06
Apr 2023

Überraschen, empören, entsetzen: Der Clickbait-Kappes

Themen: Film, TV & Presse |

Clickbait ist nichts Neues, aber als wirkliche Pest nehme ich es erst seit ca. 10 Jahren wahr. Dank Adblocker wird das Meiste bei mir rausgefiltert, aber besonders Werbeflächen auf Nachrichtenseiten und Vorschaubilder von YouTube mühen sich weiterhin nach Kräften, mit marktschreierischem Unfug zu locken.

Dass die “genialen Tricks” meist nur Versicherungen und fragwürdige Diätprodukte und die “Wohnmobile/iPhones/Solaranlagen für fast nichts!” banale Ebay-Suchlinks sind? Geschenkt. Clickbait eben. Wer drauf reinfällt, hat verloren.

Clickbait ist nicht gleich Clickbait. Man muss unterscheiden lernen. Das klassische Clickbait schreit laut, verspricht Emotionen (“bei Punkt 8 musste ich weinen!”), liefert am Ende aber nur aufgeblasenen Unfug.

Nun heißt Clickbait wörtlich übersetzt “Klickköder”. Ködern gehört zum Handwerk besonders der Hersteller von Ramschware. Wirklich indiskutabel finde ich das erst, wenn aus dem “Klickköder” eine satte “Klicklüge” wird, die nichts mehr mit dem zu tun hat, was in der Vorschau versprochen wurde.

Und schließlich gibt es noch den klaren Betrug, das Versprechen von Geld und Premium-Produkten, das lediglich zum Sammeln von Nutzerdaten dient, die dann weiterverkauft werden. Jeder kennt diese “Wir müssen leider 200 5er-BMW wegen Schmutz am Rückspiegel verschenken”-Mitteilungen.

Über die regelmäßigen Versuche, leichtgläubige Geldverschleuderer mit faken Promi-Skandalen zu ruinösen Investments zu locken, schreiben andere ja auch.

Das alles ist berühmt und berüchtigt genug, um keinen Beitrag wert zu sein. Aber dieser Tage bin ich selbst auf Clickbait reingefallen – DAVON möchte ich erzählen.

Es gehört zur menschlichen Natur, dass der Klickfinger besonders dann zu zucken beginnt, wenn man überrascht, empört oder entsetzt werden könnte – es sind Trigger, die uns neugierig machen. Geht es um Prominente, denen wir uns nahe fühlen, gilt das doppelt. Wurde William Shatner vom eigenen Pferd totgetrampelt? Ist Wil Wheaton ein Junkie? Hat Emma Watson ein lesbisches Verhältnis mit Anya Taylor-Joy? Inquiring minds want to know!

(um den mental etwas weniger gut Bestückten auszuhelfen: nein, nein und nein)

Kombiniert man diese “sie werden es nicht fassen können!”-Köder mit klaren Bildfälschungen, dann erhöht sich der Reiz noch – selbst WENN wir oft längst wissen, dass es sich um Fälschungen handelt. Kein Star Trek-Fan lässt sich von so etwas ins Bockshorn jagen:

Marina Sirtis sah nie aus wie die Hauptdarstellerin in einem Russ Meyer-Film – und sie ist auch heute kein von Drogen gezeichnetes Wrack. Die Bilder sind klare Manipulationen, die uns ködern sollen – und gerade weil wir das erkennen, gelingt es ihnen, uns zu ködern. Eine ganz bizarre Variante des Dunning-Kruger-Effekts.

Man könnte argumentieren, dass hier nur mit Photoshop übertrieben wird. In der Tat fanden wir die Sirtis anno 1990 sehr sexy und so mancher Trekker mag sie sich in seiner Fantasie wie auf dem ersten Bild vorgestellt haben. Und natürlich ist die Frau in mehr als 30 Jahren gealtert. So argumentiert sind die Bilder nur etwas überzogene Illustrationen des Themas “für niemanden steht die Zeit still”.

