Gänsehaut zur Geisterstunde (2): "Der Klempner Satans" von Marko Heisig
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Aus dem Badezimmer drangen klopfende und hämmernde Geräusche. Heidrun Stolz öffnete die Tür, bückte sich und lugte in den Zwischenraum, der die Kacheln der Dusche von dem Boden trennte.
Aus einem großen Loch in den Fliesen quoll heller Rauch, der sich im Raum verteilte und mit feinen Schlieren durch eine schmale Fensteröffnung nach draußen verschwand. Die Frau hustete leicht und vergrößerte den Spalt um das vierfache. Sie beugte ihren Oberkörper nach vorn und versuchte in das Loch zu sehen.
Der Qualm wurde von einer enormen Zigarre produziert, die zu einem Stummel abgebrannt war und zwischen den rauhen Lippen des alten Klempners steckte. Von diesem sah man nur die Beine. Der blaue Overall war schmutzig und mit zahlreichen Flecken bedeckt. Heidrun kannte keinen anderen, und außerdem war der Mann zuverlässig.
Mit leicht angehobener Stimme rief sie in das Dunkel hinein: "Hey, Meister wie lange dauert’s noch?"
Die Antwort, ein dumpfes und verstimmtes Grummeln, drang von rutschenden Körperbewegungen unterstrichen an ihr Ohr.
"Was?"fragte sie.
Der Overall wurde Zentimeter um Zentimeter größer. Als schließlich der etwas mit Öl beschmierte Kopf des Klempners auftauchte und die Zigarre in einen nebenstehenden Mülleimer wanderte, wo sie munter weiterqualmte, wiederholte er: "Soeben fertig geworden, junge Frau." Er wischte sich über die Stirn. "War’n hartes Stück Arbeit."
Grinsend fuhr er fort: "Aber sowas mach' ich mit Vorliebe. Wird Sie allerdings ’ne ganze Stange Geld kosten. Dafür ist die Dusche nu' wieder wie neu. Können sich gleich drunter stellen, wenn Sie wollen."
Seufzend griff er nach einem dreckigen Handtuch und befreite sein Gesicht von dem gröbsten Schmutz, wobei er sich langsam aufrichtete.
Heidrun setzte sich auf den Klodeckel und wartete. Genau das hatte sie tatsächlich vorgehabt: eine schöne, erquickende Dusche!
Während die Brause kaputt war, mußte Heidrun die lange Badewanne benutzen, um überhaupt zu etwas Körperhygiene zu kommen. Ekelhaft! Sie haßte Badewannen. Es war ihr einfach zuwider, wie das erdrückend warme Wasser von allen Seiten auf sie eindrang und ihr sogar die Luft zum Atmen zu nehmen schien.
Nein, was sie liebte, das war das prickelnde Gefühl der Wasserstrahlen, der frische Duft von fließendem Wasser und das gleichmäßige Rauschen. Deswegen war sie auch so ungeduldig darauf bedacht, daß der Klempner möglichst bald verschwände und sie allein ließ.
Doch der Mann setzte sich vorerst mit dem Rücken an die Badewanne, trank in langen Zügen aus einer roten Thermosflasche und rülpste.
Heidrun lächelte unwillkürlich und blickte dem 57jährigen ins Gesicht. So lange sie denken konnte, war er der einzige Klempner, der das Haus Stolz jemals betreten hatte.
Schon als Kleinkind hatte sie ihn kennengelernt; seit Heidruns achtzehntem Geburtstag redete er sie mit "Sie"an, wovon er sich auch nicht abbringen ließ, wenn sie ihm erklärte, er könne sie ruhig weiter duzen. Inzwischen war es ihr egal.
Heidrun lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Ein nicht unattraktiver Anblick, doch von dem alten Klempner hatte sie nichts zu befürchten.
"Sie sehen so aus, als ob Sie tatsächlich jeden Moment unter die Dusche wollten", zwinkerte er ihr zu.
Heidrun war verblüfft, wenn auch nur kurz. Mark Braun überraschte die Leute ständig mit seiner schon fast unheimlichen Fähigkeit, ihre Vorhaben aus dem Gesichtern zu lesen.
"Ja", entgegnete sie, weiterhin lächelnd, "das habe ich wirklich vor." Sie deutete mit den Augen auf das Loch. "Was ist damit? Schadet es auch nicht, wenn ich schnell drunterhüpfe?"
Der Mann winkte beruhigend ab. "Keine Sorge, das mach' ich morgen. Und für Ihre Duschorgie reicht die Rohrabdichtung."
Es war freundlich gemeint, und so nahm Heidrun es auf.
Braun richtete sich ächzend auf. "Bis morgen also. Nein, nein, bemühen Sie sich nicht, ich kenne den Weg. Viel Spaß noch! Wiedersehn."Er nickte ihr freundlich zu und schloß leise das Bad.
Heidrun war zwar nicht mißtrauisch, aber ein vorsichtiger Mensch. Sie wartete, bis die Haustür ins Schloß schnappte, bevor sie sich ihrer Kleidung entledigte.
