06
Jun 2024

Kino-Kritik Double Feature: THE BIKERIDERS & THEY SEE YOU

Themen: Film, TV & Presse |

USA 2024. Regie: Jeff Nichols. Darsteller: Jodie Comer, Austin Butler, Tom Hardy, Michael Shannon, Mike Faist, Norman Reedus, Boyd Holbrook, Damon Herriman, Beau Knapp, Emory Cohen, Karl Glusman, Toby Wallace, Happy Anderson

Offizielle Synopsis: In den 1960er Jahren. Ein paar harte Männer haben im Mittleren Westen einen Motorradclub namens „Vandals“ gegründet. Der Club dient zunächst als ein Zufluchtsort für die Außenseiter und Unangepassten von Chicago. Über die Jahre erleben die Mitglieder, wie sich daraus jedoch eine zunehmend unberechenbare Gang entwickelt. Der Anführer der Biker-Gang ist Johnny, und Benny ist die Nummer zwei in der Hierarchie.

Kritik: THE BIKERIDERS basiert auf einer umfangreichen, mehrjährigen Fotoreportage über eine Biker-Gang in den späten 60ern, als der American Dream der Nachkriegszeit und die harmlose Rock’n’Roll-Attitüde langsam von Vietnam, Drogen und Bandenkriminalität zerfressen wurde. Aus dem Wunsch nach Freiheit wird Gesetzlosigkeit, aus Widerstand wird Gewalt. Am Beispiel eines Motorrad-Clubs wird der Wandel einer ganzen Ära bebildert.

Der vorige Absatz endete eigentlich mich dem Wort “erzählt”. Aber das wäre falsch, “bebildert” trifft es besser, denn den Ursprung als Fotoreportage kann und will Jeff Nichols gar nicht leugnen: THE BIKERIDERS fiktionalisiert nicht eine Geschichte, sondern die Protagonisten einzelner stimmungsstarker Fotos, die auch im Nachspann gezeigt werden. Hier ist alles Pose, Nachbau, Mythos, Oberfläche. An keiner Stelle wird ein Interesse gezeigt, die Figuren über den Ist-Zustand hinaus zu erklären, ihre Konflikte auszuformulieren. Kathy trifft Benny, Benny heiratet Kathy, die Vandals verwahrlosen, Kathy will Bennys Ausstieg. Mehr Inhalt ist nicht.

Kein Zweifel, das sieht gut aus und gefällt sich in der Rekonstruktion einer vergangenen Zeit. Austin Butler als neuer Johnny Depp, Tom Hardy als Marlon Brando – aber müsste es da nicht mehr geben? Tatsächliche Konflikte, eine Entwicklung der Figuren, Wendepunkte in der Story? Stattdessen Ausschnitte, Einschübe, Zeitsprünge – Schnappschüsse eben, zusammenfassend kommentiert von der gereiften Kathy. Gott, wir waren jung und naiv…

Besonders schlimm trifft das Non-Storytelling den “Star” Austin Butler, der wirklich gar nichts außer cool rauchen und träumerisch den Kopf zur Seite neigen darf. Sein Benny ist einfach nicht Fokus hier. Die Konflikte trägt Johnny aus, berichtet wird alles von Kathy. Zwei, drei Zeilen im Skript, und man hätte Benny komplett aus dem Film schreiben können, ohne dass es wer gemerkt hätte.

In diesem Sinne taugt THE BIKERIDERS weniger als Kino-Event denn als nostalgische Zeitreise in ein archaisches, mittlerweile weitgehend verschrottetes Männerbild aus röhrenden Harleys, vielen Zigaretten und schlechtem Bier.

Was zum Thema Biker zu sagen war, hat SONS OF ANARCHY bereits gesagt.

Fazit: Eine mit viel Zeitkolorit und Sentimentalität angereicherte Bikermär, die eher eine Epoche abbilden als eine Geschichte erzählen möchte und ihren Star Austin Butler komplett unterverkauft. Sehr unterhaltsam, aber dünn.

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USA 2024. Regie: Ishana Shyamalan. Darsteller: Dakota Fanning, Georgina Campbell, Oliver Finnegan, Olwen Fouéré, Alistair Brammer

Offizielle Synopsis: Die 28-jährige Künstlerin Mina verirrt sich in einem abgelegenen Waldstück im Westen Irlands. Als sie einen Unterschlupf findet, tappt sie unwissentlich in die Falle von drei ihr fremden Personen, die jede Nacht von mysteriösen Kreaturen beobachtet und verfolgt werden.

Kritik: Ich gehöre zu denen, die gehofft hatten, dass M. Nighty Shyamalan nach diversen Misserfolgen und Fehlstarts langsam aus der Branche raustrocknen würde. Ein “one hit wonder”, der seine eigene Masche mit nachlassender Rendite zu Tode geritten hat – und darüber hinaus.

Aber nein, es wäre ja zu schön gewesen. Mit Ishana Shyamalan übernimmt seine Tochter den Staffelstab – und liefert genauso überfrachtetes und gleichzeitig ausgehungertes Konzeptkino ab, bei dem man sein Hirn nicht nur abschalten, sondern mit einem genagelten Baseballschläger totschlagen muss, um die Laufzeit zu überstehen.

