Kino Kritik: TWISTERS
Themen: Film, TV & Presse |USA 2024. Regie: Lee Isaac Chung. Darsteller: Daisy Edgar-Jones, Glen Powell, Anthony Ramos, Brandon Perea, Maura Tierney, Harry Hadden-Paton, Sasha Lane, Daryl McCormack, Kiernan Shipka, Nik Dodani, David Corenswet, Tunde Adebimpe, Katy O’Brian, David Born, Paul Scheer, Laura Poe, Austin Bullock
Offizielle Synopsis: Die Sturmjägerin Kate verfolgt Tornados seit einer verheerenden Begegnung mit einem solchen nur noch am Computerbildschirm. Nachdem ihr Freund Javi sie zurück ins Feld lockt, trifft sie auf Tyler Owens, einem in den Sozialen Medien aktiven Tornadojäger. Owens lebt davon, seine Erlebnisse bei der Sturmjagd mit seiner Crew im Internet zu posten. Kate, Tyler und andere finden sich schließlich mitten in den Pfaden mehrerer Sturmsysteme wieder, die über Zentral-Oklahoma zusammenlaufen und kämpfen um ihr Leben.
Kritik: Ich bin nicht ganz sicher, warum man TWISTER fortsetzen musste. Das Original war durchaus spaßig, lebte aber primär von "never seen before!"-Spezialeffekten. Wahrlich kein geliebter Klassiker der 90er wie INDEPENDENCE DAY oder ARMAGEDDON. Es ist bezeichnend, dass das einprägsamste Bild des Film eine fliegende Kuh war.
Genau genommen ist TWISTERS auch keine Fortsetzung. Ich konnte zumindest keine Kontinuität bei der Story oder den Figuren erkennen. Es ist eher eine Variation des Originals mit einem neuen Cast.
Ist es das, was die Leute ins Kino treibt? Ich habe meine Zweifel. Zwar weiß Regisseur Chung durchaus, wie man das Chaos eines Wirbelsturms inszeniert und die knappe Laufzeit ohne größere Durchhänger rumbringt – aber ein Wow-Effekt mag sich nicht einstellen. Das hat vor allem zwei Gründe.
Nummer eins: Die Begeisterung für die Spezialeffekte lässt sich nicht wiederholen. TWISTER war neu, shiny, überwältigend, wie auch JURASSIC PARK und MATRIX. Der Nachfolger macht seine Sache gut, aber das ist wahrlich nicht mehr überraschend. Die SFX sind Standard, 100 mal gesehen und längst durchschaut.
Nummer zwei wiegt aber viel wichtiger: Die Regeln dieses Genres sind derart festgemauert, dass man nach zehn Minuten praktisch jeden "Twist" vorhersagen kann. Ich habe vor ein paar Jahren mal die groben "beats" solcher Filme aufgelistet. Finde ich nicht mehr, aber das lief ungefähr so:
- Held/Heldin führt eine gefährliche Mission
- Die Mission geht schief, Menschen sterben
- Held/Heldin wird die Schuld in die Schuhe geschoben
- Held/Heldin zieht sich zurück, wird Eigenbrötler
- Eine aufkommende Gefahr fällt genau in die Expertise von Held/Heldin
- Held/Heldin weigert sich
- Held/Heldin ändert die Meinung und zieht noch mal in die Schlacht
- Held/Heldin wird mit denen konfrontiert, die ihr/ihm noch die Katastrophe im Prolog vorhalten
- Der erste Versuch gegen die neue Gefahr geht erneut schief
- Held/Heldin schmiedet eine Partnerschaft mit dem gehassliebten Love Interest (… if they don’t kill each other first!)
- Gegen alle Widerstände wird der große Showdown aufgerufen
- Es gibt eine Aussprache mit den Beteiligten, die alten Streitereien werden beigelegt, die Familie findet wieder zusammen
- Großes Finale, eine letzte Überraschung, alle relevanten Personen überleben und die "Schuld" ist getilgt
Und nun die Preisfrage: Ist das der Plot von TWISTERS oder MOONFALL? Ihn ahnt es: beides. Weil beide Filme sich keine Mühe machen, auch nur minimal von diesem Schema abzuweichen – und das ist halt Storytelling der 90er.
TWISTERS tut sich keinen Gefallen, in dem er auch noch Elemente der "young adult novels" und diverser "chick flicks" einflechtet. Kate ist nach dem Prolog aus der herzensguten Heimat (Mama!) in die gesichtslose Großstadt gezogen, und die Rückkehr nach Oklahoma führt zu einer lange überfälligen Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit. Ihr Schulfreund Javi ist der "brave" Love Interest, von dem wir wissen, dass sie ihn verschmähen wird – weil der ruppige Cowboy Tyler (der sie allen Ernstes "city girl" nennt) halt doch unwiderstehlich ist. Aber Javi wird ihr verzeihen, denn Kate ist, wie uns immer wieder versichert wird, schlauer und besser und als "Tornado-Flüsterin" allen Männern überlegen.
