Kino Kritik: MEGALOPOLIS
Themen: Film, TV & Presse, Neues |DISCLAIMER: Ich habe vorab keine anderen Kritiken zum Film gelesen.
USA 2024. Regie: Francis Ford Coppola. Darsteller: Adam Driver, Giancarlo Esposito, Nathalie Emmanuel, Jon Voight, Laurence Fishburne, Aubrey Plaza, Talia Shire, Jason Schwartzman, Shia LaBeouf, Grace VanderWaal, Kathryn Hunter, Dustin Hoffman, James Remar, Daniel Bernard Sweeney, Chloe Fineman u.a.
Offizielle Synopsis: Nach einer Krise ist New York City hochverschuldet und benötigt dringend eine Renovierung. Der ehrgeizige Architekturidealist Cesar Catilina erklärt sich dazu bereit, einen Sprung in die Zukunft zu wagen und eine Utopie mit erneuerbaren Materialien aufzubauen. Ihm gegenüber steht der Bürgermeister Frank Cicero, der das Erbe der Vergangenheit bewahren und die übliche Wiedererrichtungsstrategie fahren möchte, die jedoch mit Korruption und Machtvermittlung gespickt ist. Zwischen beiden Männern steht Ciceros Tochter Julia, die nach einem Sinn in ihrem Leben sucht und sich in Cesar verliebt, wodurch sie zwischen der Loyalität zu beiden hin- und hergerissen ist.
Kritik: Das hier wird mal wieder GANZ schwer. Und es braucht Kontext.
MEGALOPOLIS habe ich erstmals Ende der 80er in einem Fanzine erwähnt, vor 35 Jahren. Schon damals galt das Herzensprojekt von Francis Ford Coppola als “dark horse”, als Außenseiter in Hollywood. Eine Umsetzung schien unwahrscheinlich, weil es weder die Technik noch das Budget für Coppolas Vision gab.
Coppola wird sowieso in die Geschichte eingehen als Regisseur, dessen Flops faszinierender sind als die Erfolge vieler Kollegen: EINER MIT HERZ, COTTON CLUB, TUCKER. Nach dem mäßigen Echo auf DER PATE III hat er sich in den letzten 30 Jahren auf gelegentliche Hollywood-Auftragsarbeiten konzentriert und nicht einen wirklich bemerkenswerten Film mehr abgeliefert. DRACULA inklusive.
Aber er hat an MEGALOPOLIS gearbeitet. Immer wieder, immer weiter. Mag die Zeit das Thema des Films gealtert haben, hat die Entwicklung der Tricktechnik ihn zumindest möglich gemacht. Es scheint, als sei Coppola mit 85 entschlossen, dieses Kapitel noch zu schließen, bevor es ein Sargdeckel tut. Dafür hat er viel eigenes Geld investiert, den Film ohne Verleih produziert, in Cannes vorgestellt. Somit mag die bemerkenswerteste Leistung von MEGALOPOLIS schon darin bestehen, dass er überhaupt existiert. Er wurde der “development hell” entrissen und ist auf Gedeih und Verderb das letzte Hurra eines Ausnahmeregisseurs.
Dass MEGALOPOLIS nicht den Weg der üblichen Hollywood-Blockbuster gegangen ist, kann man schon daran sehen, dass er ohne die Mega-Marketing-Maschine der Traumfabrik auskommen muss. Es gibt praktisch keine wirklichen Bilder, kein anständiges Poster. Der deutsche Verleih Constantin hat zum Screening nicht ins Kino, sondern in den hauseigenen Vorführraum gebeten. Sperrfrist? “Nicht nötig”. Die Meinung zu den bisherigen Kritiken? “Ach, da gab es ja solche und solche”. Wirkliche Begeisterung für das eigene Produkt klingt anders.
Als ich nach dem Screening nach meinen ersten Gedanken gefragt wurde, war meine Antwort: “Das muss ich erstmal verarbeiten. Entweder habe ich gerade den fehlgeleiteten Größenwahn eines greisen Regisseurs gesehen oder den nächsten CITIZEN KANE. Ich bin nicht sicher, ob das ganze Sittengemälde nun altersweise oder total pubertär ist. Vielleicht werde ich das nie beantworten können.”
