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Mai 2023

Lokaldebakel: Die Truderinger Umgestaltung als Verunstaltung

Themen: Film, TV & Presse |

Ich wohne erst ein paar Jahre im Osten von München, fühle mich hier aber sehr wohl. Eine exzellente Infrastruktur und perfekter ÖPNV machen den schnellen Ausflug sowohl ins Umland als auch in die City möglich, aber oft genug unnötig.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich aus dem steigenden Wohlstand Münchens wachsende Speckgürtel nicht mehr exakt nach Dörfern unterscheiden lassen. Es entstehen Ringe, Streifen, Areale, Trabantenstädte, manche mit Kern, manche mit langsam aussterbendem Altbestand. Die Gentrifizierung tentakelt sich auch ins Umland.

Dass bei der Planung und Steuerung der Landnahme Fehler gemacht werden? Geschenkt. Niemand kann in die Zukunft schauen und das, was man sich in Sachen Stadtentwicklung wünscht, trifft nicht notwendigerweise ein. Wir haben gesehen, wie Unterföhring und Ismaning unter dem Zusammenbruch des Kirch-Imperiums gelitten haben.

Aber gerade hier in Trudering/Riem bin ich hautnah an zwei Bausünden, die mir Rätsel aufgeben. Weil man sie hätte kommen sehen müssen. Weil schon in der Planungsphase jeder sehen konnte, was für ein Kappes das ist.

Vor gerade mal 19 Jahren wurden im Neubaugebiet Riem (früher Flughafen, danach Bundesgartenschau) die Riem-Arcaden eröffnet, ein gigantisches, in meinen Augen extrem unübersichtlich gestaltetes Einkaufszentrum, das den Bewohnern des Viertels die Fahrt nach München ersparen sollte.

Tiia Monto, Wikipedia, CC BY-SA 4.0

Ich verstehe das Kalkül dahinter. In Kombination mit dem großen Riemer Park und der direkten U-Bahn-Anbindung mag das ein stimmiges Konzept sein. Mein Problem ist der Willy Brandt-Platz vor den Arcaden.

Eine gigantische, leere Steinwüste.

Wer kann Anfang des neuen Jahrtausends noch gedacht haben “die Fläche von der Größe mehrerer Fußballfelder pflastern wird dann einfach zu”? Wie sind wir wieder bei der brutalistischen Stadtkultur der 60er gelandet?

JETZT, 20 Jahre später, fällt den Verantwortlichen auf, dass es vielleicht doch keine so gute Idee war, das Herz des neuen Viertels unter Stein schlagen zu lassen. Eifrig werden Umbauten diskutiert, von denen allerdings niemand weiß, wie sie finanziert werden sollen. Alle sind sich einig, dass es SO nicht weitergehen kann – vor allem die Parteien, die es verbockt haben. Grüner soll der Platz werden, freundlicher, menschennaher – konnte Anfang des Jahrtausends ja keiner drauf kommen. Da hatte man augenscheinlich mit Höhlentrollen als primären Bewohnern gerechnet.

Mich regt allerdings die Fehlgestaltung des Platzes weniger auf als die trotzige Verbissenheit, mit der man immer und immer wieder am Bürger vorbei plant, selbst wenn man tapfer behauptet, “im Dialog” mit den Anwohnern zu arbeiten. Es scheint keinerlei Lerneffekt einzutreten.

Damit kommen wir zur Neugestaltung des “Dorfkerns” von Truderung, der ebenfalls grüner, freundlicher, menschennaher werden sollte – auch, um die lokalen Geschäfte zu stärken. Kann ich verstehen. War vorher nicht schön.

Ende 2022 war man nach zwei Jahren Umbau und mit Kosten von mehr als 10 Millionen Euro endlich soweit, die Runderneuerung abzuschließen. Hier findet ihr einen kurzen, informativen TV-Bericht dazu.

Was ist der zentrale Mittelpunkt der Umgestaltung? Ein steinernes Monstrum von einem Brunnen, umgeben von steinernen Sitzplätzen, eingekeilt in zwei Straßen an einer belebten Kreuzung. Die Straße selber ist Durchfahrtstraße, immer schon. Die Kreuzung: ein klassischer Flaschenhals, an dem die Autos aus Riem, Haar und der City aufeinander treffen. Hier den Verkehr auf 30, teilweise 20 km/h zu drosseln ist schmerzhafter Unfug. Einzig die breiten Gehwege und die Einbindung einzelner, aber ausreichend großer Parkplätze finden mein Wohlwollen.