Hättet ihr gedacht, dass der sexy Cyborg aus dem Remake von KAMPFSTERN GALACTICA mittlerweile so richtig fett geworden ist?!

Ihr ahnt es: ist sie nicht. Überraschen, empören, entsetzen.

Dass es den Clickköderern aber eben nicht nur um banale Übertreibung geht, kann man prima an solchen Varianten sehen:

Es gibt kein “then/now” zu diesen Hauptdarstellern von KAMPFSTERN GALACTICA. Lorne Greene starb bereits 1987 und Richard Hatch folgte ihm 2017. Das “now” wären demnach nur Grabsteine.

Nun bin ich seit ein paar Wochen auf den Browser EDGE von Microsoft umgestiegen. Nicht wegen der implementierten KI, aber das ist ein anderes Thema. EDGE öffnet einen neuen leeren Tab mit einem Sammelsurium an vermischten “News”, das jede oben geschilderte Form von Clickbait kombiniert:

Und just dort stolperte ich vor ein paar Tagen über diese Einblendung:

Das ist ja nun relativ eindeutig Eva Habermann. Die kenne ich ganz gut. Kennengelernt habe ich sie 1994 bei den Dreharbeiten von STAR COMMAND im Studio Babelsberg, da war sie gerade mal 18 Jahre alt. In den folgenden 25 Jahren sind wir uns immer wieder begegnet, sie hat u.a. in meiner MÄRCHENSTUNDE für ProSieben eine kleinere Rolle gespielt. 2019 haben ich mich mit ihr und ihrem Lebensgefährten Alex auf ein Eis in Baden Baden getroffen:

Die dunklen Haare hatte sie damals wegen der Dreharbeiten zum Horrorfilm CYST.

Dass Eva schön war/ist, lässt sich kaum bestreiten – die britische Zeitschrift SFX wählte sie unter die Top 10 der “sexiesten sci fi babes of all time”, LEXX sei Dank. Und als Covermodel zierte sie wahrlich genug rot/blau-TV-Zeitschriften:

Allerdings würde auch nicht mal Eva bestreiten, dass sie älter geworden ist. Aber ist sie allen Ernstes nicht wiederzuerkennen? Habe ich da was verpasst? Tja, und so habe ich mich hinreißen lassen, auf den Link zu klicken. Was dann geschah, werdet ihr kaum glauben…

Wie erwartet führte der Link zu einer Click-Galerie. Es geht bei diesem Geschäftsmodell um Arbitrage. Kurz erklärt: Fake-Newsseite schaltet eine Anzeige für eine Bildstrecke, auf der sie wiederum 20 bezahlte Anzeigen einklinkt. Bringt Gewinne in der Höhe von Cent-Bruchteilen, aber in der Masse rechnet sich das wohl. Und genau deshalb sieht man erstmal bei “Newssharper” NICHT Eva Habermann, denn es würde die Neugier befriedigen und den User wieder verlieren. Zuerst einmal muss man sich durch ca. 50 ANDERE Promis “then & now” klicken, wobei schon auffällt, dass es hier an keiner Stelle um “früher hui, heute pfui” geht. Abgesehen von den Fällen, in denen die Stars bereits das Zeitliche gesegnet haben, laufen die holperigen Texte auf selten mehr als ein “hat sich ganz gut gehalten” hinaus. Please move along, nothing to see here.

Wenn man ENDLICH zum Eintrag über Eva Habermann kommt, sieht das so aus:

“Ihr Äußeres ist noch immer so frisch und jung wie das eineR 20-jährigen” – an einer Korrektur des kruden letzten Satzes versuche ich mich gar nicht erst.

“Kaum wiederzuerkennen” my ass!

