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Apr 2023

Konzert-Kritik Spider Murphy Gang: Sultans of S(ch)w(ab)ing!

Themen: Neues |

Ich bin zwar ein Kind der 80er und ein Kind der NDW, aber meine Region war das Rheinland, die Heimat des deutschen Punk, Kraftwerk, Warlock. Die bayerische Kultur und die bayerische Mentalität waren mir damals fremd – was sich erst änderte, als ich 1990 nach München zog. Es dauerte dann noch ein paar Jahre, um mich mit dem Dialekt und der Szene anzufreunden. Darum bin ich auch in Sachen Spider Murphy Gang ein Späteinsteiger und habe erst Mitte der 90er herausgefunden, dass die Jungs über ihre NDW-Hits hinaus ein paar wirklich gute Songs abgeliefert haben. Das hier ist so etwas wie die heimliche Hymne der Stadt:

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Wirklich “drauf” bin ich in Sachen SMG aber erst, seit ich die LvA kennengelernt habe. Die ist Fan. Bei unserer Tour durch Australien im Januar haben wir auf der langen Fahrt nach Canberra dank Carplay und Spotify stundenlang das Repertoire der Band gefeiert, die (ich schrieb es anderswo) durch die NDW hochgespült wurde und mit ihr wieder in der (relativen) Versenkung verschwand, obwohl sie schon immer eher in die Schublade “regionale Stadtfest-Rocker” gehörte.

Die goldenen Erinnerungen an “down under” im Rücken ist es nicht verwunderlich, dass wir uns entschlossen haben, 2023 auch mal die Murphys live zu sehen. In München gab es dafür zwei Optionen: Stehzelt beim Tollwood Festival oder Lustspielhaus in Schwabing mit Bestuhlung und Getränken. Ihr ahnt es:

Alte Menschen spielen für alte Menschen – das ist gottgewollt. Fair auch, dass die Musiker ebenso wie das Publikum sitzen bleiben. Der übersichtliche Saal bietet allen Zuschauern eine gute Sicht. Die begrenzte Zahl der Plätze wird dadurch wettgemacht, dass SMG einfach an drei Tagen nacheinander hier auftreten.

Wobei, “Spider Murphy Gang” muss man tatsächlich in Anführungszeichen setzen, denn vom Originalquartett, wie wir es aus der “Hitparade” und “Formel Eins” kennen, sind nur noch Sänger Günther Sigl und Gitarrist Barny Murphy übrig (der eigentlich Gerhard Gmell heißt). Durch Vollprofis aufgefüllt wird das Programm von insgesamt sieben Musikern bestritten, Percussion und Saxofon sorgen für einen satten, aber nicht aufdringlichen Sound. Dem Schlagzeuger und dem Pianisten werden ausgiebige Soli gegönnt. Da ich keiner von diesen notorischen “Handy hochhalten und mitfilmen”-Volldeppen bin, bringe ich euch nur einen sehr kurzen Ausschnitt mit:

 

Es ist ein Abend ohne Überraschungen, was in diesem Fall auch völlig in Ordnung ist: Die Jungs spielen sich entspannt durch ihre Karriere-Highlights, plaudern zwischendrin über “die gute alte Zeit”, in der man als Teenager durch den Schwabinger Sommer tigerte, immer auf der Suche nach Zigaretten, Mädchen und der nächsten Party. It’s the rock’n’roll way. Das Publikum geht begeistert mit, es wird gesungen und auch mal stehgetanzt – selbst von Zuschauern, die dank (?) der Gnade der späten Geburt nicht mal mehr wissen, worum es bei diesem “Skandal im Sperrbezirk” überhaupt gegangen ist.

Der versteckte Verweis auf Dire Straits im Titel ist dabei durch angemessen, denn immer wieder hat mich die Spider Murphy Gang in dieser Location und an diesem Abend an die “Sultans of Swing” erinnert, die professionell, aber irgendwie auch aus der Zeit gefallen ihr Ding durchziehen:

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“Check out Guitar George, he knows all the chords – mind, he’s strictly rhythm, he doesn’t want to make it cry or sing”, indeed.

Nun verweise ich ja immer gerne auf die Songs, die ich für Pflicht halte, die von der Band aber aus der Setlist gestrichen wurden – warum auch immer. Bei Bryan Ferry war das “Oh yeah (on the radio)”, bei den Pet Shop Boys “Suburbia”. Die Spider Murphy Gang hätte in meinen Augen “Rock around the clock” und “It’s alright mama” weglassen können, um stattdessen “FFB” und das hier zu spielen:

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Insgesamt ein entspanntes Konzert, das weder der Band noch dem Publikum allzu viel abverlangte und bei dem die Nostalgie einen gewissen Mangel an Energie wettmachte. Es ist die würdevolle Alterung des Pops – nächstes Mal mit Rollator.

Bonus: Nach dem Konzert fuhren die LvA und ich noch eine Runde durch München, besuchten die besungenen Stadtteile wie Schwabing, Au, Berg am Laim, etc. Wir sind hier halt über die Jahre doch heimisch geworden.

P.S.: Meine Fotostory zum SPIDER MURPHY GANG-Film bleibt Pflichtlektüre.



