Fantasy Filmfest Nights 2023 (12): NIGHTSIREN
Themen: Fantasy Filmf. 07, FF Nights 2023, Film, TV & Presse |Tschechien, Slowakei 2023. Regie: Tereza Nvotová. Darsteller: Natalia Germani, Eva Mores, Juliána Brutovská, Iva Bittová, Jana Olhová
Offizielle Synopsis: Zwei kleine Mädchen sind auf der Flucht, eine falsche Geste führt zu einem tragischen Unfall. Als erwachsene Frau kehrt Šarlota an den Ort ihres Traumas zurück, um das Erbe ihrer verstorbenen Mutter anzutreten. In dem einsamen Bergdorf inmitten der slowakischen Alpen scheint die Zeit seit Jahrhunderten stehen geblieben. Die Einheimischen fürchten sich tatsächlich noch vor Hexen, die Frauen werden auf das Brutalste an der kurzen Leine gehalten und der verschollenen Heimkehrerin schlägt sofort offene Feindseligkeit entgegen. Überraschend findet sie in der selbstbewussten Außenseiterin Mira eine Verbündete. Die Zuneigung der beiden unangepassten Frauen bringt die Stimmung in der Dorfgemeinschaft alsbald zum Kochen.
Kritik: Auch hier versucht die Inhaltsangabe, das Szenario unangemessen aufzuhübschen – NIGHTSIREN spielt in einer stinknormalen slowakischen Kleinstadt, in der die Leute halt noch etwas abergläubisch sind und die Männer gerne besoffen die Frauen begrabbeln. Da ist nix “seit Jahrhunderten stehen geblieben”. Business as usual. Das ist wichtig, gerade WEIL der Film seine Stärke daraus bezieht, dass er die normale regionale Spießigkeit zur Ursuppe seines Dramas macht. Keine uralten Flüche, keine lange verborgenen Geheimnisse, keine Macht im Hintergrund. Es ist die banale Mischung aus Dumpfheit, Chauvinismus, Neid und Geilheit, die den Konflikt köcheln lässt. Und dieser Konflikt lautet “bigotte scheinheilige Familie vs. selbstbestimmte Frauen”.
Denn ja, NIGHTSIREN ist primär ein feministisches Drama, bei dem die “Hexe” eine Chiffre für die unkontrollierte und unkontrollierbare Weiblichkeit ist. Das wird nicht mal clever erzählt, sondern mit dem Holzhammer gelehrt – Šarlota hat mehr Traumata als Haare auf dem Kopf, weil sie mit einer Welt nicht zurechtkommt, die keine Antworten für sie hat. Natürlich hat sie ihr Kind verloren, weil im modernen Gruselfilm die Frau immer nur darüber definiert wird, dass sie ein Kind will, ein Kind bekommt, oder ein Kind verliert. Selbst weibliche Drehbuchautorinnen scheinen keinen anderen Hebel zu finden. Ihre Freundin Mira ist sexuell befreit, aber auch nur vorgeblich – und die alte Freundin aus dem Dorf unterdrückt zeitlebens ihre gleichgeschlechtlichen Triebe.
Und so geht es auch nicht um die Frage, ob es Hexerei gibt oder wer eine Hexe sein könnte, sondern ausschließlich darum, wie man durch weibliche Solidarität und Gesprächstherapie seine innere Balance wiederfinden kann.
Ihr ahnt schon, dass das kein Film für den Vogel ist, oder? Mehr noch: es ist die Sorte Film, die zu zerreißen mir große Freude macht. Kino als Selbstfindung für die Macher*innen, therapeutisches Erzählen mit anschließendem “group hug”. Alle Männer sind Schweine. Alle Frauen sind Opfer. Super, dass wir mal drüber gesprochen haben.
Alles richtig… und doch falsch. Weil es NIGHTSIREN tatsächlich gelingt, eine durchgehend beunruhigende Stimmung zu bauen, weil er seine Frauen furchtlos, aber nie plakativ präsentiert, weil die Gleichsetzung von Hexerei und weiblicher Befreiung tatsächlich Sinn macht – und weil alle Fäden am Ende befriedigend zusammenlaufen.
Darüber hinaus Tereza Nvotová ein paar sehr eindringliche Szenen realer wie halluzinatorischer Natur, die ihre Figuren und den Plot sauber umschließen. NIGHTSIREN ist ein stimmiges Paket, anders als z.B. SHE WILL im letzten Jahr.
Fazit: Ein feminstisches Hexen-Drama, dessen Genre-Elemente mehr im Atmosphärischen liegen und das sicher nicht jeder”mann” begeistern wird. Ich wurde aber überraschend gut unterhalten. 7 von 10 Punkten.
Den Trailer zu dem Film hab ich hier in Tschechien tatsächlich schon vor paar Monaten gesehen. Jetzt frage ich mich, ob er erst noch regulär in die Kinos kommt, oder ob ich ihn verpasst hab.
Auf jeden Fall hab ich jetzt richtig Lust darauf.