Wie gesagt: Ich verstehe das Geschäftsmodell. Clickbait, Arbitrage, Trigger. Überraschen, empören, entsetzen. Was mich aber wirklich immer wieder verblüfft ist die Tatsache, dass Leute diese Texte schreiben. Dass es anscheinend genug “Kollegen” gibt, die mit dem Argument “ich muss ja auch meine Miete bezahlen” wirklich jeden Rotz in die Tasten hauen.

DAS wäre eine Aufgabe für die KI. Die schämt sich wenigstens nicht – und macht obendrein weniger Rechtschreibfehler.



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noyse
noyse
6. April, 2023 11:06

das ist das ganze geschäftsmodell von kino.de /moviepilot auf Facebook. da bestehen alle sogenannten Nachrichten nur noch aus clickbait headlines. viel schlimmer sind die ganzen “neue funktion in App XYZ” Headlines. m Artikel steht dann, eventuell, könnte sein, unter Umständen. wenn man die app mit parametern startet oder was Weiss ich. Aus meiner sicht müsste man den Firmen dahinter 1k € pro klick Strafe wegen Täuschung aufbrummen die dann in irgendwelche Stiftungen landen. und zwar wie beim copyright-blocken. man muss nur klicken “ich wurde verarscht” dann wird automatisch die Strafe fällig, und die Artikelbauer müssen nachweisen, dass dem nicht so war.

fishfrank
fishfrank
6. April, 2023 17:22
Reply to  noyse

Jaha, diese “Filmexperten”…
Die auf 3-4 Zeilen breitgelatschten Headlines, die täglich überall den “härtesten Slasher seit Mantamanta, verstörender als Jim Knopf, nach 90 Jahren Indizierung nun endlich uncut im Free-Tv!!!” ankündigen, aber das, worum es geht, schlicht verschweigen…das nervt aufgrund großer Blödheit.
Scheint sich aber zu rechnen, der Quatsch.

Daniel Heisig-Pitzen
Daniel Heisig-Pitzen
6. April, 2023 21:29

Ich dachte, dass diese Texte schon seit ewiger Zeit von Bots geschrieben werden – braucht man dafür wirklich KI?

Stefan
Stefan
6. April, 2023 22:36

Entweder Bots oder Aushilfsjobber/Outsourcing, die mit journalistischem Handwerk oder Schreiben allgemein nichts am Hut haben. Dass das bei der konsequent miserablen Grammatik “Kollegen” sind, die sich dafür hergeben, kann ich mir nicht vorstellen.

Diese Clickbait-Geschichte kotzt mich an. Ich fühle mich für komplett dumm verkauft, wenn mir sowas eingeblendet wird und es nervt mich massiv, wieviele Seiten das mittlerweile gedankenlos als 3-Meter-Tapete auf ihre Seite knallen, um noch ein paar Euros abzugreifen (vorzugsweise vor die Kommentarfunktion, damit der User sich dumm und dämlich scrollen darf).

Die Beispiele hier sind ja noch die harmlosen. Ich hab vor einiger Zeit mal neugierig angeguckt, was sich so alles hinter dem Clickbait findet und das ist ja ein Rabbit Hole, aus dem man einfach nur ganz schnell wieder raus will.

Martzell
6. April, 2023 22:13

Arschlochwerbung wurde das in einem Heiseartikel genannt. Finde ich passend.

Shah
Shah
7. April, 2023 15:51

Viel spannender finde ich auf der Edge-Startseite oder MSN oder was das ist, dass da wirklich hunderte Menschen alles mögliche kommentieren. Völlig sinnfrei.

Exverlobter
Exverlobter
8. April, 2023 23:21

Auf Youtube stoße ich öfters mal auf so einen Müll. Da beginnen die Videos meist mit der Überschrift, “The sad ending of…”

In einem Video wurde gar behauptet, dass William Shatner gestorben sei. Klickt man auf das Video kommt meist eine KI-Stimme, die dann irgendwas nahezu unverständliches vorliest, dass mit der Überschrift meist so gut wie nix zu tun hat.