Die Vergangenheit der Zukunft unserer Gegenwart
Themen: Film, TV & Presse |Es gibt Entwicklungen, die klingen nach Science Fiction – und bleiben es erstmal auch. Immer wieder werden sie als “bald” angekündigt, ohne je den Durchbruch zu schaffen. So wurde seit den 40ern in jedem Jahrzehnt das Zeitalter des Video-Telefons beschworen. Hier nur eins von vielen Beispielen:
Tatsächlich war die Technik einfach noch nicht soweit, gekoppelt mit der Erkenntnis, dass viele Menschen am Telefon nicht beobachtet werden wollen. Der Mehrwert war nicht zwingend genug, um die Entwicklung zu forcieren.
Heute? Heute können wir per Facetime, WhatsApp, Zoom, Teams und Skype von Angesicht zu Angesicht telefonieren, ohne dass es besondere Kosten verursacht oder einen zusätzlichen Apparat braucht – mit “nur” 70 Jahren Verspätung.
Das Video-Telefon ist nicht die einzige technologische Errungenschaft, die im 20. Jahrhundert gesät wurde und die wir heute ernten. Die Nachkriegsdeutschen hatten sich gerade mal an den Supermarkt im amerikanischen Stil gewöhnt, da wurde dieser auch schon wieder revolutioniert:
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Ich bin ziemlich begeistert, wie fortschrittlich das bereits gedacht wurde: gekühlte Automaten, Kundenkonten, Einkaufs-Tokens, vereinfachte Abrechnung.
Tatsächlich durchgesetzt hat sich der “vollautomatische Selbstbedienungsladen” damals nicht – zu aufwändig, zu fehleranfällig, und vor allem kaum in der Lage, größere Menschenmengen gleichzeitig durchzuschleusen.
Aber siehe da: Das Konzept lebt! In München machen seit Corona immer mehr Supermärkte mit einem hohen Grad an Automatisierung auf – auch hier in Haar:
In vielen Supermärkten kann man zudem mittlerweile die Waren selber scannen oder gleich ganz auf den Heckmeck an der Kasse verzichten. Noch einen Schritt weiter geht dieses Pilotprojekt in Pasing:
Mag sein, dass Corona und der Druck des Online-Shopping dazu geführt haben. dass die Zeit des “Roboter-Supermarkts” gekommen ist – 60 Jahre später als erwartet. The future has arrived!
Das faszinierendste Fundstück des Tages gehört allerdings dem Thema Homeoffice. Bis zur Jahrtausendwende war man überzeugt, dass sich der Begriff “Tele-Arbeit” dafür durchsetzen würde. Man sah in dem Konzept aber nicht eine Chance, die Work/Life-Balance zu verbessern und Menschen dynamischere Arbeitszeitmodelle zu bieten – nein, “Tele-Arbeit” war die neue Geißel des Kapitalismus, die mühsam schuftende Frauen ans Wohnzimmer ketten sollte.
Die spätere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin Mitte der 80er zum Thema:
“Tele-Heimarbeit steht vor der Tür. Sie wird mit der Wucht eines Erdbebens lang genug erkämpfte Rechte von Arbeitnehmern zertrümmern.”
Aus einem SPIEGEL-Artikel der selben Ära:
»Elektronische Einsiedelei« hatten schon 1983 Sozialwissenschaftler der IG Metall befürchtet und ein völliges Verbot der Teleheimarbeit gefordert. Ein außerbetrieblicher Arbeitsplatz, warnten die Gewerkschafter, »kann ein Einstieg in einen Ausstieg sein«.
Das war natürlich doppelter Quatsch – die “Tele-Heimarbeit” stand so sehr vor der Tür wie fliegende Autos und Unterwasserstädte. Auf die Idee, dass es von Vorteil sein könne, nicht mehr jeden Tag in ein dröges Büro fahren zu müssen, wo man ´ “Leerzeiten” nicht produktiv anderweitig füllen kann, kam man gar nicht erst.
