich nicht.
Dafür kann man sich aber auch noch immer für über 80€ das gute alte AB Ticket kaufen, wieso auch immer das noch existiert kann wohl auch nur der Verkehrssenator beantworten.
Jedenfalls rate ich jedem hier, anstatt des Wochentickets lieber gleich das Deutschlandticket über Apps wie zB das vom HVV zu buchen. Da kann man bis zum 10. des Monats noch das Abo für nächsten Monat kündigen und bekommt auch nur die genutzten Tage angerechnet bis zum Ende des Monats. Wenn man zB weiß, dass man das Ticket nur vom 15.-20. braucht, kann man das mit Datum 15. bis zum 10. des Monats buchen und bezahlt dann auch nur 24,50 für ein vollwertiges Deutschlandticket ohne “Abofalle”. In Berlin kann man das dann zB dann auch noch nutzen um zum Flughafen zu kommen (ist Bereich C, also Zusatzkarte) und im Falle des Hausherren vielleicht auch um vom Hbf oder Flughafen gen Heimat zu fahren.
Sehr schön, das hätte mich auch mal interessiert. Nach dem Bericht sehe ich, dass das leider nicht in Frage kommt.
Schade.