Mit solchen Konstellationen werden wir auch bei Rosamunde Pilcher gefüttert.
Dass die Darsteller innerhalb einer solchen 08/15-Dramaturgie nicht brillieren können, versteht sich von selbst. Daisy Edgar-Jones ist mit "blass" noch freundlich beschrieben und legt ein offensichtliches Desinteresse an den Tag, das an Dakota Johnson in MADAME WEBB erinnert. Sie weiß genau, in was für einem Kinderkram sie hier gelandet. Totalausfall in einer Nebenrolle ist David Corenswet, der demnächst unter der Regie von James Gunn den neuen Superman gibt. Basierend auf TWISTERS würde ich ihn so beschreiben: was man bekommt, wenn man Henry Cavill bei Temu bestellt.
Einzig Glen Powell, den Hollywood gerade zum "next big thing" ausruft, kommt einigermaßen unbeschadet davon, weil er als "charming rogue" sein natürliches und beträchtliches Charisma spielen lassen kann.
Wer großes Entertainment sucht, findet es bei TWISTERS demnach weder in der Story noch bei den Darstellern. Es sind die Wirbelstürme, an denen man sich durch den Film hangelt, und die mit geradezu satirischer Präzision immer dann auftauchen, wenn das Drehbuch sie braucht. Es wird düster, es wirbelt, es geht was kaputt, die Helden stehen frustriert in den Trümmern. Am Ende hat Kate zwar eine nobelpreisverdächtige Technik, um Tornados zu entschärfen, aber weil das die gesamte Welt der Klimaforschung auf den Kopf stellen würde, muss im Epilog schnell betont werden, dass es so einfach dann doch nur für das Finale von TWISTERS funktionieren konnte. Der Rest der Bevölkerung in "Tornado Alley" hat Pech gehabt – aber Kate kriegt Tyler. Alles ist gut.
Das klingt vielleicht sehr zynisch – und vielleicht bin ich das auch. Mag sein, dass TWISTERS ein Film für die Mittzwanziger dieser Generation ist, wie TWISTER ein Film für die Mittzwanziger meiner Generation war. Zeiten ändern sich. Andererseits ärgere ich mich ja gerade darüber, dass TWISTERS – abgesehen von einer extremen Verdummung der Story – so wenig Neuland beschreitet. "Wie gehabt" kann doch 2024 nicht mehr reichen. Oder?
Kritiken wie diese
Packed with heart, smarts, jaw-dropping effects and an exquisite ensemble cast (shout out to Harry Hadden-Paton’s nerdy British journalist as comic relief), Twisters will have you singing the praises of the multiplex until the cows come home.
und diese
"Let the sheer power of cinema shake you to your core — movie stars and summer blockbusters are so back, baby."
lassen mich entgeistert den Kopf schütteln. Welchen Film haben die gesehen?!
Fazit: Ein unterhaltsamer, aber brutal generischer Katastrophen-Blockbuster, der nicht wie eine Fortsetzung des Originals wirkt, sondern wie ein Abklatsch des Syfy-Channels. Leere Kalorien für einen schwachen Kino-Sommer. Keine fliegende Kuh.
Schon die Ankündigung liess mich fragen, ob irgendjemand gespannt auf diesen Film gewartet hat. Deiner Kritik nach muss das Ergebnis die Folge des Autoren-Streiks sein. Nach dem Motto: den kurbeln wir auch ohne Script nach Schema F runter und den Rest erledigt das CGI-Team.
Ich glaube, die Beats die du meinst hast du im Hai-Alarm auf Malle aufgelistet – nicht exakt gleich aber ziemlich nah dran 😉
Fliegender Hai wäre eine witzige Steigerung zur fliegenden Kuh. Gibt es den oder kann ich das für den Nachfolger Twistersers reklamieren?
https://youtu.be/FPnXcTuev9Q?si=lzBubBI6wJqlGg6y
Lustigerweise hat YouTube mir den Trailer für Twisters als Werbung davor gepackt 😃
Ich fürchte, da werden trotzdem noch genug Leute reinlaufen, um Produzenten glauben zu machen “Wie gehabt” reicht…
Was die altbekannte Plotbeats betrifft, hatte The Fall Guy davon im Trailer schon genug abschreckende, um zu verhindern, dass ich ihn mir anschaute…(Mit der Serie hatte er ja eh nichts zu tun.)
Schön analysiert. Den werde ich nicht gucken, danke.
Zumindest in den USA ging der Plan wohl auf:
https://www.slashfilm.com/1626801/twisters-box-office-opening-weekend/
Das habe ich erwartet – es ist bisher ein mauer Kinosommer und TWISTERS bietet einem anspruchslosen Publikum zwei Stunden Zeitvertreib.
Puh, da „freue“ ich mich ja schon auf den Kinobesuch am Mittwoch…
Den ersten Teil letzte Woche zum ersten Mal gesehen und der war ja schon nur so ne 6/10…
Na ja, unterhaltsam ist der schon, aber eben nicht sehr gehaltvoll. Lower your expectations.