In der folgenden Doku von 1985 wird das Konzept Tele-Arbeit so genial wie deppert vorgestellt. In Spielszenen planen die herzlosen Herren vom Vorstand, Mitarbeiterinnen zur Gewinnmaximierung an den Heimcomputer zu verbannen. Widerstand zwecklos. Wegen der Heimarbeit bleibt nicht ausreichend Zeit für Mann, Sohn, Baby und Nachbarn. Der Stress steigt ins Unermessliche, der Haussegen hängt schief – unbeantwortet bleibt die Frage, wie der Haushalt jemals funktionieren konnte, als die Angestellte noch acht Stunden im Büro saß. Zum Abschluss gibt es eine Diskussionsrunde von “Experten”, wie sie sich Loriot nicht perfekter hätte ausdenken können.
Das hier ist ganz großes Tennis:
Auch hier begeistert mich, dass das Prinzip des Homeoffice schon weitgehend korrekt identifiziert wurde – man hat es nur völlig falsch interpretiert. Gerade die SPD verstand sich zu dieser Zeit noch als Volkspartei der Arbeiterklasse und witterte hinter jeder Neuerung gleich die unzumutbare Ausbeutung des Proletariats. Es war eine konservative, fortschrittsfeindliche Einstellung, die sich in den absurden Redebeiträgen am Ende der Dokumentation erkennen lässt.
Seit Notebooks die klobigen Desktops ersetzt haben, seit das Internet die Anbindung an Firmenserver vereinfacht hat, seit nicht mehr die geleistete Arbeitszeit, sondern die erledigte Arbeit in Fokus steht, ist das Homeoffice für viele Menschen ein echter Segen. Corona hat uns einen technischen Fortschritt aufgezwungen, der sonst vermutlich noch zehn Jahre gebraucht hätte – und besser ist das. Ich selbst hatte das Glück und das Privileg, schon seit 20 Jahren “extern” arbeiten zu dürfen. Die LvA hat sich 2020 ihr heimisches Arbeitszimmer eingerichtet. Ohne die Bereitschaft des Arbeitgebers, auf Anwesenheitspflicht zu verzichten, hätten wir nicht nach München zurückkehren können. Wir sind dankbar und empfinden nichts am Homeoffice als Belastung oder Stress. Ganz im Gegenteil: Wir können uns Zeiten freier einteilen, gemeinsam eine Mittagspause auf unserer Terrasse genießen, und in den schon erwähnten “Leerzeiten” auch mal die Wäsche machen oder aufräumen. Die Arbeit hat sich deutlich stärker unserem Lebensmodell angepasst – nicht umgekehrt.
Faszinierend, dass wir im Jahr 2024 viele Entwicklungen in hoher Geschwindigkeit umsetzen, die seit Jahrzehnten von den Auguren prophezeit wurden.
Auf fliegende Autos und Unterwasserstädte warte ich allerdings immer noch…
“Auf fliegende Autos und Unterwasserstädte warte ich allerdings immer noch…”
Ich übrigens auch. Und auf den Pflegeroboter. Den besonders. Bin am Thema ‘dran. Und wünsche euch beiden, und allen andern tele-arbeitern: Bleibt verdammt lange gesund. Es wird so schnell niemand kommen, der euch helfen wird. Ausser, ihr könnt es bezahlen. Das ist dann aber ein anderes Thema.
Das Pflegeproblem hat ja rein GAR NICHTS mit der Tele-Arbeit zu tun – warum sollte das Büro-Angestellte weniger betreffen?
Den örtlichen Teo, ein Selbstbedienungssupermarkt ohne Personal hat man jetzt Sonntags zugeklagt. Weil Sonntags keiner arbeiten darf. Warum das ein Konzept ohne Personal (Die Regale auffüllen kann man ja einen Tag aussetzen) betrifft weiß ich nicht. Nach der Logik dürften auch Zigarettenautomaten Sonntags den Dienst verweigern. Die Fortschrittsfeindlichkeit lebt also weiter.
Beim Home Office gibt es ja auch schon wieder eine massive Gegenbewegung, gerade in Großkonzernen. Das Deutsche Management hat wieder mal Urängste der Lohnsklave könnte 10 Minuten Zeit zum Wäsche zusammen legen nicht ausstempeln. Dass stattdessen im Büro die Mitarbeiter 3h ihrer 8h Arbeitszeit im Internet den nächsten Urlaub aussuchen wurde hingenommen.