Ich halte auch die im TV-Bericht als “Begegnungsstätten” vereinsamter Anwohner gehypten Sitzbänke für kompletten Unfug. Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Leute “treffen” sich nicht auf Bänken, um ein Schwätzchen zu halten oder Vesper zu machen. Und wenn doch – dann nicht hier. Das ist Wunschdenken-Gefasel einer Politik, die den Bürger für nachhaltig und empathisch hält wie Peter Lustig.

Damit könnte ich leben. Ich wohne einen Kilometer entfernt vom “Dorfkern”, kommen dort allenfalls beim Einkauf vorbei. Wenn’s den angeblich in die Planung involvierten Truderingern gefällt, liegt es nicht an mir, das zu kritisieren.

Allerdings habe ich Ende 2022 schon vor den sehr neuen, schönen, breiten und teuren Holzbänken gestanden und gedacht: “Die sind nicht wetterfest.”

Ich bin kein Experte, kein Handwerker, kein Förster, kein Städteplaner, kein Bauingenieur. Meine Expertise in Sachen Sitzbänke: null. Und trotzdem war ich mir ziemlich sicher, dass die mit nacktem Metall aneinander geschraubten rohen Holzbalken nicht das ideale Konzept für eine haltbare Sitzbank sein konnten.

Nach zwei Monaten sah ich schon fette Risse im Holz der (übrigens kaum benutzten) Sitzbänke. Es machte mir keine Freude, Recht zu haben.

Kaum acht Monate nach der Eröffnung des “neuen” Ortskerns sieht es so aus:

Rost, Risse, verwittertes Holz. Ich würde mal sagen: wegschmeißen.

Wer hat das geplant? Wer hat das genehmigt? Wer hat das zu verantworten?

Ich will dabei (primär, aber nicht nur) der Politik ans Bein pinkeln, die sich Ende 2022 für ihre Bürgernähe auf die Schulter klopfte und 10 Millionen in eine Umgestaltung geballert hat, die gleichermaßen hässlich wie fehlerbehaftet ist. Um die beliebte, in diesem Fall angebrachte Phrase zu zitieren: “Und das alles von unseren Steuern!”

Mich würde auch interessieren, wo die Lokalpresse geblieben ist, die den Umbau und die Neueröffnung mit großen Berichten begleitet und gefeiert hat. Ich konnte nicht EINEN Artikel finden, der sich mit der aktuellen, schmerzhaft offensichtlichen Misere auseinander setzt. Die Redaktionen ducken sich – so scheint es mir – weg.

Egal. Ich stehe in Niemandes Lohn und esse Niemandes Brot, daher kann ich es laut und deutlich sagen: pfui! Architekten, Politiker, Planer, Presse: pfui!



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S-Man
28. Mai, 2023 15:01

Spricht mir aus der Seele. Alles.

Stadtplanung? Überall so, dass selbst mir als absolutem Laien absolute Fehlplanungen auffallen. Wie dir.

Bürgerdialog? Ich war bei einigen von diesen angeblichen “Dialogen”. Das sind ausschließlich Selbstdarstellungen. Und wenn kritische Anmerkungen überhaupt zugelassen werden, dann werden die höflich mit “Ich nehme das mal mit.” nach Ablage P geschoben. Bürgerdialog, my ass!

Als kleine Anekdote: Wir hatten damals im Kunstunterricht in der Abiturstufe mal ein halbes Jahr “Stadtgestaltung”. Wir sollten mal durch die Stadt gehen und überlegen, was wir gern verbessern würden, wenn wir könnten. Spannende Idee. Meine Kumpels und ich sind damals auf Sportplätzen zu Hause gewesen und haben uns oft über deren Fehlplanungen aufgeregt. Da spielte uns dieses Thema in die Karten. Wir beschrieben also die Mängel von ca. 15 verschiedenen Sportplätzen in der ganzen Stadt. Nur die wenigsten erfüllten unsere Anforderung, also die der Zielgruppe, um vernünftig Sport auszuüben. Wir kamen zu dem Schluss (Vorurteil…), dass die Planer selbst noch nie Sportplätze nutzten. Wer bitte baut Basketballkörbe auf einen Schotterplatz?