Und in der Tat ist MEGALOPOLIS ein Film, bei dem Genie und Wahnsinn ebenso nah beieinander liegen wie Tiefgang und Trivialität, wie Exzesse und Intimität. Es ist ein großer, langsamer Film, der sich an einer einzigen existentiellen Frage aufhängt: Was kommt nach dem Abstieg der großen Zivilisationen? An einer Antwort ist er aber nur begrenzt interessiert. Coppola geht es vielmehr darum, New York und die amerikanischen Ideale als Spiegelbild des dekadenten spätrömischen Reiches zu bebildern – und das nicht mal subtil. Die Stadt heißt hier “New Rome”, die Namen, Kostüme, Klassen und Vergnügungen sind direkte Referenzen. Popstars als vestalische Priesterinnen, Banker als machthungrige Geldverleiher, und überall der Exzess von Geld und Drogen, von Luxus und Spektakel. Das Volk jenseits der High Society ist nur eine amorphe Masse, die je nach politischer Gemengelage ge- oder missbraucht wird. Ein Skandal hier, ein Aufstand da. Brot und Spiele.
Coppola bedient sich aus vielen Quellen, bei Ayn Rand und Shakespeare, den griechischen Dramen, den 30er Jahren, der aktuellen Politik. Die lange Gestation des Projekts macht es gleichermaßen altmodisch und zeitlos.
Inspirierte Bilder wechseln sich mit bemühten Klischees ab, manche Dialoge tanzen auf der Rasierklinge zwischen philosophisch und selbstbesoffen. Ist das klare Narrativ, die offen präsentierte Botschaft nun bewundernswert konkret oder erschütternd banal? Die pathetische Theatralik praktisch aller Darsteller (mit dem Nicolas Cage-Award für Shia LaBeouf) angemessen oder albern? I
Coppola verzichtet auf die Spielregeln, die in den letzten 30 Jahren für Hollywood-Drehbücher in Stein gemeißelt wurden. Er greift Figuren auf und lässt sie fallen, führt Elemente scheinbar beiläufig ein, lässt Subplots in der zweiten Hälfte fallen, Motivationen der Figuren baumeln. Auch unzusammenhängende Teile ergeben ein Bild. Es verlangt nur mehr Mitarbeit vom Zuschauer.
Macht das einen guten Film aus? Schwer zu sagen. Aber man kommt auf jeden Fall aus dem Saal mit dem Gefühl, eine komplette Mahlzeit genossen zu haben, kein Burger-Menü mit exakt kalkulierten Kalorien. Dieser Film ist Risiko, ist Herausforderung wie BABYLON oder ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD. Ein “richtiger” Film mit einer authentischen Handschrift, der nur deswegen mitunter versagt, weil er etwas wagt. Coppola zeigt dem Zuschauer sein Herz, gibt ihm eine Pistole, und sagt: “Drück ab, wenn du willst”. Das ist selten geworden.
So ist MEGALOPOLIS bei allen Stärken und Schwächen vor allem zwei Dinge: Coppola und Kino. Und das ist auch weiterhin selbst im Scheitern interessanter als der meiste feige Scheiß, der uns heute vorgesetzt wird.
Fazit: Ein zwischen Vision und Wurstigkeit oszillierendes übergroßes Alterswerk von gleichzeitig bemerkenswerter Weisheit und erstaunlicher Naivität, das als “all you can eat”-Kinobüffet Exzesse lebt und mehr als Sittenbild denn als Story funktioniert.
Toll das Coppola sein Herzensprojekt fertig stellen konnte. Ein Künstler der allerersten Kategorie.
Zwiegespalten, ob ich mir den ansehen werde, aber eine Sache würde mich interessieren.
Anscheinend wurde bei der Canneaufführung ja die Vorstellung durch einen Einschub mit realem Darsteller auf der Bühne unterbrochen.
War das was von in der Kinofassung zu erkennen? 4-wall-breaking-Metamoment?
Nicht, dass ich mich erinnern könnte. Allerdings werden diverse Theater-Mechanismen (Monologe, griechischer Chor, Erzähler) verwendet, was die vierte Wand sowieso aufweicht.
“So ist MEGALOPOLIS … vor allem zwei Dinge: Coppola und Kino.”
Das Fazit reicht mir völlig um den Film auf der großen Leinwand sehen zu wollen. Danke.