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Maximilian Frömter
Maximilian Frömter
17. April, 2023 10:04

Danke für den schönen Bericht! Die Spider Murphy Gang waren im Bayern der 80er Jahre absolute Giganten und sind aus dem kulturellen Repertoire des Landes nicht mehr wegzudenken. Vielleicht vergleichbar mit Falco in Österreich. Gut, daß die alten Knacker es noch ganz ordentlich draufhaben, hoffentlich noch für lange Zeit.

Frank
Frank
20. April, 2023 16:31

Genau, der berühmte Münchner Sperrbezirk. Vom Stiglmaier-Platz weg die ganze Dachauer hoch gab’s Prostitution. Der Spiegeleier-Platz, wie wir Kinder ihn damals nannten, war so ein kleiner krimineller Hotspot mit der Philoma-Bar als Zentrale. In der Hohenzollernstraße nähe Kurfürstenplatz war ein bis in Provinz bekanntes Bordell.

War eine verrückte Zeit damals. Die Original-Spiders live im Rigans Club in der Herzog und anschließend zum Komplettabsturz in die Schwabinger Sieben. Dort konnte es passieren das einem der zugedröhnte Konstantin Wecker auf die Schuhe kotzte.
Im ‘Nachtcafe’ in der Innenstadt hat mir ein damals noch unbekannter Heiner Lauterbach im Suff Prügel angedroht weil ich ihn angeblich so blöd angeglotzt hätte. Der Mann ist, wie viele Schauspieler, eher von kleiner Statur. Ich hab ihm gesagt ich würde immer so blöd aussehen und ihn auf ein Bier eingeladen. Wurde noch ein unterhaltsamer Abend.
Und den Nachdienst im Studentenjob rettete mir immer die ‘Rocktasche’ von Georg Kostya mit reichlich uraltem Blues. Der Mann hatte unglaubliche Scheiben in der Sammlung.

Danke für die Erinnerung hier!

Frank
Frank
24. April, 2023 07:56
Reply to  Torsten Dewi

Da nicht für! Lese sehr gerne hier bei dir!

Den Spider-Film habe ich nie gesehen und werde ihn mir auch nicht anschauen. Ich denke deine Analyse dürfte die damalige Gesamtsituation ganz gut treffen. Ein Wahnsinn allenthalben.

Die Maxvorstadt war in den 1960er-1970er Jahren schon ein Erlebnis. Als Schüler lief mir zweimal Erich Kästner über den Weg. Der ‘Weinbeißer’ am Hohenzollernplatz war eines seiner Stammlokale. Leider war ich zu feige ihn anzusprechen und um ein Autogramm zu bitten. Ärgere ich mich heute noch.
Alles sehr lange her. War schon ewig nicht mehr in München. Wäre doch glatt mal wieder einen Besuch wert. Vielleicht zum Comicfestival jetzt im Juni.

Frank
Frank
24. April, 2023 21:32
Reply to  Torsten Dewi

Connolly – der reißt bei mir auch eine alte Wunde auf. Im Juni 1979 war ich mit einem Kumpel nämlich das erste Mal in London. Statt uns ‘The Secret Policeman’s Ball’ zu geben, trieben wir uns in der Punk-Szene herum. Wir haben erst davon erfahren, als wir schon wieder zu Hause waren. Bescheuert, aber so waren wir eben.

Die Schickeria-Doku habe ich nicht gesehen, aber vielleicht kommt da ja noch mal was.
Und neidisch brauchst du nicht zu sein. So lustig wie man es heute sehen könnte, war es damals in München als Jugendlicher nicht. ZB die Drogenschwemme hat vieles zerstört. In der Maxvorstadt fing es mit dem ‘Blow Up’ später ‘Weißes Haus’ am Elisabethplatz an. Am Kurfürstenplatz machte dazu der ‘Piper-Club’ auf und die Einwegspritzen lagen überall herum. Zwei Freunde von mir sind an dem Zeug gestorben. Und in fast jedem Münchner Stadtviertel gab es Banden von kriminellen Jugendlichen die dich terrorisiert haben. Am berüchtigsten waren damals die ‘Valleys’. Kein Spaß da als Jugendlicher unterwegs zu sein.
Wie auch immer – die coolen Erinnerungen behalten und den Rest einfach vergessen.

Du kommst nicht vom platten Land – ich schon. Mich haben sie als 6jährigen Knirps vom platten Land in die Großstadt geschubst. Berufliche Veränderung der Eltern. Ich hatte damals von nix noch nicht mal die halbe Ahnung. Musste notgedrungen sehr schnell dazu lernen. Heute wohnen wir wieder auf dem platten Land. Mann wird ruhiger. Du schreibst es ja selbst – heute lieber Sitzplatz im Rock-Konzert 😉  
 

Frank
Frank
25. April, 2023 06:22
Reply to  Torsten Dewi

Stell dir einen bayerischen Trachtentrupp neben einer Gruppe Punks vor. Beide tragen ihre “Uniform” und beide saufen massenweise Bier. Oberflächlich betrachtet ist “spießig” doch relativ.

Und Grüße an deinen Bruder! Punks bleiben wir in der Birne! 😉