comicfreak
comicfreak
28. Mai, 2023 22:08

Welcher Idiot hat das so ausgeschrieben?
Unfassbar

jimmy1138
jimmy1138
28. Mai, 2023 22:51

Zumindest haben die Sitzbänke die obligatorischen Anti-Obdachlosen-Armlehnen…

Sebastian
30. Mai, 2023 09:02

Es erstaunt mich ohnehin, dass gefühlt im gesamten Bundesgebiet jede Ortskern- und Innenstadt-Erneuerung stets auf “Entgrünung” hinaus zu laufen scheint. Lokalpolitiker kritisieren, dass Eigentümer ihre Grundstücke versiegeln, segnen selbiges aber für öffentliche Plätze ab. Aus meiner Sicht wirkt das nach dem Kalkül, dass die Steinwüste einmal mit dem Reinigungsmobil “durchfegen” weniger Kosten verursacht, als die Pflege/Instandhaltung von Grünanlagen.

Sehr treffend die Unübersichtlichkeit der Riem-Arcaden erkannt. Es wird auch spannend, zu verfolgen wie lange das Konzept der Shopping Mall in dieser Form noch aufgeht.

Lokalpresse: Leider ist das gerne eher “Hofberichterstattung”. Habe selbst Fälle von Lokalreportern kennengelernt, die Bürgermeister-Spezln und Parteikollegen waren und entsprechend gefällig berichteten. Ich kenne auch Zeitungen, deren Redaktionen sukzessive ausgedünnt werden. Zum Ausgleich werden dann Freie für einen lächerlichen Lohn in Sitzungen geschickt. Da bleibt nicht mehr viel von dem Journalismus, der eigentlich notwendig wäre.

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
31. Mai, 2023 11:17

Wow, die Bänke sind ja echt in nem miesen Zustand. Persönlich mag ich das Design der Bänke und habe auch ähnliche Bänke als recht bequem in Erinnerung. Aber das die nach nicht einmal einem Jahr in solch nem Zustand sind riecht ja quasi nach Betrug. Solche Rostflecken dürfen doch nicht sein! Und das Holz sieht auch wenig behandelt aus.

Martzell
2. Juni, 2023 18:57

Bei uns wurde mehrere Jahre ein provisorischer Kreisverkehr aufgebaut, mit eigener Rechtsabbiegespur. Funktionierte toll. Gebaut wurde einspurig, obwohl genug Platz. Schraffierte Flächen und riesige Schikanen. Täglich langer Stau durch die halbe Stadt und wenn viel los ist (bspw. Heiligabend) Verkehrsinfarkt. Warum wurde jahrelang etwas getestet was dann gar nicht so gebaut wurde? CDU und Grüne scheinen sich im Gemeinderat schon sehr lange in einem ideologischen Kulturkampf zu bekriegen. Sinnvolle Verkehrsplanung schaut für jede Straße und jeden Platz was am besten für alle funktioniert; dafür ist Versuch und Irrtum nötig.

Martin Däniken
Martin Däniken
6. Juni, 2023 13:55

So was würde das ganze um 1000% aufwerten:
Realer Irrsinn: Das Wander-Urinal in Köln | extra 3 | NDR – YouTube
Und das ist die einfache Variante gegen Kinder/Spiel/Lärm:
Realer Irrsinn: Felsbrocken gegen Kinderlärm in Kassel | extra 3 | NDR – YouTube
Aber so ein Zen-trumm ist etwas viel geileres, da haben “alle” was davon…
Man sagt ja erst Menschen machen eine Stadt l(i)ebenswert..aber wenn niemand gerne in die Stadt(mitte) geht, ausser Planern, die ob ihrer preisgekrönten Entwürfe selbst auf die Schulter klopfen…

Robert
Robert
6. Juni, 2023 15:00

Passt zu Erfahrungen hier aus Kronberg. Offenlegung eines verrohrten Bachs. Sieht…cool aus. (leider keine aktuellen Fotos). Kosten im Millionenbereich. Immer noch nicht fertig. Und jetzt tritt wohl noch Wasser im Bahnhofskeller aus…
https://www.taunus-nachrichten.de/kronberg/nachrichten/kronberg/winkelbach-teures-rinnsal-plaetschert-seinem-neuen-bett-id133360.html