Zuerst einmal bin ich sicher, dass das mit den Öffnungen Kinderkrankheiten sind – da müssen einfach ein paar veraltete Gesetze an die neuen Realitäten angepasst werden. Und was die Gegenbewegung angeht: hier passiert ja genau das Gegenteil dessen, was 1985 prognostiziert wurde. Allerdings sehe ich da weniger das Problem, dass Angestellte daheim weniger kontrolliert werden können. Nach meiner Erfahrung leben viele Chefs noch das Klischee, durch die Gänge “ihrer” Firma schreiten zu können und sich von Untergebenen umgeben zu fühlen. Aber das Rad wird sich nicht mehr zurückdrehen lassen.
Das Tolle daran ist ja, dass die versuchen, Best Of Both Worlds (aus ihrer Sicht) zu erreichen: 1. Oh toll, dann können wir ja Büros und Arbeitsplätze streichen und 2. alle Arbeiter wieder zu festen Pflichttagen einberufen, wegen gemeinsamem Teamgefühl und so. Ist so eine lustige Milchmädchenrechnung: Ja im Schnitt sind die Plätze nur 50% belegt, aber an diesen Pflichttagen bräuchte man eben alle 100% gleichzeitig. Keine Ahnung, wer sich so einen Mist ausdenkt, habe ich so aber am eigenen Leib bereits in 2 Konzernen erlebt.
Ich halte auch das für “growing pains” – manche Leute brauchen halt länger, um die Zeichen der Zeit zu sehen. Das habe ich in meinen 35 Jahren Berufsleben wahrlich oft genug erlebt,
Meine Mutter hatte als selbständige Übersetzerin bereits seit den 80er Jahren sozusagen im “Home Office” gearbeitet. Das war aber auch kein Zuckerschlecken, ich erinnere mich, daß ich manchmal nicht Einschlafen konnte, weil meine Eltern bis tief in die Nacht auf der Schreibmaschine rumgehackt haben. Dafür war der Verdienst aber herausragend, von Nichts kommt Nichts. Ich selbst kann mich vielleicht auch deswegen mit dem Konzept nicht so recht anfreunden, ich fühle mich deutlich wohler, wenn Arbeitsstelle und Wohnung klar voneinander getrennt sind. Ich bekomme da immer das Gefühl, man holt sich den Stress nur nach Hause. Aber jeder wie er will, für viele funktioniert das, gut daß es das als Option gibt.
Das hat aber nichts mit der Diskussion zu tun – Selbstständige haben nach der Definition kein “Homeoffice”, weil sie nie ein “Office” haben. Ich habe als freier Autor auch immer von daheim aus gearbeitet. Dass deine Mutter bis spät in die Nacht gearbeitet hat, war ein Problem ihres Arbeitsmodells, nicht des Konzepts Homeoffice. Und ja, die Trennung von Arbeits- und Privatsphäre ist wichtig. Macht ja auch mittlerweile fast jeder so. Unsere Wohnung hat gleich zwei separate Arbeitszimmer – es ist der Preis (in vielerlei Beziehung), den wir für die massiven Vorteile des Arrangements zahlen.
Öfter ins Büro gehen ist ja eigentlich immer möglich, habe jedenfalls im Bekanntenkreis noch nichts gegenteiliges gehört. Normalerweise wird ja im Moment um die Mindestzeit im Büro gezankt und nicht um die Höchstzeit. Und es scheinen eher die großen, internationalen Konzerne – die man oft als hip und modern als Arbeitgeber bezeichnet hatte – dabei restriktiver zu sein als das in einem anderen Kommentar angesprochene “deutsche Managment”.
Das sind aber alles nur persönliche Beobachtungen aus einer Bubble heraus von Leuten, die überhaupt Jobs haben, die man von zu Hause erledigen kann.
Das ist schon richtig beobachtet.
Schöner Artikel, vielen Dank 🙂. Beim Thema Homeoffice kann ich nur zustimmen. Einfach ein Segen! Natürlich ist es schön, die Kolleginnen und Kollegen ab und zu im Büro zu treffen. Aber jedes Mal, wenn ich ins (mittlere Großraum-)Büro gehe, ist das gleichbedeutend mit halber Produktivität, weil es viel schwieriger ist, konzentriert zu arbeiten. Dann noch ein Schwätzchen hier, ein “Wie geht’s?” da – und schon hat man gefühlt nichts geschafft an diesem Tag. Zu Hause dagegen: Maximale Konzentration, ideale Bedingungen (z.B. farbkorrekter Monitor für Designarbeit, bequeme Kleidung 😅), kein Zeitverlust durch den Weg zur Arbeit, etc. etc.