Draußen, in der heißen Sommer-Sonne, sprang der alte Lieferwagen des Klempners holpernd an. Sein Haus befand sich in der oberen Hälfte der Stadt; das Auto entfernte sich talwärts…
Heidrun legte die leichte Kleidung ordentlich auf den Fußboden und breitete ein Handtuch vor dem Loch aus. Den Schmutz würde sie später entfernen. Sie sehnte sich förmlich nach einer Dusche.
Nur noch mit dem Slip bekleidet, drehte sie den Warmwasserhahn auf. Unter die Brause stellte sie sich noch nicht; erst wollte sie sicher sein, daß das Ding überhaupt funktionierte. Ärgerlich, daß sie es nicht schon im Beisein des Klempners getan hatte. Sie war einfach zu vertrauensselig.
Aus dem Plastikrohr drangen gurgelnde Geräusche, Wasser jedoch kam keines.
Heidrun zog die Mundwinkel nach unten, als es unter ihr zu Grolle begann und eine grauweiße Flüssigkeit spärlich aus dem Brausekopf sickerte. Doch als das Grummeln nach und nach verstummte und die Flüssigkeit sich in klares, herrlich sprudelndes Wasser verwandelte, hellte sich ihre Miene auf, und sie entledigte sich schleunigst ihrer Unterhose.
Sobald das Wasser angenehm warm war, hüpfte sie flink in das kleine Viereck. Sie zog die Vorhänge zu und ließ sich von dem Fall berieseln.
Dieses wundervolle Gefühl, wenn das Wasser sich über einen ergießt und wenn man jeden Zentimeter Haut spüren kann, dieses herrliche Kitzeln auf der Bauchdecke, das berauschende Prickeln der Strahlen… das Prickeln… dieses Prickeln!
Was war denn das? Das tat ja schon fast weh!
Verständnislos blickte sie an sich herab. Sie schrie auf und taumelte. Es dauerte eine Weile, bis sie das Grauen vor sich begreifen konnte; es war verrückt.
Heidrun schlug entsetzt die nassen Hände vor das Gesicht. Naß, ja; aber nicht von Wasser! Wußte der Teufel, was für ein Zeug dort aus dem Brausekopf drang.
Das Mädchen starrte leichenblaß auf ihren Oberkörper. Wo sonst die nicht übel geformten Brüste ihren Platz hatten, war nichts!
Ihr wurde schwarz vor Augen, und sie wich leise stöhnend zurück. In ihrem Brustkasten klaffte ein riesiges Loch.
Sekundenlang hatte Heidrun den Blick starr auf die Wunde gerichtet, dann verdrehten sich ihre Augen. Ihr Körper wurde flüssig. Zwei Minuten später spülte frisches Wasser die letzten Reste aus der Dusche: einen halben Zahn sowie einen Fingernagel …
*
Mark Braun stand in dem düsteren Kanalschacht unter dem Hause Stolz und fröstelte.
Aus dem Abwasserrohr strömte plötzlich klares Wasser. Brauns Zigarre war bereits zur Hälfte verbraucht, als sich das Wasser rot zu färben begann. Die zähflüssige Jauche stürzte zischend in den unterirdischen Fluß. Dampfwolken stiegen auf.
Der alte Klempner blickte geistesabwesend auf die Oberfläche. Die Laterne in seiner Hand flackerte schwach.
"Tut mir leid, Mädchen", brummte er, spuckte den Stummel in die Überreste der Frau und ging summend davon. Die Zigarre schaukelte sanft in dem roten Brei. Satan würde mit ihm zufrieden sein.
ENDE
Erschienen am 7.6.1989 in der Zweitauflage von HEMATORS TÖDLICHE WELT.
Redaktionelle Anmerkung: Marko legt wert auf die Feststellung, dass die Geschichte in seinem Entwurf nur "Der Klempner" hieß und auch der letzte Satz von Bastei hinzugefügt wurde.
Herrlich, und ich kann Markos Zusatz verstehen: der letzte Satz versauts.
Das war so albern. Mein Klempner sollte einfach ein Psychopath sein, und ich hatte mit der schwimmenden Zigarre ein so schön filmisches Endbild. Aber nein, dann musste natürlich der Teufel hinter allem stecken. Ich hatte die Story natürlich auch schlicht als "Der Klempner" eingeschickt, auch da hatte der Verlag dann einfach den Teufel drangehängt.
Neverending Story: Autor und Redaktion/Verlag. Und Danke fürs Teilen, mir hats Spaß gemacht zu lesen!
Nicht GANZ so unangenehm zu lesen für mich wie die erste Story, aber naja, Qualität ist auch das hier nicht gerade. Und den besten Teil musste ich dann auch noch rauskürzen, weil der zu blutig war …
Ich finde die einen massiven Sprung nach vorne.
Danke. Ich war so um die 15, als ich die geschrieben hatte, es wäre also traurig, wenn die nicht besser als die erste geworden wäre …