Ich habe selten einen Film gesehen, der von der ersten Minute auf wirklich jeder Ebene versagt. Es wäre ja noch okay, wenn wir das Setup des Films für an den Haaren herbeigezogen halten würden. Das kann man mit einer schnittigen Inszenierung und spannenden Twists auffangen. Aber wir glauben hier keine der Figuren, keinen Dialog, keinen Konflikt. Es wirkt, als wäre Ishana Shyamalan nicht in unserer Welt aufgewachsen, sondern in den Filmen ihres Vaters, weshalb es ihr unmöglich ist, zum Zuschauer eine Verbindung aufzubauen.

Picken wir zur Illustration nur ein Detail raus. Mina (die trotz aller Inhaltsangaben keine erkennbare Künstlerin ist) bekommt den Auftrag, einen seltenen Papagei in den Zoo zu bringen. Selbst wenn die Stadt, in der sich Mina befindet, an der anderen Seite der irischen Insel liegen würde, wären das Luftlinie keine 300 Meilen. Ich hab’s nachgemessen. Trotzdem meint ihr Boss, es wäre “eine Tagesreise nach Belfast”. Wer redet denn so?! Sind wir hier in einem Western, wo man sich “in drei Monden am großen Fluß” trifft?!

Kein Ohr für Sprache, kein Gespür für Menschen, kein Sinn für Spannung.

THEY SEE YOU ist so generisch wie sein Titel, oder der Originaltitel THE WATCHERS. Mina ist von der ersten Sekunde an ein konstruierter Charakter, an dem nichts stimmt, der nur in Exposition redet, und komplett von albernem Foreshadowing umgeben ist. Dem Zuschauer wird nichts zugetraut und wann immer ein Rätsel für Spannung sorgen könnte, wird es augenblicklich und langatmig erklärt. THEY SEE YOU ist ein Mystery ohne Mystery, ein Thriller ohne Thrill – und der angetackerte Shyamalan-Twists so doof wie impotent.

Während Ishana Shyamalan an keiner Stelle versucht, den Zuschauer zu bluffen und stolz alle Karten offenlegt, verstolpert sie sich hilflos dort, wo Antworten gewünscht und hilfreich werden. Wie soll der “Hühnerstall” überhaupt funktionieren? Woher kommen Getränke? Wie werden Exkremente entsorgt? Woher wissen die Bewohner von den Regeln? Woher kennen sie den Professor? Weil sich der Film für diese Alltagsfragen keine Zeit nimmt, entsteht keine Verbindlichkeit, können wir die Nöte und Zwänge der Protagonisten nie nachvollziehen. Die angeblichen Monate, die im Wald verbracht werden, wirken wie ein stressiger Wochenendausflug.

Auf dem Fantasy Filmfest wäre das hier ein austauschbarer Programmfüller für den Nachmittag – schnell geguckt und ebenso schnell wieder vergessen.

Fazit: M. Night Shyamalan hat seine Masche, aber nicht sein eh schon begrenztes Talent an die Tochter vererbt. Trotz ordentlicher technischer Umsetzung der vermutlich dümmste und unausgegorenste Horrorfilm des Jahres.

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Matts
Matts
10. Juni, 2024 10:35

Der Kritik zu THE SEE YOU stimme ich größtenteils zu. Es gab ein, zwei Stellen, wo die Kreaturen stimmungsvoll genug in Szene gesetzt waren, dass ein bisschen Gänsehaut bei mir aufkam – aber das war es leider auch schon.
Auf THE BIKERIDERS bin ich als Tom Hardy Fan durchaus gespannt.

dermax
dermax
10. Juni, 2024 12:05

Wow, mit 24 Jahren kriegt die Frau ein achtstelliges Budget vom Vadder produziert. Ich find ja toll, welche Missstände Hollywood die letzten Jahre so versucht hat, aufzugreifen, vielleicht kommt auch mal Nepotismus dran… An ihrer Genialität als Filmemacherin scheints laut Kritik weniger zu liegen.

jimmy1138
jimmy1138
10. Juni, 2024 12:20
Reply to  dermax

Naja, zumindest war der Film eigenfinanziert – die Dummen sind da eher Warner Bros, die dann 30 Mille dafür aufn Tisch gelegt haben. (Obwohl der am Ende des Tages mit Streaming & Co für Warner wahrscheinlich ein Nullsummenspiel wird).
Zumindest kein 100 Millionen Dollar Vehikel a la “After Earth”, wo’s nur darum ging, Will Smiths Sohn zum Star zu machen. Bei der Nepotismus-Nummer führte übrigens Shyamalan senior die Regie.

dermax
dermax
10. Juni, 2024 13:39
Reply to  Torsten Dewi

Ok, alles gut, danke für die Infos, das ist natürlich dann sein Privatvergnügen.

Olaf
Olaf
21. Juni, 2024 18:49

Die FAZ mag Bikeriders. Was man so liest ein angenehmer Film mit guten Darstellern. War erst skeptisch, aber werde ihn
mir wohl angucken.