18
Mrz 2023

Event-Kritik: Gruseldinner “John Sinclair”

Themen: Film, TV & Presse |

Ich bin bekanntermaßen ein großer Ex-Fanboy der Romanhefte über den Geisterjäger von Scotland Yard – obwohl der sich freut, wenn er im Autoradio (Mittelwelle) mal Roland Kaisers “Santa Maria” hört und sich penetrant “Stäbchen” anzündet, wenn er Zigaretten meint. Allerdings bin ich nach zwei, drei intensiven Jahren in den frühen 80ern der jugendlichen Begeisterung entwachsen und zum Stephen King-Leser gereift, wie sich das gehört.

Nun scheint es, als würde alles, was ein gewisses Alter erreicht, mehr oder weniger freiwillig zum Kult erklärt – und “John Sinclair” gehört dazu. Aus der Romanreihe ist längst eine Franchise geworden, es gab eine grottige TV-Serie, es gibt ein Lexikon, haufenweise Hörspiele, Lesungen, und ein Videospiel.

Da ist es kein Wunder, dass “John Sinclair” auch für eine “Gruseldinner“-Reihe lizensiert wurde, die ein Vier Gänge-Menü mit fünf Akten Albernheiten anreichert:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Wie muss man sich das vorstellen? Vielleicht als eine Mischung aus den beliebten “Teatro”-Varietés und dem amerikanischen “dinner theater”, bei dem eine klassische Performance mit einem Menü kombiniert wird.

Ich kann nicht mehr genau sagen, wo ich das erste Mal von den Sinclair-Gruseldinnern gehört habe, aber es war irgendwie Ehrensache, dass ich mir das ansehen würde. Es gab eine Münchner Location, die fand ich allerdings wenig “gruselig”. Schloss Neufahrn hingegen ist auch nur eine gute Fahrstunde entfernt und deutlich atmosphärischer:

In einem schönen großen Saal fanden sich ca. 120 Besucher ein (ausverkauft), an den Tischen saß man mit bis zu acht Personen relativ kuschelig beieinander. Die Stirnseite der Location war dem Anlass angemessen dekoriert:

Ein günstiges Vergnügen ist der Abend nicht: Zu den rund 180 Euro für zwei Personen kommen noch die Getränke, die sich über fast vier Stunden auch noch mal zu knapp 50 Euro summieren (Wein, Wasser, Kaffee, ein Cocktail). Um die 110-120 Euro muss man also rechnen – dafür kann man auch im Spartarif nach London fliegen und sich die originalen Schauplätze der Romane anschauen.

Während der Vorstellung galt übrigens Foto/Video-Verbot und ich habe mich dran gehalten. Auch Ehrensache.

Eins vorab: Man merkt, dass sich die Macher des Gruseldinners sehr gut eingearbeitet haben. Die Story, wenn auch nicht auf einem konkreten Roman basierend, ist “typisch Sinclair”, mit allen erwartbaren Ecken und Kanten:

Bei so einem Plot hat man nur zwei Möglichkeiten: bierernst – oder augenzwinkernd. Leider (?) hat man sich für Letzteres entschieden, was schade ist, denn die Romane punkten ja gerade damit, dass sie ernst nehmen, was nicht ernst genommen werden kann – wie die domina-eske Ex-Terroristin “Lady X”, die mittlerweile als Vampirin nach Weltherrschaft strebt. Aber das Gruseldinner setzt auf Comedy, auf Meta-Jokes, auf ständige Verweise auf die Romane. Romantitel werden wie aus der Stalin-Orgel in die Dialoge geschossen, das Auktionshaus heißt “Zamorra” und selbst Marek der Pfähler findet Erwähnung. Die meisten Waffen aus John Sinclairs “Einsatzkoffer” kommen zum Einsatz – inkl. Weihwasserpistole. Ich habe nur die gnostische Gemme vermisst.

