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Apr 2023

Fantasy Filmfest Nights 2023 (16): PEARL

Themen: FF Nights 2023, Film, TV & Presse |

USA 2022. Regie: Ti West. Darsteller: Mia Goth, David Corenswet, Tandi Wright, Matthew Sunderland, Emma Jenkins-Purro

Offizielle Synopsis: 60 Jahre vor dem entsetzlichen Massaker aus X folgen wir der jungen Pearl zurück ins Jahr 1918. Während ihre streng gläubige Mutter von der Tochter harte Arbeit auf der einsamen Farm fordert, kämpft Pearls Ehemann derzeit noch in Europa an der Front. Aber der Krieg nähert sich dem Ende und auch das durch die Spanische Grippe verursachte Leid scheint überstanden. Pearls große Leidenschaft in diesen trostlosen Zeiten ist das örtliche Filmtheater. Hier träumt sie von einer Karriere als Tänzerin, angefeuert von ihrem Flirt, dem Filmvorführer, der sie ermutigt, sich bei den Proben für eine Tanztruppe vorzustellen. Doch arme Pearl – auf Rückweisung ist die gern mit der Heugabel fuchtelnde Landschönheit keinesfalls vorbereitet. Noch viel weniger jedoch haben das Showensemble oder die lokalen Mitstreiterinnen mit ihrer eklatant dysfunktionalen Frustrationstoleranz gerechnet. Pearl ist eben „special“ und das beginnt sie nun schlagkräftig zu beweisen. Bloody hell breaks loose.

Kritik: Im Gegensatz zum Rest der Welt war ich ja vom letztjährigen X nicht ganz so begeistert – tolle Sexszenen, glaubwürdiger 70er Jahre-Schmier, aber inhaltlich die übliche dünne Suppe, die Ti West so gerne kocht. Ein Mann, dessen Karriere sich mir nicht erschließt. Dazu passt, dass er bei der Videobotschaft vor dem Film müde und gelangweilt aussieht. Wäre es zu viel verlangt, 10 Sekunden lang für das deutsche Publikum Enthusiasmus zu heucheln?

Grund genug also, der “origin story” der Psychopathin Pearl mit wenig Vorfreude entgegenzusehen, zumal die verstärkte Beteiligung von Mia Goth als Produzentin und Ko-Autorin darauf schließen lässt, dass sie diesmal nicht aus dem Kleid steigen wird. Als Filmfan lernt man, die Zeichen der Zeit zu deuten.

Ja und nein.

In der Tat bleibt Mia Goth diesmal züchtig, die einzige Sexszene wird übertrieben offensichtlich ins Off verschoben. Der Film ist ein sehr penetrantes “showcase” für die “immer mal wieder und dann doch nicht”-Ehefrau von Shia LaBeouf. Sie ist Dreh- und Angelpunkt, permanenter Fokus, einzige Hauptfigur und eine echte Rampensau. Ich habe selten einen Monolog erlebt (ihr werdet ihr erkennen, wenn ihr ihn hört), der so sehr darauf aus ist, der Darstellerin Raum für eine exaltierte Performance zu geben – und es gehört zum Ego von Frau Goth dazu, dass der Monolog ungefähr dreimal so lang ist, als ihm gut tut.

Dass der Film zwar viel erzählt, aber nicht viel zu erzählen hat, gehört zu den Ti West-Standards: Pearl ist eine Psychopathin, deren Frust und non-existente Reizschwelle fast zwangsläufig zu Mord- und Totschlag führen (wie sie damit durchkommt, muss dank des rechtzeitigen Ausstiegs der Story in Richtung Abspann nie geklärt werden). Es gibt keine Entwicklung, keine Erkenntnis, keine Botschaft.

Aber, und das ist ein so fettes wie unerwartetes Aber: PEARL funktioniert. Er ist extrem kurzweilig, poppig gedreht, mit sauberem Splatter getaktet und vor allem – Mia Goth kann ihn tragen. Ich bin für ihre Form von Schmollmund-Kindfrau-Erotik nicht anfällig, aber es lässt sich kaum bestreiten, dass sie sich diese Geschichte von Pearl nicht nur auf den Leib geschnitten hat – sie passt ihr auch perfekt.

Ein bisschen gehadert habe ich mit Goths sehr schwerfälligem Südstaaten-Akzent, der besonders deshalb verwundert, weil sie als Kind deutscher Einwanderer eigentlich ohne diesen aufgewachsen sein sollte. Aber das versendet sich.

Der hohe Unterhaltungswert liegt natürlich auch darin begründet, dass PEARL im Grunde genommen im Territorium der großen historischen TV-Mehrteiler der 70er und 80er wildert: subtrahiert man den Wahn der jungen Hauptdarstellerin, könnte es problemlos die Geschichte eines jungen Mädchens vom Lande sein, das im frühen 20. Jahrhundert entschlossen seinen Traum vom Starruhm verteidigt und dabei so manchen Rückschlag hinnehmen muss. Rags to riches. A star is born. Ein Roman von Sidney Sheldon oder Jackie Collins. 600 bis 700 Seiten. A two part television event, starting tonight on CBS!

Pearls Geschichte ist nicht viel anders als die von John Boy Walton. Mit Axtmorden.

Fazit: Ti West gelingt das Unmögliche: Er erzählt spannend und stringent die Origin-Story einer Figur, um die niemand gebeten hatte. Mia Goth darf sich breitest möglich inszenieren und damit als “name star” für “echte” Hollywoodfilme ins Gespräch bringen. 8 von 10 Punkten.

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5 Kommentare
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Nummer Neun
25. April, 2023 18:02

“X” gefiel mir auch nur okay – an manchen Stellen war der etwas unrund und zu sehr auf Effekt und Vermarktbarkeit gebügelt.

Um so überraschter war ich von “Pearl”, der hat mir richtig gut gefallen. Zwar auch immer etwas over-the-top und auf dem Level von Küchenpsychologie, aber Mia Goth hat mich ziemlich in ihren Bann gezogen. Zumindest von “meinen” vier Filmen war der hier das Highlight.

Thomas Hortian
25. April, 2023 20:03

Hm, in X hatte Mia Goth (hingegen zu Brittany Snow) doch auch nicht blankgezogen? Oder habe ich das schon vergessen? Ich erinnere mich nur an die Jeans-Latzhose, die alles nötige verdeckte und einige unscharfe Bilder, die sie nackt im Hintergrund suggerieren sollten.

Thomas Hortian
25. April, 2023 22:27
Reply to  Torsten Dewi

Okay, Google hat Abhilfe geschaffen. Aber ich habe X auch schon fast komplett vergessen, fand den einschläfernd öde.

Marcus
Marcus
13. Juni, 2023 01:53

Ja, so ungefähr.