25
Apr 2023

Fantasy Filmfest Nights 2023 (11): SISU

Themen: FF Nights 2023, Film, TV & Presse |

Finnland 2022. Regie: Jalmari Helander. Darsteller: Jorma Tommila, Aksel Hennie, Jack Doolan, Mimosa Willamo, Onni Tommila

Offizielle Synopsis: Finnland, 1944: Die Nazis befinden sich auf dem Rückzug durch die unendliche Weite Nordfinnlands und verminen dabei jeden Meter Land, den sie durchqueren. Als sie auf einen einsamen Goldsucher treffen, wollen die Soldaten eigentlich nur ein letztes Mal ihre Muskeln spielen lassen und den Alten von seinem Goldschatz befreien. Einen beherzten Messerstich und ein paar Explosionen später müssen sie allerdings feststellen, dass sie sich dem Falschen in den Weg gestellt haben.

Kritik: Die Videobotschaften der Filemacher, die diversen Screening vorangestellt werden, verraten mitunter viel – sei es billige PR-Phrasen wie im Fall von PEARL, das Outing als Nerd bei IRATI, die blasierte Fake-Freundlichkeit des Paares hinter MOTHER, MAY I?. Bei SISU konnte man regelrecht spüren, wie sehr der Film nach ein paar frustrierenden Jahren für Jalmari Helander so etwas wie ein Befreiungsschlag war, eine kathartische Erfahrung. Hier hat jemand ein Projekt realisiert, das er nicht machen wollte, sondern machen musste.

Natürlich wird diskutiert werden, ob SISU und BLOOD & GOLD nun Zwillinge sind oder zwei Seiten einer Medaille. Ich persönliche halte die Gegenüberstellung für nicht zielführend. Ja, den Grundplot “Jagd nach Gold gegen Nazis” ist ähnlich, der Held ist in beiden Fällen ein desillusionierter Soldat, dem die Familie abhandengekommen ist. Beide Filme referenzieren den Italowestern und reduzieren die Gegner auf Chiffren, die sich zur Unterhaltung der Zuschauer rücksichtslos entsorgen lassen.

Trotzdem könnten die Filme unterschiedlicher nicht sein. SISU ist ein klassischer “old man”-Film, wie ihn in den USA vor 20 Jahren Clint Eastwood noch hätte drehen können. Er spielt in einem verlorenen Land, in dem der Krieg kaum etwas übriggelassen hat. Aatami Korpi ist eine Kampfmaschine, die nichts mehr hat, für das sie kämpfen will – bis sie das Gold findet. Der Kampf gegen die Nazis ist nicht nur ein Kampf gegen den Feind, sondern ein Kampf um das Letzte, was ihm noch etwas bedeutet.

SISU huldigt ist weit über Look & Feel hinaus Leone, Corbucci und Kollegen. Hier hat jemand die Tropen des Italowestern perfekt verstanden und in ein neues Umfeld übertragen. Ob der Goldsucher auf seinem Trek durchs wilde Land Nazis oder entmenschlichte Südstaaten-Soldaten massakriert, ist komplett egal. Ob er Jüdinnen oder Squaws befreit, ebenso. Gold ist Gold, Pferde und Hunde sind Freunde. SISU spielt nicht nur Western, er ist ein Western.

Das ist in seiner Härte, seiner Kargheit und seiner Kompromisslosigkeit über weite Strecken ganz großes Entertainment, das die Selbstjustiz-Knöpfe des Publikums perfekt zu drücken weiß. Hier gilt Faustrecht, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Aatami Korpi ist “unstoppable force” und “immovable object” zugleich. Er ist Rambo und der Fremde ohne Namen, John Wick und Conan.

Es war mir eine Freude, wie ernsthaft Helander das durchzieht, gerade im direkten Vergleich mit BLOOD & GOLD – bis er es nicht mehr tut. Ungefähr ab der Szene an der Tankstelle kippt SISU nämlich spürbar, macht aus dem harten Kämpfer einen unzerstörbaren Superhelden, stapelt das Absurde auf das Übertriebene, erinnert plötzlich mehr an INDIANA JONES als an DIRTY HARRY. Die harsche Authentizität, die stille Entschlossenheit werden zugunsten eines großen Action-Finales aufgegeben, das uns nicht nur wegen der wenig überzeugenden CGI aus dem Film katapultiert. Im Versuch, den Konflikt immer weiter zu drehen, verrät SISU fast alles, was ihn bis dahin ausgezeichnet hat. Klar ist das immer noch monströs unterhaltsam, aber ich fand es gleichzeitig fast schon tragisch.

Fazit: Der große Crowdpleaser des Festivals, der seinen Italowestern-Nihilismus im letzten Akt leider für comic-eskes Remmidemmi verrät und damit weniger Impact als erwartet hinterlässt. 8 von 10 Punkten, die 10 hätten werden können/müssen. Trotzdem ein “must see”.



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