Als Autor würde ich zudem kritisch anmerken, dass diese Bühnenversion nicht konsequent genug aus Sinclairs Sicht erzählt wird wie die Romane. Ganze Akte laufen fast vollständig ohne den Geisterjäger ab. Fokus, Leute, Fokus!

Man möge sich also vom recht gelungenen Poster nicht in die Irre leiten lassen – das hier ist Klamauk mit einem anderen Darsteller, der eine sehr offensichtliche Perücke trägt. Ich hatte kurz darüber nachgedacht, mir einen roten Rollkragenpulli zu kaufen – damit wäre mein John Sinclair-Gedächtnisoutfit mit Rolli, Lederjacke und Jeans komplett gewesen.

Die Artwork zum Event erinnerte mich immer daran, wie ich mir eine gute Sinclair-TV-Serie vorstelle. Das muss doch zu machen sein!

Das Essen war durchaus lecker – für Veganer gab es Ravioli statt Roulade:

Ich erlaubte mir den Spaß, mal am Tisch rund zu fragen – niemand außer mir hatte jemals einen John Sinclair-Roman gelesen. Ich würde das soweit extrapolieren, dass die meisten Gäste nicht mal wussten, dass der Held des Abends auf einer Romanfigur basiert.

Dennoch war der Abend sehr kurzweilig – jeder Akt wird von einem Menü-Gang unterbrochen, relativ exakte vier Stunden bieten Gegenwert für den Eintrittspreis. Als Sinclair-Fan hat man sicher einigen Mehrwehrt, aber auch die “noobs” (wie die LvA, die sich auf dem Hinweg hatte briefen lassen) kommen auf ihre Kosten. Die Darsteller hängen sich wirklich rein und leisten auch physisch Beachtliches. So mancher muss mehrere Rollen stemmen, inklusive Kostüm- und Makeup-Wechsel:

So kann ich dem Event selbst keinen Vorwurf machen – man bekommt, wofür man bezahlt. Und dennoch hätte ich mich über einen Sinclair gefreut, der die Vorlage etwas ernster nimmt und nicht immer den einfachen “Ausweg Comedy” nimmt.

Angesichts der bouelevardesken Vorführung und des begrenzten Aufwands wären 49 Euro pro Karte ein angemessenerer Preis gewesen. Für 100 Euro kann man in London Robert Lindsay oder David Tennant auf der Bühne sehen.

Es lässt sich aber nicht bestreiten, dass wir die Kombination aus Location, Dinner und Performance genossen haben – und ist das nicht das Einzige, was zählt?

P.S.: Die TV-Serie JOHN SINCLAIR wird natürlich auch Teil meiner in Arbeit befindlichen Retrospektive der 90er im Privatfernsehen. Wer wissen will, wie der damalige Serien-Sinclair Kai Maertens die Sache retrospektiv sieht, schaut hier:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

 



Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

5 Kommentare
Älteste
Neueste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
comicfreak
18. März, 2023 15:39

Klingt nach einem guten Abend

Chris
Chris
18. März, 2023 19:11

Lizenziert!

Das Original Gruseldinner
19. März, 2023 13:50

Hallo, Herr Dewi, es freut uns, dass Ihnen das Gruseldinner gefallen hat. Unsere Produktionen sind allesamt humoristisch angelegt, und das haben wir auch bei „Geisterjäger John Sinclair“ gemacht, gerade aus dem Wissen heraus, dass ein großer Teil der Gäste die Serie gar nicht kennen wird. Für 49 Euro ließe sich ein solcher Abend wohl anbieten – wenn man das Menü streichen würde. Das ist aber nunmal Teil des Konzepts und muss über den Ticketpreis mitfinanziert werden. Die Locations, die wir bespielen, haben zudem durchschnittlich nur 100 Plätze, das muss bei Kostenrechnung natürlich berücksichtigt werden. Dies nur zur Erläuterung. Herzliche Grüße vom Gruseldinner